Und noch etwas kommt hinzu. Der
Innenraum schafft genau die richtige Atmosphäre, damit die Show
ihre volle Wirkung entfalten kann. Im Ganzen wirkt die
langgestreckte L'Arche mit ihren ausschließlich außenliegenden
Masten sehr groß. Das Interieur aber ist geschickt aufgeteilt.
Es beinhaltet vorne die Restauration und hinten den
Backstage-Bereich. Der Zuschauerraum in der Mitte ist äußerst
kompakt und bietet Platz für rund 1.300 Gäste. Es gibt
Balkonlogen und gepolsterte Klappsitze auf dem Gradin. Dieses
geht bis an die Manege, sodass die Reihen schon in den Ringlogen
ansteigen.

L'Arche
in Straßburg
Wie schon
eine Spielzeit zuvor, werden wieder einzelne Abendvorstellungen
als Diner Spectacle angeboten. Dann wird jede zweite Stuhlreihe
in Tische umgebaut. Ein lokaler Caterer sorgt für ein
mehrgängiges Menü, das begleitend zur leicht angepassten Show
serviert wird. Der Schriftzug „Arlette Gruss“ prangt am
höhenverstellbaren Artisteneingang. Das Licht verstärkt beim
Einlass den kompakten, edlen Gesamteindruck. Eine gewisse
Intimität entsteht. Die Vorfreude auf das Kommende steigert sich
so weiter.

Szene
aus dem Finale
Die
Erwartungen werden in den folgenden zwei Stunden plus Pause aufs
Beste erfüllt. „Extravagant“ ist eine logische Weiterentwicklung
der Gruss-Programme der letzten Jahre. Wir erleben große Bilder
mit dem gesamten Ensemble. Es gibt traumhafte, fantasievolle
Kostüme. Sie stammen einmal mehr von Roberto Rosello. Das
feudale, ungemein stimmungsvolle Lichtdesign hat Julien Lambotte
inszeniert. Die Arrangements der Begleitmusik hat Antony Saugé
geschrieben. Cédric Pontieux sorgt als Toningenieur dafür, dass
der Sound perfekt in den Ohren der Zuschauer ankommt. Igor Nita
schließlich dirigiert die Musiker. Die spielen ungemein
druckvoll auf. Die Qualität ist beeindruckend. Ohne Zweifel
leistet sich der Cirque Arlette Gruss eines der derzeit besten
Circusorchester. In diesem Jahr sind vermehrt bekannte Stücke zu
hören.
 
Szene
aus dem Opening, Kevin Sagau
Während
des Einlasses steht ein Puppentheater in der Manege. Ein Plakat
davor kündigt den Beginn der Show in wenigen Augenblicken an.
Und siehe da, pünktlich um 14:30 Uhr heißen uns die Clowns
Gregory Bellini und André als Handpuppen willkommen. Dann wird
es groß und bunt. Beim Opening begrüßen uns farbenfroh
Fantasiefiguren. Auch Circus-typische Charaktere wie ein starker
Mann oder ein Stelzenläufer sind dabei. Später kommen Menschen
in schicken Straßenkleidern dazu. Die Choreographie holt einen
ohne Umschweife ab in die bunte Welt der Arena. Alles, was einem
davor durch den Kopf geschwirrt ist, verschwindet. Der Circus
nimmt einen gefangen. Als erste kurze Tiernummer ist die Dressur
mit zwei Ponys und einem Hund in das Charivari integriert. Sarah
Houcke führt diese vor. Die im Zuschauerraum gesprochenen
Begrüßungsworte gehören Kevin Sagau, dem langjährigen Monsieur
Loyal. Er ist zudem im edlen roten Gewand, welches er auch jetzt
trägt, das Plakatmotiv von „Extravagant“. Mit dabei ist Mailys
Loyal, die Sängerin der Show, die mit ihrer wunderbaren Stimme
verschiedene Auftritte hat.
  
Desirée
Cardinali Chaves, Sarah Houcke, Anna Demeter
Sogleich
begibt sie sich in die Manege, um dort gesanglich Desirée Cardinali Chaves zu begleiten. Diese erleben wir einmal mehr mit
ihrer wunderbaren Equilibristikkür. Nach variantenreichen
Handständen schießt sie einen Luftballon mit Pfeil und Bogen ab.
Ausgelöst wird der Pfeil kopfüber mit den Füßen. Mit seiner
Armbrust will der als Wilhelm Tell kostümierte Gregory Bellini
einen Apfel durchbohren. Kevin Sagau ist wenig begeistert, Teil
dieser sicher nicht ungefährlichen Aktion zu werden. Und so
nimmt Bellini die Sache selbst in die Hand, trägt er das Brett
mit der Zielscheibe doch ohnehin schon die ganze Zeit auf dem
Rücken. Letztendlich ist das Ganze natürlich ein wunderbarer
Spaß. Männer mit freien Oberkörpern und Widdermasken bringen
Lamas herein. Mit dieser mystischen Szene beginnt die Vorführung
von sechs Lamas durch Sarah Houcke. Zu Beginn wird mit Longen
gearbeitet. Erst bei den flotten Runden in Freiheit und dem
Überspringen eines Hindernisses kommt die volle Eleganz der
Tiere zur Geltung. Durch den Gesang von Mailys Loyal erfährt die
ohnehin schon traumhafte Luftnummer von Anna Demeter eine
weitere Aufwertung. Die junge Ungarin beginnt mit Sequenzen am
Vertikalseil. Ihr eigentliches Requisit ist aber das auch
Wolkenschaukel genannte Schwungseil. Daran schaukelt sie
raumgreifend, lässt ihr langes Haar fliegen und begeistert mit
fantastischen Tricks wie dem Fersenhang. Ein wirklicher
artistischer Hochgenuss.
 
Gregory
Bellini und Kevin Sagau, Gruppenjonglage
Auf einen
Flug der besonderen Art will Gregory Bellini im eleganten Frack
seinen weißen Plüschhasen schicken. Schließlich handelt es sich
dabei um eine „lebende Kanonenkugel“. Die Requisiten sind
liebevoll nostalgisch gestaltet. Und natürlich nimmt das
Drumherum viel Zeit ein und sorgt für etliche Lacher. Auch Kevin
Sagau bleibt wiederum nicht verschont. Am Ende erreicht der
Nager dann tatsächlich sein Ziel. Wenn auch anders, als Bellini
das angekündigt hat. Die gesamte Szene ist wunderbar kreativ
inszeniert und wird hinreißend gespielt. In einer Zeit, in der
die Komik im Circus nicht selten von der schnellen Kopie lebt,
eine echte Wohltat. Acht Personen umfasst die Formation, die mit
großen Ringen jongliert. In ihrem Zentrum stehen Nathalie und
Zdenek Supka, die den Cirque Arlette Gruss schon seit unzähligen
Tourneen begleiten. Die aktuelle Darbietung wird in historischen
Kostümen präsentiert. In immer neuen Varianten fliegen die
Reifen durch die Luft. Es ergeben sich faszinierende Bilder, die
das menschliche Auge schwerlich in Gänze erfassen kann. Es
passiert einfach zu viel. Präzise verlassen die Requisiten die
Hand eines Artisten, um nicht minder präzise von einem Kollegen
wieder gefangen zu werden. Zum Grande Finale werfen sieben der
Jongleure ihre Reifen immer schneller zu Zdenek Supka, der sie
auffängt und sich dann um den Hals hängt. Natürlich gelingt das
Kunststück erst im zweiten oder dritten Anlauf. Der Applaus wird
dadurch riesig.
  
Alexis
und Eros Gruss, André, Duo Lyd
Alexis und
Eros sind die beiden jüngsten Kinder von Gilbert Gruss und Linda
Biasini Gruss. Bereits im Programm 2017/18 zeigten die
Geschwister im Rahmen des Openings erste Kostproben ihrer
Ikarischen Spiele. Nun ist daraus eine ausgereifte,
eigenständige Darbietung geworden. Kraftvoll katapultiert Eros
seine Schwester mit den Beinen in der Luft. Dort wagt Alexis
immer neue, elegante und sicher nicht ungefährliche Drehungen.
Seine starke Akrobatik serviert das Duo mit einer bereits
erstaunlich professionellen Attitüde. Clown André (Broger) ist
ein immerwährender Quell an Kreativität. Er hat der Circuswelt
Klassiker wie den Kampf mit einem Hai in der Badewanne beschert.
Für seinen ersten größeren Auftritt an diesem Nachmittag ist ein
Mikrofon samt zugehörigem Ständer aufgebaut. Man ahnt, was
folgt. Doch weit gefehlt. Das mit Hilfe eines Wischmobs
gespielte Duett ist es nämlich nicht. Vielmehr verteilt André
zunächst großzügig im Publikum Blumen. Kaum hat er sich mit
Krone und Umhang in einen König verwandelt, geht er den Weg
retour und lässt sich die Blumen wieder schenken. Auf einem
roten Teppich nimmt er sodann den Weg zum Mikrofon. Allerdings
ist der Läufer zu kurz. Da eine König aber ganz offensichtlich
nicht auf blankem Boden geht, wird der Teppich auf äußerst
originelle Weise immer weiter verlängert. Das Duo Lyd haben wir
schon mit Akrobatik auf dem Fahrrad sowie am Mast erlebt. Für
die aktuelle Saison haben sie sich den Fangstuhl ausgesucht. Was
Liss und Darien daran zeigen, steht ihren bisherigen
Darbietungen in nichts nach. Die waghalsigen Sprünge wirken
immer kontrolliert. Stets landet Liss nach ihren Salti wieder
sicher in den Händen von Darien. Mit ihrer starken Nummer an
diesem aktuell selten zu sehenden Requisit bilden die beiden die
Pausennummer. In diese verabschiedet uns letztendlich eine junge
Dame, die mittels Sänfte von Gregory Bellini und André hereingetragen wurde. Figuranten in bunten Kostümen
komplettieren die Szene.
 
Geoffrey Berhault, Laura-Maria Gruss
Zum
zweiten Teil begrüßen uns Kevin Sagau und weitere Mitglieder des
Ensembles. Bereits aufgebaut sind zwei sich kreuzende Drahtseile
in unterschiedlicher Höhe. Auf diesen balanciert sodann Geoffrey
Berhault. Die ungewöhnliche Nutzung gleich zweier gespannter
Drähte lässt originelle Sprünge zu. Von oben nach unten, von
unten nach oben und vom unteren über das obere Seil. Die
Klassiker des Genres sind ebenfalls dabei. So das Seilspringen
und der Rückwärts- sowie der deutlich anspruchsvollere
Vorwärtssalto, welcher nicht allzu oft gewagt wird. Zum Grand
Prix der Rennschweine lädt Clown André. Gleich mehrere der rosa
Stofftiere mit Batterieantrieb lässt er gegeneinander antreten.
Ein Junge aus der dem Artisteneingang gegenüberliegenden Loge
markiert mit Reifen und schwarz-weiß karierter Flagge das Ziel.
Startpunkt ist das eine Ende der Piste. Geschwindigkeit der
Schweine und zurückzulegender Weg lassen auf einen langen
Nachmittag schließen. Doch André sorgt für ordentlich Tempo und
so wird in kurzer Zeit der Sieger gekürt. Die Pferdedressuren
werden hier wie gewohnt von Linda Biasini Gruss und Tochter
Laura-Maria vorgeführt. Zunächst geleiten sie die auf einem
Pferd reitende Alexis Gruss herein. Dann leitet Linda drei
Friesen zum Flechten an. Daraufhin dirigiert sie einen
Sechserzug Friesen. Laura-Maria übernimmt mit einem Steiger und
präsentiert danach eine Dressur mit drei schwarzen und zwei
weißen Pferden. Zum da capo gibt es ein auf den Hinterbeinen
laufendes Pony.
 
Julia
Friedrich und Kevin Gruss, Haustruppe
Zaubereien
mit auf einem Tisch liegenden Hühnereiern sind ganz
offensichtlich die Spezialität von Gregory Bellini. Er stülpt
einen Zylinder über ein Ei und lässt es unter einem anderen Hut
wieder erscheinen. Kevin Sagau traut der Sache nicht und
versucht das Spiel zu manipulieren. Und so endet dieses in einem
höchst vergnüglichen Chaos. Ein im wahrsten Sinne des Wortes
„Traum in Rot“ ist die Luftnummer an Tüchern von Julia Friedrich
und Kevin Gruss. Denn diese beginnt und endet in einem großen
roten Bett, welches als Sicherheitsmatte dient. Kostüme und
Tücher sind ebenfalls in dieser Farbe gehalten. So erleben wir
ein erotische Kür in der Luft mit riskanten Haltefiguren,
Flugsequenzen und Umschwüngen. Es ergeben sich wunderschöne
Szenen, in denen das Werben umeinander und die Akrobatik
verschmelzen. Michael Jackson ist der musikalische Taktgeber für
die fulminante Schlussnummer. Zu seinen Songs sehen wir
Handvoltigen über mehrere Ebenen und Sprünge auf dem
Schleuderbrett. Die Damen tragen entweder schwarze Trikots oder
lange Abendkleider. Die Herren sind klassisch mit weißen Hemden,
schwarzen Hosen, Hosenträgern und Krawatten bekleidet. Wer nicht
artistisch agiert, sitzt an Bistrotischen oder tanzt. Zu dieser
Haustruppe gehört unter anderem die Compania Havanna. Auch
Mitglieder der Direktionsfamilie sind dabei. Es entsteht eine
ungeheure Dynamik, alle sind ständig in Bewegung. Die
artistischen Elemente sind äußerst vielfältig, immer wieder
fliegen die Artisten in neuen Kombinationen durch die Luft. Ein
mitreißendes Bild. Zum Finale dann schon wieder neue Outfits.
Die Damen tragen rote Kleider, die Herren blaue Anzüge, ihre
Krawatten korrespondieren mit den Kleidern der Frauen.
Inhaltlich sind die Abschiedsszenen eine Hommage an Roncalli:
Von dort kennen wir die Musik, den Paartanz und die
Rückwärtssalti von der Piste. |