Der wunderschöne Circus mit
seinen rot-weißen Zeltanlagen ist auf der Talavera aufgebaut,
dem bekannten und zentral gelegenen Festplatz der Großstadt am
Main. Ein umfangreiches gastronomisches Angebot im Vorzelt, die
2022 in Betrieb genommene Tribüne mit ansteigenden Reihen
bereits in den Logen – es wird alles dafür getan, dass sich die
Besucherinnen und Besucher wohlfühlen und zeitgemäßen Komfort
genießen können.
Eröffnungsbild mit
Veronika Faltyny, Ballett, Sängerin und Wasserspielen
Gleich zu Beginn werden die
Zuschauer vollkommen überrascht. Die vier hübschen Tänzerinnen
in ihren feschen Uniformen, die bezaubernde Sängerin auf dem
Artisteneingang, die elegante Akrobatin am Kronleuchter unter
der Zirkuskuppel: Sie alle sind Teile eines großen Bildes, in
dem das Wasser eine tragende Rolle spielt. Es quillt aus Düsen
rund um die Bühne, es tanzt in zahllosen, bunt beleuchteten
Fontänen aus dem Boden, es steigt als Springbrunnenkranz in die
Höhe, rings um die im Genickhangwirbel kreiselnde Veronika
Faltyny. Mit seinem neuen Konzept hat der Zirkus Charles Knie
viel gewagt und viel gewonnen. Erstmals gibt es keine klassische
Manege mit Sägemehl und keine großen Tiere mehr. Stattdessen
bleibt der eigene Tierbestand mit Pferden und Exoten im
Winterquartier in Einbeck, das parallel zur Tour als
Freizeitpark „Circus-Land“ geöffnet bleibt. Dafür wird im
Chapiteau auf einer kreisrunden Wasserbühne gespielt. Die
Familie von Ruslan, Alona und Laura Urunov, die schon mit
verschiedensten kreativen Darbietungen beeindruckt hat, hat
diese Bühne selbst gebaut. Sie stellt alles in den Schatten, was
wir vor 2022 in reisenden Shows mit Wassercircus-Elementen
sahen. Der Ansatz ist auch ein ganz anderer. Bei Fliegenpilz und
vergleichbaren Produktionen wurde die Manege in der Pause flugs
in ein mit Folie ausgekleidetes Bassin verwandelt, mit kleiner
Bühne in der Mitte, aus der zum Finale die Fontänen sprudelten.
Beim Modell der Familie Urunov sind Pumpen und Leuchten fix in
die Bühne eingebaut, die während des gesamten Gastspiel stehen
bleibt, und können jederzeit eingesetzt werden, ohne
Umbauarbeiten. Wenn die Fontänen wallen, fließt das Wasser durch
den gelochten Bühnenboden sofort ins darunter liegende Reservoir
zurück. Das ermöglicht eine fließende Show aus einem Guss. Eine
sichtbare Wasserfläche gibt es dagegen nicht; hier könnten weder
Seelöwen durchs kühle Nass schwimmen noch ein Artist auf
Jet-Skiern übers Wasser rasen.
Mikhail Milla, Laura
Urunova
Auch wenn Charles Knies
Tierlehrer Marek Jama nicht selbst im Programm zu erleben ist,
so hat er die Show als kreativer Kopf, als Ideengeber und als
Regisseur doch entscheidend geprägt. Dabei widersteht er der
Versuchung, es mit dem Wasser zu übertreiben, das Publikum durch
ständigen Einsatz zu ermüden. Vielmehr geht es erst einmal
weitgehend auf dem Trockenen weiter, von einem kurzen
Fontänensprühen zum Abschluss der Nummer von Mikhail Milla
abgesehen. Der junge Chilene jongliert mit drei Keulen und einem
Ball sowie fünf Keulen, sieben Bällen und neun Ringen. Dabei
begeistert er mit toller Ausstrahlung; er sucht und findet den
Kontakt zum Publikum. Gleiches gilt für die höchst charmante
Laura Urunova. Ihre farbenprächtigen Papageien – Aras, ein
Kakadu und Sonnensittiche – beherrschen entzückende
Kabinettstückchen, wenn sie scheinbar die Zeitung lesen oder aus
einem Glas trinken. Und sie verzaubern uns, wenn sie auf großen
und kleinen Zuschauern landen und stolz ihre Runden unterm
Zeltdach drehen. Ein riesiger, bunter, mit Pailletten besetzter
Papagei ziert auch das Kostüm der Tierlehrerin.
Lorenzo Bernardi,
Jidinis mit Ballett
Publikumsliebling ist Clown César
Dias, der beim Mundharmonikaspiel mit der Tücke des Objekts
kämpft und mit seiner „singenden Säge“ poetische Momente
schafft.
Mit gewaltigem
Materialeinsatz und starken Tricks verblüfft und beeindruckt
Magier Jidinis bei seinen Großillusionen, die er gemeinsam mit
den Ballettgirls wirkungsvoll verkauft. Für Staunen sorgt auch
der junge Italiener Lorenzo Bernardi, der seinen Körper auf
unglaubliche Weise zu verbiegen vermag. Gleich zu Beginn zwängt
er sich in eine enge Kiste; zum Abschluss löst er Pfeil und
Bogen mit den Füßen aus, während er im Mundstand balanciert. Die
Zeit dazwischen füllt er mit außerordentlich starken Figuren.
César Dias,
Lasershow des Duo Lugo,
Nataliia und Oleksii
César Dias hat nach einigen
Jahren erstmals wieder eine neue, große Nummer kreiert, die
inzwischen auch hervorragend eingespielt ist. Dabei formiert er
einige Zuschauer spontan zur „Rockband“ und hat auch damit die
Sympathien auf seiner Seite – im Unterschied zu ähnlichen
Nummern singen hier der Clown, die Mitspieler und letztlich das
gesamte Publikum, das zugleich mit seinen Handy-Taschenlampen
ein Lichtermeer schafft. Zum „Theater total“ wird die
Vorstellung nicht nur durch das Wasser, sondern auch dank des
Lasergewitters, das Luis Lugo, seine Partnerin und zusätzliche
Figurantinnen in LED-beleuchteten Kostümen zaubern. Das
Chapiteau wird mit Lichteffekten geradezu geflutet, und
emporschießende Feuersäulen sorgen für Schauder auf der Haut.
Das Wasser wird erst wieder im Laufe der Luftakrobatik-Nummer
von Nataliia und Oleksii eingesetzt. In großer Höhe schaffen sie
in ihren weißen Kostümen an schmalen Stoffbändern
hochästhetische, moderne Bilder und wagen riskante Figuren. Ein
großer Apfel als zusätzliches Requisit lässt an die Geschichte
von Adam und Eva denken. Zum Abschluss hält Oleksii sich nur
noch im Zahnhang, während er seine Partnerin trägt. Um das Paar
herum steigt ein kreisrunder Wasservorhang in die Höhe und lässt
das Publikum noch mehr jubeln.
Wassershow vor der
Pause
Der bis dahin sparsame
Einsatz der Wassertechnik wendet sich vor der Pause ins
Gegenteil. In einer fulminanten Show werden alle Register
gezogen. Springbrunnen schießen bis unters Zeltdach und beweisen
ihre volle Kraft, Fontänen tanzen im Takt der mitreißenden
Musik, es ergeben sich immer neue Formationen farbenfroh
illuminierter Wasserspiele. Die wundervolle Bühne sprudelt über
vor ausgeklügelten Effekten.
Skating Ernestos, César
Dias, Laura Urunova
Teil zwei beginnt mit einem
schwungvoll-eleganten Ballett-Bild und der rasanten Rollschuhkür
von Veronika Faltyny und ihres Mannes Paolo Ernesto. Zunächst
ist das Duo auf seinem Podest hinter weißen Schleiern verborgen,
die von den Damen des Balletts weggezogen werden. Im Brautkleid
eröffnet Veronika die Trickfolge und legt dieses schnell ab, für
spektakuläre Flüge um ihren auf Rollen rotierenden Mann, bis hin
zum Genickhangwirbel. Auch diese Darbietung ist mit sanft
blubbernden Brünnlein und exzellentem Licht hervorragend in
Szene gesetzt. Obwohl die Wasserbühne keine großen und schweren
Tiere erlaubt, müssen wir auf Vierbeiner nicht verzichten. Laura
Urunova präsentiert ihre quirligen Hunde und ist dabei in ein
fantasievolles, farbenfrohes Kostüm gekleidet. Die Tiere
beherrschen unter anderem Seil- und Reifenspringen, laufen auf
den Hinterbeinen und formieren sich zur Polonaise. Einen
hervorragenden Griff macht César Dias mit seinem Kompagnon beim
„Duell“, bei dem er die Geräusche zur Handlung mit dem Mund
produziert. Der junge Mann aus dem Publikum macht wunderbar mit,
sehr zur Freude der anderen Gäste.
The Robles, César Dias
Strahlend schön zelebriert Quincy
Azzario ihre eleganten Handstände, die durch einen Kranz aus
Fontänen um sie herum zu einen fulminanten Gesamtkunstwerk
veredelt werden. Der Klötzchen-Trick bildet den Abschluss, wobei
sie darauf verzichtet, sich anschließend wieder voll in den
Handstand aufzurichten. Für einen Höhepunkt im Wortsinn sorgen
schließlich die Robles auf dem Hochseil. Von Sprüngen über ein
und zwei auf dem Seil kauernde Partner über die Dreier-Pyramide
mit zwei Fahrrädern und freiem Stand auf dem Stuhl sowie ein
doppeltes Zwei-Personen-Hoch bis hin zur sicher gelaufenen
Sieben-Personen-Pyramide reicht diese äußerst starke Darbietung.
Doch die eigentliche Schlussnummer gebührt César Dias, der bei
seiner Interpretation von „My Way“ wieder einmal auf grandiose
Weise scheitert und dabei auch seine eindrucksvollen
gesanglichen Fähigkeiten unter Beweis stellt. Erst schallendes
Gelächter, dann donnernder Applaus und Zugaberufe sind der Lohn
für den Star der Show. |