Bis zum 1. Oktober soll in
der Saison 2023 gespielt werden, im bekannten Reisegebiet in den
Kantonen Bern, Luzern, Obwalden und Wallis. Der Tourneeplan
wurde um einige Stationen gestrafft und hinsichtlich der
Entfernungen zwischen den Gastspielorten weiter optimiert. Erst
im Februar hat die Familie Pichler endgültig entschieden, das
Wagnis der 31. Tournee einzugehen. „Da hat sich unser
Kapellmeister Kostiantyn Tsybizov gemeldet, dass er wieder ein
sechsköpfiges Orchester zusammenstellten konnte. Das war für uns
der Punkt, dass wir gesagt haben, wir machen es“, erinnert sich
Nicole Pichler beim Gespräch nach der Premierenvorstellung.

Gewohnter Anblick des
Circus Harlekin auf der Thuner Allmend
In vielerlei Hinsicht sei sie ins
kalte Wasser gestoßen worden. So habe sie bei den für die
notwendigen Bewilligungen zuständigen Behörden angerufen und
erklärt, dass sie erstmals selbst die Circustournee plane. „Wir
haben dann jeweils einen Termin vereinbart und alles Notwendige
besprochen. Ich habe überall große Hilfsbereitschaft erlebt“,
erinnert sie sich. So lagen pünktlich zum Tourneebeginn alle
notwendigen Bewilligungen vor. Die Artisten für das wirklich
starke Programm machte sie vorwiegend per Facebook ausfindig,
andere bewarben sich selbst beim Harlekin. Auch liegt
traditionsgemäß schon am Premierentag ein hochwertiges
Programmheft vor, mit ganz aktuellen Bildern des Schweizer
Circusfotografen Thierry Bissat, aufgenommen in der
Harlekin-Manege. Das schöne Plakatmotiv zum Programm-Motto „Zouberhaft“
hat eine grafisch versierte Freundin der Junior-Circuschefin
gestaltet. „Ich habe ihr 20 verschiedene Circusplakate als
Muster gezeigt und war überrascht, was für ein tolles Sujet sie
gestaltet hat – sie hat so etwas noch nie zuvor gemacht“,
berichtet Nicole Pichler. Und den ausführlichen Final-Tanz mit
dem Ensemble studierte ihre Cousine Lara Mierisch ein, die als
erfolgreiche Eiskunstläuferin das richtige Händchen dafür hatte.
Nicoles Ehemann Petro zeichnet nunmehr für den gesamten
technischen Bereich verantwortlich. So trugen viele engagierte
Helfer zum Neustart des Circus Harlekin bei. Dieser ist umso
bemerkenswerter, als Nicole Pichler weiterhin mit einer
100-Prozent-Stelle als Lehrerin tätig ist und sich „nebenbei“ um
den Circus kümmert. Der Verein der Freunde des Circus Harlekin
hat sich aufgelöst, und mit der bisherigen Codirektorin Monika
Aegerter hat fast das gesamte Stamm-Team das Unternehmen
verlassen: Universaltalent Susanne Mani, Betriebstechniker
Robert Rusin mit Ehefrau Alina Malko, der Großteil der langjährigen marokkanischen
Arbeiter. Artist Rogerio Goncalves sowie die
Clowns Hector und Pierrot Rossi, die vier bzw. fünf Saisons lang
dabei waren, haben sich neue Engagements gesucht. Der Name von Monika Aegerter
taucht im aktuellen Programmheft nicht mehr auf. Auf einer
Doppelseite wird beschrieben, wie Pedro Pichler den Circus
gegründet und als Clown reüssiert habe. Monikas Wirken als Weißclownin im Duo „Les Nicas“ und als Codirektorin bleiben
unerwähnt. Im Barwagen fehlen ihre Fotos.
 
Nina Rodrigues, Truppe
Cheban
Ansonsten bietet der Circus mit
seinem blau-weißen Zelt den gewohnten Anblick. Zum Beginn der
Vorstellung sind Logen und Tribüne hervorragend besetzt. Der
Franzose Thomy Leglise schminkt sich an einem kleinen Tischchen
in der Manege zu Clown Mister Tomito. Dabei wird er mehrfach von
zwei frechen Tänzerinnen in Harlekin-Kostümen und mit
Staubwedeln in den Händen gestört. Es schließt sich ein
schwungvolles Charivari an, bei dem einige der Artisten
Kostproben ihres Könnens zeigen. Das Opening geht nahtlos über
in die erste artistische Darbietung. Nina Rodrigues schwebt zu
druckvoller Musik im Zopfhang. Besonders hervorzuheben sind zum
einen die blitzschnellen Drehungen um sich selbst, zum anderen
der Trick, bei dem sie sich mit einem Fuß in dem Seil über sich
einhakt und nun quasi kopfüber hängt. Rhythmischer Applaus ist
der Lohn. Mister Tomito sucht sich für sein amüsantes
Tennismatch einen Mitspieler aus den Zuschauerreihen – und
findet
jeweils Trost bei „Mama“ in der Logo, nachdem er vom Ball an
verschiedenen Körperstellen getroffen wird. Auch in dieser
Saison wartet der Circus Harlekin mit einer mehrköpfigen
Formation auf – und dazu haben die fünf Jungs der Truppe Cheban
aus Moldawien noch zwei Genres mitgebracht, die es hier noch
nicht zu sehen gab. Zunächst schlagen sie auf großen Reifen sitzend
Salti. Mal wird einer nach einem der Sprünge in einer Hand-auf-Hand-Position gefangen, mal lässt sich einer von Reifen
zu Reifen katapultieren. Auch Seilspringen gehört zum
Repertoire, und schließlich schlägt einer der Artisten einen
Rückwärtssalto mit dem Reifen, der von zwei Kollegen in einer
Handvoltigen-Position gehalten wurde.
 
Nicole Pichler,
Duo Comic Love
So überraschend wie diese
außergewöhnliche Darbietung, so vertraut ist Nicole Pichlers
Vorführung mit vier stattlichen Kamelen aus dem schwedischen
Cirkus Olympia. Ein springendes Lama gesellt sich noch dazu.
Eine weitere Tiernummer gibt es im aktuellen Programm nicht.
Mister Tomito ist nicht nur der Clown in diesem Programm,
sondern im Quick-Change-Duo „Comic Love“ auch der Partner von
Maria Girda. Mit dieser flirtet er zunächst auf einer Parkbank,
dann tauscht die Dame in Windeseile immer wieder ihre Outfits –
unter anderem im Glitzerregen. Mister Tomito wechselt die
Anzugfarbe von Rot nach Weiß. Was könnte besser passen zu diesem
Circus als ein Artist in einem schönem Harlekin-Kostüm? Als ein
solcher Weißclown zeigt Mikhail Hidei eine starke
Arbeit auf dem Schlappseil. So sitzt er auf einem Stuhl auf dem
Seil und jongliert dabei mit fünf Ringen oder er kombiniert
seine Einradfahrt mit der Jonglage von vier Ringen und lässt
dabei noch zwei Teller auf einem Gestell rotieren, das er mit
dem Mund hält. Auch für ihn applaudiert das Publikum rhythmisch.
Nun ist es an der Zeit, dass Mister Tomito mit seinem Picknick
in der Manege in die Pause überleitet.
  
Duo Cradle, Ivan
Radev, Mister Tomito
Teil zwei eröffnen die einzigen
Artisten, die aus dem Vorjahr übernommen wurden: das Duo Cradle
aus Äthiopien am Fangstuhl. Was Fliegerin Delira und Fänger
Nimona Negassa einstudiert haben, überzeugt tricktechnisch auf
ganzer Linie – beispielsweise bei zwei direkt nacheinander
ausgeführten Salti mit verbundenen Auge. „Living on a Prayer“
liefert die rockige Begleitung. Mit seiner Version der bekannten
„Romeo“-Szene sorgt Mister Tomito nochmal für großes Amüsement
im Publikum, auch wenn der vom Liebespfeil getroffene,
marokkanische Requisiteur jedenfalls am Premierenabend noch
nicht so ganz in der Rolle angekommen scheint. Riesenbeifall
erntet Ivan Radev für seine Jonglagen, bei denen er fünf im
Dunkeln fluoreszierende Fußbälle in der Luft hält oder auf einem
Stab drei unterschiedlich große Bälle aufeinander gestapelt
rotieren lässt. Mister Tomito gewinnt der geradezu klassischen
Rockband-Szene mit Akteuren aus dem Publikum eine neue Seite ab,
wenn die Mitspieler mangels ihn überzeugender Mitwirkung hinter
dem Vorhang des Artisteneingangs „erschossen“ werden. Auch der
Komiker selbst fällt zum Abschluss scheinbar einer Kugel zum
Opfer.
 
Anastasiia Volkova, Truppe Cheban
Die zweite Luftnummer im Programm
übernimmt Anastasiia Volkova am Ring – im Genickhang, bei
Drehungen, Posen und kreisenden Flügen über dem Manegenrund.
Nachdem Mister Tomito eine Zuschauerin vermeintlich ihres
Büstenhalters beraubt hat, sind alle Vorbereitungen getroffen
für die Schlussnummer. Erstmals in der Geschichte des Circus
Harlekin wird eine Darbietung an der Russischen Schaukel gezeigt,
präsentiert von der Truppe Cheban. Bis knapp unter die Kuppel
reichen die gewagten Sprünge, ob nun beim Zweifachen mit
Schraube, einem doppelten Rückwärtssalto oder dem dreifachen
Salto. Gelandet wird jeweils auf der Matte. Den Abbau des
Requisits überbrückt nochmals Mister Tomito mit einer kurzen
Reprise. Gewohnt ausgiebig zelebriert wird bei Harlekin das
Finale, auch wenn heuer niemand mehr singt. Dafür gibt es
einen umfangreichen Tanz, der gut gelaunt präsentiert wird. |