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LUZIA by Cirque du Soleil - Tour 2023
www.cirquedusoleil.com ; 39 Showfotos

Frankfurt am Main, 13. Juni 2023: Es ist ein seltener, durchaus majestätischer Anblick: Der Cirque du Soleil hat eines seiner weißen Grand Chapiteaus auf dem Festplatz am Ratsweg errichtet und eine ganze mobile Stadt gleich mit. Nach mehreren Gastspielen in der Festhalle hat das kanadische Unternehmen nun wieder eine seiner Zeltproduktionen an den Main geschickt. Für über einen Monat kommen die Menschen in Frankfurt jetzt in den Genuss der Produktion LUZIA. Und dieser Genuss beginnt direkt hinter der Einlasskontrolle. Von einem Moment auf den anderen befindet man sich nicht mehr auf dem staubigen Festplatz, sondern mitten auf einer bunten mexikanischen Plaza. Die Atmosphäre nimmt einen sofort gefangen, lässt einen alles, was gerade noch im Kopf herumgeschwirrt ist, vergessen. Man ist in einer anderen Welt.

Da erklingt Livemusik, da mischen sich prächtige kostümierte Künstler unter die Gäste, da hängen Girlanden in der Luft, da laden Bänke zum Verweilen, da bieten Verkaufsstände kulinarische Köstlichkeiten an, da bildet eine Fotowand die perfekte Kulisse für Smartphoneshots mit Freunden sowie Artisten. Auch auf vermeintliche Kleinigkeiten, wie originelle Wegweiser, wird Wert gelegt.


LUZIA auf dem Festplatz am Ratsweg in Frankfurt am Main

Der Cirque du Soleil ist für seine Perfektion bekannt. Das nicht nur, wenn es um die Rahmenbedingungen geht, sondern ganz besonders hinsichtlich der Shows. Im aufwendigen Programmheft nimmt die Vorstellung der kreativen Köpfe hinter LUZIA mehrere Seiten ein. Stellvertretend seien hier Autor Daniele Finzi Pasca, der auch die Inszenierung verantwortet, sowie Regisseurin Patricia Ruel genannt. Was sie und das gesamte Team geschaffen haben, ist in der Tat perfekt. Dies aber auf eine wunderbare Weise. Wir erleben hier alles andere als „kühle Perfektion“. Was beim Publikum ankommt, ist ein harmonisches Gesamtkunstwerk, das einen über zwei Stunden gefangennimmt. Doch damit nicht genug, das Erlebte hält an, weit über den eigentlichen Circusbesuch hinaus. So stark sind die Eindrücke, so intensiv das emotionale Erlebnis. Man kann die Vielfalt der Show nicht alleine während des Zuschauens verarbeiten. Das braucht Zeit.


Szene aus dem Eröffnungsbild Tarahumaras

Mexiko gibt mit seiner kulturellen Vielfalt, seinen verschiedenen Landschaften, seinen Traditionen und nicht zuletzt seinen Menschen ein dankbares Motiv ab. Aus diesem Schatz haben sich die Produzenten mit vollen Händen bedient. Betreten wir jetzt also das Chapiteau, besuchen wir LUZIA. Während die letzten Besucher ihre Plätze auf dem komfortablen Gradin einnehmen, tut sich auf der Rundbühne mit den Blumenbeeten und dem Laufsteg bereits etwas. Musiker geben Kostproben ihres Könnens, Figuranten beleben die Szene. Nach und nach nimmt das Geschehen an Intensität zu. So richtig beginnt unsere Reise nach Mexiko mit einem imaginären Flug. Einer der Passagiere wählt die Landung per Fallschirm. Es ist Clown Eric Koller, der unser Begleiter durch die Show sein wird. Er ist es auch, der mit einem großen Schlüssel das Laufband aktiviert. Darauf erleben wir einen Schmetterling mit menschlichem Körper und riesigen Flügeln sowie ein von Artisten verkörpertes Pferd. Auf diese wundervollen Tierdarstellungen folgen später weitere. Gewidmet ist diese Szene den Tarahumaras, einer Volksgruppe, die für ihre Langstreckenläufe bekannt ist. Für einen zusätzlichen Effekt sorgt die in verschiedenen Segmenten drehbare Bühne.


Sarah Togni, Lea Toran Jenner, Enya White

Dem Picaflor, dem Kolibri also, ist der nächste Auftritt gewidmet. In den passenden Kostümen wird er von Reifenspringern repräsentiert. Zusätzlich wird das Laufband genial eingesetzt. Mal fördert es den Anlauf, mal fahren die Reifentürme an eine neue Position. Die starken Tricks der Artisten werden von weiteren Figuren auf der Bühne begleitet. Nur selten stehen die eigentlichen Akteure alleine im Rampenlicht, zumeist sind sie in ein ganzheitliches Schaubild eingebunden. Bei der folgenden Nummer bildet eine Gesellschaft mit Pianistin sowie Sängerin den Hintergrund. Vorne sehen wir drei Herren und eine Dame. Ihre Disziplin kommt den Handvoltigen am nächsten. Doch hier gibt es diese in einer innovativen Variante. Der Körper der Artistin wird vor den Flügen oftmals geschwungen, wie man es vom „lebenden Seilspringen“ her kennt. So ergeben sich faszinierende Abläufe. Und schon geht es in eine komplett neue Situation. Gelb ist die vorherrschende Farbe, am Bühnenrand stehen langgestreckte Bäume. Wir reisen in die Wüste. An zwei Roue Cyr zelebrieren dort Sarah Togni und Lea Toran Jenner eine wunderbare Kür. Enya White arbeitet darüber am Trapez. Allein dieses Setting ist schon herrlich, doch plötzlich setzt Regen ein. Ein riesiger Wasservorhang sorgt für zusätzliche Effekte. Die Szene wird intensiver, die Künstlerinnen arbeiten in nun nassen Kostümen. Es ist ein einziger Rausch!


Jhon Torres

Entspannung bringt Eric Koller mit einer großen Kugel und bunten Bändern. Damit dirigiert er einen Wettbewerb der Zuschauer auf beiden Seiten des Gradins. Weiter geht es in die mexikanische Traumfabrik. Wir befinden uns am Set für den Dreh eines maritimen Films. Die Kulissen bilden die Wellen, der Regisseur versucht der Sache Herr zu werden, Schauspielerinnen verkörpern Badeschönheiten. Im Zentrum steht der trainierte Lifeguard in rotem Dress. Jhon Torres ist Equilibrist. Auf seinem Podest steckt er immer mehr Handstäbe ineinander und erklimmt diese nach und nach. In luftiger Höhe zeigt er variantenreiche Handstände. Eine wirklich wackelige Angelegenheit, die Torres aber mit einem breiten Lächeln scheinbar spielend meistert. Pok-ta-pok ist ein rituelles Ballspiel, das fantasievoll in die Neuzeit überführt wird. Die Jongleure messen sich in ihrer Kunst und werden dabei von ihrer jeweiligen Gang angefeuert. Unter anderem auf Mundstäben lassen die Protagonisten ihre Bälle rotieren. Als „Teil des kollektiven Bewusstseins“ Mexikos bezeichnet das Programmheft den Regen, der in diesem Land in den unterschiedlichsten Formen auftritt. Das vom Himmel kommende Nass ist die Inspiration für die nächste Sequenz, in dem Eric Koller und Sängerin Majo Cornejo miteinander agieren. Blickfang ist aber der imposante Wasservorhang. Auf ihm entstehen traumhafte, ungemein filigrane Bilder. Nachdem sich der Regen gelegt hat, füllt sich die Bühne nach und nach. Erst erscheint noch einmal das Pferd „Caballo“, dann immer mehr Menschen in zumeist edlen weißen Kostümen. Mit dabei die Musiker. Am Ende gruppiert sich das gesamte Ensemble um einen großen Rundvorhang mit folkloristischen Ornamenten. So geht es in die Pause.


Akrobatik am Mast

Nach der Unterbrechung verhüllt der Vorhang weiterhin das Zentrum der Bühne. In Empfang genommen werden wir von drei menschlichen Kakteen. Wieder so eine vermeintliche Kleinigkeit, die derart bewusst platziert und liebevoll umgesetzt ist, dass sie zu etwas Großem wird. Tlacopan, ein tropischer Garten, in den laut aztekischer Kultur Tote gerufen wurden, öffnet sich nun auch für uns als Lebende. In dieser Kulisse sehen wir vielfältige Akrobatik am Mast. Zwei lange Poles in der Mitte und mehrere kürzere an den Seiten dienen den Artisten als Requisiten. Sie zelebrieren somit einen Querschnitt durch die nahezu gesamte Bandbreite des Genres. Ein Luchadore steht im Mittelpunkt der folgenden Sequenz. Mit seiner typischen Maske eines mexikanischen Kampfsportlers begeistert er die Massen in roten Gewändern auf der Bühne, die jetzt einem Marktplatz gleicht. Enthusiastisch feuern die Schaulustigen ihren Helden an, der an einer riesigen Schaukel immer weiter schwingt, bis ihm schließlich Überschläge gelingen. Die Fans auf der Plaza jubeln, das Publikum im Zuschauerraum ebenfalls. Während hinter dem erneut heruntergelassenen Vorhang umgebaut wird, trifft eine Frau auf einen Jaguar. Das Tier spielt sodann beim Auftritt von Jerome Sordillon eine Rolle, kommt es doch an die Wasserstelle, über der der Akrobat seine Kür an den Strapaten arbeitet. Immer wieder taucht Sodillon seinen Körper in das Nass. Auf dem Weg nach oben ergeben sich so wunderbare Effekte. Diese werten die kraftvollen Umschwünge und Haltefiguren auf. Dazwischen kommt es zu vorsichtigen Annäherungen an die Raubkatze.


Doppelte Russische Schaukel

Einige der hängenden Pflanzen, die gerade noch als Dekoration gedient haben, entfernt Clown Eric Koller mit ein paar lockeren Handgriffen. Er legt seine Hose ab und seine gelbe Boxershort - unter der er nochmal die gleiche trägt -, um sich im kühlen Nass der Wasserstelle zu erfrischen. Doch als er hineinspringen will, ist das Wasser plötzlich verschwunden. Musiker an zwei riesigen Marimbas geben den Rhythmus vor, zu dem Cyril Pytlak seine Keulen fliegen lässt. In immer neuen Varianten jongliert der Franzose mit bis zu sieben Stück. Charmant beherrscht er zudem das Spiel mit dem Publikum. Im rasanten Tempo wirbelt er zum Finale drei Keulen durch die Luft. Auf diesen extrovertierten Act folgt die wohl ruhigste Szene des Abends. Zunächst bringen Ensemblemitglieder eine Vielzahl von Kerzen herein, die sie am Bühnenrand abstellen. Auf der Scheibe, die den Hintergrund bildet, erstrahlen ebenso unzählige Lichter. Im Zentrum überspannt eine kleine Brücke einen Seerosenteich. Die Brücke ist das Podest für die Kontorsion von Aleksei Goloborodko. Zur Musik einer Trompete verbiegt er seinen Körper auf wirklich unglaubliche Weise. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals solch extreme Figuren gesehen zu haben. Seine Darbietung ist schlichtweg phänomenal! Das fantastische Ambiente rundet das Erlebnis ab. Unter Wasser geht es beim letzten eigenständigen Auftritt von Eric Koller. Als Taucher hängt der Clown unter der Kuppel. Auf seine liebenswürdige, leicht kauzige Art bringt er uns noch einmal zum Lachen, wenn wir ihn durch die Unterwasserwelt begleiten dürfen. Fulminant gerät die Artistik an zwei gegenüberstehenden Russischen Schaukeln. Eine große Formation fliegt von einer Plattform zur anderen. Natürlich wird auch über Kreuz gesprungen. Die drehbare Bühne bietet dem Zuschauer unterschiedliche Perspektiven, ohne dass er sich selbst bewegen muss. So erlebt er faszinierende, raumgreifende Salti. Und was folgt zum Finale? Natürlich eine große Fiesta. Es wird gefeiert, musiziert, getrunken und getanzt. Ein fulminanter Abschied, der das Premierenpublikum sofort von den Sitzen reißt. Begeistert spendet es minutenlange Standing Ovations. Während das Ensemble die Bühne verlässt, ergießt sich noch einmal Wasser aus der Kuppel. Eric Koller schließt mit dem großen Schlüssel vom Beginn symbolisch ab.


Fiesta zum Finale

Damit endet ein grandioser Abend, den man an dieser Stelle gar nicht vollumfänglich würdigen kann. Bislang unerwähnt blieb etwa die Musik, die das Geschehen so wundervoll untermalt und natürlich extra komponiert wurde. Die unzähligen, fantasievollen Kostüme. Die Technik, die so vieles ermöglicht und doch meist unsichtbar bleibt. Das ungemein kreative Lichtdesign, das die unterschiedlichsten Stimmungen schafft. Die vielen helfenden Hände, die für die Umbauten sorgen. Am Ende genießt man einfach das harmonische Ganze.

LUZIA ist ohne Frage eine brillante Produktion. Für mich war es die fünfte Show des Cirque du Soleil und die mit Abstand faszinierendste. Starke Artistik trifft hier auf eine ausschweifende Traumwelt, die genial inszeniert wird und dennoch authentisch wirkt. Man taucht mit allen Sinnen darin ein und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein Abend voller Emotionen der unterschiedlichsten Art, ein unvergleichliches Erlebnis. Eben „Ein Traum von Mexiko“, wie es der Untertitel von LUZIA vollkommen zu Recht verspricht.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch