Da
erklingt Livemusik, da mischen sich prächtige kostümierte
Künstler unter die Gäste, da hängen Girlanden in der Luft, da
laden Bänke zum Verweilen, da bieten Verkaufsstände kulinarische
Köstlichkeiten an, da bildet eine Fotowand die perfekte Kulisse
für Smartphoneshots mit Freunden sowie Artisten. Auch auf
vermeintliche Kleinigkeiten, wie originelle Wegweiser, wird Wert
gelegt.
LUZIA
auf dem Festplatz am Ratsweg in Frankfurt am Main
Der Cirque
du Soleil ist für seine Perfektion bekannt. Das nicht nur, wenn
es um die Rahmenbedingungen geht, sondern ganz besonders
hinsichtlich der Shows. Im aufwendigen Programmheft nimmt die
Vorstellung der kreativen Köpfe hinter LUZIA mehrere Seiten ein.
Stellvertretend seien hier Autor Daniele Finzi Pasca, der auch
die Inszenierung verantwortet, sowie Regisseurin Patricia Ruel
genannt. Was sie und das gesamte Team geschaffen haben, ist in
der Tat perfekt. Dies aber auf eine wunderbare Weise. Wir
erleben hier alles andere als „kühle Perfektion“. Was beim
Publikum ankommt, ist ein harmonisches Gesamtkunstwerk, das
einen über zwei Stunden gefangennimmt. Doch damit nicht genug,
das Erlebte hält an, weit über den eigentlichen Circusbesuch
hinaus. So stark sind die Eindrücke, so intensiv das emotionale
Erlebnis. Man kann die Vielfalt der Show nicht alleine während
des Zuschauens verarbeiten. Das braucht Zeit.
Szene aus dem Eröffnungsbild Tarahumaras
Mexiko
gibt mit seiner kulturellen Vielfalt, seinen verschiedenen
Landschaften, seinen Traditionen und nicht zuletzt seinen
Menschen ein dankbares Motiv ab. Aus diesem Schatz haben sich
die Produzenten mit vollen Händen bedient. Betreten wir jetzt
also das Chapiteau, besuchen wir LUZIA. Während die letzten
Besucher ihre Plätze auf dem komfortablen Gradin einnehmen, tut
sich auf der Rundbühne mit den Blumenbeeten und dem Laufsteg
bereits etwas. Musiker geben Kostproben ihres Könnens,
Figuranten beleben die Szene. Nach und nach nimmt das Geschehen
an Intensität zu. So richtig beginnt unsere Reise nach Mexiko
mit einem imaginären Flug. Einer der Passagiere wählt die
Landung per Fallschirm. Es ist Clown Eric Koller, der unser
Begleiter durch die Show sein wird. Er ist es auch, der mit
einem großen Schlüssel das Laufband aktiviert. Darauf erleben
wir einen Schmetterling mit menschlichem Körper und riesigen
Flügeln sowie ein von Artisten verkörpertes Pferd. Auf diese
wundervollen Tierdarstellungen folgen später weitere. Gewidmet
ist diese Szene den Tarahumaras, einer Volksgruppe, die für ihre
Langstreckenläufe bekannt ist. Für einen zusätzlichen Effekt
sorgt die in verschiedenen Segmenten drehbare Bühne.
Sarah
Togni, Lea Toran Jenner, Enya White
Dem
Picaflor, dem Kolibri also, ist der nächste Auftritt gewidmet.
In den passenden Kostümen wird er von Reifenspringern
repräsentiert. Zusätzlich wird das Laufband genial eingesetzt.
Mal fördert es den Anlauf, mal fahren die Reifentürme an eine
neue Position. Die starken Tricks der Artisten werden von
weiteren Figuren auf der Bühne begleitet. Nur selten stehen die
eigentlichen Akteure alleine im Rampenlicht, zumeist sind sie in
ein ganzheitliches Schaubild eingebunden. Bei der folgenden
Nummer bildet eine Gesellschaft mit Pianistin sowie Sängerin den
Hintergrund. Vorne sehen wir drei Herren und eine Dame. Ihre
Disziplin kommt den Handvoltigen am nächsten. Doch hier gibt es
diese in einer innovativen Variante. Der Körper der Artistin
wird vor den Flügen oftmals geschwungen, wie man es vom
„lebenden Seilspringen“ her kennt. So ergeben sich faszinierende
Abläufe. Und schon geht es in eine komplett neue Situation. Gelb
ist die vorherrschende Farbe, am Bühnenrand stehen
langgestreckte Bäume. Wir reisen in die Wüste. An zwei Roue Cyr
zelebrieren dort Sarah Togni und Lea Toran Jenner eine
wunderbare Kür. Enya White arbeitet darüber am Trapez. Allein
dieses Setting ist schon herrlich, doch plötzlich setzt Regen
ein. Ein riesiger Wasservorhang sorgt für zusätzliche Effekte.
Die Szene wird intensiver, die Künstlerinnen arbeiten in nun
nassen Kostümen. Es ist ein einziger Rausch!
Jhon
Torres
Entspannung bringt Eric Koller mit einer großen Kugel und bunten
Bändern. Damit dirigiert er einen Wettbewerb der Zuschauer auf
beiden Seiten des Gradins. Weiter geht es in die mexikanische
Traumfabrik. Wir befinden uns am Set für den Dreh eines
maritimen Films. Die Kulissen bilden die Wellen, der Regisseur
versucht der Sache Herr zu werden, Schauspielerinnen verkörpern
Badeschönheiten. Im Zentrum steht der trainierte Lifeguard in
rotem Dress. Jhon Torres ist Equilibrist. Auf seinem Podest
steckt er immer mehr Handstäbe ineinander und erklimmt diese
nach und nach. In luftiger Höhe zeigt er variantenreiche
Handstände. Eine wirklich wackelige Angelegenheit, die Torres
aber mit einem breiten Lächeln scheinbar spielend meistert.
Pok-ta-pok ist ein rituelles Ballspiel, das fantasievoll in die
Neuzeit überführt wird. Die Jongleure messen sich in ihrer Kunst
und werden dabei von ihrer jeweiligen Gang angefeuert. Unter
anderem auf Mundstäben lassen die Protagonisten ihre Bälle
rotieren. Als „Teil des kollektiven Bewusstseins“ Mexikos
bezeichnet das Programmheft den Regen, der in diesem Land in den
unterschiedlichsten Formen auftritt. Das vom Himmel kommende
Nass ist die Inspiration für die nächste Sequenz, in dem Eric
Koller und Sängerin Majo Cornejo miteinander agieren. Blickfang
ist aber der imposante Wasservorhang. Auf ihm entstehen
traumhafte, ungemein filigrane Bilder. Nachdem sich
der Regen gelegt hat, füllt sich die Bühne nach und nach. Erst
erscheint noch einmal das Pferd „Caballo“, dann immer mehr
Menschen in zumeist edlen weißen Kostümen. Mit dabei die
Musiker. Am Ende gruppiert sich das gesamte Ensemble um einen
großen Rundvorhang mit folkloristischen Ornamenten. So geht es
in die Pause.
Akrobatik am Mast
Nach der
Unterbrechung verhüllt der Vorhang weiterhin das Zentrum der
Bühne. In Empfang genommen werden wir von drei menschlichen
Kakteen. Wieder so eine vermeintliche Kleinigkeit, die derart
bewusst platziert und liebevoll umgesetzt ist, dass sie zu etwas
Großem wird. Tlacopan, ein tropischer Garten, in den laut
aztekischer Kultur Tote gerufen wurden, öffnet sich nun auch für
uns als Lebende. In dieser Kulisse sehen wir vielfältige
Akrobatik am Mast. Zwei lange Poles in der Mitte und mehrere
kürzere an den Seiten dienen den Artisten als Requisiten. Sie
zelebrieren somit einen Querschnitt durch die nahezu gesamte
Bandbreite des Genres. Ein Luchadore steht im Mittelpunkt der
folgenden Sequenz. Mit seiner typischen Maske eines
mexikanischen Kampfsportlers begeistert er die Massen in roten
Gewändern auf der Bühne, die jetzt einem Marktplatz gleicht.
Enthusiastisch feuern die Schaulustigen ihren Helden an, der an
einer riesigen Schaukel immer weiter schwingt, bis ihm
schließlich Überschläge gelingen. Die Fans auf der Plaza jubeln,
das Publikum im Zuschauerraum ebenfalls. Während hinter dem
erneut heruntergelassenen Vorhang umgebaut wird, trifft eine
Frau auf einen Jaguar. Das Tier spielt sodann beim Auftritt von
Jerome Sordillon eine Rolle, kommt es doch an die Wasserstelle,
über der der Akrobat seine Kür an den Strapaten arbeitet. Immer
wieder taucht Sodillon seinen Körper in das Nass. Auf dem Weg
nach oben ergeben sich so wunderbare Effekte. Diese werten die
kraftvollen Umschwünge und Haltefiguren auf. Dazwischen kommt es
zu vorsichtigen Annäherungen an die Raubkatze.
Doppelte Russische Schaukel
Einige der
hängenden Pflanzen, die gerade noch als Dekoration gedient
haben, entfernt Clown Eric Koller mit ein paar lockeren
Handgriffen. Er legt seine Hose ab und seine gelbe Boxershort -
unter der er nochmal die gleiche trägt -, um sich im kühlen Nass
der Wasserstelle zu erfrischen. Doch als er hineinspringen will,
ist das Wasser plötzlich verschwunden. Musiker an zwei riesigen Marimbas geben den
Rhythmus vor, zu dem Cyril Pytlak seine Keulen fliegen lässt. In
immer neuen Varianten jongliert der Franzose mit bis zu sieben
Stück. Charmant beherrscht er zudem das Spiel mit dem Publikum.
Im rasanten Tempo wirbelt er zum Finale drei Keulen durch die
Luft. Auf diesen extrovertierten Act folgt die wohl ruhigste
Szene des Abends. Zunächst bringen Ensemblemitglieder eine
Vielzahl von Kerzen herein, die sie am Bühnenrand abstellen. Auf
der Scheibe, die den Hintergrund bildet, erstrahlen ebenso
unzählige Lichter. Im Zentrum überspannt eine kleine Brücke
einen Seerosenteich. Die Brücke ist das Podest für die
Kontorsion von Aleksei Goloborodko. Zur Musik einer Trompete
verbiegt er seinen Körper auf wirklich unglaubliche Weise. Ich
kann mich nicht daran erinnern, jemals solch extreme Figuren
gesehen zu haben. Seine Darbietung ist schlichtweg phänomenal!
Das fantastische Ambiente rundet das Erlebnis ab. Unter Wasser
geht es beim letzten eigenständigen Auftritt von Eric Koller.
Als Taucher hängt der Clown unter der Kuppel. Auf seine
liebenswürdige, leicht kauzige Art bringt er uns noch einmal zum
Lachen, wenn wir ihn durch die Unterwasserwelt begleiten dürfen.
Fulminant gerät die Artistik an zwei gegenüberstehenden
Russischen Schaukeln. Eine große Formation fliegt von einer
Plattform zur anderen. Natürlich wird auch über Kreuz
gesprungen. Die drehbare Bühne bietet dem Zuschauer
unterschiedliche Perspektiven, ohne dass er sich selbst bewegen
muss. So erlebt er faszinierende, raumgreifende Salti. Und was
folgt zum Finale? Natürlich eine große Fiesta. Es wird gefeiert,
musiziert, getrunken und getanzt. Ein fulminanter Abschied, der
das Premierenpublikum sofort von den Sitzen reißt. Begeistert
spendet es minutenlange Standing Ovations. Während das Ensemble
die Bühne verlässt, ergießt sich noch einmal Wasser aus der
Kuppel. Eric Koller schließt mit dem großen Schlüssel vom Beginn
symbolisch ab.
Fiesta
zum Finale
Damit
endet ein grandioser Abend, den man an dieser Stelle gar nicht
vollumfänglich würdigen kann. Bislang unerwähnt blieb etwa die
Musik, die das Geschehen so wundervoll untermalt und natürlich
extra komponiert wurde. Die unzähligen, fantasievollen Kostüme.
Die Technik, die so vieles ermöglicht und doch meist unsichtbar
bleibt. Das ungemein kreative Lichtdesign, das die
unterschiedlichsten Stimmungen schafft. Die vielen helfenden
Hände, die für die Umbauten sorgen. Am Ende genießt man einfach
das harmonische Ganze. |