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Scenic Circus - Lyalka 2023
www.scenic-circus.de/lyalka ; 86 Showfotos

Mannheim, 14. Oktober 2023: Im Juli 2022 startete Daniel Burow mit seinem Scenic Circus. Bis dahin war der junge Manegen-Enthusiast in der Branche vor allem als Redakteur der Circus-Zeitung bekannt. Nun also auch als Direktor seines eigenen Unternehmens, Zwei-Masten-Chapiteau inklusive. „Aus der Verbindung von Circuskunst, Schauspielerei und Musik schaffen wir etwas Neues, das gleichermaßen berührt und inspiriert“, formulierte der promovierte Chemiker damals auf der Homepage seinen Anspruch. Die erste Produktion „Aufleuchten“ führte das eigens zusammengestellte Ensemble nach Südbaden und in den Berliner Raum.

Der im Februar 2022 begonnene Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zwang viele Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. So kamen auch ukrainische Artisten etwa nach Berlin. Daniel Burow kam mit einigen von ihnen in Kontakt und stellte so letztendlich das Team für seine zweite Produktion zusammen.


Chapiteau der Familie von Stephan Riedesel

Herausgekommen ist eine durchinszenierte Show mit Tanz, Theater und Artistik, die rund eine Stunde lang unterhält, berührt und zum Nachdenken anregt. Gespielt wird Lyalka, so der Titel, bei allen sich bietenden Gelegenheiten, so etwa beim Berlin Circus Festival oder als eigenständiges Gastspiel im Berliner Pfefferberg Theater. Wir erleben das Stück bei den 4. Mannheimer Zirkustagen in einem Chapiteau der Familie von Stephan Riedesel, die auch den Ludwigshafener Weihnachtscircus veranstaltet. Aufgebaut ist es vor dem Jugendhaus Waldpforte, welches von Dieter Camilotto geleitet wird. Der engagierte Circusfreund organisiert die Mannheimer Zirkustage in Summe, zu der auch Projektwochen für Schulen gehören.


Lyalka (Mila Bytchkova)

Bleiben wir aber bei denen, die ihre Ausbildung schon hinter sich haben oder sie aktuell auf professionellem Niveau durchlaufen, etwa an der Staatlichen Artistenschule in Berlin. Denn das zeichnet alle Künstler aus, die bei Lyalka in der Manege stehen. Da sind die Tänzerinnen Sofia Honza, Julia Fedchuk, Sofia Karakulova und Veronika Krukovska. Aktuell leben sie in Budapest und reisen von dort zu den Auftritten des Scenic Circus. Für die Artistik zuständig sind Sonya Kotelmets, Viktoria Shevchenko und Markian Strotsiak. Hauptfigur ist Pantomimin und Artistin Mila Bytchkova.


Szene mit den Tänzerinnen und Markian Strotsiak

Bytchkova verkörpert die zentrale Person des Stücks, ein Mädchen mit geflochtenen schwarzen Zöpfen und gestreiftem Kleid. „Das Erwachsenwerden verwandelt die junge Lyalka in eine Marionette, gelenkt von den Zwängen um sie herum. Wird sie sich von ihren Fäden befreien können?“ So beschreibt die Homepage die „Coming-of-Age-Story“, welche „von der Suche nach Freiheit“ handelt. Das Zitieren von Texten der Website sei hier gestattet, denn die Show ist vielschichtig, lässt viele Interpretationsmöglichkeiten zu, sodass jeder Zuschauer seine eigenen Assoziationen hat. Das also die Botschaft, die die Macher sich erdacht haben. Für Regie und Choreographie ist Gulnara Savenko verantwortlich, die Kostüme hat Diana Susanto entworfen, Priska Heynert hat in künstlerischen Fragen beraten.


Viktoria Shevchenko und Sonya Kotelmets

Die Aufführung beginnt mit einem Opening. Die Artisten zeigen ihr Können, Lyalka mischt sich unter das Treiben und die Tänzerinnen sind nicht nur mit ihrer ersten Choreographie zu bewundern, zwei von ihnen arbeiten einige Tricks an Tüchern. Es wird ausgelassener, bunter, rote Nasen werden aufgesetzt. Bunte Bälle fliegen durch die Luft, Teller rotieren auf Stäben. Ein Charivari entsteht. Das erste Solo gehört Viktoria Shevchenko. Sie hält nicht nur gekonnt mehrere Hula Hoop-Reifen mit verschiedenen Körperteilen in Bewegung, sondern verbiegt sich dabei auf faszinierende Weise. In der nächsten Szene stehen die Tänzerinnen hinter großen Bilderrahmen, die aber auch Spiegel darstellen können. Lyalka erkundet die Figuren hinter dem Rahmen und interagiert schließlich mit ihnen. Originell ist der eingebaute Quick Change-Trick, nach dem die Tänzerinnen ähnliche Outfits wie die Protagonistin tragen. Nach einem Tanz des Quintetts wird ein großes weißes Paket mit roter Schleife geöffnet. Darin befinden sich Viktoria Shevchenko und Sonya Kotelmets in Roboter-artigen Kostümen. Auf jeweils zwei Handstäben zelebrieren sie Partner-Equilibristik. Auf ein und zwei Händen halten sie ihre biegsamen Körper virtuos im Gleichgewicht. Lyalka (Mila Bychkova) kommt hinzu und interagiert mit den beiden Maschinenmenschen. Wir erleben akrobatische Kunststücke am Luftring und am Boden.


Markian Strotsiak, Viktoria Shevchenko

Mit seinen klassisch gearbeiteten Jonglagen begeisterte Markian Strotsiak beim European Youth Circus 2022 zumindest mich. Wenngleich die Jury ihn leer ausgehen ließ, hat er mich damals schon begeistert. Im dunklen Anzug, mit weißem Hemd und roter Krawatte, gibt er den klassischen Jongleur, der mit Bällen, Keulen und Ringen arbeitet. Sein Level ist bereits jetzt beachtlich, hinzu kommt der jugendliche Charme, mit dem er seine Touren verkauft. Es macht einfach Spaß, ihm zuzusehen. Die Tänzerinnen tragen nun lange schwarze Kleider und schauen wichtig in schwarze Aktenordner. Lyalka gesellt sich zu dem Quartett und wird sodann an Händen und Füßen gefesselt. Die Schnüre hängen an zwei Traversen über Kreuz, mit denen Mila Bychkova in die Luft gezogen wird. Als Marionette präsentiert sie Luftakrobatik. Erlöst wird sie von Markian Strotsiak, der inzwischen ein weißes Sakko trägt und das Herz der Hauptperson „im Tanz erobert“. Als Harlekin erleben wir Viktoria Shevchenko mit einer wunderschönen Kür an den Strapaten. Dazu gehört etwa der Spagat an den beiden Bändern ohne Zuhilfenahme der Hände. Das restliche Ensemble tanzt dazu in der Manege. In einem ausgelassenen Finale verabschieden sich alle Mitwirkenden vom Publikum. Noch einmal erleben wir artistische Einlagen.

Lyalka ist natürlich anders als der Circus, den wir als „klassisch“ bezeichnen und der in erster Linie der Familienunterhaltung dient. Aber auch hier gibt es starke Artistik. Das ganze eben in einer durchgehenden Inszenierung verpackt, die eine Geschichte erzählt, eine Botschaft übermittelt. Dieser zu folgen, ist sicher eine Herausforderung für die Zuschauer. Andererseits kann man sich aber einfach nur von der Spielfreude des Ensembles anstecken lassen, die Akrobatik genießen und die vielschichtige Inszenierung auf sich wirken lassen. Wir haben die Show in jedem Fall sehr genossen.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch