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Magyar Nemzeti Cirkusz - Tour 2023
www.magyarnemzeticirkusz.hu ; 150 Showfotos

Szombathely, 7. Oktober 2023: Ein rauschendes, traditionelles Circusfest – stark, stimmungsvoll und mit ungarischem Temperament – feiert der Magyar Nemzeti Cirkusz, der Ungarische Nationalcircus der Familie Richter, auch in der Saison 2023. „Szenzáció“, schlicht Sensation, lautet nicht zu Unrecht der Titel des Programms, in dem unter anderem Jockey- und Kosakenreiten, exzellente Freiheitsdressuren, Flugtrapez, Motorradkugel und ein hervorragender Clown geboten werden. Wie stets im Herbst spielt das Unternehmen in einigen Städten nahe der österreichischen Grenze.

Damit bietet sich für deutschsprachige Gäste ein Besuch besonders an. Wir reisen von Wien aus mit zwei Regionalzügen – und Umstieg in Sopron – nach Szombathely. Dort ist der große Circus in recht idyllischer Lage auf einem Wiesenplatz bei einem See aufgebaut. Chapiteau und Vorzelt in den Landesfarben weiß, grün und rot sowie der moderne Kassenauflieger und das Eingangsportal mit roten LED-Leuchtbuchstaben tragen zum einladenden Bild bei.


Ein einladendes Bild auf dem Wiesenplatz am See

Zur Mittagsvorstellung strömt das Publikum, so dass die flammneue Sitzeinrichtung zu Beginn der Show hervorragend gefüllt ist. Sie ist quasi baugleich zur ebenfalls neuen Tribüne des Zirkus Charles Knie in Deutschland, bietet also ansteigende Reihen bereits in den Logen mit gepolsterten Einzelsitzen und dahinter Klappsitze auf dem Gradin. Am Geländer hinter der letzten Reihe prangen große Metall-Embleme mit den Buchstaben MNC, der Abkürzung für Magyar Nemzeti Cirkusz.


Fabio und Zsuzsanna Paraizo, Michail Ermakov, Boris Nikishkin und Marius Marton

Die Vorstellung wird eröffnet mit einer schwungvollen Flaggenparade und einem Tanz des Ensembles in der Manege. Zudem zeigen Fabio und Zsuzsanna Paraizo – aus der Truppe Flying Weiss – in diesem Eröffnungsbild Luftakrobatik an den Strapaten. Die eigentliche Spielfolge eröffnet Michail Ermakov mit seiner wirklich originellen „Hundeschule“. In dieser Unterrichtsstunde der besonderen Art nehmen die acht Vierbeiner in Schulbänken Platz und zeigen ihrem „Lehrer“ ihr Können. Da werden Orte auf dem Globus gezeigt, Rechenaufgaben gelöst und wird die Tafel gewischt. Wir bekommen alles zu sehen, was sich in einem Klassenzimmer üblicherweise abspielt: Einer kennt die richtige Antwort nicht, einer fällt durch Stören auf (hier durch lautes Bellen), und einer gibt den Streber, der sich beharrlich meldet. Auch „Singen“ zu eingespielter Musik gehört zu den Fähigkeiten eines der Schüler. Zum Abschluss ist quasi Sportunterricht angesagt, wenn die Tiere in verschiedensten Varianten ihr Sprungvermögen beweisen. Zu der heiteren Nummer passt auch das Outfit Ermakovs mit blau karierten Shorts und passendem Sakko, gelbem Hemd und gelben Socken, grün-oranger Krawatte und orangefarbenem Absolventenhut. Für ganz viel Heiterkeit gesorgt hatten im Magyar Nemzeti Cirkusz in den Saisons 2019 bis 2022 die italienischen Clowns Steve und Jones Caveagna. Nun wurde ein würdiger Nachfolger gefunden, denn Boris Nikishkin verkörpert ebenfalls den Typ eines modernen und originellen Clowns. In Deutschland haben wir ihn 2017/18 im Heilbronner Weihnachtscircus erlebt. Hier tritt er nun unter dem Künstlernamen Alfonse Coconut auf. Unverwechselbar ist weiterhin sein markantes Outfit mit enger Jeans, T-Shirt im Zebralook und Mütze, aber ohne rote Nase. In seinem ersten Auftritt lernt er die Tücken des Schleuderbretts kennen, an dem er sich gemeinsam mit dem langjährigen Richter-Hausartisten Marius Marton versucht. Mal bekommt er das Schleuderbrett schmerzhaft an den Kopf, mal an den Hintern und mal zwischen die Beine. Ganz am Ende gelingt – während eines Blackouts – dem Anschein nach doch noch ein Flug, an dessen Ende der Komiker kopfüber im Manegenboden landet, so dass scheinbar nur noch die Beine aus dem Sägemehl herausragen.


Jozsef Richter jun., Fatima

Auch im Magyar Nemzeti Cirkusz haben sich die Zeiten gewandelt – war das Unternehmen noch bis 2021 eine Oase exotischer Tiere, einschließlich Giraffen und den Elefanten der Familie Casselly, wird seit vergangenem Jahr auf Wildtiere verzichtet. Dennoch erwarten uns auch in dieser Saison vielfältige Tierdarbietungen. Den Auftakt macht Direktor Jozsef Richter jun. mit seinem exzellenten Achterzug schneeweißer und pechschwarzer Freiheitspferde, den wir bereits vom Besuch 2022 kennen. Mannigfaltige, anspruchsvolle Lauffiguren werden nur mit Stimme und Gesten angeleitet, auf temperamentvolle und doch elegante Weise. Stilvoll ist auch das Outfit des jungen Direktors, ein dunkler Anzug mit Hemd, Weste, Krawatte und Einstecktuch. Erst für das Potpourri verschiedenster Steiger zum Abschluss nimmt Richter die Peitsche zur Hand. In seinem zweiten Auftritt gibt Boris Nikishkin einen fernöstlichen Kampfsportler, der seinen Kontrahenten via Fernbedienung steuern möchte. Tierisch geht es weiter mit Fatima und ihren Katzen. Die Tiere balancieren über eine schmale Stange oder hangeln sich daran entlang, umkreisen den Kopf der Tierlehrerin auf deren Schultern oder glänzen bei weiten Sprüngen von Podest zu Podest. Aus großer Höhe springt schließlich einer Stubentiger in die Arme der Tierlehrerin, die von ihrem Partner unterstützt wird.


Flying Weiss

Als Boris Nikishkins CD-Player defekt erscheint, holt er einen Zuschauer in die Manege. Dieser soll sich als Beatboxer und im Breakdance-Battle mit dem Clown versuchen, sehr zum Vergnügen des übrigen Publikums. Nun ist das Netz bereits aufgebaut für die Pausennummer, den sehr starken Auftritt der Flying Weiss – das Repertoire umfasst auch Pirouetten, unter anderem beim gestreckten Salto mit anschließender Schraube. Der dreifache Salto wird gleich in doppelter Ausführung gezeigt, beim zweiten Mal mit verbundenen Augen. Auch die Passage und der Sturz aus der Kuppel – natürlich mit vorheriger Präsentation der ungarischen Flagge – dürfen bei dem Quartett aus drei Herren und einer Dame nicht fehlen.


Boris Nikishkin, Mr. Jumping, Michail Ermakov

Teil zwei eröffnet Jozsef Richter jun., der zuerst – auf dem Rücken eines Friesen sitzend – effektvoll einige Runden auf einem Spiegelpodest dreht. An Schulschritte des Pferdes schließt sich eine hochklassige Freiheitsdressur mit vier Kamelen und vier weißen Pferden an. Zum Abschluss überspringt ein Lama die abliegenden Kamele. Zu den Glanzauftritten von Boris Nikishkin gehört seine Performance als eitler Handstandartist, der nur via Seilzug am Fuß in seine eleganten Positionen gehievt wird, dabei selbst allerhand Überraschungen erlebt und alles tut, damit sein Schwindel nicht auffliegt. Erst gegen Ende beweist er, dass er das Handstand-Metier tatsächlich beherrscht. Geradezu ein Klassiker zirzensischen Humors ist die komische Trampolinnummer mit Sprungturm. Mr. Jumping zeigt alles, was zu diesem Genre gehört, vom Einfluss von Alkohol über den Striptease und diverse Pannen bis hin zu dem ein oder anderen akrobatischen Trick. Er sucht offensiv und findet den Kontakt zum Publikum, hat die Lacher auf seiner Seite. Auch in seiner zweiten Nummer präsentiert Michail Ermakov sich humorvoll, nun in einem recht skurrilen Sport-Outfit und mit angeklebtem Schnurbart. Der sympathische junge Mann jongliert mit Fußbällen, wobei die abschließende Jonglage mit fünf Bällen an diesem Tag, trotz Wiederholungsversuchen, nicht ganz planmäßig klappen mag.


Truppe Jozsef Richter, Motorradkugel

Immer wieder ein Fest ist das Jockeyreiten der Truppe Jozsef Richter jun., auch wenn diese sich etwas dezimiert präsentiert. Letzteres fällt zudem aufgrund der Mitwirkung mehrerer Tänzerinnen wenig auf. Die Hauptlast liegt nun auf den Schultern von Jozsef Richter jun. und des langjährigen Mitstreiters Marius Marton. Dennoch müssen wir auf markante Tricks wie den Salto vom Zwei-Mann-Hoch zum zweiten Pferd nicht verzichten. Beim Drei-Personen-Hoch ist bereits die nächste Circusgeneration involviert, denn hier steht Marius Martons neunjähriger Sohn Dominik longengesichert an der Spitze. Ergänzt um zwei Damen – Martons Frau Lenke und Artistin Dorottya Váradi – wird letztendlich zu fünf auf einem Pferd geritten. „Special Guest“ ist ein mongolischer Artist, der als wilder Kosakenreiter beispielsweise im vollen Galopp einmal um den Bauch des Tieres klettert. Immer wieder ein Fest ist der Anblick, wie der stehend reitende Jozsef Richter jun. die ungarische Flagge über die Köpfe der Logengäste streichen lässt. Temperamentvolle Tanzszenen zwischen den Tricks machen das Vergnügen perfekt. Doch damit nicht genug, den Schlusspunkt unters Programm setzen vier Herren und eine Dame aus Brasilien bei ihren rasanten Touren durch die sich öffnende Motorradkugel. Wohl dem großen Requisit der Schlussnummer geschuldet, sitzt das schwungvoll aufspielende Orchester in diesem Jahr übrigens nicht auf, sondern rechts neben dem umgestalteten Aristeneingang.

Ausgiebig zelebriert wird das Finale, in dem Jozsef Richter jun. und Boris Nikishkin einen ungarischen Chart-Hit anstimmen und das Publikum mitsingen lassen. Auch Seniorchef Jozsef Richter wird gebührend vorgestellt, das Programm mit Standing Ovations gefeiert. Während das Publikum das Zelt verlässt, haben sich vor dem Chapiteau schon lange Schlangen von Menschen gebildet, welche die nachfolgende Abendvorstellung besuchen möchten. Und wir kehren gerne im nächsten Jahr zurück, wenn mit einem Jubiläumsprogramm das 30-jährige Bestehen dieses wunderbaren Unternehmens gefeiert werden soll.

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Text: Markus Moll, Fotos: Tobias Moll