Damit bietet sich
für deutschsprachige Gäste ein Besuch besonders an. Wir reisen
von Wien aus mit zwei Regionalzügen – und Umstieg in Sopron –
nach Szombathely. Dort ist der große Circus in recht idyllischer
Lage auf einem Wiesenplatz bei einem See aufgebaut. Chapiteau
und Vorzelt in den Landesfarben weiß, grün und rot sowie der
moderne Kassenauflieger und das Eingangsportal mit roten
LED-Leuchtbuchstaben tragen zum einladenden Bild bei.
  
Ein
einladendes Bild auf dem Wiesenplatz am See
Zur
Mittagsvorstellung strömt das Publikum, so dass die flammneue
Sitzeinrichtung zu Beginn der Show hervorragend gefüllt ist. Sie
ist quasi baugleich zur ebenfalls neuen Tribüne des Zirkus
Charles Knie in Deutschland, bietet also ansteigende Reihen
bereits in den Logen mit gepolsterten Einzelsitzen und dahinter
Klappsitze auf dem Gradin. Am Geländer hinter der letzten Reihe
prangen große Metall-Embleme mit den Buchstaben MNC, der
Abkürzung für Magyar Nemzeti Cirkusz.
  
Fabio und
Zsuzsanna Paraizo, Michail Ermakov, Boris Nikishkin und Marius
Marton
Die Vorstellung
wird eröffnet mit einer schwungvollen Flaggenparade und einem
Tanz des Ensembles in der Manege. Zudem zeigen Fabio und
Zsuzsanna Paraizo – aus der Truppe Flying Weiss – in diesem
Eröffnungsbild Luftakrobatik an den Strapaten. Die eigentliche
Spielfolge eröffnet Michail Ermakov mit seiner wirklich
originellen „Hundeschule“. In dieser Unterrichtsstunde der
besonderen Art nehmen die acht Vierbeiner in Schulbänken Platz
und zeigen ihrem „Lehrer“ ihr Können. Da werden Orte auf dem
Globus gezeigt, Rechenaufgaben gelöst und wird die Tafel
gewischt. Wir bekommen alles zu sehen, was sich in einem
Klassenzimmer üblicherweise abspielt: Einer kennt die richtige
Antwort nicht, einer fällt durch Stören auf (hier durch lautes
Bellen), und einer gibt den Streber, der sich beharrlich meldet.
Auch „Singen“ zu eingespielter Musik gehört zu den Fähigkeiten
eines der Schüler. Zum Abschluss ist quasi Sportunterricht
angesagt, wenn die Tiere in verschiedensten Varianten ihr
Sprungvermögen beweisen. Zu der heiteren Nummer passt auch das
Outfit Ermakovs mit blau karierten Shorts und passendem Sakko,
gelbem Hemd und gelben Socken, grün-oranger Krawatte und
orangefarbenem Absolventenhut. Für ganz viel Heiterkeit gesorgt
hatten im Magyar Nemzeti Cirkusz in den Saisons 2019 bis 2022
die italienischen Clowns Steve und Jones Caveagna. Nun wurde ein
würdiger Nachfolger gefunden, denn Boris Nikishkin verkörpert
ebenfalls den Typ eines modernen und originellen Clowns. In
Deutschland haben wir ihn 2017/18 im Heilbronner
Weihnachtscircus erlebt. Hier tritt er nun unter dem
Künstlernamen Alfonse Coconut auf. Unverwechselbar ist weiterhin
sein markantes Outfit mit enger Jeans, T-Shirt im Zebralook und
Mütze, aber ohne rote Nase. In seinem ersten Auftritt lernt er
die Tücken des Schleuderbretts kennen, an dem er sich gemeinsam
mit dem langjährigen Richter-Hausartisten Marius Marton
versucht. Mal bekommt er das Schleuderbrett schmerzhaft an den
Kopf, mal an den Hintern und mal zwischen die Beine. Ganz am
Ende gelingt – während eines Blackouts – dem Anschein nach doch
noch ein Flug, an dessen Ende der Komiker kopfüber im
Manegenboden landet, so dass scheinbar nur noch die Beine aus
dem Sägemehl herausragen.
 
Jozsef
Richter jun., Fatima
Auch im Magyar
Nemzeti Cirkusz haben sich die Zeiten gewandelt – war das
Unternehmen noch bis 2021 eine Oase exotischer Tiere,
einschließlich Giraffen und den Elefanten der Familie Casselly,
wird seit vergangenem Jahr auf Wildtiere verzichtet. Dennoch
erwarten uns auch in dieser Saison vielfältige Tierdarbietungen.
Den Auftakt macht Direktor Jozsef Richter jun. mit seinem
exzellenten Achterzug schneeweißer und pechschwarzer
Freiheitspferde, den wir bereits vom Besuch 2022 kennen.
Mannigfaltige, anspruchsvolle Lauffiguren werden nur mit Stimme
und Gesten angeleitet, auf temperamentvolle und doch elegante
Weise. Stilvoll ist auch das Outfit des jungen Direktors, ein
dunkler Anzug mit Hemd, Weste, Krawatte und Einstecktuch. Erst
für das Potpourri verschiedenster Steiger zum Abschluss nimmt
Richter die Peitsche zur Hand. In seinem zweiten Auftritt gibt
Boris Nikishkin einen fernöstlichen Kampfsportler, der seinen
Kontrahenten via Fernbedienung steuern möchte. Tierisch geht es
weiter mit Fatima und ihren Katzen. Die Tiere balancieren
über eine schmale Stange oder hangeln sich daran entlang,
umkreisen den Kopf der Tierlehrerin auf deren Schultern oder
glänzen bei weiten Sprüngen von Podest zu Podest. Aus großer
Höhe springt schließlich einer Stubentiger in die Arme der
Tierlehrerin, die von ihrem Partner unterstützt wird.

Flying
Weiss
Als Boris
Nikishkins CD-Player defekt erscheint, holt er einen Zuschauer
in die Manege. Dieser soll sich als Beatboxer und im
Breakdance-Battle mit dem Clown versuchen, sehr zum Vergnügen
des übrigen Publikums. Nun ist das Netz bereits aufgebaut für
die Pausennummer, den sehr starken Auftritt der Flying Weiss –
das Repertoire umfasst auch Pirouetten, unter anderem beim
gestreckten Salto mit anschließender Schraube. Der dreifache
Salto wird gleich in doppelter Ausführung gezeigt, beim zweiten
Mal mit verbundenen Augen. Auch die Passage und der Sturz aus
der Kuppel – natürlich mit vorheriger Präsentation der
ungarischen Flagge – dürfen bei dem Quartett aus drei Herren und
einer Dame nicht fehlen.
  
Boris
Nikishkin, Mr. Jumping, Michail Ermakov
Teil zwei eröffnet Jozsef Richter jun., der zuerst – auf dem Rücken eines
Friesen sitzend – effektvoll einige Runden auf einem
Spiegelpodest dreht. An Schulschritte des Pferdes schließt sich
eine hochklassige Freiheitsdressur mit vier Kamelen und vier
weißen Pferden an. Zum Abschluss überspringt ein Lama die
abliegenden Kamele. Zu den Glanzauftritten von Boris Nikishkin
gehört seine Performance als eitler Handstandartist, der nur via
Seilzug am Fuß in seine eleganten Positionen gehievt wird, dabei
selbst allerhand Überraschungen erlebt und alles tut, damit sein
Schwindel nicht auffliegt. Erst gegen Ende beweist er, dass er
das Handstand-Metier tatsächlich beherrscht. Geradezu ein
Klassiker zirzensischen Humors ist die komische Trampolinnummer
mit Sprungturm. Mr. Jumping zeigt alles, was zu diesem Genre
gehört, vom Einfluss von Alkohol über den Striptease und diverse
Pannen bis hin zu dem ein oder anderen akrobatischen Trick. Er
sucht offensiv und findet den Kontakt zum Publikum, hat die
Lacher auf seiner Seite. Auch in seiner zweiten Nummer
präsentiert Michail Ermakov sich humorvoll, nun in einem recht
skurrilen Sport-Outfit und mit angeklebtem Schnurbart. Der
sympathische junge Mann jongliert mit Fußbällen, wobei die
abschließende Jonglage mit fünf Bällen an diesem Tag, trotz
Wiederholungsversuchen, nicht ganz planmäßig klappen mag.
  
Truppe Jozsef
Richter, Motorradkugel
Immer wieder ein
Fest ist das Jockeyreiten der Truppe Jozsef Richter jun., auch
wenn diese sich etwas dezimiert präsentiert. Letzteres fällt
zudem aufgrund der Mitwirkung mehrerer Tänzerinnen wenig auf.
Die Hauptlast liegt nun auf den Schultern von Jozsef Richter
jun. und des langjährigen Mitstreiters Marius Marton. Dennoch
müssen wir auf markante Tricks wie den Salto vom Zwei-Mann-Hoch
zum zweiten Pferd nicht verzichten. Beim Drei-Personen-Hoch ist
bereits die nächste Circusgeneration involviert, denn hier steht
Marius Martons neunjähriger Sohn Dominik longengesichert an der
Spitze. Ergänzt um zwei Damen – Martons Frau Lenke und Artistin
Dorottya Váradi – wird letztendlich zu fünf auf einem Pferd
geritten. „Special Guest“ ist ein mongolischer Artist, der als
wilder Kosakenreiter beispielsweise im vollen Galopp einmal um
den Bauch des Tieres klettert. Immer wieder ein Fest ist der
Anblick, wie der stehend reitende Jozsef Richter jun. die
ungarische Flagge über die Köpfe der Logengäste streichen lässt.
Temperamentvolle Tanzszenen zwischen den Tricks machen das
Vergnügen perfekt. Doch damit nicht genug, den Schlusspunkt
unters Programm setzen vier Herren und eine Dame aus Brasilien
bei ihren rasanten Touren durch die sich öffnende Motorradkugel.
Wohl dem großen Requisit der Schlussnummer geschuldet, sitzt das
schwungvoll aufspielende Orchester in diesem Jahr übrigens nicht
auf, sondern rechts neben dem umgestalteten Aristeneingang.
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