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Circus Pikard - Tour 2023
www.circus-pikard.at ; 200 Showfotos

Baden bei Wien, 28. April 2023: Frische Gesichter neben den bekannten Ensemblemitgliedern, schöne Kostümkreationen, ein ideenreich in Szene gesetztes Motto – mit seiner aktuellen Produktion hat der österreichische Circus Pikard das vielleicht schönste Saisonprogramm der jüngeren Vergangenheit geschaffen. Und dies, obwohl die Messlatte hoch liegt im Unternehmen des 36 Jahre jungen Direktors Alexander Schneller und seiner Familie. „Einmal um die Welt“ lautet der Titel der aktuellen Show – so wie der gleichnamige Gute-Laune-Schlager von Mary Roos aus dem Jahr 1999.

Er wird gleich im Opening gespielt, in dem Alexander Schneller uns in einem herrlichen neuen, hellblauen Mantel-Livree mit passender Weste empfängt. Die Außenseite ziert eine Weltkarte, das Innenfutter ist mit dem Logo des Circus Pikard geschmückt. Schneller steht dabei auf einem Podest in der Manegenmitte, um ihn herum versammelt sich das Ensemble zur großen Flaggenparade. Die Damen und Herren tragen nicht nur die Fahnen verschiedener Staaten, in die uns die nachfolgende Weltreise führen wird. Auch zwei Regenbogenflaggen sind vertreten, von denen eine der Direktor selbst stolz schwenkt.


Direktor Alexander Schneller im Zentrum der Flaggenparade

Dann gibt Alexander Schneller den Platz auf dem Podest frei für den ukrainischen Artisten Mischa, der zusammen mit seiner Frau Jenia und der achtjährigen Tochter Alisa während der ersten beiden Monate der Saison mit auf Tournee ist. In dieser Zeit reist der Pikard in der Nähe der Wohnung der Familie; später sollen ihre Darbietungen voraussichtlich durch Acts des Stamm-Ensembles ersetzt werden.


Mischa, Alexander Schneller, Warren Niemen

Im klassischen Chiacago-Stil balanciert Mischa auf der Rola Rola, drückt dabei einen Handstand auf zwei Handstäben, jongliert mit sieben kleinen Bällen und lässt gleichzeitig einen großen Ball auf seinem Kopf dopsen. Schließlich wagt er sich auf einen hohen, fragilen Turm aus sechs stehenden und zwei liegenden Walzen. Jederzeit charmant assistiert ihm seine Frau im eleganten Kleid. Als Sabrina Lutzny und Josy Casselly eine zusammengerollte Plane in die Manege tragen und diese wieder auseinanderwickeln, kommt als amüsante Überraschung Alexander Schneller im feschen roten Circusdirektors-Anzug mit Zylinder zum Vorschein. Die Plane wiederum entpuppt sich als große Weltkarte, und Alexander Schneller hat über den Winter ein fröhliches Lied einstudiert, in dem er singend die Namen sämtlicher Staaten der Erde unterbringt. Da ist mancher Zungenbrecher dabei, und auch die Geschwindigkeit fasziniert, mit der er den schwierigen Text wiedergibt. Chapeau! Kaum fertig mit diesem großen Spaß, wickeln die beiden Damen ihn wieder in die Weltkarte ein. Die Ansage für den nachfolgenden Künstler wird gleich nochmal auf Italienisch wiederholt – und schon begeistert der Pikard-Neuzugang Warren Niemen aus Bella Italia mit seinen blitzschnellen, fehlerfrei vorgetragenen Bouncing-Jonglagen, bei denen er bis zu sieben Bälle zumeist gegen den Boden springen lässt, in manchen Passagen aber auch in die Luft wirft und wieder fängt. Freundlich ist Niemens Ausstrahlung, rasant die musikalische Begleitung mit südamerikanischen Rhythmen.


Eddy Carello, Andrei Bocancea, Mischa und Jenia

Doch nicht nur in real existierende Staaten, auch ins „Super Mario Land“ entführt uns diese Show, und ebendort brauen sich dunkle Wolken über dem Himmel zusammen, denn ein Bösewicht will die Prinzessin entführen. Hierzu spielen mehrere Mitglieder des Ensembles die Geschichte (natürlich mit Happy End!), während Eddy Carello als Super Mario mit seiner Fußballjonglage beeindruckt. Mal lässt er einen Ball über Kopf, Schulter und Füße tanzen, mal fängt er einen mit dem Mundstab. Schlussendlich jongliert er versiert mit fünf Fußbällen. Nach dem viel zu frühen Tod seiner langjährigen Lebensgefährtin Rosi Hochegger erleben wir Andrei Bocancea nun mit einer eigenen Hundenummer. Dabei zeigen nicht nur die vier Tiere Kunststücke, sondern auch der Tierlehrer demonstriert sein akrobatisches Können – und dies sozusagen interaktiv, wenn Andrei am Boden Rollen schlägt und eines der Tiere dabei auf ihm klettert oder wenn er auf Händen geht und ein Hund zwischen seinen Armen Slalom läuft. Beherzt springt Andrei Bocancea zudem durch einen schmalen Reifen, der von John Lutzny gehalten wird. Es ist schön zu sehen, wie mit der turbulenten Hundenummer in bunter Kostümierung des Vorführers das Vermächtnis Rosi Hocheggers fortgesetzt wird. Einen ruhigen, poetischen Kontrapunkt zum übrigen Programm setzen Mischa und Jenia bei ihrer Mischung aus Tanz, Partnerakrobatik und Jonglage mit großen Bällen. Diese zelebrieren sie in der Mitte eines großen, silbernen Rings, der kleine Stützen trägt, auf denen die Bälle auf ihren Einsatz warten.


Chantal Lutzny, Alexander Schneller, Josy Casselly

Alexanders Schnellers Stimme aus dem Off verrät uns nun die nächste Reisestation: Sie führt zu den schönen Frauen und starken Männern in „Bollywood“ in Indien. Los geht es mit einem Tanz von Josy Casselly sowie Sabrina und Chantal Lutzny in farbenprächtigen Kostümen. Drei Herren mit Turbanen helfen Chantal sodann aufs Podiums, wie sie bei ihrer Kautschukakrobatik mit strahlendem Lächeln ihre enorme Beweglichkeit unter Beweis stellt. Die „indische Gottheit Shiva“ mit ihren mehreren Armen entpuppt sich als Alexander Schneller, der sich eine neue Hula-Hoop-Nummer erarbeitet hat. Bis zu fünf Reifen lässt er um Arme, Körper und Beine kreisen. Für den Abschluss des großen Bollywood-Bildes sorgt Josy Casselly mit einer abermals neuen Variante ihrer wohlbekannten, rasanten und wagemutigen Schwungseilkür. Auf diesen aufwendig und fantasievoll gestalteten Showblock folgt die Pause.


Josy Casselly, Warren Niemen, Alexander Schneller

Zu Beginn des zweiten Teils wechseln wir den Kontinent, von Asien begeben wir uns nach Nordamerika, genauer gesagt in den Wilden Westen. Dort lässt René Lutzny inmitten einer Szenerie aus hölzernen Kakteen sein Solopferd paradieren und zeigt, wie gut er die Peitsche beherrscht – mit einem Schlag zerteilt er eine Zeitung, die seine Frau Sabrina in den Händen hält. Gleich darauf fesselt er sie mit gezielten Lassowürfen aus der Ferne. Noch weit ausgefeilter und ausführlicher ist die Westernshow von Warren Niemen, der zunächst zwei Peitschen in gegenläufigen Bewegungen rotieren und knallen lässt, dann zu „Cotton Eye Joe“ ein Lasso in rasante Drehungen versetzt. Temporeich geht es weiter mit in der Dunkelheit fluoreszierenden Lassos, Sprüngen durchs drehende Lasso und schließlich einem Seil, das sich zu einem riesigen Kreis formt. Die Begeisterung im Publikum ist groß. Für die Clownerie im Programm wird auf Bekanntes zurückgegriffen: René Lutzny steht im Mittelpunkt der Amor-Szene im ersten Teil, im zweiten Teil spielt Eddy Carello den “Jäger“, René Lutzny und Sohn John die zu erlegenden Wildtiere – ein Zuschauer soll von dem Geschehen ein Foto machen. Nachdem dies an dem Tücken der Technik scheitert, entsteht letztendlich ein Bild von allen vier Akteuren mithilfe eines Selfie-Sticks. Noch weiter bleiben wir im Wilden Westen, wenn Josy Casselly als Indianersquaw auf fröhliche Weise vier flott ihre Figuren laufenden Ponys vorstellt. Und schließlich wagt sich Alexander Schneller persönlich und engagiert gespielt in die Rolle von „Winnetouch“ aus Bully Herbigs legendärer Westernparodie „Der Schuh des Manitu“.


Chantal und Joel Lutzny, Alexander Schneller und Eddy Carello, Alisa

Legendär ist auch Nenas Neue-Deutsche-Welle-Hit „99 Luftballons“, der vor 40 Jahren erstmals erschienen ist. Aus diesem Anlass begleitet der Song die Geschwister Joel und Chantal Lutzny bei ihrer neu einstudierten Duo-Nummer an den Strapaten. Dabei trägt er sie durch eine ganze Reihe anspruchsvoller Halteposen. Auch in der siebten Saison in Folge beim Circus Pikard präsentiert Eddy Carello sein famoses Können als Jongleur in einer abermals neuen Variante. Wieder einmal gibt es seine Rhythmusjonglagen mit Bällen auf dem Schlagzeug zu sehen; neu ist die Kombination mit den Jonglagen mit Ringen und Keulen, die Alexander Schneller simultan dazu arbeitet. Die achtjährige Alisa ist nicht nur die mit Abstand jüngste Artistin in diesem Programm, sie darf auch die Schlussnummer übernehmen. Zu „A Million Dreams“ beweist sie, dass sie nicht nur äußerst beweglich, sondern auch mutig ist – beispielsweise beim Fers- und beim Genickhang. Pfiffe und Jubel sind der Lohn.

Mit ausgelassener Freude verabschiedet sich das Ensemble im ausgiebig zelebrierten Finale, in dem Alexander Schneller stolz auch den Zukunftspreis präsentiert, den ihm die Gesellschaft der Circusfreunde verliehen hat. Dieser ist Anerkennung für sein sehr erfolgreiches Konzept, in einem begrenzten Reisegebiet mit den stets gleichen Stationen Jahr für Jahr ein neu zusammengestelltes, fantasievoll in Szene gesetztes und voll guter Laune gespieltes Programm zu präsentieren. Standing Ovations sind ein beredter Ausdruck dessen, dass die zirzensische Weltreise beim Publikum mitten ins Herz getroffen hat.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll