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Zirkus Stey - Tour 2023
www.zirkus-stey.ch ; 167 Showfotos

Goldach, 3. September 2023: Aufgrund der aktuellen Situation rund um Krieg und Corona war der Schweizer Zirkus Stey im Jahr 2022 erst im August in seine Tournee gestartet. Da ist es nachvollziehbar, dass 2023 nicht mit ganz neuem Ensemble gereist wird, sondern ein Großteil der Künstler der kurzen Vorsaison prolongiert wurde. Gleichwohl wurden die richtigen Stellschrauben gedreht, um ein gutes Programm noch besser zu machen - mit dem nur in Teilen ausgewechselten Team bietet der Zirkus Stey seine wohl schönste Show der vergangenen Jahre.  

Dies hat vor allem zwei Gründe: Zum einen gibt es – nach der durch den Ukraine-Krieg bedingten Pause im Vorjahr – wieder Livemusik vom hauseigenen Orchester. Das wieder von Patrick Rosseel eingerichtete Licht überzeugt ohnehin. Zum anderen stehen mehr denn je Künstlerinnen und Künstler in der Manege, die echte Persönlichkeiten sind, die mit sympathischer Ausstrahlung die Herzen des Publikums erreichen.


Francesco Brunaud, Duo Lozada, Alina Malko

Wir besuchen die Vorstellung an einem Sonntagvormittag in Goldach am Bodensee. Dort ist der schmucke Circus mit seinem rot-weißen Zelt auf einer Wiese mitten in einem Wohngebiet aufgebaut. Nach der Ouvertüre und der Begrüßung durch Direktor Martin Stey sorgt Clown Francesco (Brunaud) gemeinsam mit den beiden Direktionskindern Rolf Julian und Simone Irene Mirelle Stey für ein kleines Opening – aus dem Off wird ein einfahrender Zug angekündigt. Zu diesem Thema der Reise passt es, dass Clown und Kinder einer Weltkugel hinterherjagen und diese im Luftstrom fliegen lassen. Für seine zweite Saison bei dem Schweizer Traditionszirkus hat der Franzose neue oder veränderte Szenen zusammengestellt. Neu bei diesem Unternehmen ist nun Alina Malko, die wir einige Saisons lang mit immer neuen Varianten von Luftakrobatik im Circus Harlekin erleben durften. Nun hat sie sich aus persönlichen Gründen entschieden, in dieser Saison „nur“ als Nummerngirl aufzutreten. Das schafft einen roten Faden durchs Programm und ist herrlich „retro“. In immer neuen Kostümen, von elegant bis rockig oder auch mal in Tracht, präsentiert sie vor den einzelnen Darbietungen die Nummer in der Programmfolge. Dies im Übrigen nicht vor jedem Act, so dass der Ablauf auch nicht monoton wirkt. Sozusagen die kleinste denkbare Form eines Circusballetts. Die Nummer 1 steht für das Duo Lozada auf dem Todesrad. Ihr Requisit steht bereits beim Einlass aufgebaut bereit. Zum Repertoire gehören unter anderem Seilspringen und hohe Sprünge, aber nicht der geradezu fest zum Genre gehörende Blindlauf. Dennoch verfehlt die Nummer ihre Wirkung nicht, zumal wir erstmals ein Todesrad bei Stey erleben.


Rolf Julian Stey, Fares Mbarek

Von Francesco, der seine Fingerpfeifen nicht nutzen soll, aber natürlich dennoch musiziert, kommen wir zu den hauseigenen Ziegen. Sie werden von Mia Stey gemeinsam mit ihren beiden Kindern vorgestellt, die Vorführer in Dirndl bzw. Lederhosen und begleitet von volkstümlichen Hits wie den „lustigen Holzhackerbuam“. Es ist schön, die Direktionsgattin nach mehreren Saisons Unterbrechung wieder einmal in der Manege zu erleben. Dazu beweisen die Vierbeiner ihre Geschicklichkeit beim Klettern, Springen und Balancieren. Die Vorführung der Ponys liegt aber weiterhin in den Händen von Fares Mbarek. Ruhig und versiert leitet der langjährige Stey-Mitarbeiter das geschickte Quintett durch verschiedene Lauffiguren. Francesco – der freundliche, ältere Herr im violetten Anzug – flirtet im Anschluss mit einer Dame aus dem Publikum und entlockt mit seinen Fingern verschieden großen Gläsern musikalische Klänge.


Yasmina Tarantini, Ethio Brothers, Vlada Naraieva

Yasmina Tarantini präsentiert ihre Kontorsionen in dynamischem Tempo und mit jederzeit strahlendem Lächeln. Am Ende nimmt sie eine Rose mit dem Mund vom Boden auf und verabschiedet sich mit temperamentvollen Überschlägen. Im Vorjahr wurde die Nummer mit „African Spirit“ präsentiert, heuer tritt sie im klassischen Stil auf. Wie in der Vorsaison fasziniert und verzaubert Nadine Brunaud bei ihrem Spiel mit großen und kleinen Seifenblasen. Auch Daniel und Ashenafi waren schon 2022 in der Schweiz zu erleben, damals aber beim Circus Harlekin. Nun überzeugen sie als Neuzugänge bei Stey nicht nur mit ihren starken Passing-Jonglagen mit bis zu zehn Keulen, sondern ganz besonders auch mit ihrer fröhlichen, temperamentvollen und mitreißenden Art. Neben den Tricks finden die Brüder immer noch Zeit, sich in einer Art Duell zu necken, und dazu passt die musikalische Begleitung durch „Let me entertain you“. Francesco nimmt das Thema auf, wenn er in einer Reprise mit Fackeln jongliert. Als Pausennummer platziert und als Festivalgewinnerin stolz angekündigt wird Vlada Naraieva. Es ist wiederum beeindruckend, wie sie sich auf Händen die elf Stufen ihres Requisits empor arbeitet und am Ende – Stufe für Stufe – auf dem linken Arm wieder hinunterspringt. Dazwischen überzeugt sie mit ihren ausgefeilten Handständen und Pirouettedrehungen.


Ethio Brothers, Francesco, Kevin Stipka

Nach der Pause begeistern die beiden Ethio Brothers – stilvoll in karierten Hosen, mit weißen Hemden und hellblauen Westen – mit ihrer gut gelaunten Art auch als Kaskadeure. Voller Action ist die umfassende Abfolge an sehr starken Tricks auf und über einem Tisch. Sie wird mit großem Applaus quittiert. Beim Xylophon-Spiel auf seinem Anzug zeigt uns Francesco eine weitere Facette seines musikalischen Könnens. Mit ebenso viel Ausstrahlung wie die Ethio Brothers unterhält uns Kevin Stipka. Bei seinen rasanten Tennisjonglagen – anfangs mit Devilsticks, später elegant und ausdauernd mit bis zu fünf Schlägern – vereinen sich artistisches Können, offensives Auftreten und mitreißende Musik zu einem idealen Ganzen.


Francesco, Lozadas, Finale

Fast die ganze Vorstellung über setzt Francesco vorwiegend auf das eigene musikalisch-clowneske Können, auf leises Schmunzeln denn laute Schenkelklopfer und nicht aufs Bloßstellen von Zuschauern. Nur in seinem letzten großen Auftritt holt er mehrere Mitspieler aus dem Publikum in die Manege und formiert diese zu einer „Rockband“, immerhin auch dies auf charmante Weise. Zum Trio erweitert, übernehmen die Lozadas nach der Eröffnungs- auch die Schlussnummer des Programms, nunmehr auf dem Hochseil. Das Genre hat im Circus zwar generell Konjunktur, doch bei Stey war die Disziplin seit vielen Jahren nicht zu sehen. Ein Sprung über den auf dem Seil kauernden Partner, die Fahrt auf dem Mini-Fahrrad, Seilspringen, der freie Stand auf dem Stuhl, Zwei-Personen-Hoch und eine Dreierpyramide mit Kopfstand auf der Verbindungsstange gehören zum Repertoire.

Im Finale erleben wir noch einmal das gesamte Ensemble, verabschiedet Direktor Martin Stey das Publikum mit wohlgesetzten Worten. Das ist traditioneller Circus im schönen Ambiente, wie er uns gefällt – und, wie eingangs erwähnt, das gelungenste Programm des Hauses in den vergangenen Jahren. Bevor es 2024 wieder auf Tournee geht, steht noch der Frauenfelder Weihnachtscircus an, der zum Stolz des Direktors in kürzester Zeit erfolgreich etabliert wurde.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll