Dies hat vor allem
zwei Gründe: Zum einen gibt es – nach der durch den
Ukraine-Krieg bedingten Pause im Vorjahr – wieder Livemusik vom
hauseigenen Orchester. Das wieder von Patrick Rosseel
eingerichtete Licht überzeugt ohnehin. Zum anderen stehen mehr
denn je Künstlerinnen und Künstler in der Manege, die echte
Persönlichkeiten sind, die mit sympathischer Ausstrahlung die
Herzen des Publikums erreichen.
  
Francesco
Brunaud, Duo Lozada, Alina Malko
Wir besuchen die
Vorstellung an einem Sonntagvormittag in Goldach am Bodensee.
Dort ist der schmucke Circus mit seinem rot-weißen Zelt auf
einer Wiese mitten in einem Wohngebiet aufgebaut. Nach der
Ouvertüre und der Begrüßung durch Direktor Martin Stey sorgt
Clown Francesco (Brunaud) gemeinsam mit den beiden
Direktionskindern Rolf Julian und Simone Irene Mirelle Stey für
ein kleines Opening – aus dem Off wird ein einfahrender Zug
angekündigt. Zu diesem Thema der Reise passt es, dass Clown und
Kinder einer Weltkugel
hinterherjagen und diese im Luftstrom fliegen lassen. Für seine zweite Saison bei dem
Schweizer Traditionszirkus hat der Franzose neue oder veränderte
Szenen zusammengestellt. Neu bei diesem Unternehmen ist nun
Alina Malko, die wir einige Saisons lang mit immer neuen
Varianten von Luftakrobatik im Circus Harlekin erleben durften.
Nun hat sie sich aus persönlichen Gründen entschieden, in dieser
Saison „nur“ als Nummerngirl aufzutreten. Das schafft einen
roten Faden durchs Programm und ist herrlich „retro“. In immer
neuen Kostümen, von elegant bis rockig oder auch mal in Tracht,
präsentiert sie vor den einzelnen Darbietungen die Nummer in der
Programmfolge. Dies im Übrigen nicht vor jedem Act, so dass der
Ablauf auch nicht monoton wirkt. Sozusagen die kleinste denkbare
Form eines Circusballetts. Die Nummer 1 steht für das Duo Lozada
auf dem Todesrad. Ihr Requisit steht bereits beim Einlass
aufgebaut bereit. Zum Repertoire gehören unter anderem
Seilspringen und hohe Sprünge, aber nicht der geradezu fest zum
Genre gehörende Blindlauf. Dennoch verfehlt die Nummer ihre
Wirkung nicht, zumal wir erstmals ein Todesrad bei Stey erleben.
 
Rolf Julian Stey,
Fares Mbarek
Von Francesco, der
seine Fingerpfeifen nicht nutzen soll, aber natürlich dennoch
musiziert, kommen wir zu den hauseigenen Ziegen. Sie werden von
Mia Stey gemeinsam mit ihren beiden Kindern vorgestellt, die
Vorführer in Dirndl bzw. Lederhosen und begleitet von
volkstümlichen Hits wie den „lustigen Holzhackerbuam“. Es ist
schön, die Direktionsgattin nach mehreren Saisons Unterbrechung
wieder einmal in der Manege zu erleben. Dazu beweisen die
Vierbeiner ihre Geschicklichkeit beim Klettern, Springen und
Balancieren. Die Vorführung der Ponys liegt aber weiterhin in
den Händen von Fares Mbarek. Ruhig und versiert leitet der
langjährige Stey-Mitarbeiter das geschickte Quintett durch
verschiedene Lauffiguren. Francesco – der freundliche, ältere
Herr im violetten Anzug – flirtet im Anschluss mit einer Dame
aus dem Publikum und entlockt mit seinen Fingern verschieden
großen Gläsern musikalische Klänge.
  
Yasmina Tarantini,
Ethio Brothers, Vlada Naraieva
Yasmina Tarantini
präsentiert ihre Kontorsionen in dynamischem Tempo und mit
jederzeit strahlendem Lächeln. Am Ende nimmt sie eine Rose mit
dem Mund vom Boden auf und verabschiedet sich mit
temperamentvollen Überschlägen. Im Vorjahr wurde die Nummer mit
„African Spirit“ präsentiert, heuer tritt sie im klassischen
Stil auf. Wie in der Vorsaison fasziniert und verzaubert Nadine
Brunaud bei ihrem Spiel mit großen und kleinen Seifenblasen.
Auch Daniel und Ashenafi waren schon 2022 in der Schweiz zu
erleben, damals aber beim Circus Harlekin. Nun überzeugen sie
als Neuzugänge bei Stey nicht nur mit ihren starken
Passing-Jonglagen mit bis zu zehn Keulen, sondern ganz besonders
auch mit ihrer fröhlichen, temperamentvollen und mitreißenden
Art. Neben den Tricks finden die Brüder immer noch Zeit, sich in
einer Art Duell zu necken, und dazu passt die musikalische
Begleitung durch „Let me entertain you“. Francesco nimmt das
Thema auf, wenn er in einer Reprise mit Fackeln jongliert. Als
Pausennummer platziert und als Festivalgewinnerin stolz
angekündigt wird Vlada Naraieva. Es ist wiederum beeindruckend,
wie sie sich auf Händen die elf Stufen ihres Requisits empor
arbeitet und am Ende – Stufe für Stufe – auf dem linken Arm
wieder hinunterspringt. Dazwischen überzeugt sie mit ihren
ausgefeilten Handständen und Pirouettedrehungen.
  
Ethio
Brothers, Francesco, Kevin Stipka
Nach der Pause
begeistern die beiden Ethio Brothers – stilvoll in karierten
Hosen, mit weißen Hemden und hellblauen Westen – mit ihrer gut
gelaunten Art auch als Kaskadeure. Voller Action ist die
umfassende Abfolge an sehr starken Tricks auf und über einem
Tisch. Sie wird mit großem Applaus quittiert. Beim Xylophon-Spiel
auf seinem Anzug zeigt uns Francesco eine weitere Facette seines
musikalischen Könnens. Mit ebenso viel Ausstrahlung wie die
Ethio Brothers unterhält uns Kevin Stipka. Bei seinen rasanten
Tennisjonglagen – anfangs mit Devilsticks, später elegant und
ausdauernd mit bis zu fünf Schlägern – vereinen sich
artistisches Können, offensives Auftreten und mitreißende Musik
zu einem idealen Ganzen.
  
Francesco,
Lozadas, Finale
Fast die ganze
Vorstellung über setzt Francesco vorwiegend auf das eigene
musikalisch-clowneske Können, auf leises Schmunzeln denn laute
Schenkelklopfer und nicht aufs Bloßstellen von Zuschauern. Nur
in seinem letzten großen Auftritt holt er mehrere Mitspieler aus
dem Publikum in die Manege und formiert diese zu einer
„Rockband“, immerhin auch dies auf charmante Weise. Zum Trio
erweitert, übernehmen die Lozadas nach der Eröffnungs- auch die
Schlussnummer des Programms, nunmehr auf dem Hochseil. Das Genre
hat im Circus zwar generell Konjunktur, doch bei Stey war die
Disziplin seit vielen Jahren nicht zu sehen. Ein Sprung über den
auf dem Seil kauernden Partner, die Fahrt auf dem Mini-Fahrrad,
Seilspringen, der freie Stand auf dem Stuhl, Zwei-Personen-Hoch
und eine Dreierpyramide mit Kopfstand auf der Verbindungsstange
gehören zum Repertoire. |