Ewig
anzudauern scheint leider auch die Suche nach einem festen
Standort für die Gastspiele des Cirque Arlette Gruss in
Straßburg. Seit unseren ersten Besuchen wurden erst ein Platz in
der City, dann nacheinander zwei unterschiedliche Standorte im
Jardin des deux rives am Rhein, später ein Gelände am Stade de
la Meinau und zuletzt das Messegelände Wacken bespielt. Für 2024
sah es zunächst so aus, als müsse das Straßburg-Gastspiel
mangels einer geeigneten Fläche ausfallen. Erst im Februar 2024
konnte doch noch ein Aufenthalt in der Grenzstadt verkündet
werden, nun wieder im Jardin des deux rives. Dort allerdings nur
für drei Tage, unter sehr beengten Verhältnissen sowie mit einem
Parkplatz, der mit einer abenteuerlichen Zufahrt versehen ist
und vom Circus einen Fußmarsch entfernt liegt. Im nächsten Jahr
soll dann an gleicher Stelle immerhin wieder ein längerer
Aufenthalt möglich sein.

Opening
Zum Beginn
der Show gehört die Manege zunächst einem Clownsduo, das für
diese Saison bei Arlette Gruss neu zusammengefunden hat: der
jüngere Komiker Francesco Fratellini und sein deutlich reiferer
Kollege Pieric. Gemeinsam wärmen sie das Publikum mit einem
Klatschspiel auf und untermalen zudem pantomimisch die
Sicherheitsanweisungen, die aus dem Off gesprochen werden. Einen
Wechsel gab es nicht nur bei der Clownerie. Auch Mr. Loyal Kevin
Sagau ist nach einigen Jahren nicht mehr dabei. Ausführliche
Moderationen mit bedeutungsschweren Texten, wie sie Sagau und
seine Vorgänger stilvoll vortrugen, gibt es nun nicht mehr. An
deren Stelle wurde die Sängerin Eva Poirieux verpflichtet, die
bei vielen Gelegenheiten im Programm zu hören ist. Sie empfängt
uns mit einem ruhigen Song über den ewig bestehenden Circus.
Rhythmischer wird es dann im großen Opening mit dem gesamten
Ensemble in fantasievollen Kostümen.
  
Sarah Florees,
Sarah Houcke, Pieric
Die große
Szene geht direkt über in die erste Darbietung. Sarah Florees
bewegt sich hierbei anmutig am Kronleuchter in großer Höhe,
wiederum von Gesang begleitet. Dabei demonstriert die Artistin
ihre Kraft und Beweglichkeit. Mutig beschließt sie ihren
Auftritt im Genickhangwirbel. Störrisch ist dagegen der Esel,
mit dem Pieric sich müht. Er staubt das Tier ab und reinigt ihm
scheinbar die Ohren mit einem weißen Taschentuch – zum linken
Ohr rein, zum rechten Ohr raus, mitten durch den Schädel. Vier
Männer tragen auf einer Sänfte in Form eines großen, roten
Sessels Sarah Houcke in die Manege. Wieder auf dem Boden
angelangt, leitet diese nun in ihrem eleganten Kleid mit
passendem Hut insgesamt fünf Esel zu verschiedenen Lauffiguren
an, begleitet von fröhlichen, bläserdominierten Klängen. Drei
der Tiere stellen sich auf Postamente, die anderen beiden traben
in Achten um sie herum.
  
Francesco
Fratellini, Alexis Gruss, Magicshow mit u.a.
Jonnathan Obando Acero und
Elea Broger
Wiederum
heiter wird es mit Francesco Fratellini. Er möchte sich mit
einem Zuschauer ablichten lassen, den er in die Manege geholt
hat, doch die mit dem Fotografieren beauftragte Zuschauerin
drückt offenbar stets im falschen Moment ab. Hauseigen ist die
Magic-Show, in der Jonnathan Obando Acero – ehemaliger
Motorradkugel-Fahrer und seit einigen Jahren Lebensgefährte von
Laura-Maria Gruss – als Groß-Illusionist im Kreise seiner
Assistentinnen auftritt. Natürlich geht es auch hier ums
Verschwinden und Erscheinen. So zum Beispiel, wenn wir Jonnathan
in einer Kiste wähnen, die von brennenden Speerspitzen
durchbohrt wird, die von oben herunterfallen. Doch der Magier
kehrt unversehrt und an völlig anderer Stelle zurück. Elea
Broger, Tochter von Clown André und Freundin von Eros Gruss,
wird als „Dame ohne Unterleib“ präsentiert. Dies natürlich nur
vorübergehend. All dies wird mit rockigem Gesang begleitet. Zur
Entspannung pustet Pieric eine große Feder in die Luft und fängt
sie auf der Stirn balancierend. In einer recht kompakten
Dressurfolge zeigt uns die junge Alexis Gruss, was ihre vier
Hunde alles gelernt haben, darunter verschiedene Sprünge.
  
Sandeep Kale,
Francesco Fratellini, Troupe Arlette Gruss
Einen
ersten Höhepunkt erreicht die Show mit dem Auftritt von Sandeep
Kale. Was er uns präsentiert, ist in Indien ein verbreiteter
Sport, in europäischen Manegen jedoch eine absolute Rarität. An
einem Baumstamm zeigt er dynamische, geradezu ekstatische
Bewegungen zwischen sich halten, fallen und wieder fangen, dies
kombiniert mit Elementen der Equilibristik. Kopfüber am Requisit
hängend, sich nur mit den Beinen sichernd, springt er
abschließend zu Boden und landet auf den Füßen. Fünf Tänzerinnen
in orientalisch anmutenden Kostümen leiten die Nummer ein und
verstärken ihr geheimnisvoll-exotisches Flair. Mit Melodien aus
dem Musical-Filmklassiker „Mary Poppins“, gespielt auf einer
Vielzahl von Glocken, leitet Francesco Fratellini zur
Pausennummer über. Das kubanische Duo Lyd war vor Jahren mit
seiner Fahrradakrobatik bei Arlette Gruss zu sehen, dann im
Quartett gemeinsam mit den Gruss-Junioren Alexis und Eros. Nun
wurde die Darbietung weiter zu einer großen Gruppennummer im
Rock’n’Roll-Rhythmus ausgebaut. Zusätzliche Akteure der "Troupe
Arlette Gruss" sind die Truppe Havanna sowie Laura-Maria Gruss
mit Partner und Elea Broger. In immer neuen Konstellationen
teilen sich zwei und mehr Artisten ein Fahrrad, um damit Runden
durch die Manege zu drehen. Schließlich formen elf junge Frauen
und Männer einen Fächer auf einem einzigen Fahrrad. Wirklich
eine eindrucksvolle Eigenkreation, in der sicher viel
Trainingsfleiß steckt.
  
Flying
Almar, Ballett als Madonna, Elvis Presley, Marilyn Monroe sowie
Charly Chaplin, Linda Biasini-Gruss
Im Opening
zur zweiten Hälfte wird das Orchester vorgestellt. Dann gehört
der Luftraum des Chapiteaus den Flying Almar. Das Requisit
bietet den sechs Damen und Herren zwei Flugbahnen nebeneinander,
doch leider wird das Potenzial dieser Konstellation nicht
wirklich ausgenutzt. Es könnte darin bestehen, durch permanenten
Wechsel der Bahnen Tricks quasi nonstop zu präsentieren oder
auch einmal synchron zu arbeiten. Nach den üblichen Tricks wie
gestrecktem Doppelsalto und Dreifachem endet die Darbietung,
doch auch auf eine Passage oder den effektvollen Kopfüber-Sturz
aus der Kuppel warten wir vergeblich. In seiner nächsten Szene
stellt Francesco Fratellini fest, dass er mit einem Mikrofon
abhören kann, was im eigenen Kopf und in den Köpfen von
Zuschauerinnen und Zuschauern vor sich geht – die „Ohrwürmer“
geben Aufschluss über den jeweiligen Gemütszustand. In einem
tänzerischen Bild zu einem Michael-Jackson-Song erleben wir im
Fokus noch einmal Personen der Musik- und
Unterhaltungsgeschichte, die bei genauem Hinsehen bereits im
Opening zu erkennen waren. Künstler, die wohl für ewig – eternel
– zum Bewusstsein der Menschen gehören werden. Konkkret sind
dies der „King of Pop“ Michael Jackson, Madonna, Elvis Presley,
Marilyn Monroe, Charly Chaplin und Liza Minelli. Damit wird der
Übergang zu den Pferdedressuren des Hauses geschaffen. Linda
Biasini-Gruss und Laura-Maria Gruss leiten zunächst sechs
Friesen zu verschieden Lauffiguren an. Dabei dirigieren Mutter
und Tochter jeweils eine Dreiergruppe longierter Rösser.
Schließlich übernimmt Linda Gruss den gesamten Sechserzug, nun
tatsächlich „in Freiheit“ vorgeführt. Die Steigerpferde zum
Abschluss stellen die beiden Akteurinnen im Wechsel vor.
  
Pieric, Duo Beige,
Duo Dimaa
Es folgt
ein equestrisches Duett der besonderen Art: Clown Pieric
„reitet“ mit einer Pferdefigur und im Duett mit einer Puppe, die
wiederum auf einem lebendigen Pony sitzt. Ein großes
artistisches Ausrufezeichen setzen Kelly Joo und Angelika
Janicková alias „Duo Beige“ mit ihrer gemeinsamen Arbeit an den
Strapaten. Insbesondere die verschiedenen Zahnhänge und
doppelten Zahnhänge begeistern. Ungeheuer wagemutig ist eine Art
Abfaller in den Fußhang an einem Fuß, bei dem das Band von der
Partnerin nur mit den Zähnen gehalten wird. Bravo! Der Auftritt
des Damen-Duos geht nahtlos über in die Arbeit zweier Herren.
Das Duo Dimaa, Dmitry Makrushin und Georgii Volkov, präsentiert
kraftvolle Partnerakrobatik – dies in allen denkbaren
Möglichkeiten wie Hand auf Kopf, Hand auf Hand und Hand auf Fuß.
 
La Troupe Arlette
Gruss, Finale
Die „Troupe
Arlette Gruss“ hat außer ihrer Fahrradnummer noch einen zweien
großen Act einstudiert, der die Schlussnummer bildet. Hier steht
die Truppe Havanna im Mittelpunkt, denn das gewählte Genre ist
der Russische Barren. Vielfältige Tricks bis hin zum Dreifachen
werden geboten, mal auf drei Fieberglasbalken nebeneinander, die
von den kräftigen Unterleuten gehalten werden, mal mit Sprüngen
von Barren zu Barren. Acht schmale weiße Stangen – in
unterschiedlichen Positionen gehalten von Mitgliedern der Truppe
und des Balletts – dienen vor allem dazu, raumgreifende
Impressionen zu schaffen. Insgesamt entsteht ein kolossales
Schlussbild. Leider wird der Schwung der Darbietung nicht mit in
ein direkt folgendes Finale genommen. Stattdessen wird noch
einmal komplett entschleunigt, dies mit einem ruhigen,
poetischen Zwischenspiel mit den beiden Clowns und der Sängerin,
das sich um die Wanderschaft kleiner Lichter dreht. Es bietet
der Troupe Arlette Gruss die Gelegenheit, die weißen Kostüme der
Barrennummer gegen einheitliche rote Roben für das kompakt
gehaltene Finale auszutauschen. |