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Cirkus Humberto - Tour 2024
www.cirkushumberto.com ; 139 Showfotos

Prag, 18. Oktober 2024: Tierdarbietungen sind in den meisten Circusunternehmen leider immer seltener zu finden. Wer Dressurnummern mag, ist beim tschechischen Cirkus Humberto richtig. Das Unternehmen der Familie Navratil verfügt nicht nur selbst über einen umfangreichen Bestand an Vierbeinern, sondern engagiert auch noch welche hinzu. Das Ergebnis ist ein Programm mit einer ausgewogenen Mischung aus Artistik, Clownerie und eben Tierdressuren. Wobei letztere sogar leicht die Oberhand haben. Dagegen ist rein gar nichts einzuwenden, im Gegenteil.

Für sein ans Ende der Saison gesetztes Gastspiel in Prag steht der Circus zwischen Messehallen und einem Sportflughafen am Ende eines Parkplatzes. Dank Metro-Anbindung ist der Platz vom Zentrum aus gut zu erreichen.


Cirkus Humberto in Prag

Schon von weitem sichtbar ist die Fassade, auf der – wie sollte es anders sein – Zeichnungen von Tieren zu sehen sind. Die weitere Front besteht aus einem Holzzaun mit Lichterbögen und Circuswagen. Auf der linken Seite steht in großen Lettern der Name des Unternehmens auf dem Boden. Dahinter finden sich der weitere Fuhrpark, die Campings der Artisten und natürlich die großzügige Tierschau. Beherrscht wird die Optik vom Chapiteau. Der Viermaster mit Quaderpols ist in den Farben Rot und Gelb gehalten. Betreten wird er durch das der Länge nach aufgebaute Vorzelt. Links befinden sich die Restauration und der Souvenirstand, rechts Tische und Stühle. An den Wänden hängen Transparente, darauf abgebildet historische Dokumente und aktuelle Fotos aus der Show. Im Hauptzelt gibt es auf dem Gradin acht Reihen mit Schalensitzen, dazu Stühle in den Logen. Über der roten Gardine prangt der Unternehmensname.


Szene aus dem Opening

Grundsätzlich kommt der Cirkus Humberto ganz klassisch daher. Im Programm wird aber ein Mix aus Tradition und Moderne gewagt. Die Regie für die Show hat Irina Rizaeva geführt, die wir insbesondere von Flic Flac kennen. Auch die Werbemittel sind eher modern gehalten. So etwa das umfangreiche Programmheft mit hochwertigen Fotos. Insbesondere bei Opening und Finale gibt es flotte Choreographien des Ensembles in jugendlichen Outfits. Dazu Zwischenspiele während der Vorstellung und kleine Einlagen bei einzelnen Nummern. „Bez Limitu“ - „No Limits“ heißt der Titel der Produktion. Die Begrüßung übernimmt Direktor Hynek Navratil im roten Livree.


William Tournoud, Amedeo Folco

Nach der Eröffnung durch das Ensemble gehört die mit Sägemehl ausgelegte Manege Amedeo Folco. Elegant präsentiert er einen Sechserzug mit jeweils drei weißen und braunen Arabern. Die Pferde laufen prima und die Vorführung hat den notwendigen Schwung. Die Trickfolge beinhaltet etwa Fächer, Gegenlauf und Gruppensteiger. Artisten mit Fußbällen leiten auf dem Gradin über zur ersten artistischen Nummer. Dieser Part der Show findet zumeist in luftiger Höhe statt. Dies sogar beim Genre Rola Rola. Denn William Tournoud arbeitet seine Balancen auf einer Plattform, die Richtung Kuppel gezogen wird. Nach Angaben des jungen Franzosen einmalig in Europa. So wird das „Sich-im-Gleichgewicht-Halten“ noch anspruchsvoller, für das Publikum ergeben sich innovative Bilder. Seilspringen auf Brett und Walze, das Stehen auf einem Turm aus mehreren Walzen etwa sind im Repertoire, aber auch das Balancieren auf einem Ball mit verbundenen Augen. Das alles verkauft William Tournoud sehr überzeugend. Die hauseigenen Tierdressuren präsentiert Hynek Navratil selbst. Die Akteure der Pudelrevue kommen in einer kleinen Kutsche herein, die von einem Pony gezogen wird. Die Hunde mit verschiedenen Fellfarben laufen auf den Hinterbeinen, springen durch Reifen und haben noch weitere Tricks auf Lager.


Mr. Chap, Anastasiia Mudrak, Hynek Navratil

Nachdem Mr. Chap bereits beim Einlass zugegen war und das Warm up gestaltete, hat er mit einem Luftballon nun seinen ersten „richtigen“ Auftritt im Programm. Der Clown war in Deutschland etwa schon bei Sarrasani und dem Waiblinger Weihnachtscircus zu sehen. Nach dieser humoristischen Einlage geht es wieder in die Luft. Akrobatik an Tüchern zelebriert Anastasiia Mudrak. Sie startet mit zwei Kolleginnen auf dem Boden, wo sie auf Stühlen eine kleine Choreographie zeigen. Unter der Kuppel erleben wir die Ukrainerin dann etwa mit dem freihändigen Spagat. Kraftvolle Flüge durch den Raum, Umschwünge und Abfaller sehen bei der jungen Artistin ganz einfach aus. Gleich sechs Mitspieler aus dem Publikum benötigt Mr. Chap für seinen originellen Boxkampf. Alleine vier davon bilden die Ringecken. Ein weiterer schlägt den Gong, der sechste ist sein Gegner. Es sieht spektakulär aus, wenn die beiden Kämpfer im Zeitlupentempo aufeinander einschlagen. Dazwischen bleibt genug Zeit für allerlei Kabinettstückchen. Gleich acht Dromedare und Trampeltiere leitet Hynek Navratil zu verschiedenen Lauffiguren an. Es ergibt schon ein imposantes Bild, wenn die majestätischen Tiere mit ihren blauen Decken auf dem Rücken durch die Manege laufen. Danach liegen sie nebeneinander ab. Zwei von ihnen drehen sich auf Podesten um die eigene Achse, bevor mehrere Lamas über zwei wiederum abliegende Kamele springen. Anschließend führt der Direktor drei Zebras vor. Zwei Pferde, die eine Runde mit den hinteren Hufen auf der Piste und den vorderen auf dem Sägemehl drehen, beenden diese Darbietung.


Amedeo Folco, Hynek Navratil

Doch schon beim nächsten Auftritt stehen wieder die Tiere im Mittelpunkt. Jeweils zwei Pferde und indische Elefanten hören auf die Kommandos von Amedeo Folco. Die ungemein abwechslungsreiche Trickfolge läuft sehr flüssig ab. Das Auge wird mit wunderschönen Bildern verwöhnt, die die prächtigen Vierbeiner und ihr Trainer kreieren. Umso mehr, als Elefanten inzwischen eine echte Rarität in einer Circusmanege darstellen. Ich habe diese Nummer von Anfang bis Ende genossen. Sie stellt vollkommen zurecht den Schlusspunkt der ersten Hälfte dar. In der folgenden Pause haben die Zuschauer Gelegenheit, sich mit den Elefanten fotografieren zu lassen. Mit Zaubereien mit Hasen geht es in den zweiten Teil. Mr. Chap geht hierbei frisch ans Werk. Zwei Herren in weißen Hemden, Amedeo Folco und Jongleur Ludwig, umgarnen Alexandra Rizaeva. Doch letztendlich hat keiner der potentiellen Liebhaber Erfolg, die Artistin entschwindet in die Höhe, um ihre Kür an der Luftspirale zu zeigen. Gelenkigkeit, Geschicklichkeit und ein wenig Wagemut bilden hier eine harmonische Melange. Mit einem freilaufenden Bären präsentiert Hynek Navratil gleich noch eine Seltenheit. In der kurzen Dressurfolge erleben wir das Rotieren von Reifen um den Hals und die Fahrt auf einem Tretroller.


Anastasiia Tolstova, Anastasiia Mudrak, Duo Warriors

Anastasiia Tolstova hat sich ebenfalls Reifen als Requisiten ausgesucht. Bei ihr sieht es ungleich filigraner aus, wenn sie die Ringe um die verschiedensten Körperteile kreisen lässt. Dies sogar im Handstand. Mit einer Vielzahl von Ringen beschließt sie ihre Hula-Hoop-Akrobatik. Auf Unterstützung aus dem Publikum darf Mr. Chap auch bei seiner witzigen Filmszene zählen. Darin duellieren sich zwei Ritter um ein Burgfräulein. Eine Tür, die immer wieder durchschritten werden muss, spielt eine nicht unwesentliche Rolle. Bei den Jonglagen von Ludwig fliegen die Bälle nicht vertikal, sondern horizontal. Immer mehr der großen fluoreszierenden orangenen Bälle, die an unsichtbaren Schnüren hängen, lässt er durch den abgedunkelten Raum wandern. So ergeben sich neuartige Effekte. Von einigen ihrer Künstlerkolleginnen wird Anastasiia Mudrak begleitet, bevor sie am Tanztrapez über der Manege arbeitet. Ausdrucksstark präsentiert sie ihre originelle Trickfolge, die Zuschauer folgen ihr gebannt. Mitfiebern ist bei der Schlussnummer angesagt. Darin strapazieren Nico und Stanley unsere Nerven. Als Duo Warriors laufen sie in atemberaubendem Tempo über das Todesrad. Das sowohl innen als auch außen. Der Lauf mit verbundenen Augen sowie das Seilspringen bilden die Höhepunkte. Schön gestaltet ist das Finale, in dem sich alle Mitwirkenden ausführlich verabschieden und den begeisterten Schlussapplaus entgegennehmen.

Ein Besuch beim Cirkus Humberto ist eine kleine Zeitreise. Es geht zurück in jene Epochen, als die Tiere noch einen gewichtigen Part in einem klassischen Circusprogramm hatten. Es ist eine wahre Freude, hier den „guten alten Circus“ zu erleben. Darin ändern auch die eingebauten modernen Elemente nichts. Sie machen natürlich insbesondere für jene Gäste Sinn, die das Unternehmen der Familie Navratil jedes Jahr besuchen. Ich habe sie einfach als kleine Zugabe mitgenommen. Danke für dieses ganz besondere Erlebnis!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch