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Zirkus Nemo - Tour 2024
www.zirkus-nemo.dk ; 115 Showfotos

Vejle, 22. Mai 2024: Zu Beginn gibt es gleich zwei Geburtstagstorten, am Ende bekommt der Jubilar auf einem goldenen Thron sitzend ein Ständchen dargebracht. Dazwischen ist quasi alles wie immer. In einer einzigartigen, kompakten Atmosphäre löst sich Artistik ab mit genialer Comedy. Verantwortlich dafür ist der Jubilar Soren Ostergaard. Natürlich feiert nicht er persönlich sein 25-jähriges Jubiläum, sondern sein Zirkus Nemo. Doch der „Circus für Erwachsene“ und sein Direktor sind untrennbar miteinander verbunden. Ohne Soren Ostergaard sind die Shows dieses ganz besonderen Circusunternehmens nicht denkbar.

Er hat den Unterhaltungsbetrieb gegründet und ist nach wie vor der wichtigste Bestandteil seiner Programme. Mit seinen unnachahmlichen Figuren und den immer wieder neuen Szenen ist er derjenige, den das Publikum sehen will, wegen dem es kommt. Doch er liebt den Circus und deswegen tourt er nicht durch die Konzerthallen Dänemarks, sondern mit seinem eigenen Unternehmen. Schwarz und rot sind dessen vorherrschende Farben, es gibt ein Vorzelt mit Restauration, ein Viermast-Chapiteau und der Fuhrpark ist teilweise nostalgisch, immer aber originell.


Szene aus dem Finale

Zwischen seinen eigenen Auftritten erleben wir artistische Darbietungen und teilweise welche mit Tieren. Ingo Stiebner war viele Saisons mit seinen Seelöwen hier zu sehen, die letzten Jahre gab es Ratten, 2024 immerhin zwei Gänse. In der Gesamtinszenierung sieht man immer wieder, wie sehr Ostergaard den (klassischen) Circus schätzt. Da werden Gags auf Eigenheiten des Genres eingebaut. Etwa auf die oftmals recht knapp geschnittenen Kostüme. Im aktuellen Programmheft findet sich eine fiktive Programmfolge, die beispielsweise „Fischers Elefanten-Revue“ vorsieht oder den „eleganten Schulreiter Octave Bernard de Pessemier“.


Zirkus Nemo in Vejle

Die diesjährige Saisonpremiere wäre fast ins Wasser gefallen. Der Platz in Haderslev war aufgrund starker Regenfälle nicht bespielbar. So wurden die ersten Vorstellungen in das rund 60 Kilometer entfernte Vejle verlegt. Drei Wochen später ist der Circus schon wieder hier. Nun zum ursprünglich geplanten Gastspiel. Wieder sind die Shows sehr gut besucht, wieder herrscht von Anfang an beste Stimmung. Das Publikum geht enorm mit.


Laura Kvist Poulsen, Duo Kvas

Zu Beginn ist die Rundbühne mit einem Vorhang verhüllt. Sterne, Sahnekringel und die Zahl 25 sind darauf zu finden. Nachdem er sich geöffnet hat, blicken wir auf Backwerk, das aus von den Mitwirkenden gehaltenen Elementen gebildet wird. So stellt sich das Ensemble bei seinen Gästen vor. Außerdem dabei ist eine rosa dekorierte Torte auf zwei Beinen. Das Gerüst für den Vorhang wird sodann auf geniale Weise genutzt. In flottem Tempo werden an einer dazwischen gespannten Schnur an den Hinterbeinen aufgehängte Schweine aus Stoff im Kreis gezogen. Vorgeführt wird diese „Tierdressur“ von Laura Kvist Poulsen in Lederhose und Karohemd. In der einen Hand hält sie eine Peitsche, in der anderen einen Maßkrug, den sie zu Beginn auf Ex leert. Zu diesem zünftigen Spaß spielt die Band den Ententanz. Es folgt das erste Solo von Soren Ostergaard als Ove Rudolf. Ganz in Rot eingekleidet feuert er seine ersten Wortkaskaden ab. Auch wenn man kein Dänisch versteht, zieht einen dieser Auftritt gleich in seinen Bann. Das heimische Publikum hängt förmlich an seinen Lippen und folgt ihm Satz für Satz. Die Reaktionen sind enorm. Es entsteht sofort eine ungeheuer intensive Atmosphäre. Keiner kann – und will – sich den in rasantem Tempo abgefeuerten Pointen entziehen. Das Duo Kvas macht den artistischen Auftakt. Vladimir Kostenko und Anton Savchenko sind nicht das erste Mal beim Zirkus Nemo. Wiederum begeistern sie mit ihrer Partner-Akrobatik. Hand-auf-Kopf, Hand-auf-Hand und Kopf-auf-Kopf beherrschen sie in den verschiedensten Varianten. Starke Tricks werden hier sympathisch präsentiert.


Kim Tim (Soren Ostergaard), Strahlemann & Söhne

Kim Tim ist der ergraute Zauberer mit Frack, markantem Gebiss und schlecht sitzendem Haarteil. Seine magischen Utensilien, in diesem Fall eine dänische Flagge und ein Maßband, lässt er gerne durch den Hosenschlitz „erscheinen“: Verkörpert wird er natürlich von Soren Ostergaard. Nachdem eine überdimensionale Jeans über die Bühne gelaufen ist, erleben wir den Direktor schon wieder. Diesmal führt er eine Dressur mit zwei Gänsen vor. Immerhin laufen die weißen Vögel auf sein Kommando über kleine Hürden. Die Bühne wird anschließend ordnungsgemäß durch eine Fachkraft im Outfit einer Mitarbeiterin der Spurensicherung gesäubert. Auch das natürlich ein Spaß, genauso wie der nächste kurze Sketch von Ostergaard. Diesmal als Bauchredner. Wobei die Verkleidung die Sache deutlich erleichtert. Puppe und Ventriloquist tragen Burka, der Mund ist also verhüllt. Aus Deutschland kommen zwei Businessmen in Anzug und Krawatte. Allerdings sind sie nicht auf Geschäftsabschlüsse aus, sondern verstehen sich bestens auf Passings mit Keulen. Unter die fliegenden Jonglierrequisiten mischen sich immer wieder Kleidungsstücke. Denn die beiden Akteure von Strahlemann & Söhne tauschen en passant die Outfits. In einem weiteren Auftritt mit einer weiteren Figur von Soren Ostergaard darf auch das Publikum mitmachen. Das Klatschen mit den verschiedenen Seiten des Gradins wird ausführlich zelebriert. Eine Sängerin intoniert auf einer Treppe im Zuschauerraum „For your eyes only“, während auf der Bühne Hector Yzquierdo seinen muskulösen Oberkörper entblößt und dann zusammengeklappt auf einer Pritsche liegend „blind“ ein Wort schreibt: „Pause“. Diese folgt nun, eine gute Gelegenheit, sich etwa ein frisch gezapftes Bier zu gönnen. Bei Nemo immer wieder ein Genuss.


Soren Ostergaard als Smadremanden und Bager Jorgen, Duo Solys

Ein interessanter Versuchsaufbau mit kleiner Kanone und Zielscheibe erwartet uns danach im Chapiteau. Verantwortlich dafür ist der Smadremanden Erik Bo Nielsen. Lange schmierige Haare, Tattoos und ein Netzhemd über der Wampe zeichnen diesen Charakter des Direktors aus. Zu den recht kruden Kommentaren gibt es gerne den ausgestreckten Mittelfinger. Tatiana Colaquy und Hector Yzquierdo bilden das Duo Solys und sind bei Nemo inzwischen so etwas wie Hausartisten. Sie spielen immer wieder in kleinen Szenen mit und sind zumeist auch mit Akrobatik im Programm. 2024 mit einer neuen Darbietung am Mast. An dessen oberem Ende befindet sich eine kleine Plattform mit zwei Handstäben darauf. Darauf zeigt Hector verschiedene Handstände. Dazu gibt es kraftvolle Haltefiguren am Pole, die die beiden charmant und mit einem Schuss Erotik servieren. Nicht fehlen in den Nemo-Programmen darf Bager Jorgen, mithin also der Bäcker. An einer Theke schildert er seinen Blick auf der Welt. Zum Ende gibt es das bekannte „Ballett“ zweier Gebäckstücke mit ordentlich Krümeln. Es folgen ein Kurzbesuch vom Weihnachtsmann sowie ein Strip unter einer Burka und schon steht Soren Ostergaard wieder im Scheinwerferlicht. Als Clown mit roter Nase begibt er sich in die poetisch-pantomimische Stilrichtung des Genres. Natürlich nicht ohne hier herrlich komische Pointen zu setzen. Wunderbar ist das Öffnen einer imaginären Tür. Als diese vermeintliche quietscht, soll Öl aus einem Kännchen Abhilfe schaffen. Dies bleibt ohne Ergebnis. Erfolgreich hingegen ist das Ölen des Clowns selbst, welcher offenbar eingerostet war.


Laura Kvist Paulsen, Isabela & Ernesto, Soren Ostergaard

Weiter geht es mit der Freiheit dressierter Kugelgrills, die wie von Geisterhand gesteuert ihre Bahnen über die Bühne ziehen. Vorgeführt werden sie von Laura Kvist Poulsen mit Peitsche und Longdrink-Glas in den Händen. Über dem schicken Kleid trägt die adrett zurechtgemachte Dame eine Schürze. Offenbar steht die Herrin des Hauses bei der Gartenparty selbst am Grill und zwitschert sich ordentlich einen. Dazu gibt es die entsprechenden Kommentare. Beim Auftritt von Soren Ostergaard als Malermanden, der immer etwas zu vermessen hat, assistiert Laura schon wieder in zivil. Der mittels Stützen zum Boden gehaltene Fangstuhl von Isabela & Ernesto wirkt im Nemo-Chapiteau sehr eindrucksvoll. Genauso wie die Flugpassagen von Isabela, zu denen sie ihr Partner kraftvoll in die Luft wirft und kurz darauf sicher wieder auffängt. Das Duo aus Venezuela füllt den Raum unter der Kuppel perfekt aus, das Publikum erlebt die Sprünge fast hautnah. Den letzten Salto zeigt Isabela sogar mit verbundenen Augen. Die einzelnen Tricks sind dabei in eine schöne Choreografie eingebunden. Es folgt das Finale, welches in mehreren Stufen zelebriert wird. Zunächst kommt Soren Ostergaard mit einer großen roten 25 herein, auf der sich Kerzen befinden. Dann darf er Platz nehmen und dem Ständchen der Sängerin lauschen. Alle Mitwirkenden kommen herein und halten sich dabei Masken mit dem Konterfei des Direktors vor das Gesicht. Es folgt eine ausführliche Verabschiedung des gesamten Ensembles. Auch die wunderbare Band unter der Leitung von Frans Bak und die Techniker, die das stimmungsvolle Licht kreieren, werden dabei einbezogen. Das Publikum spendet minutenlang Standing Ovations.

Auf den ersten Blick mag der Zirkus Nemo recht fern von dem sein, was gemeinhin als „klassischer Circus“ bezeichnet wird. Doch letztendlich wird genau der hier auf seine ganz eigene Weise gefeiert. Liebevoll karikiert, mit einem Auge für die Details und mit viel Kenntnis der Szene. Und natürlich mit einer einzigartigen Kreativität. Soren Ostergaard liebt den Circus. In den Programmen seines Zirkus Nemo steckt ganz viel Herzblut. Ohne diese Hingabe, diese Leidenschaft wäre dieses 25-jährige Jubiläum nicht möglich. Zudem gestaltete sich dieses Vierteljahrhundert äußerst erfolgreich. Wer hier einmal eine Show erlebt hat, weiß warum. Herzlichen Glückwunsch und mein Respekt für diese Leistung!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch