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Zirkus Charles Knie - Tour 2024
www.zirkus-charles-knie.de ; 205 Showfotos

Northeim, 22. März 2024: Was vor nicht ganz zwei Jahren aus eher pragmatischen Gründen begonnen hat, hat sich ganz offensichtlich als Glücksgriff herausgestellt. Als 2022 ein sinnvoller Tourneebetrieb aufgrund des Wegfalls einschneidender Corona-Auflagen wieder möglich war, waren die hauseigenen Tiere bereits im Einbecker Circusland zu erleben. Verfügbar war indes die im Vorjahr dort gezeigte Wassershow der Familie Urunov. Also machte man kurzerhand diese zum zentralen Element der reisenden Produktion. Die aufwendig in Szene gesetzte Show beinhaltete zudem Artistik, Illusionen, Clownerie und Dressurnummern.

Die Saisons 2022 und 2023 waren äußerst erfolgreich. Was liegt also näher, als das bewährte Konzept im Kern beizubehalten und auf dieser Basis ein neues Programm zu entwickeln? Genau das haben die Verantwortlichen des Zirkus Charles Knie getan. Es wurden – neben einigen Prolongationen - neue Artisten, ein neuer Clown und ein neues Ballett engagiert.


Szene aus dem Finale mit Liudmila Vrinceanu

Zudem wurden viele neue Kostüme bestellt. Dies bei der Schneiderin, die unter anderem die fantastischen Roben für die Inszenierungen von Gia Eradze fertigt. Aus diesen Zutaten sowie Licht und Musik hat Marek Jama wiederum eine grandiose, innovative Show geschaffen. Schon bei der Premiere in Northeim läuft diese rund ab, hat genau die richtige Länge und keine Längen. In den vorangegangenen Tagen und Wochen wurde intensiv geprobt. Das Publikum im ausverkauften Chapiteau feiert das Programm frenetisch mit Standing Ovations.


Veronika Ernesto, Sergio Paolo, Laura Urunova

Das Opening gibt der Formation Argendance die Gelegenheit, sich dem Publikum vorzustellen. In Summe besteht die Truppe aus jeweils vier Damen und Herren. Im Eröffnungsbild tanzen sie in fluoreszierenden Kostümen. Auf dem Orchesterpodium ist Sängerin Liudmila Vrinceanu dabei. In den letzten beiden Jahren gehörte sie zu den Magic Girls von Magier Jidinis. Jetzt peppt die attraktive Blondine in immer wieder neuen Outfits die Show mit ihren Songs auf. Auf der Bühne spitzen schon die ersten kleinen Fontänen, doch im Zentrum findet sich eine Nixe in ihrem halbrunden, durchsichtigen Bassin. In die Rolle der Meerjungfrau schlüpft die vielseitige Veronika Ernesto. Bald legt sie ihre Schwanzflosse ab und zeigt Artistik am Luftring. Immer wieder taucht sie dabei in die Waterbowl, schwimmt ein paar Runden und lässt sich wieder Richtung Kuppel ziehen. So ergeben sich fantastische Effekte mit tausenden von Tropfen. Während des folgenden Umbaus ziehen Figuranten mit prächtigen Fischen auf dem Kopf durch den Zuschauerraum. Andere sind als Tintenfisch verkleidet. Auf der Bühne fahren zauberhafte Seepferdchen auf Rollern ihre Runden. Dann gehört das Scheinwerferlicht Sergio Paolo. Der Bouncing-Jongleur hat das Temperament seiner chilenischen Heimat mitgebracht und dreht bei rasanten Touren richtig auf. Lebensfreude pur wird versprüht, wenn er seine weißen Bälle immer wieder Richtung Boden schickt. Als Requisit dient ihm eine Plattform mit Treppe. Letztere läuft er locker herunter, während er dabei jongliert. Auch einen Basketballkorb baut er in seine Darbietung ein. Schlusstrick ist ein Salto während der Jonglage mit fünf Bällen. Bunte Projektionen auf dem Boden sowie eine rassige südamerikanische Choreographie mit Argendance und Liudmila Vrinceanu leiten über zur Papageiendressur von Laura Urunova. Diese kennen wir bereits aus dem letzten Programm, doch ist es immer wieder schön, den prächtigen Vögeln bei ihren Kunststücken zuzuschauen. Unter der Anleitung ihrer charmanten Trainerin tanzen sie, nehmen in Liegestühlen Platz oder überbringen eine Rose, um nur einen Ausschnitt aus dem Repertoire zu nennen. Fantastisch sind die abschließenden Flüge über den Köpfen der Zuschauer.


Michael Cadima, Duo Stauberti, Lorenzo Bernardi

Dann hat Michael Cadima seinen ersten Auftritt. Der Clown folgt auf Cesar Dias, der mehrere Saisons beim Zirkus Charles Knie absolviert hat und zu einem Publikumsliebling avanciert ist. Und an seinen portugiesischen Landsmann erinnerte mich Cadima sehr stark, als ich ihn im vergangenen Reutlinger Weihnachtscircus zum ersten Mal sah. Mimik, Gestik, das Erzeugen von Geräuschen mit dem Mund, alles sorgte für ein déjà-vu. Doch die Sorgen einer Dopplung erweist sich als unbegründet. Die hier gezeigten Nummern sind geschickt ausgewählt. Auch hat Cadima sein Spiel leicht angepasst. So kommt er jugendlich, witzig, sympathisch und eben weitgehend eigenständig rüber. In seiner ersten Geschichte geht er mit einem imaginären Hund spazieren und spielt auf einem Schlagzeug, welches ebenfalls unsichtbar ist. Hoch hinaus geht es mit dem Duo Stauberti. Percheakrobatik ist bekanntlich das Metier von Dimitri und seiner Nichte Nancy. Diesem gewinnen sie viele spannende Varianten ab. Denn während der Untermann seine Partnerin am Ende einer langen Stange auf der Stirn balanciert, erklimmt er etwa ein Stufengestell oder fährt Einrad. Nancy wiederum drückt oben einen einarmigen Handstand oder zeigt im Kopfstand Antipodenspiele. Es folgt eine Modenschau mit Argendance in exquisiten Kreationen. Dazu bringen die Akteure beleuchtete Würfel mit auf die Bühne. Hintereinander aufgestellt bilden sie den Catwalk für den nächsten Artisten. Lorenzo Bernardi kam im Laufe der Saison 2022 zum Zirkus Charles Knie. Der Kontorsionist faltet seinen Körper gleich zu Beginn so zusammen, dass er ihn mühelos in einer vermeintlich viel zu kleinen Box unterbringt. Dann verbiegt er sich auf ungewöhnliche Weise und verbindet dies mit Handstandakrobatik. Beim sympathischen Italiener wirkt das alles sehr ästhetisch. Zum Abschluss zerschießt er einen Ballon mit Pfeil und Bogen. Die Auslösung erfolgt mit den Füßen, während er sich im Zahnstand im Gleichgewicht hält.


Julia & Kevin, Wasserspiele, Argendance

Was man Witziges mit einem Spazierstock anstellen kann, demonstriert sodann Michael Cadima. Zu einem Traum in rot wird die Akrobatik an Tüchern von Julia Friedrich und Kevin Gruss. Der Sohn von Gilbert Gruss, dem Direktor des französischen Cirque Arlette Gruss, und seine Partnerin verzaubern in dieser Saison das hiesige Publikum. Zur starken Trickfolge kommt ein leidenschaftliches Spiel der beiden miteinander. Mehrmals wagen sie in luftiger Höhe Flüge, Abroller, vor allen Dingen aber Haltefiguren, die ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen erfordern. Dazu tanzen die Fontänen, das Licht schafft wunderschöne Stimmungen und als musikalische Begleitung gibt es „Je t'aime“ von Lara Fabian. Hier dargeboten von Liudmila Vrinceanu im aufregenden roten Kleid mit zugehörigem Kopfschmuck. Ihre gesamte modische Kreation erinnert an eine Koralle. Vor der Pause dann ein Spektakel aus Wasser, Licht, Lasern und Musik. Ruslan Urunov lässt die von ihm gebaute Wasserbühne zu Hochform auflaufen. In immer wieder neuen Formationen schießen die Fontänen nach oben. Es ergeben sich eindrucksvolle Bilder, die für Gesprächsstoff sorgen. Angekündigt wird die Unterbrechung von der Stimme aus dem Off, die uns mit originellen, auf die Wasserproduktion abgestimmten Texten durch den Nachmittag begleitet. Im Vorzelt gibt es eine reichhaltige Restauration, die keine Wünsche offen lässt. Wer ein entsprechendes Bedürfnis hat, kann den mit Beginn der Saison in Betrieb genommenen, nagelneuen Toilettenwagen aufsuchen. Zum Start des zweiten Teils dürfen sich die Akteure von Argendance dann mit ihrer eigentlichen Kunst präsentieren. Mit Trommeln und Bolaspielen legt das Oktett einen eindrucksvollen Auftritt hin, für mich den prägnantesten der Show. Jedes Mitglied der Truppe ist eine Persönlichkeit, die das Temperament ihrer südamerikanischen Heimat authentisch repräsentiert. In immer wieder neuen, präzisen Formationen tanzen sie über den auf der Bühne ausgelegten Holzboden. Da sitzt jede Bewegung, jedes Minenspiel. Beim treibenden Spiel auf den Trommeln ebenso wie beim rasanten Rotieren der Bolas. Sie geben immer vollen Einsatz und erreichen damit ohne Umwege jeden Zuschauer im Chapiteau. Vermutlich gab es seit den Laribles beim Circus Krone in den 1980er-Jahren keine so große Truppe dieses Genres in einem hiesigen Tourneeprogramm.


Devin de Bianchi, Laura Urunova, Skating Ernestos

Michael Cadima holt einen Herrn aus dem Publikum auf die Bühne und fordert ihn zum Basketball-Duell. Bevor jedoch Körbe geworfen werden, ist erstmal Aufwärmen angesagt. Der Gast muss die Übungen nachmachen, die der Comedian vorgibt. Schon das sorgt für ordentlich Spaß. Wenn dann die richtige Musik aus dem Gettoblaster kommt, fliegen die (imaginären) Bälle durch die Luft. Nach einem Jahr Pause ist Devin de Bianchi mit seiner Equilibristik zum Zirkus Charles Knie zurückgekehrt. Wieder arbeitet er auf einer antiken Säule, nun aber im Aufzug eines Meeresgotts. Während er seine starken Handstandvariationen zelebriert, tanzen um ihn herum die Fontänen. Ein weiteres wunderschönes Bild dieser Wasserproduktion. Von Anbeginn dabei war Laura Urunova, die ihre Hundedressur jetzt im flotten Rock'n'Roll-Stil gestaltet. Vierbeiner verschiedener Rassen brennen nur darauf, ihr Erlerntes vorzuführen. Mit großer Freude drehen sie sich auf den Hinterneinen um die eigene Achse, springen über Hürden und durch Reifen. Die Polonaise mit allen Hunden darf jetzt ein Mädchen aus dem Publikum anführen. Liudmila Vrinceanu und das Ballett präsentieren sich in prachtvollen Barock-Kostümen. Ein höfischer Tanz und die passende Musik leiten über zur Rollschuhartistik der Skating Ernestos. Auf einer runden Plattform in der Bühnenmitte wagen Veronika und Paolo rasante Fahrten, während um sie herum Springbrunnen plätschern. Wir erleben durchaus riskante Kunststücke auf kleinen Rollen, die hier so einfach aussehen und zudem noch äußerst charmant dargeboten werden. Den Abschluss bildet der Genickhangwirbel.


Michael Cadima, Truppe Robles

Den Song „I'm still standing“ kennen wir von Elton John. Nun erleben wir die Variante von Michael Cadima, bei welcher der Titel durchaus wörtlich zu nehmen ist. Denn während seiner Performance gibt es etliche Pannen, die natürlich exakt gespielt sind. Es ist wirklich ein herrlicher Spaß, der einem die Lachtränen kullern lässt. Anleihen an die Mayway-Nummer von Cesar Dias sind sowohl in der Grundidee als auch bei einzelnen Gags – etwa dem Herunterrutsche der Hose – zu sehen, dennoch gelingt Michael Cadima eine recht persönliche Interpretation. Für den großen Nervenkitzel vor dem Finale sorgen einmal mehr die Robles. Für mich die derzeit beste Hochseiltruppe mit der Sieben-Personen-Pyramide im Repertoire, welche sicher gelaufen wird. Zuvor begeistern uns die Artisten etwa mit einer Dreier-Pyramide auf Fahrrädern oder dem Überspringen von auf dem Seil sitzenden Partnern. Dabei beweisen die Akteure, dass sie südamerikanisches Blut in den Adern haben, es geht temperamentvoll zu. Disko-Glitzer beherrscht die fulminanten Abschiedsszenen. Während die Fontänen tanzen, fährt ein Podium im Zentrum der Bühne in die Höhe. Darauf eine Glitter-Muschel, der Liudmila Vrinceanu entsteigt, um „Rhythm is a Dancer“ zum Besten zu geben. Die 90er-Jahre Disco-Hymne bildet den musikalischen Rahmen. In Glitzerkostümen und mit Diskokugeln in der Hand kommen die Mitglieder von Argendance hinzu. Die Artisten fluten den Gang zwischen Logen und den weiteren Sitzreihen, um sich dort für den nicht enden wollenden Applaus zu bedanken. An dieser Stelle nochmals ein großes Lob an Licht- und Tonregie, die einen gewohnt grandiosen Job machen.

Man kann das Team um Direktor Sascha Melnjak und Regisseur Marek Jama zu dieser Show nur beglückwünschen. Sie ist innovativ, mitreißend, originell, unterhaltsam und hochwertig, um nur einige Attribute zu nennen. Und das in einer Zeit, die nicht gerade reich an sehenswerten Tourneeprogrammen ist. Schätzen wir uns also glücklich, dass wir den Zirkus Charles Knie bei uns haben. Er schenkt seinen Zuschauern unvergleichliche Stunden. Chapeau!

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Text und Fotos: Stefan Gierischl