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Cirque Arlette Gruss - Tour 2024/25
www.cirque-gruss.com ; 233 Showfotos

Colmar, 4. Mai 2025: Sein 40-jähriges Bestehen feiert der Cirque Arlette Gruss in der Saison 2024/25. Seit zwei Jahrzehnten gehört der Besuch des Unternehmens fest zu unserem zirzensischen Jahresprogramm. Nicht nur, weil die Gastspiele im grenznahen Elsass – in Strasbourg, Colmar und Mulhouse – aus Deutschland bestens erreichbar sind. Sondern vor allem deshalb, weil Arlette Gruss zur absoluten Spitzengruppe der reisenden Circus-Unternehmen in Europa zählt. Dies gilt für die Hard- und die Software gleichermaßen, also für das exquisite Material ebenso wie für die aufwendig gestalteten, auch starken Programme.

Das Messegelände von Colmar ist eine der letzten Stationen dieser Jubiläumstournee. Hier ist das schneeweiße Chapiteau aufgeschlagen, das in genialer Weise den Zuschauerraum, die Restauration und den Backstagebereich unter einer lang gestreckten Konstruktion von den Ausmaßen eines Achtmasters vereint. Manege und Tribüne jedoch liegen unter außen liegenden Stahlgittermasten, so dass beste Sicht von allen Plätzen garantiert ist. Dies gilt erst recht dank des kompakten Innenraums mit seinen ansteigenden Sitzreihen bereits in den Parkettlogen und edel beleuchteten, umlaufenden Balkonlogen. Man sitzt auf komfortablen Klappsitzen der neuesten Generation. Alles ist vom Feinsten, und das gilt natürlich auch für Licht und Ton. Das große Orchester begleitet das Geschehen.


Bild von Madame Arlette Gruss im Prolog, Opening

Im Prolog gehen wir dank eines Videos, das auf einer Leinwand im Artisteneingang gezeigt wird, auf eine bilderstarke Reise durch die 40 Jahre währende Geschichte des Unternehmens. Natürlich sehen wir auch Madame Arlette Gruss, die 2006 im Alter von 75 Jahren verstorbene Namensgeberin und Gründerin des Unternehmens. Heute wird es von ihrem Sohn Gilbert geführt, dies gemeinsam mit Ehefrau Linda Biasini Gruss und der älteren Tochter Laura Maria. Die beiden jüngeren Kinder, Sohn Eros und Tochter Alexis, sind bereits hervorragende Artisten und wichtige Stützen des Programms. Gilberts ältester Sohn Kevin und dessen Ehefrau Julia dagegen sind seit 2024 mit dem Zirkus Charles Knie in Deutschland unterwegs. In der Manege sehen wir nun, wie ein junger Mann sich in einem Bett schlafen legt und in einen Traum über die Geschichte des Cirque Arlette Gruss fällt. Es erscheinen ihm zahlreiche, farbenfroh gekleidete Fantasiefiguren – das Ensemble der Produktion, das uns in einem großen Opening mit Tanz und Gesang begrüßt. Die starke Stimme gehört der bildhübschen Eva Poirieux.


Karina Believa, Arthur Huard Vereano, Uliana Plotnikova

Das Eröffnungsbild geht direkt über in die erste Darbietung. Karina Believa dreht sich hier im Cyrrad, markanterweise nicht durch die gesamte Manege, sondern auf dem eng begrenzten Raum einer runden Holzplatte in deren Mitte. So sind quasi nur Figuren in aufrechter Position möglich, bei denen sie sich mal nur an zwei Händen, mal zusätzlich in einer Art Standspagat hält. Begleitet wird sie von intensivem Gesang. Der Mann im Schlafanzug hat diesen inzwischen gegen ein festliches rotes Livree getauscht und stellt sich als der neue Monsieur Loyal Arthur Huard Vereano heraus. Bereits seit einigen Jahren mit Arlette Gruss unterwegs, wurde ihm nun diese Aufgabe übertragen. Eine gute Wahl, denn er setzt nicht nur die Worte wohl, sondern sieht dazu auch blendend aus. Er führt uns zur nächsten Solistin, Uliana Plotnikova mit ihren anspruchsvollen Jonglagen. Sie hält größere Bälle in der Luft, erst drei, dann vier und dann für kurze Zeit auch fünf – dies, während sie in ihrem an eine Ballerina erinnernden Kleid auf einer großen Kugel balanciert, von mitreißenden Klängen begleitet. In poetischer Weise rollt ein kleiner Ball währenddessen ferngesteuert durch die Manege und kommt schließlich auf sie zu. Wie bereits in der Vorsaison sorgt der sympathische Francesco Fratellini für die amüsanten Momente der Show. Diesmal nicht mehr in Begleitung von Pieric. In seiner ersten Reprise hat er mit einem imaginären Bumerang zu kämpfen, von dem er getroffen wird.


Laura Maria und Linda Gruss

Die Kavallerie wird traditionell von Linda Biasini Gruss und Tochter Laura Maria vorgestellt. Ganz im Stil des Hauses leiten sechs Ballettdamen in eleganten roten Kleidern und mit passenden Hüten, letztere mit effektvoller LED-Beleuchtung, diesen Part der Vorstellung ein. Jede von ihnen dreht sich mit einem der Friesen, die zunächst von Laura Maria Gruss vorgestellt werden. Die sechs schwarzen Rösser formen sich zum Stern um die Vorführerin und steigen in der Gruppe. Nun übernimmt Linda Biasini Gruss, die Pferdegruppe wird mit drei Schimmeln zum Neunerzug erweitert, unter anderem im Gegenlauf. Dabei leuchten auch die Geschirre in der abgedunkelten Manege. Es folgen Steiger-Variationen – zunächst mit den drei Schimmeln, dann ein schwarz-weißes Quartett, schließlich ein einzelner Rundsteiger.


Eros und Alexis Gruss sowie Elea Broger, Clio Togni

Nachdem Francesco Fratellini einige Logengäste mit einem Staubwedel, Sprühflasche und Abzieher „gereinigt“ hat, geht es ganz ernsthaft am Trapez weiter. Eros Gruss, seine Schwester Alexis und seine Lebensgefährtin Elea Broger haben sich diese Darbietung gemeinsam erarbeitet, die von sphärischem Livegesang begleitet wird. Eros ist der Porteur, die beiden jungen Frauen wechseln sich als Voltigeusen ab. Darüber hinaus sind mehrere männliche Figuranten eingebunden, die am Boden dezent Hilfestellung geben. Verschiedene Haltefiguren, aber auch dynamische Hand- und Fußwechsel bin hin zum Salto, ausgeführt von Alexis Gruss, gehören zum Repertoire. Nochmal schmunzeln wir mit Francesco Fratellini, der nun mit einer Zuschauerin flirtet und ihr immer größere Kuscheltiere präsentiert. Akrobatische Nummern in und über einer wassergefüllten Plexiglas-Schale gibt es einige, aber Clio Togni wird man als eine der führenden Vertreterinnen ihres Faches bezeichnen dürfen. Sie präsentiert alternierend Equilibristik auf einem und auf zwei Handstäben – links bzw. rechts der Waterbowl – sowie Evolutionen am Luftring, an dem sie bis weit oben in die Circuskuppel gezogen wird. Wenn sie vom Ring ins Wasser springt, wenn sie durch das Becken taucht und beim Auftauchen sinnlich Wassertropfen sprühen lässt, ist für wunderbare Effekte gesorgt. Verstärkt werden diese von einem Oktett, gekleidet in Kostümen à la Karneval in Venedig, das mit Lampions in die Manege einzieht. Diese Objekte können nicht nur leuchten, sondern auch Fontänen Richtung Wasserkugel senden. Der Applaus für diesen Auftritt ist riesig.


Compania Havana, Virtuoso 5

Doch noch ist die Pause nicht erreicht. Vielmehr wird die Manege nochmals umgebaut und in dieser Zeit das große Orchester vorgestellt, begleitet von energiegeladenem Gesang. In einem Zwischenspiel mit einer großen Torte gehen Francesco Fratellini und Arthur Huard Vereano auf den „Geburtstag“ des Unternehmens ein. Nun ist alles vorbereitet für die doppelte Fangstuhlnummer der fünfköpfigen „Compania Havana“. Zwischen den zwei Fängern und über einem Trampolin wagen die Fliegerin und die beiden Flieger abwechslungsreiche Sprünge und Salti bis zur Passage. Eine Tänzerin im roten Flamencokleid gibt dem Auftritt spanisches Flair. In der Pause wird ein weiteres großes Requisit errichtet, das dem doppelten Fangstuhl gar nicht unähnlich sieht. Es besteht aus zwei festen Leitern links und rechts und einer Schaukel dazwischen. Mit diesen lässt sich von der einen Leiter zur anderen schwingen, aber natürlich auf besondere Weise. So steht die Oberfrau dabei auf nur einem Bein oder im Handstand auf dem Kopf des Untermannes. Auch im Drei-Personen-Hoch sowie am oberen Ende einer Stirnperche gelingt dieses Kunststück. Jeweils zwei Partnerinnen oder Partner fungieren bei den einzelnen Tricks als „lebende Gewichte“ unterhalb der schwingenden Plattform. Dargeboten wird dies alles von der Formation „Virtuoso 5“ von Vladimir Plotnikov. Die Artistinnen mit Jonglage auf der Kugel und im Cyrrad vom Beginn des Programms gehören diesem Quintett an.


Sarah Florees, Alexis und Eris Gruss, Duo Lyd

Mit einer Variante des „verbotenen Musizierens“ – hier mit einem Radio, das letztendlich in der Mülltonne landet – leiten Francesco Fratellini und Arthur Huard Vereano als seriöser Part zur Luftnetznummer von Sarah Florees über. Die Ehefrau von Francesco Fratellini zeigt am und im Netz verschiedene kraftvolle Figuren, Überschläge und einen gewagten Abwickler. Für einen der großen Höhepunkte des Programms sorgen Alexis und Eros Gruss mit einer Neuauflage ihrer ikarischen Spiele. Die Choreographie ist zu Michael-Jackson-Songs gestaltet, die Geschwister erscheinen zunächst tanzend in Kostümen in „Black or White“. Dann geht es schnell richtig zur Sache, wenn Eros seine Schwester mit den Füßen durch die Luft wirbelt, sie stehend auf seinem ausgestreckten, linken Fuß landet, einen rasanten Doppelsalto schlägt oder mit einer Serie von 17 federleichten Rückwärts-Überschlägen begeistert. Dank ihrer jugendlich-sympathischen Art fliegen den beiden die Herzen ohnehin zu. Nun folgen wieder ruhigere Momente. Darien Fraga Leyva und seine Partnerin Liss Mery Delgado Sanchez, besser bekannt als Duo Lyd, sind seit einigen Jahren Hausartisten bei Arlette Gruss, präsentieren immer wieder neue Disziplinen. Nun haben sie sich für eine Nummer am Mast entschieden. Dieser ist wie ein Garderobenständer gestaltet, der zunächst am Boden steht, dann zum Flying Pole wird. Nach einer Ansage über die Bedeutung der Liebe zelebrieren sie an diesem Requisit ihre Lovestory – er in schwarzer Hose und Netzhemd, sie in einem aufregenden roten Spitzenkleid. „I’ll never love again“ interpretiert Sängerin Eva Poirieux dazu. Kräftezehrende Figuren werden geboten, unter anderem wenn Darien sich mit einer Hand und den Beinen am Requisit hält, während er mit der anderen Hand kurze Strapaten hält, an deren Ende sich Liss in einem Wirbel dreht.


Francesco Fratellini, Pierre Marchand, Pinillos Globe of Speed

In seiner nächsten Reprise kümmert sich Francesco Fratellini um ein „Baby“ in einem Kinderwagen, das unterhalten, beruhigt und mit der Flasche gefüttert werden muss. Als „Lohn der Mühe“ wird er von einem „Bäuerchen“ frontal getroffen. Nach drei Saisons zum Cirque Arlette Gruss zurückgekehrt ist Diabolo-Artist Pierre Marchand. Wie gewohnt steht bei ihm mehr der äußerst offensive Verkauf als ein besonders raffiniertes Repertoire im Mittelpunkt seines Tuns. Zudem hat er an Tag mit der Schwerkraft zu kämpfen – mit Gesten macht er dafür die Lichtregie verantwortlich. Nun denn. Neu für uns ist, wie er sich mit LED-beleuchteten Diabolos effektvoll unter die abgedunkelte Kuppel ziehen lässt und mit stiebenden Funken überrascht. Wie es eines Jubiläumsprogramm würdig ist, trumpft der Cirque Arlette Gruss am Ende noch mit einer ganz großen Attraktion auf, der Motorradkugel der Truppe von José Pinillio – seit Jahren die führenden Vertreter dieses Fachs. Erst drei, dann fünf Fahrer kreisen durch das Stahlgitterkonstrukt. Dann die Sensation: Erstmals wird ein „Splitting Globe“, eine sich öffnende Kugel, präsentiert, während darin zehn Biker rotieren. Vier von ihnen in der unteren, sechs in der oberen Hälfte. Mit einem Hauch „Mentalmagie“ leiten Francesco Fratellini und Arthur Huard Verenao zum Finale über, welches vom Ensemble in einheitlichen, weiß-braunen Kostümen ausführlich zelebriert wird. Standing Ovations sind der Lohn. In einem stimmungsvollen Epilog spielt Francesco Fratellini auf einem Hubpodium seine Ziehharmonika, umringt von dem auf der Piste sitzenden Ensemble.

Die Produktion zum 40-jährigen Bestehen dieses Vorzeigecircus steigert sich über die beiden Programmhälften hinweg in dramaturgisch sinnvoller Weise bis zum abschließenden Höhepunkt. Die Show ist aufwendig in Szene gesetzt, mit brillantem Licht, wunderbarer Musik und ebensolchem Gesang, mit Ballett und Figuranten, aber dennoch nicht überchoreographiert. Insgesamt bleibt es bewundernswert, mit welch großem Aufwand bei Show und Technik auf Tournee gegangen wird, Jahr für Jahr mit einem vollständig neuen Programm. Und so wird der Besuch bei Arlette Gruss hoffentlich noch viele Saisons eine schöne Tradition für uns bleiben.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll