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9. Internationales Circus-Festival Budapest 2012
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Budapest, 2. - 6. Februar 2012: Seit 1996 reiht sich Budapest in den Reigen der circensischen Festival-Städte ein. Nur alle zwei Jahre wetteifern die teilnehmenden Artisten im fast schon intimen Rahmen des festen Circus-Gebäudes der ungarischen Hauptstadt um die Preise und ziehen – heuer zum neunten Mal – zahlreiches Fachpublikum und interessierte Fans an. Längst gehört das Festival zu den renommiertesten der Branche, ermöglicht es doch auch immer einen Blick auf bis dahin eher unbekannte Darbietungen. Etabliert hat es der langjährige Direktor Istvan Kristof, zusammen mit seinem Sohn Kristian.

Beide wurden heuer – aller politischen Machtspielchen zum Trotz – noch einmal gebührend gefeiert: durch Beifall im Stehen seitens des Publikums und der Akteure sowie dekoriert mit zahlreichen Sonderpreisen der prominent besetzten Jury.


Istvan und Kristian Kristof, Truppe Rokashkov, Chilly & Fly (beide Gold)

Aber auch die Artisten wurden mit stehenden Ovationen bedacht. Für Begeisterung sorgte vor allem die traumhafte Kür des Duos „Chilly & Fly“ am stehenden Fangstuhl. Die beiden Kanadier Émilie Fournier und Alexandre Lane wurden dann auch vollkommen zu Recht mit Gold prämiert, glänzten sie doch mit Leistung in den Flugsequenzen (u.a. doppelter Salto mit Pirouette, Blindflug), interessanten Aufgängen und einer eher schlichten, dafür umso wirkungsvolleren Inszenierung zu Tom Waits „Russian Dance“. Wesentlich aufwendiger inszeniert ist dagegen die ebenfalls mit Gold ausgezeichnete Darbietung der Rokashkovs am Reck. Mit der bekannten Buhlerei der Herren um die Frau, aber in neuer Besetzung  überzeugten die vier russischen Künstler auch in Budapest Jury und Publikum gleichermaßen.


Eliza Khachtryan (Bronze), Johann Wellton, Darkan (beide Silber)

Als wahrer Entertainer und Publikumsliebling erwies sich Johann Wellton. Technisch gesehen gibt es mit Sicherheit bessere Bouncing-Jongleure als den Schweden, doch sein Verkauf ist ein wahrer Genuss. Mit lustigen Einfällen und seiner verschrobenen Art sicherte er sich in die Herzen der Zuschauer und Silber in der Jury-Wertung. Er stammt ebenso aus der Schmiede von Alexander Grimailo wie der Kasache Darkan. Seine leistungsstarke, durch riskante Abfaller gekennzeichnete Arbeit an den Strapaten wurde ebenfalls mit Silber dekoriert. Bronze wurde in diesem Jahr dreimal vergeben. Eliza Khachtryan aus Armenien überquerte das Hochseil als Ballerina nur auf Spitze um es abschließend als Schlappseil in Schwung zu bringen. Der Belgier Sebastian Nicaise jonglierte zwar nur mit einem Diabolo, hatte aber aufgrund seiner mitreißenden Musikbegleitung (klassische ungarische Folklore) schon gewonnen. Schließlich wurde Alexandre Lane auch für seine ästhetische Solo-Nummer am Cyr-Rad ausgezeichnet.


Andrey und Nataly Shirokaloff

Unverständlich bleibt hingegen die Entscheidung, der spektakulären Raubtierdarbietung von Andrey und Nataly Shirokaloff keinen der Hauptpreise zuzusprechen. Die beiden Russen präsentieren vier Leoparden und fünf Tiger auf einer erhöhten Plattform in der Manege. Verschieden hohe Postamente ermöglichen diverse Sprünge der Tiere, die Leoparden schaukeln an Filzröhren durch den Zentralkäfig oder werden in die Höhe gezogen. Daneben enthält die Nummer auch klassische Elemente wie Balkenlauf, Tigerbar, Hochsitzen oder das Überspringen der Vorführer. Auch dem Schweizer Komiker-Trio Starbugs hätte man einen der Hauptpreise gegönnt. Mit ihren skurrilen Tanzeinlagen hatten sie das Publikum in ihrer Auswahlvorstellung schnell auf ihrer Seite, die Jury anscheinend weniger. Wenig begeistern konnte hingegen der zweite Komiker Kirk Marsh aus den USA. In seinem Aussehen erinnerte er stark an Rob Torres, seine Einfälle (eine Geschichte um das Essen einer Banane) waren allerdings wenig lustig. Origineller war da schon Marshs Landsmann AJ Silver. Als echter Cowboy und mit einem Schuss Humor zeigte er seine Show mit unterschiedlich großen Lassos und kam damit bestens an.


Rolling Wheels, La Vision, Leonid Beljakov

Gleich vier Darbietungen stammten aus Ungarn selber. Den stärksten Eindruck hinterließ dabei die Formation Rolling Wheels. Das Trio (zwei Frauen, ein Mann) nutzten das Rhönrad nämlich zugleich als Absprungschanze für Sprünge und Pyramiden. Ebenfalls überzeugen konnte die klassische Adagio-Nummer des Duo La Vision. Das Almost Trio jonglierte neben Keulen auch mit großen Gymnastikbällen und Sebastian & Kristina Richter waren in einer Quick Change-Illusion mit einigen Tanz-Elementen zu sehen. Stark vertreten waren freilich auch die russischen Vertreter. Anastasia Makeeva bot eine starke Leistung an zum Schwungseil umfunktionierten Tüchern, die Meleshin Brothers boten Rola-Rola auch im Zwei-Mann-Hoch, Natalia & Yuriy Volkov mischten Komik und Partnerakrobatik und Timur Kaibjanov benutzte neben seinen Händen auch die Füße zur Jonglage mit Bällen. Auch Leonid Beljakov stammt gebürtig aus Russland, lebt jetzt in Deutschland und komplettierte mit seinen Hunden bereits den tierischen Part des Festivals.

 
Circolombia, Truppe Habana, Duo Winter

Große Truppen gab es heuer zwei. Die kubanische Gruppe Habana zeigte eine hochwertige und einwandfrei gestandene Darbietung auf dem Russischen Barren mit der typischen Lebensfreude. Das kolumbianische Ensemble Circolombia bot in moderner Hip-Hop-Aufmachung auf dem Schleuderbrett einerseits extrem hohe Sprünge, hatte aber auch ein Drei-Mann-Hoch und den Flug auf einen Sessel im Repertoire. Ebenfalls mehrere Personen, nämlich vier, bringt die Sterza Family aus Italien bei ihrem klassischen Musikentree mit einigen amüsanten Einfällen in die Manege. Amüsant, das gilt auch für die komischen Hula Hoop-Spiele der Kanadierin Becky Hoops. Vervollständigt wurden die Programme durch das finnische Adagio-Duo Winter, mit der Jonglage zu Tangoklängen der Niederländer Emily & Menno van Dyke, durch Paul Herzfeld aus Frankeich mit einer starken Arbeit am chinesischen Mast und den bekannten Sorellas mit ihrer riskanten Trapez-Nummer.

 
Hush-ma-Hush

Für die Gala-Vorstellungen werden in Budapest zudem weitere Darbietungen verpflichtet. In diesem Jahr sorgte Clown Hush-ma-Hush für gute Laune, David Larible Junior jonglierte mit Keulen, Ringen und Hüten und Nathalie Enterline tanzte zu „My Way“ zum Abschied von Istvan Kristof. Ergänzt wurden die Auswahlvorstellungen, die allesamt von Gábor Gábriel Farkas moderiert worden sind, zudem durch ein rund 90-minütiges Programm auf bereits hohem Niveau der örtlichen Circus-Schule, die auch die traditionell gestalteten Openings zu diesem gelungenen Festival besteuerte.

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Text: Benedikt Ricken; Fotos: Sven Rindfleisch