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11. Internationales Circus-Festival Budapest 2016
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Budapest, 7. bis 11. Januar 2016: Artistische Höchstleistungen bestimmten das Bild des diesjährigen Internationalen Circusfestivals von Budapest. Rund 30 Darbietungen gingen im Circusgebäude der ungarischen Hauptstadt an den Start, um einen der begehrten Preise – die Pierrots – zu erhalten. Abwechslung zwischen den Auftritten der Artisten und Clowns bot die Pferdedressur der Familie Urunov. Außer Konkurrenz angetreten, war dies die einzige Tierdarbietung bei dieser elften Auflage der Veranstaltung. Das Circusfestival war diesmal mit besonderer Spannung erwartet worden.

Es stand ganz im Zeichen einer richtungsweisenden Veränderung der Circusszene in Ungarn. Wieder einmal war es kurz vor dem Festival zu einem von höherer Instanz initiierten Wechsel der Leitung von Circusverband und Hauptstadtcircus gekommen. Peter Fekete ersetzt nun Joszef Richter senior. Man konnte also gespannt sein, ob erste Ansätze der neuen Handschrift bereits erkennbar waren – und in der Tat zeichnete sich doch ein klarer Trend weg vom klassischen Circus hin zum Variete- und Showgeschäft ab. Die Zusammenstellung der Nummern in den beiden Auswahlvorstellungen – und auch in der Nachwuchs-Gala mit überwiegend jungen Künstlern aus der ungarischen Circusschule – umfasste dennoch ein breites Repertoire der Genres. Es waren nahezu alle artistischen Fächer vertreten, dargeboten vom einzelnen Artisten bis hin zur personalintensiven Truppe. Die Auswahlvorstellungen wurden eingeleitet mit der Flugshow einer Drohne, die eine Festivalfahne durch die Höhen des Circusbaus fliegen ließ. Die Moderation lag in den Händen eines ungarischen Quintetts, dessen Dame für die Ansage in englischer Sprache zuständig war.


Flying Farfan, Akos Biritz

Die A-Show begann mit einer anspruchsvollen Einrad-Artistik auf zwei Postamenten von Paul Chen aus Deutschland. Totti Alexis ließ in seiner Rolle als Clown sein ganzes Können aufblitzen und verstand es dank seiner großartigen Sangeskunst, das Publikum von den Sitzen zu reißen und den Bau im wahrsten Sinne des Wortes zu rocken. An Können und Eleganz nicht zu überbieten war die Ikarier-Show der Fratelli Rossi, in Deutschland bekannt vom Circus Krone. Eine große Zukunft bevorstehen sollte dem jungen Ungarn Akos Biritz: An den Strapaten zeigte das Kraftbündel bisher nie gesehene Wechsel und Drehungen. Mit nicht weniger als zehn Schüsseln jonglierte Isaac Aborah aus Ghana, der in die Jonglage auch Elemente der Kontorsionistik einbaute. Den Tanz auf dem Drahtseil neu erfunden hatte das Duo Phykov. Auf dem in einer mondsichelförmigen Schaukel gespannten Seil galt es die Balance in drei Dimensionen zu beherrschen. Zusammen mit der musikalischen Untermalung durch ihren Partner war diese Aufführung wohl eine der schönsten und schwierigsten Nummern zugleich. Sehr langatmig und wenig trickreich kam hingegen leider die Pferdedressur der Familie Urunov rüber. Absoluter Höhepunkt in ersten Show war jedoch die Flugtrapezdarbietung der Flying Farfans. Diese einmalige Luftsensation mit Flügen und Sprüngen in zwei sich kreuzenden Richtungen bot ein Gros an Richtungswechseln, Passagen, Salti, Schrauben und dem Dreifachen. Die Ausstrahlung der Truppenmitglieder sowie die Kostüme taten ein Übriges, um zu den ganz Großen am Circushimmel zu zählen. Schade, dass ein zweimal nacheinander missglückter Sprung wohl den goldenen Preis gekostet hat. Ebenfalls zu gefallen wusste die Mongolin Heejin Diamond mit Handstandarbeit auf einem Diamantenstumpf, deren Darbietung im rotierenden Mundstand ihren Höhepunkt fand. Würdiger Schluss im A-Programm war dann die Truppe Skokov an der russischen Schaukel, wo sich Kraft und Präzision mit Tempo und Elegance vereinte.


Gerlings, X-trem-Brothers 

Das B-Programm eröffnete Emil Faltyny mit Balancen auf freistehenden und schaukelnden Leitern. Neuer Schlusstrick war der Kick eines Fußballs in den Winkel des Kubus. Absolut sehenswert! Für die Unterhaltung sorgte hier Mr. Lorenz aus Italien. Mit überwiegend bekannten, aber erfrischend gespielten Reprisen kam die Clownerie auch in dieser Auswahl nicht zu kurz. Viele Diskussionen folgten auf zwei Darbietungen aus Portugal: Die Familie Dias zeigte zum einen eine Ikarier-Show der Dias-Boys, zum anderen eine Balance auf der hohen Leiter durch die Dias-Sisters. Der artistische Wert beider Darbietungen stand außer Frage, es waren wahrlich sportliche Höchstleistungen, die hier gezeigt wurden. Demgegenüber hitzig diskutiert wurde der Aspekt, inwieweit ein sechs- und ein elfjähriger Junge körperlich derart belastet werden dürfen bzw. sollten, ohne dass Skelett und Muskulatur bleibende Schäden nehmen. Aus diesem Blickwinkel sahen viele Circusbesucher hier die Grenze des Vertretbaren überschritten. Eine wahre Flut an Kraft-Hebe-Akrobatik wurde geboten durch die Nummern der X-trem-Brothers aus Rumänien, des Goldmenschen-Trios Powerline und des Duos Silver Power. Alle drei Darbietungen wussten gut zu gefallen. Eine Pole-Dance-Einlage auf einem Floß im Wind zeigte Eones Goncalves aus Frankreich, und das Duo Nonstop (Ukraine) begeisterte mit einer Rola-Rola-Balance auf Auto-Felgen. Gleich zweimal ging es aufs Seil. Bestens bekannt ist Nicol Nicols. Mit seiner tricksstarken Arbeit kann er auch hier begeistern. Highlight der B-Show war jedoch der Hochseilauftritt der Gerlings, welcher seinen Höhepunkt in der Sieben-Mann-Pyramide auf drei Etagen fand.


Truppe Skokov, Dias-Boys, Silver Power 

Die Jury unter dem Vorsitz von Eugene Chaplin, Sohn des legendären Charly Chaplin, hatte es somit nicht leicht, die Preise an die Künstler zuzuteilen, waren doch die Unterschiede wirklich manchmal nur Nuancen. Der goldene Preis des 11. Internationalen Circusfestivals von Budapest ging an die Truppe Gerling für deren Hochseildarbietung. Die silbernen Preise erhielten die Flying Farfans für deren Flugtrapez sowie die Truppe Skokov für die russische Schaukel. Der Preis in Bronze ging gleich an fünf Artisten: Für den Tanz auf dem Drahtseil erhielt Nicol Nicols den Preis, für die Ikarier-Arbeit wurden die Dias-Boys belohnt, und weil die Kraft-Hebe-Nummern der X-trem-Brothers sowie des Trios Powerline und des Duo Silver Power nahezu gleichwertig waren, erhielten alle drei Darbietungen einen Preis in Bronze.


Jeton 

Besonders hervorzuheben sind aber zwei Teilnehmer, die jeweils mit einem Sonderpreis ausgezeichnet wurden: Dies ist zum einen die Gentleman-Jonglage der Extra-Klasse von Jeton und Carmen. Neben Balljonglagen vor und hinter dem Körper zeigt Jeton die Balance eines Wandspiegels auf seiner Stirn sowie die Balance von zwei Billard-Queues und einer Billardkugel. Untermauert von seinem hervorragenden Wortwitz und unterstützt durch seine reizende Partnerin Carmen ist diese Show von Jeton der verdiente Gewinner des Sonderpreises der Gesellschaft der Circusfreunde e.V. (GCD). Der andere ist Clown Totti Alexis, der eigens einen Sonderpreis vom Jury-Vorsitzenden Eugene Chaplin überreicht bekam. Seine musikalischen Entrees machten Totti zum absoluten Favorit des Publikums. Er weckt Emotionen und läste die Besucher mitgehen. Sein stetiger Kampf mit der Tücke des Objekts ist hinreißend; es gibt keine Scherze auf dem Rücken anderer. Das ist es, was diesen Ausnahmeclown so liebenswert macht. Es ist schier unbeschreiblich, wie Clown Totti mit „Johnny be good“ das Circusgebäude rockte, so dass es keinen Zuschauer auf den Sitzplätzen hielt. Das Publikum stand, tanzte, rockte und sang. Man fühlte sich fast wie im Rockkonzert. In der Gunst und in den Herzen der Zuschauer war Totti Alexis der eigentliche große Gewinner des 11. Internationalen Circusfestivals.

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Text: Thomas Kroker; Fotos: Circusbau Budapest