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44. Festival Mondial
du Cirque de Demain 2025

www.cirquededemain.com ; 158 Fotos Show A ; 159 Fotos Show B

Paris, 23. bis 26. Januar 2025: Ein Festivalprogramm mit durchweg starken, teils sehr starken Darbietungen – ohne echten Ausreißer nach unten, aber auch ohne das absolut herausragende Highlight – bietet das 44. Festival Mondial du Cirque de Demain in Paris. Wir Besucher haben das Vergnügen, in den gewaltigen Zeltanlagen des Cirque Phénix zwei spannende Auswahlprogramme zu verfolgen. Die hochkarätig besetzte Jury unter der Präsidentschaft von Ringling-Castingchefin Sarah Davison dagegen hat die Qual der Wahl. Sie macht letztendlich jedoch alles richtig und trifft gute, nachvollziehbare Entscheidungen.

Die allermeisten Darbietungen dieses Programms wären eine Zierde für nahezu jedes Circus- oder Varietéprogramm, es wurde sozusagen markttauglich gecastet. Und so wundert es nicht, dass jedenfalls gefühlt deutlich mehr Agenten und Direktionen vor Ort vertreten sind als in früheren Jahren. Das weitläufige Foyer bietet ihnen viel Gelegenheit für gute Gespräche, das innen mastenfreie Chapiteau mit seiner riesigen, rechteckigen Bühne besten Blick auf das Geschehen. Erfreulich viele Darbietungen lassen sich von der formidablen Livemusik des neunköpfigen Orchesters unter der Leitung von Francois Morel begleiten, das Licht ist gewohnt feudal. Für die wortreichen, eloquenten Moderationen sorgt auch in diesem Jahr der exzentrisch-barock auftretende Calixte de Nigremont. Festivalpräsident ist der Gründer und Direktor des Cirque Phénix, Alain M. Pacherie.


Opening mit Machine du Cirque, Flaggenparade, Gaststars "Les Acrostiches"

Beiden Auswahlprogrammen ist das gleiche Opening vorangestellt, welches die kanadische Formation „Machine du Cirque“ gestaltet. Fünf Untermänner, eine Fliegerin und ein Flieger demonstrieren starkes Können am Russischen Barren, unter anderem mit Doppelsalti in verschiedenen Variationen oder Sprüngen von der Stange zum Drei-Personen-Hoch. Daran schließt sich jeweils die rasante Flaggenparade des gesamten Ensembles an, das zu mitreißender Musik durchs Publikum stürmt. Für verschiedene, zugleich akrobatische wie humorvolle Zwischenspiele neben den Wettbewerbsnummern sorgt die Truppe „Les Acrostiches“, die in früheren Jahren zu den Festivalgewinnern gehörte. In den Auftritten der drei Herren und einer Dame geht es im wesentlich um humorvoll verkaufte „Kunstradfahrten“ auf elektrischen Einrädern, wobei hier Formationen zum Zwei- und sogar Drei-Personen-Hoch gebildet werden.


Grand Prix: Xie Zongbin und Zhang Jiyai; Gold: X-Board und Hakuna Matata

Längst setzen chinesische Artisten nicht mehr nur auf akrobatische Höchstleistungen, auch auf die Gestaltung ihrer Darbietungen wird höchster Wert gelegt. Und so reißen Xie Zongbin und Zhang Jiyai von der Truppe aus Guangzhou das Publikum förmlich von den Sitzen. Im Tangorhythmus kombinieren sie Partnerakrobatik und Antipodenspiele. So steht sie mit dem linken Fuß auf seinem Kopf und streckt das rechte Bein gleichzeitig kerzengerade in die Höhe, auf dem Fuß einen Teppich kreisen lassend. Während „Hand auf Hand“ gearbeitet wird, drehen sich gleichzeitig zwei Teppiche auf ihren Füßen. Eine schön in Szene gesetzte Spitzenleistung, die mit dem über Gold stehenden Grand Prix die höchste Auszeichnung erfährt und noch dazu den Preis des Präsidenten der Republik zugesprochen bekommt. Eines der weiteren Ausrufezeichen im Festivalprogramm setzt die sechsköpfige Truppe X-Board aus Dänemark mit zwei über Kreuz angeordneten Koreanischen Wippen. Diese Konstellation ermöglicht spektakuläre Sprünge, Pirouetten und Salti sowie natürlich Positionswechsel und wird von den Herren in roten Hosen und weißen Hemden äußerst temperamentvoll verkauft. Im Grunde überraschend klassisch ist die Rola-Rola-Nummer des Quartetts „Hakuna Matata“ aus Tansania, angefangen bei den Kostümen im traditionellen Circusstil. Auch hier spielt das Orchester live, unterstützt von Gesang. „I’m a survivor“ ist der Titel. Dazu gibt es bärenstarke Tricks. So wird beispielsweise auf der Rola Kopf-auf-Kopf balanciert, während gleichzeitig ein dritter Artist im Reifenspringer-Stil zwischen den Beinen des Untermannes hindurchhechtet. Eindrucksvoll ist ebenso die Pyramide aller vier Akteure auf dem wackeligen Untergrund. Für den Schlusstrick kommt ein Requisit zum Einsatz, das aus einer halbrunden Wippe mit zwei Leitern links und rechts besteht. Diese steigt einer der Artisten hinauf, einen Partner Kopf-auf-Kopf tragend. Die beiden weiteren Kompagnons halten sich außen an den Leitern, die Füße weit weg vom Boden. Das Publikum applaudiert stehend, wie auch für die anderen Grand-Prix- und Gold-Gewinner. Als Zugabe erhalten die vier Männer den Preis des Moulin Rouge.


Silber: Danil Lysenlo und Delaney Bayles, Artist des Trios Fly, Toy Toy Toy

Speziell für den Cirque de Demain zusammengetan haben sich Jongleur Danil Lysenko (Ukraine) und seine Genre-Kollegin Delaney Bayles (USA) – zwei der ganz wenigen Wettbewerbsteilnehmer, die wir vor dem Festival schon live erlebt hatten, dies dank ihrer Engagements bei Roncalli bzw. Monti. Beide sind Spitzenkönner ihres Fachs und vermögen mit einer großen Zahl von Gegenständen zu jonglieren. Bei ihm steht die Arbeit mit Ringen im Fokus, bei ihr mit Keulen. Außer anspruchsvollen Solo-Passagen und parallel ausgeführten Touren haben sich die beiden auch gemeinsame Aktionen sowohl mit den einen als auch mit den anderen Requisiten bzw. sogar mit Ringen und Keulen gleichzeitig erarbeitet. Dafür gibt es Silber. Die beiden weiteren Preise dieser Kategorie gehen an männliche Formationen aus Asien, die mit „Kinderspielzeugen“ arbeiten: Aus Taiwan/China kommt das Trio Fly, das bei seinen tollen Interaktionen mit Diabolos begeistert. Da wird ein Diabolo nach einem Salto in der Luft gefangen, da werden gemeinsam sechs Diabolos auf die Reise geschickt und werden die Doppelkegel auf sehr langen Schnüren bewegt. Standing Ovations in der besuchten Auswahlvorstellung und einer der beiden Publikumspreise runden das Glück der drei jungen Männer ab. Für Japan sind die zwei Jungs von Toy Toy Toy dabei – in coolen Outfits mit Shorts, T-Shirt und Sakko, dazu Sneaker mit Tennissocken. Sicher und schnell lassen beide jeweils zwei Jo-Jos auf komplizierten Bahnen fliegen, begleitet von Livemusik. Auch sie müssen die Bühne nicht ohne Standing Ovations verlassen.


Bronze: Micaela und Matias, Nicolas Teusa, Franco Pelizzari del Valle

Auch Bronze wird drei Mal vergeben. Absolut spektakulär wirkt die Fangstuhlnummer von Fliegerin Micaela und Fänger Matias aus Argentinen/Österreich und Chile/Kroatien. Die starken Flugpassagen mit Pirouetten, Hand-Fuß-Wechseln und zahlreichen komplizierten Salti beeindrucken ebenso wie ein Kopfüber-Sprung in die Tiefe, bei dem die Partnerin an den Füßen gefangen wird. Der Eindruck wird auch von zwei Stürzen in der Auswahlvorstellung nicht geschmälert. Die Darbietung von Nicolas Teusa (Kolumbien) gehört zu den spannendsten des Festivals. Er präsentiert das Genre Reifenspringen, das vor allem von Truppendarbietungen bekannt ist, im Solo. Bei seinen teils hohen Sprüngen durch und über den Ring, der schaukelnd und sich drehend über der Bühne hängt, wird er von Livemusik und Gesang im spanischen Stil begleitet. Er darf sich zudem über den Prix Blackz de L‘Innovation Technique sowie die Trophäe des Cirque du Soleil freuen. Für richtig gute Laune sorgt Franco Pelizzari del Valle (Argentininen) mit seinem „Acro-Théâtre“. Bei seiner witzig gestalteten Nummer zwängt er seinen Körper unter anderem im Klischnigg-Stil durch die Öffnung zwischen Sitzfläche und Lehne eines einfachen Klappstuhls. Auch bei weiteren artistischen Kabinettstückchen beweist der junge Mann mit blond gefärbter Wuschelfrisur und dickem, gelbem Rollkragenpullover hohe Beweglichkeit. Eine weitere Ehrung widerfährt ihm mit der Trophäe Annie Fratellini.


Spezialpreise der Jury: Malou Latrompette (und Partnerin Alizé Poitreau), Cata und Jay, Agathe und Adrien

Neben dem Grand Prix und Edelmetall werden gleich drei Darbietungen mit einem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Ihr Können an zwei mit deutlichem Abstand nebeneinander hängenden Schwungtrapezen demonstrieren Malou Latrompette und Alizé Poitreau aus Frankreich. Es ist ein spektakuläres Bild, wie die zwei jungen Frauen hoch oben Sprünge, Salti und Pirouetten wagen – aber naturgemäß mehr ein Neben- als ein Miteinander. Dank des Prix des Club du Cirque und der Trophäe des Cirque Raluy Legacy dürfen sich die beiden Artistinnen über insgesamt zwei Preise freuen. Für gute Laune sorgt das Duo Cata und Jay (Brasilien) auf dem Einrad. Im ersten Teil ihrer Darbietung wird auf Musik ganz verzichtet, später gibt es doch welche – live gespielt und mit Gesang. Mit Augenzwinkern wird eine vermeintliche „Ungeschicklichkeit“ zur Schau gestellt. Wenn sie auf seinem Kopf sitzt, während er auf dem Einrad fährt und dann nach einem gespielten Sturz in seinen Armen gefangen wird oder wenn sie später im freien Stand auf seinem Kopf balanciert, dann wird doch deutlich, dass hier großes Können erforderlich ist. Den Preis des Cirque Imagine gibt es noch als Zugabe. Einen bemerkenswerten Erfolg bei diesem Festival erzielen Agathe und Adrien aus Kanada und Frankreich mit ihrer Hand-auf-Hand-Nummer, denn neben dem Spezialpreis der Jury erreichen sie einen der beiden Publikumspreise und den Preis der Stadt Paris. Ihre Hand-auf-Hand Nummer ist humorvoll und sympathisch gestaltet, einige Male übernimmt Agathe die tragende Rolle. Beispielsweise, wenn Adrien auf ihrem Kopf sitzt oder darauf steht. Auch einige Tricks aus dem Genre der ikarischen Spiele werden geboten, wobei Adrien nicht auf einer Trinka, sondern direkt auf dem Bühnenboden liegt und seine Partnerin mit den Füßen durch die Luft wirbelt.


Sonderpreise: Ess Hödlmoser, David Trappes und Skip Walker-Milne, Marceau Bidal

Zu den ungewöhnlichsten Darbietungen des Festivals gehört sicher die von Ess Hödlmoser (Kanada) – eine Reminiszenz an den Travestiekünstler Barbette, der zu Anfang des 20. Jahrhunderts große Erfolge feierte. Hödlmoser erscheint zunächst in einem weiten, an ein Brautkleid erinnernden Reifrock, schwingt sich damit an den Strapaten in die Luft. Erst gegen Ende der Arbeit wird klar, dass es sich hier nicht um eine Dame, sondern um einen muskulösen Mann handelt, der am Ende mit freiem Oberkörper dasteht. Die Nummer wurde mit dem Preis des Cirque Phenix und dem Prix de la Barrierè geehrt. Einen weiteren Preis des Cirque Phenix erhalten David Trappes und Skip Walker-Milne. Der baumstammgroße David Trappes und sein deutlich kleinerer Partner Skip Walker-Milne widmen sich einem selten gezeigten Genre, der hohen Perche, das hier auf originelle Weise eingesetzt wird. Denn während Trappes die Stange auf seiner Schulter trägt, zeigt Walker-Milane daran ein Repertoire, wie man es von Darbietungen am Chinesischen Mast kennt. Das gilt beispielsweise, wenn er sich wie eine Flagge horizontal von der Stange abdrückt oder kopfüber daran hinuntersaust. 2023 waren beide mit dem Circus Monti auf Tour. Neben Sonderpreisen werden noch „Trophäen“ vergeben. Über zwei von ihnen, die Trophäe Dragone und die Trophäe des African Dream Circus darf sich Marceau Bidal (Frankreich) freuen. Seine Arbeit an den Strapaten hat er in eine Geschichte gekleidet. Sie zeigt ihn zunächst als grübelnden Schriftsteller am Schreibtisch, zum Ende seiner Darbietung dann in einem Sturm der Manuskriptblätter. Dazwischen gibt es kraftvolle Posen, Schwünge und Überschläge zu bewundern.


Weitere Teilnehmer: Maksym Vakhnytskyi, Sergiy und Vlad, Chen Tao, David Yemishian

Leer geht der Ukrainer Maksym Vakhnytskyi aus, der zunächst mit einer Gasmaske auftritt, die am Ende seines Vertikalseils befestigt ist. Sein Metier sind interessante Pirouetten und Figuren entlang des Seils, bis hin zum Vorwärtssalto das Seil hinunter. Landsmänner von ihm sind Sergiy und Vlad mit ihrer etwas kurzen Arbeit am doppelten Flyhing Pole, die von live gespielter Musik und Gesang begleitet wird. Mal arbeiten die Herren mit den freien Oberkörpern jeder an einer Polestange, mal teilen sie sich eine. Wie die Grand-Prix-Preisträger mit ihrem akrobatischen Tango kommt auch Chen Tao von der Truppe von Guangzhou, muss die weite Heimreise nach China jedoch ohne Preis antreten. Er hat eine Cyrrad-Nummer mitgebracht, bei dem er im Stil eines asiatischen Kampfsportlers mit Drehungen und Wendungen über die Spielfläche rotiert. Der ukrainische Jongleur David Yemishian will nicht nur neun Ringe sicher in der Luft halten, sondern sogar fünf Ringe und fünf Bälle gleichzeitig jonglieren, wobei ihm sein Schlusstrick in der besuchten Auswahlvorstellung auch im dritten Anlauf nicht gelingt.

Neu gemischt wurden die Karten beim 44. Festival Mondial du Cirque de Demain sicherlich durch eine Verletzung beim Wettbewerbsbeitrag der Truppe „Machine du Cirque“ in der ersten Auswahlvorstellung. Wir konnten diese bei unserem Besuch am Festival-Samstag damit leider nicht erleben, obwohl sie doch sicher einer der Favoriten war: Die Kanadier präsentieren – so ist es im ausführlichen Programmbuch beschrieben – eine Darbietung am Schleuderbrett, das auf einer um 360 Grad drehbaren Plattform installiert ist. Gestartet als einer der Top-Favoriten dieses Festivals, erhielt die Truppe am Ende immerhin einen „Herzenspreis“ der Jury, den „Coup des Coeur de Jury“. Und auch unsere Herzen hat dieses großartige Festival wieder erwärmt, so dass wir uns auf die nächste Reise nach Paris bereits heute freuen.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll