Bei
einigen davon kann man den Konjunktiv weglassen. Sie haben bereits
erfolgreich den Sprung in die Manegen der großen Unternehmen geschafft.
Auch das macht den besonderen Charme aus. In Wiesbaden treffen
jugendliche „Routiniers“ auf Artisten, deren Karrieren hier gestartet
werden sollen. Nichtsdestotrotz sind alle Nummern „fertig“ und auf
einem beeindruckenden Niveau. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, da
ein solches Festival natürlich immer die Gelegenheit ist, sich der
Fachwelt zu präsentieren und das ein oder andere Engagement zu
vereinbaren.
Jury und Moderatorin Natascha Berg
Trotz
des weitgehend parallel stattfindenden Festivals im italienischen
Latina sind viele potentielle Arbeitgeber unter dem roten
Sarrasani-Chapiteau auf dem Dern'schen Gelände unterwegs. Insbesondere
in der Jury sitzen mit Johnny Klinke (Tigerpalast) und Heinrich Gasser
(Cirque Starlight) zwei Direktoren. Hinzu kommen Aurelia Cats
(Luftartistin sowie Managerin einer Produktions- und Talentagentur),
Liz Arratoon (Circuskorrespondentin), Oleg Izossimov (Handstandartist),
Teresa Ricou (Artistin und Förderin von Jugendarbeit über Circus) und
EYC-Gewinnerin Lisa Rinne (Trapez). Weitere Auftrittsmöglichkeiten
bieten die mit einem Engagement verbundenen Preise. Etwa der des Neuen
Theaters Höchst.
Opening
Bei
allem wirtschaftlichen Hintergrund darf natürlich der Spaß, gerade bei
dieser besonders unterhaltsamen Form der Arbeit, nicht zu kurz kommen.
Und diese Freude an ihrem (zukünftigen) Beruf dürfen die Akteure nicht
nur in ihren eigentlichen Darbietungen verbreiten, sondern auch in den
Ensembleszenen. Jeweils zu Beginn der Shows, vor der Pause und zum
Finale wird getanzt. Mal Solo, mal paarweise, dann wieder in der ganzen
Gruppe. Immer sehr stimmungsvoll, meistens mitreißend. Die von
Sebstiano Toma (Regie) und Sonia Bartucelli (Choreographie) gestalteten
Abläufe transportieren eine positive Energie ins Publikum, die einfach
ansteckt. Beim Finale dürfen die Zuschauer dann sogar in der Manege
gemeinsam mit den Artisten tanzen. Gradin und Manege finden auch
physisch zusammen. Natascha Berg ist wiederum die Idealbesetzung für
die Moderation. Das perfekt aussehende Multitalent führt charmant durch
den Wettbewerb. Sie redet nie zu lang. Daher und dank der flotten
Umbauten haben die Shows ein hohes Tempo. Vor und nach den eigentlichen
Nummern darf sich das hervorragende Orchester präsentieren. Das
siebenköpfige Ensemble spielt wunderbare Musik, dennoch verlassen sich
die meisten Artisten lieber auf vorproduzierte Sounds. Noch zu erwähnen
ist der Artisteneingang, auf den bewegte, gezeichnete Bilder projiziert
werden. Der optische Effekt ist beeindruckend.
Michael Ferreri, Emma Laule, Anastasiia Mazur
Kommen
wir jetzt aber zu denen, um die es beim European Youth Circus geht: die
Artisten. Strahlender Sieger des Festivals ist Michael Ferreri. Er
verkörpert auf phänomenale Weise das, was die Jury immer wieder sucht.
Die Verbindung aus hohem artistischen Können und Persönlichkeit. Mit
sehr viel Ausstrahlung jongliert der Deutsch-Spanier bis zu neun weiße
Bälle. Er ist schon jetzt ein großartiger Showman mit reichlich
Erfahrung. So setzt er sich gegen Darbietungen durch, die ausgefeilt
choreographiert sind, eine Botschaft verkörpern wollen. Michael Ferreri
jongliert einfach (auf höchstem Niveau) und versprüht den Spaß, den er
dabei hat. Der zweite Preis in der Altersgruppe von 18 bis 25 Jahren
geht an Emma Laule. Die gebürtige Berlinerin machte die ersten
circensischen Schritte in ihrer Heimatstadt. Dann studierte sie vier
Jahre lang an der Academy for Circus and Performance Art in Tilburg.
Dort entstand ihre Nummer „It's Ours“. Zu Klaviermusik zeigt sie eine
herrliche Kür am Vertikalseil mit vielen Abfallern. Der dritte Preis in
dieser Kategorie wird gleich zweimal vergeben. Anastasiia Mazur tritt,
wie Emma Laule, zu Klaviermusik auf. Die Russin hat einen extrem
biegsamen Körper. So bezaubert sie mit einer anspruchsvollen
Kontorsions-Nummer, die aktuell bei Flic Flac zu sehen ist. Alena
Ershova kann ihren Körper ebenfalls auf außergewöhnliche Weise
verbiegen. Das tut die introvertiert auftretende Russin bevorzugt im
Handstand. Als Clou hält sie dabei mit den Füßen ihre Hula Hoop-Reifen
in Bewegung.
High 5, Steven Ferreri, Andrea Matousek
Den
ersten Preis in der Altersgruppe von zwölf bis 17 Jahren holen sich
fünf junge Artisten aus Ungarn. Als High 5 wirbeln sie über das
Trampolin. Die Musik aus „Men in black“ gibt Outfits, Choreographie und
Tempo vor. Die vier Jungs und ihre Komplizin bringen ein enormes Tempo
und gewagte Sprünge auf den federnden Untergrund. Besonderheit ihres
Apparats sind eine Plattform für die Absprünge sowie der Fangstuhl auf
der gegenüberliegenden Seite, an dem ein Fänger die Dame sowie die
Herren in schwarz in Empfang nimmt. Zudem gewinnt das Quintett den
Publikumspreis. Auf dem zweiten Platz dann Steven Ferreri, der jüngere
Bruder von Michael. Wie Vater Miguel hat er sich dem Seiltanz
verschrieben. Seine Nummer erlebte vor kurzem mit einigen Auftritten
beim dänischen Cirkus Trapeze ihre Weltpremiere. Zu spanischer Musik
zeigt Steven Ferreri ein umfangreiches Repertoire. Höhepunkt ist der
Rückwärtssalto. In der ersten Show in Wiesbaden steht er ihn in zwei
Versuchen nicht, bei der zweiten Show dafür gleich im ersten Anlauf.
Die Freude darüber steht ihm ins Gesicht geschrieben. In der Gala der
Preisträger gelingt ihm dieser Trick erneut. Der dritte Preis geht in
die Schweiz. Andrea Matousek hat das selten zu sehende Tanztrapez für sich
entdeckt.
Es ist frei drehend aufgehängt.
Seit drei Jahren studiert sie an der Staatlichen
Artistenschule in Berlin. Hier hat sie sich eine fließende Kür
am Trapez erarbeitet, die sie ungeheuer sympathisch vorführt.
Die quirlige Artistin zeigt dabei eine beeindruckende
Körperbeherrschung.
Kalle Pikkuharju, Monalaura, Duo Sienna
Die
beiden Sonderpreise der Jury gehen an Kalle Pikkuharju und die
Formation von der Sakiai Circus School. Der Finne verfügt über eine
unglaubliche Biegsamkeit seines Körpers. Und so erleben wir ihn in der
Disziplin der Kontorsion, die zumeist von Frauen beherrscht wird.
Pikkuharju zeigt eine ruhige Abfolge schwierigster Tricks, die er sehr
ansprechend serviert. Die Gruppe aus Litauen ist vielleicht die größte
Überraschung des Festivals, arbeitet sie doch in folkloristischer
Aufmachung. Schon dadurch sticht sie aus dem Teilnehmerfeld heraus. Die
elf Akteure vollführen Seilspringen so variantenreich, wie man es sich
nur vorstellen kann und überzeugen damit auf ganzer Linie. In diesem
Jahr schlossen Simona Tesch und Laura Borkowski die Staatliche
Artistenschule in Berlin ab. In Wiesbaden gehören die beiden
Hamburgerinnen als Duo Monalaura zu den Preisträgerinnen. Ihre
Choreographie an Tüchern hält neben traumhaften Bildern auch
artistische Leckerbissen bereit. Auf ein Engagement im Neuen Theater
Höchst freuen dürfen sich Sina Brunner und Vienna Holz freuen. Sie
haben ihren Künstlernamen ebenfalls aus den Vornamen gebildet. Ebenso
sind sie Absolventinnen der Berliner Artistenschule. Ihre Akrobatik am
Masten nennt das Duo Sienna „Evolution“. Sinnlich spielen sie
miteinander, zeigen anspruchsvolle Figuren und kreieren so
wunderschöne, neuartige Sequenzen. Aus der russischen Stadt Perm kommen
die Akrobatinnen vom Circus Grazie. In neonfarbigen Kostümen bringen
sie spannende, quicklebendige Figuren in die Manege, die ebenfalls
hohes artistisches Können verraten. Zumeist ist das Sextett dabei auf
den Händen unterwegs. Den Reigen der Preisträger komplettiert Stepan
Melnyk. Zu Rockmusik arbeitet der Ukrainer eine kraftvolle Darbietung
an den Strapaten. Darin hat der wiederholte Teilnehmer des Europaen
Youth Circus viele Drehungen eingebaut.
Annika und Iitu, Darya Bashkova, Tobias Baesch
Mit
der Auswahl der Gewinner haben die Jury und die Stifter der Preis
insgesamt eine gute Wahl getroffen. Über einzelne Entscheidungen kann
man natürlich immer streiten. Und so finden sich im weiteren
Wettbewerbsfeld noch etliche sehenswerte Beiträge. Annika und Iitu aus
Finnland etwa, die am Trapez in fröhlicher Aufmachung starke Tricks,
wie etwa riskante Handvoltigen, präsentieren. Oder der französische
Jongleur Antoine Jacot. Innovativ arbeitet er nur mit weißen Keulen, an
denen er teilweise weiße Bänder befestigt hat. Sein Auftritt ist
dramatisch inszeniert, seine Touren zeugen von großem Geschick. Zu
folkloristischem Synthi-Pop balanciert Darya Bashkova auf vielen
übereinander gestapelten Rollen. Was ihre ohnehin schon starke Artistik
auf der Rola Rola zu etwas ganz Besonderem macht, ist die Verknüpfung
mit Hula Hoop-Akrobatik. Eine gänzlich anders gelagerte Arbeit auf der
Rola Rola hat sich Tobias Baesch aufgebaut. Der 23-jährige Deutsche
spielte offensichtlich als Kind gerne mit Bauklötzen. Noch immer
stapelt er große weiße Würfel, um auf ihnen sowie Walzen zu
balancieren. Dies tut er bevorzugt im Handstand.
Evgeny Slepukhin, Emma Stones, Scott Bovelander
Als
Schlafwandler auf dem Schlappseil erleben wir Evgeny Slepukhin.
Behutsam zeigt er seine Tricks wie den Handstand auf dem Seil.
Spektakulär ist das Finale, in dem er mit Hilfe von vier Seilen immer
wieder um die eigene Achse rotiert. Emma Stones ist eine der wenigen
Teilnehmerinnen, die das Angebot an Livemusik nutzt. Zu wunderbaren
Klängen von einer Gitarre lässt sie das Publikum bei ihren gewagten
Sprüngen am Schwungtrapez mitfiebern. Der eingebaute Flirt mit ihrem
Longenführer zeigt, dass sie gut abgesichert ist. Sofort in jedes
Circus- oder Varietéprogramm zu integrieren wären die Bouncing-Jonglagen von
Scott Bovelander. Der Niederländer tritt in klassischer Manier auf
und hat sogar eine Assistentin an seiner Seite. Für ihn spricht zudem
sein sympathisch-extrovertierter Verkauf. Kurzfristig ins Programm
genommen wurde das Duo Minja. Obwohl aus Finnland, zelebrieren Pinja
Seppälä und Milla Peijari ihre Partnerakrobatik zu spanischen Rhythmen.
Rund um eine Kiste arbeiten sie bekannte, vor allen Dingen aber
neuartige Figuren, bei denen sie Handstandakrobatik und Kontorsion
verschmelzen lassen. Eine nette Choreographie und letztendlich etwas
wenig Akrobatik bringt das männliche Trio vom Darmstädter Circus
Waldoni mit nach Wiesbaden. Sprungakrobatik und eben Tanz sind die
Hauptelemente ihres Beitrags. |