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Festival del Circ Ciutat de Figueres 2016
 www.festivaldelcirc.com - 91 Showfotos

Figueres, 25. bis 29. Februar 2016: Es sind große Pläne, die Genis Matabosch mit seiner Circus Arts Foundation hat: dem internationalen Circus eine ständige Heimat geben. Es soll ein Museum geschaffen werden, mit Ausstellungen, Bibliothek und Research-Zentrum. Eine feste Spielstätte mit 400 Plätzen für wechselnde Shows ist ebenfalls angedacht. Entstehen soll all dies, so die Planung, in einer alten Villa im katalanischen Figueres. Die 50.000 Einwohner-Stadt im Herzen der Costa Brava ist vor allem als Heimat des Künstlers Salvador Dali bekannt. Jetzt soll sie auch Heimat des Circus werden.

Und für ein paar Tage im Jahr ist sie dies bereits. Matabosch und sein Team haben in Figueres ein internationales Circusfestival etabliert. Ende Februar fand nun die fünfte Auflage statt. Auch diese war äußert erfolgreich. Über 30.000 Besucher wurden während der vierzehn Vorstellungen gezählt. Bei rund 2200 Sitzplätzen im diesmal vom Circo Americano der Familie Faggione gemieteten, durch eine Außenkonstruktion getragenen und daher ohne Masten auskommenden Zelt entspricht dies einer Auslastung von knapp 99 Prozent.


Ensemble und Mitarbeiter 

Das Alleinstellungsmerkmal des Festivals in Figueres liegt in der Tatsache gegründet, dass man ausschließlich Künstler einlädt, die allesamt noch nicht in Westeuropa gearbeitet haben oder die hier zumindest erstmals eine neue Darbietung vorstellen. Damit ist man – wohl mehr noch als andere Festivals – zugleich auch immer eine interessante Plattform für Artisten, Direktoren und Agenten gleichermaßen. Die einen haben die große Gelegenheit, die eigene Arbeit bekannt zu machen. Die anderen haben die tatsächliche Chance, neue Nummern kennen zu lernen. Immer wieder fanden in letzten Jahren Teilnehmer des Festivals anschließend dann auch in den Weg in die Manegen und auf die Bühnen Westeuropas. Gab es in den vergangenen Jahren viele Beiträge aus dem südamerikanischen Raum, so stammte diesmal die Mehrzahl der Artisten aus Asien und Osteuropa. Auffallend war das durchgehend hohe bis sehr hohe Niveau. Kaum eine der 22 Darbietungen, welche in zwei von Genis Matabosch persönlich moderierten und vom großartigen Orchester unter der Leitung von Carmino D'Angelo begleiteten Auswahlvorstellungen um den "Elefant d'Or" gegeneinander konkurrierten, fiel leistungstechnisch wirklich ab. Im Grunde hätte es sogar noch zwei weitere Nummern geben sollen. Doch die Requisiten der nordkoreanischen Hochseiltruppe kamen nicht rechtzeitig in Figueres an; und auch Anastasiya Yeukhimenka hatte Pech. Die Weißrussin verletzte sich bei ihrer Hula Hoop zu Pferd-Darbietung zu Beginn des Festivals und konnte damit anschließend nicht mehr an den Wertungsvorstellungen teilnehmen. Somit fehlte unfreiwillig auch der einzige tierische Akteur des Festivals, Yeukhimenkas Hengst Aragorn.


Elefant d'Or: Qin Warriors, Fan Dance, Troupe Nomuna 

Im Teilnehmerfeld stochen besonders die drei großen Truppen aus Asien heraus, die folgerichtig von der Jury dann auch mit dem „Elefant d'Or“ ausgezeichnet wurden. Ganz nah an der Perfektion waren die „Qin Warriors“ aus Wuhan. Die sechzehn jungen Chinesen zeigten unglaubliche Leistungen auf dem Einrad. So wurden vierstöckige Pyramiden im Fahren gebaut. Oder ikarische Spiele gezeigt, während die Trinkas von fahrenden Untermännern getragen wurden. Die Flieger wechselten dabei gar noch die Positionen. Eindrucksvoll und einnehmend war daneben auch die absolut authentische Inszenierung im Krieger-Stil. Das sahen die Zuschauer ebenfalls so und verliehen den Schülern der Wuqiao Arts School auch den Publikumspreis. Sensationell waren auch die Kopfsprünge von „Fan Dance“ aus Sheyang, zumal die Sprungplattformen oft nur mit einer Hand von den Untermännern getragen wurden. Einen faden Beigeschmack erhielt die Nummer jedoch durch den mit zwölf Jahren jüngsten Artisten im Festival, der hier den Hauptanteil der Sprünge leisten musste und nur bedingt glücklich damit aussah. Die elköpfige Troupe Nomuna aus der Mongolei strahlte dagegen Fröhlichkeit aus und wurde gleich für zwei Darbietungen geehrt. Sie waren sowohl mit Handvoltigen als auch auf dem Schleuderbrett in Figueres angetreten. Auch bei ihnen stimmte die Leistung, etwa bei Sprüngen vom Schleuderbrett zu Menschentürmen bis zum Fünf-Personen-Hoch oder mit mehrfachen Salti auf eine Matte. Grandios auch ihre Passagen bei den Handvoltigen, die sie zudem mit Trommelspielen effektvoll verkauften.


Elefant de Plata: Vladimir Deryabkin, Duo 2-Zen-O, Golden Dream 

Daneben hatten es die anderen Künstler natürlich schwerer, sich zu behaupten. Manchen gelang dies dennoch bestens. Etwa dem kanadischen Duo 2-Zen-O. Die Kür von Marie-Eve Bisson und Jonathan Morin bot jene Momente, in denen man sich zurücklehnen und einfach nur genießen kann. Was die beiden am von ihnen eigens entwickelten Aerial Crossed Wheel zeigten, lud zum Träumen ein. Ihr Auftritt war so wunderbar leicht und fließend, dass einem die herausagende Trickstärke und das Gefahrenpotenzial erst beim erneuten Anschauen bewusst wurde. Die Jury belohnte beide mit dem „Elefant de Plata“, also Silber. Ohne die Konkurrenz der großen Truppen wäre es vielleicht sogar Gold geworden, was sicher auch mehr als verdient gewesen wäre. Deutlich überraschender war hingegen der zweite „Elefant de Plata“ für Clown Vladimir Deryabkin. Schließlich zeigte der vom Nikulin Circus entsandte Russe eigentlich nur Bekanntes: Tellerdrehen mit Zuschauerbeteiliung und Klatschspiel inkl. Schlagzeug-Performance. Dabei wirkte er mal sympathisch, mal doch eher grob. Das Publikum aber tobte wie selten zuvor gesehen. Daher ging auch diese Jury-Entscheidung völlig in Ordnung. Zu jenen Akteuren, die bereits bekannt sind und in Figueres nun eine neue Darbietung vorstellten, gehörten Ambra und Yves Nicols. Erstmals zeigten sie öffentlich ihre umgestaltete Tücher-Nummer. Beide traten als Goldmenschen auf, mit Adagio-Bewegungen am Boden und den bekannt-riskanten Touren in der Luft. Für „Golden Dream“ wurde nicht nur der Stil geändert, sondern auch neue Tricks eingebaut; etwa ein Abfaller von Ambra aus dem von Yves im Nacken gehaltenen Hang, bei dem er sie anschließend mit den Füßen fängt. Noch wirkte die Darbietung nicht komplett rund, was sich aber mit mehr Routine, etwa auf der aktuellen „Roncalli Salto Vitale“-Tour, sicher ergeben wird. Die Jury jedenfalls vergab schon jetzt einen dritten „Elefant de Plata“.


Elefant de Bronze: Duo Idols, Alexandra Levitskaya, Duo Miracle 

Auch unter den Preisträgern der „Elefant de Bronze“ fanden sich Luftnummern stark vertreten. Eine schöne und ebenso trickstarke Darbietung an den Strapaten boten Yulia Makeeva und Alexey Turchenko. In tollen orientalisch-bunten Kostümen zeigten sie als Duo Idols beispielsweise ebenfalls den Abfaller aus dem Nacken-Hang in die Füße sowie das kraftvolle Auf- und das gemeinsame Abwickeln an den Bändern. Alexandra Levitskaya tanzte einem Pas de Deux gleich mit einem Hula Hoop-Reifen, während sie dabei an einer Schlaufe über der Manege flog. Der Auftritt lebte vom energischen wie sinnlichen Gefühl, welches die russische Künstlerin vermittelte. Abschließend fing sie unzählige Reifen auf und entschwand damit nochmals in die Lüfte. Der dritte „Elefant de Bronze“ blieb dann am Boden, beim Duo Miracle. Yevhiina Obolina und Roman Khazifov verbanden dabei kontorsionistische Elemente mit Equilibristik. Dabei verrenkten sich die beiden Ukrainer auf unglaublichste Weisen. Khazifov diente oft als Podest für die Figuren seiner Partnerin, nicht ohne selbst in abnormalsten Körperstellungen zu verharren. Die klassische Begleitmusik gab der Nummer einen leichten Charakter.


Preis der Kritiker-Jury: Zhygaltsov Brothers, Preis der Fotografen-Jury: SwanLake, mehrere Spezialpreise: Troupe Victor
 

Während über die Gewinner der „Elefanten“ eine in diesem Jahr aus neun Persönlichkeiten der internationalen Circuswelt bestehende Jury entschied, wählten auch ein Kreis aus Kritikern und Fotografen ihre Favoriten und vergab jeweils einen weiteren Hauptpreis. Die Brüder Denys und Maksym Zhygaltsov überzeugten in diesem Jahr die Kritiker. Auch den beiden Ukrainern gelang es ihrer Hand auf Hand-Darbietung eine gewisse Leichtigkeit, wenn gleich anderer Art, zu geben. Nicht kraftstrotzendes Auftreten, sondern ein sympatischer Verkauf zeichnete die Nummer aus; nicht ohne auch beeindruckende Variationen von Einarmern auf Hand und Kopf des Untermannes zu zeigen. Der Preis der Fotografen-Jury ging hingegen an SwanLake. Hinter diesem Namen verbargen sich vier Kontosionistinnen aus der Mongolei. Mal synchron zueinander, mal gemeinsamen arbeiten sie ihr beachtliches Repertoire. Die weiteren Teilnehmer traten die Heimreise zwar ohne Hauptpreis an; die meisten von ihnen konnten sich allerdings über Spezialpreise freuen, die auch hier zahlreich verliehen wurden. Dabei hätte man der ein oder anderen Darbietung durchaus mehr gegönnt. Die Mitglieder der Troupe Victor etwa mit ihrer fliegenden Perche wären da sicher Kandidaten gewesen. Nach ihrem Gastspiel beim Gelsenkirchner Weihnachtscircus hatten sich die Ukrainer einen neuen Stil als Gaukler anno dazumal zu extravaganter Musik verpasst. Die Tricks, bei denen die Perchestange samt Oberfrau durch die Manege geworfen werden, waren freilich die gleichen.


Diabolo in Soul, Duo Vitalys, Vardanyan Brothers
 

Auffallend war die starke Präsenz der Luft- sowie der Hand-auf-Hand-Duos. So gab es natürlich gute Vergleichsmöglichkeiten. Auch gelang es Regisseur Patrick Rosseel und seinem Team, ein Gefühl der Wiederholungen geschickt zu vermeiden. Dennoch bleibt der Wunsch für die Zukunft nach unterschiedlicheren Genres. Beispielsweise gab es diesem Jahr keinen Jongleur im klassischen Sinne. Lediglich Diabolo in Soul ließen ihre gleichnamigen Requisiten durch die Manege fliegen. Die achtköpfige Formation aus Taiwan beherrschte nicht nur synchrone Abläufe, sondern wusste auch mit manch ungewöhnlichen Wurfmustern mit immer neuen Anspielvariationen zu überraschen. Der Hand-auf-Hand-Akrobatik hatten sich dagegen, wie gesagt, neben den bereits erwähnten Zhygaltsov Brothers noch zwei weitere Duos verschrieben. Nahezu unglaubliche Leistungen boten Andranik und Gevorg Vardanyan. Die beiden Armenier reihten einen Spitzentrick an den nächsten. Das war zugleich ihr Problem, ging ihnen doch deutlich spürbar Kraft und Konzentration aus. Auch ihr sensationeller Schlusstrick, bei dem der Obermann nur durch den Mundstand gehalten wird, klappte oftmals erst nach mehreren Anläufen oder musste gar abgebrochen werden. Damit waren auch die Hauptpreise nicht mehr erreichbar. Das galt auch für Pablo Panduro und Joel Saavedras. Das Augenmerk ihrer Darbietung als Duo Vitalys lag auf den Passagen, in denen die Peruaner kraftstrotzend Kopf-auf-Kopf durch die Manege schritten. Dabei war auch ihnen die Anstrengung manchmal deutlich anzusehen.


Taisia & Tim, History Makers, Volkov & Elkina
 

Noch mehr Duos zog es in die Luft. Neben den schon angeführten Nummern flogen auch Taisia Bonderenko und Congyang Tang an den Strapaten. Das Duo aus Russland und China konnte aber trotz sehenswerter Tricks nicht ganz an die Leistungen der anderen anknüfen. Vielmehr lag der Fokus wohl auf dem romantischen Charakter der Kür. Makysm Kruglyk und Viktor Stepanenko setzten als einziges rein männliches Duo auf kraftvolle Elemente an den Strapaten und boten gar einen Kopf-auf-Kopf-Stand in der Luft. Die als History Makers angetretetenen Ukrainer hatten aber ebenso das Nachsehen wie Ksenia Elkina und Sergey Volkov. Die Russen hatten sich Ketten als Requisiten für ihre Flugsequenzen und Abfaller ausgesucht. Interessant, dass auch in die Kostüme Haltegriffe integriert waren, die weitere Möglichkeiten öffneten. Insgesamt aber wirkte auch dieser Auftritt zuweilen sehr kraftstrotzend, trotz der Partnerin als verführerische Diva im roten Kleid als Gegenpol.


KonstaninO, Paquin & Angelo, Iuliia Stetsenko 

Das im Rahmen eines Festivals nicht alle Darbietungen an das Niveau der übrigen Teilnehmer herankommen, ist verständlich. Die Zahl der dies betreffenden Nummern war allerdings in diesem Jahr in Figueres erstaunlich gering. Konstantin Sherstnev konnte dem Cyr keine frischen Ideen abgewinnen. Auch die auf Endzeit getrimmte Verpackung des Russen war nicht wirklich neu. Iuliia Stetsenko flog zwar energiegeladen am Luftring durchs Chapiteau und zeigte auch auch eine Vielzahl der möglichen Tricks. Dennoch schaffte es die Ukrainerin nicht, eine besondere Stimung zu kreieren. Das musste man auch den mexikanischen Clowns Paquin und Angelo attestieren. Ihre Reprisen als lebende Statuen und mit der Schleuderbrett springenden Puppe waren wahrlich bekannt. Auch die Mimik von Arturo Pérez Ramírez und seinem als Weißclown agierenden Sohn Àngel vermochten nicht zum Lachen zu animieren. Insgesamt gesehen gingen diese drei Darbietungen deutlich gegenüber den anderen Akteuren unter, was vielmehr für die zum Teil überstarke Konkurrenz und die hohe Leistungsdichte bei dieser Veranstaltung spricht.

Mit dem Festival Internacional del Circ Ciutat de Figueres hat die Circus Arts Foundation von Genis Matabosch und seinem Team innerhalb von fünf Jahren Großes geschaffen. Mit dem Ansatz, nur für Westeuropa noch unbekannte Darbietungen zu präsentieren, gehört es längst zu den wichtigsten Terminen im Festival-Kalender. Für ein paar Tage im Jahr ist Figueres zum Anlaufpunkt der internationalen Circuswelt geworden. Es bleibt die Hoffnung, dass man auch die anderen Pläne verwirklichen kann, damit diese Stadt das ganze Jahr über Anlaufpunkt werden wird – als ständige Heimat des Circus.

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Text: Benedikt Ricken; Fotos: Alexis Jehl