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7. Festival Internacional del Circ
Elefant d'Or Girona 2018

www.festivaldelcirc.com
155 Fotos Blaue Show ; 196 Fotos Rote Show

Girona, 22.-26. Februar 2018: Natürlich, ein Circusfestival hat auch immer eine wirtschaftliche Seite. Hier treffen Angebot und Nachfrage aufeinander. Artisten und ihre Agenten haben die Möglichkeit, für zukünftige Engagements auf sich aufmerksam zu machen. Eine Auszeichnung hilft, den Marktwert der eigenen Darbietung zu steigern. Produzenten von Shows, insbesondere Circusdirektoren, können schauen, was es Neues auf dem Markt gibt. Können sich Highlights für die nächsten Produktionen aussuchen und unter Vertrag nehmen.

Der besondere Reiz des „Festival Internacional del Circ Elefant d'Or“ besteht darin, dass dort nur Nummern zu sehen sind, die noch nicht in Westeuropa gearbeitet haben. So ist es nicht verwunderlich, das man hier auf wichtige Größen der Branche trifft. Vertreter vieler namhafter Shows sind am Rande der Manege anzutreffen. Zum siebten Mal findet dieses Festival in diesem Jahr statt, zum ersten Mal im spanischen Girona. Die ersten Ausgaben wurden im nahen Figueres gespielt, der Heimat von Genis Matabosch. Gemeinsam mit seiner Circus Arts Foundation produziert er dieses Festival. Die Größe der Stadt und die bessere Verkehrsanbindung mit TGV-Halt sowie Flughafen gaben letztendlich den Ausschlag für den Umzug nach Girona.


Chapiteau

Und dann ist so ein Festival, der Name beinhaltet es, ein großes Fest des Circus. In diesem Fall insbesondere der Artistik. Auch was diesen Aspekt angeht, haben Genis Matabosch und sein Team Großartiges geleistet. Unzählige Menschen sorgen im Vorfeld der Veranstaltung und während der fünf Tage dafür, dass Gäste und Mitwirkende ein optimales Erlebnis haben. Gastgebertum par excellence. Ein großes Chapiteau ohne Masten im Inneren gibt 2.200 Menschen je Vorstellung einen optimalen Blick auf das Geschehen in der Manege. Es kommt vom Circo Americano der Familie Faggione aus Italien. Der Viermaster als Vorzelt ist ebenfalls in weiß gehalten. Den Backstagebereich bildet ein großes Zelt, welches Garderoben, eine Kantine und reichlich Fläche zum Trainieren beherbergt.


Genis Matabosch und das Royal Circus Ballet

Vom Feinsten ist zudem der Rahmen, in dem die Vorstellungen stattfinden. Die obere Etage des Artisteneingangs mit drei Torbögen gehört dem Orchester. Die Instrumentalisten um Dirigent Camino D'Angelo musizieren zum Niederknien schön. Ihr Spiel ist einfach grandios, man könnte die Vorstellungen auch mit geschlossenen Augen genießen. Ganz egal welche Stilrichtung für die jeweilige Darbietung benötigt wird, sie beherrschen alle. Eine Sängerin und ein Sänger kommen bei Bedarf zum Einsatz. Nur da, wo es nicht anders geht, kommt die Begleitung von der Konserve. Fantastisch ist ebenfalls das grandiose Lichtdesign. Einen ungemein starken optischen Akzent setzt das zwölfköpfige Royal Circus Ballet von Gia Eradze. Traumhafte Kostüme, fantastische Choreographien und professionelle Akteure sorgen für mannigfaltige visuelle Reize. Ein wahres Fest für die Augen. Die Tänzerinnen und Tänzer eröffnen die Programmhälften. Zudem sind sie beim Finale sehr präsent. An Opening und Finale nehmen alle Mitwirkenden teil. Mit großen Fahnen ziehen sie vom Gradin in die Manege. Genis Matabosch lässt es sich nicht nehmen, selbst durch die Shows zu führen. Er macht das mit großer Präsenz und viel Charme, ohne sich selbst zu sehr in den Vordergrund zu drängen.


Truppen vom Nationalcircus von Pyöngyang, Jinan Acrobatic Troupe

88 Artisten aus 18 Nationen wetteifern um die Preise. Die wichtigsten Auszeichnungen, die Goldenen, Silbernen und Bronzenen Elefanten, werden von der zehnköpfigen „offiziellen Jury“ vergeben. Diese besteht im Wesentlichen aus Vertretern von namhaften Circussen. Maxim Nikulin jr., Nikolay Kobzov und Tatiana Zapashnaya seien hier stellvertretend genannt. In Gold geht die einer Skulptur des in Figueres geborenen Künstlers Salvador Dali nachempfundene Trophäe nach Nordkorea und China. Der Nationalcircus von Pyöngyang erhält die Auszeichung für zwei Darbietungen. Da ist zunächst ein Quartett auf dem Hochseil. In großer Höhe springt einer der Artisten über seine drei auf dem Seil sitzenden Partner. Ein anderer zeigt den Rückwärtssalto. Den Abschluss bildet eine Pyramide zu dritt, bei der der Obermann auf einem Stuhl steht. Gesichert werden die gefährlichen Tricks durch eine dicke Matte, die von zwei Helfern auf dem Manegenboden unter den Artisten hin- und hergetragen wird. Auf einer solchen landen auch die Akteure der zweiten Nummer aus Nordkorea. Eine Dame und sieben Herren vereinen darin Russische Schaukel, Schleuderbrett und Reck zu einer spannenden Darbietung. Es werden wirklich alle denkbaren Sprungkombinationen zwischen den drei Requisiten gezeigt. Am spektakulärsten sind aber die meterhohen Sprünge von der Russischen Schaukel. Beim letzten dreht der Artist unzählige Salti. 19 Personen umfasst die rein männliche Jinan Acrobatic Troupe. Sie nehmen mit zwei Nummern am Festival teil. In der einen arbeiten sie schier unglaubliche Varianten der Ikarischen Spiele. In immer neuen Konstellationen bauen sie Türme, kreieren sie neue faszinierende Abläufe, um sich gegenseitig mit den Füßen zu jonglieren. Höchste Schwierigkeitsgrade werden spielend gemeistert. Noch mehr Spaß macht das Zusehen bei ihren Hutjonglagen. Es beginnt mit einer morgendlichen Szene, in der sich die Jungs in Gymnastik üben. Ihre Konzentration wird von einem Mann mit Vogelkäfig gestört, der fröhlich durch die Gruppe läuft. Die andächtige Stille weicht einem großen Bild voller Lebendigkeit, Quirligkeit und Leichtigkeit. Die Hüte fliegen nur so durch die Luft und werden immer wieder souverän aufgefangen. Wie bei den Ikarischen Spielen entstehen immer neue, kreative Abläufe. Die ungeheuer mitreißende Livemusik macht den Genuss perfekt.


Han Kuk Ryong, Truppe Shatirov, Our Story

Bei den Gewinnern eines Silbernen Elefanten ist Nordkorea noch einmal vertreten. Han Kuk Ryong beginnt seinen Auftritt mit Handstandakrobatik am Boden im Stil von Anatoly Zalevsky. Den Hauptteil seines Auftritts bestreitet er aber auf einer sich drehenden Plattform. Immer mehr Handstäbe steckt er ineinander, bis es am Ende sieben Stück auf jeder Seite sind. Auf dem schwankenden Gebilde hält er sich im Handstand im Gleichgewicht. Schon während dieser Turm Etage für Etage entsteht, fasziniert Han Kuk Ryong mit seinen Handstandvariationen. Ein anspruchsvoller Hotelgast hält drei Pagen auf Trab – das ist die Geschichte hinter den Leiterbalancen der Truppe Shatirov. Sie inszenieren eine wilde Jagd auf eine Reisetasche. Dabei geht es die Sprossen ihrer unkonventionellen Leiterkonstruktionen hinauf und herunter. Die auf einer runden Plattform stehenden Leitern bilden so schon eine Herausforderung. Das Quartett aus Russland erklimmt sie sogar im Drei-Personen-Hoch. Die Artistik an sich ist sehr innovativ, die Präsentation lebendig und fröhlich. Den Kontrast dazu bildet das Duo „Our Story“. Die Liebesgeschichte der beiden Akrobaten aus der Republik Moldau wird von getragenen Geigenklängen begleitet. Zu Beginn ihrer Nummer treffen Iuliia Bezrukova und Igor Ticinschi erstmals aufeinander, am Ende gehen sie wieder getrennte Wege. Dazwischen zelebrieren sie eine ungemein ausdrucksstarke Kür am chinesischen Mast. Diese intensive Auseinandersetzung zweier blendend aussehender junger Menschen zieht einen in seinen Bann. In Szene gesetzt wurde sie von Dmitry Chernov. Die artistische Leistung steht der schauspielerischen in nichts nach.


Jack Dawson, Duo A & J, Audrey & Thomas

Bronze gibt es für Jack Dawson. Der Australier zeigt als „Phoenix“ traumhafte Sequenzen an den Tüchern. Er hat eine tolle Präsenz und arbeitet starke Tricks, welche nicht ohne Risiko sind. Noch riskanter ist die Nummer des Duo A & J. An den Strapaten nehmen sie uns mit ins Paradies. Zumindest suggerieren das die Äpfel, die das attraktive Paar aus der Ukraine in seinen Auftritt eingebaut hat. Dabei stellt insbesondere Oleksii Malyi die Kraft seines Gebisses unter Beweis. Nämlich dann, wenn er das Gewicht seiner Partnerin Julia Makarova und sein eigenes mit den Zähnen hält. Die beiden schaffen wahrhaft paradiesische Bilder unter der Kuppel, die ebenfalls mit einem Bronzenen Elefant belohnt werden. Seinen großen Auftritt verdankt Alexander Dubinin dem männlichen Teil des Royal Circus Ballets. Mit Queues in den Händen entführen sie uns in einen Billardsaal. In dessen Zentrum jongliert der blonde Russe mit weißen Bällen und wird so Teil der Szenerie. Dafür gibt es noch einmal Bronze. An das Ballett vergibt die Jury einen Spezialpreis. Der Publikumspreis geht an die Artisten aus Pyongyang, die Kritikerjury zeichnet Handstandakrobat Han Kuk Ryong aus. Die Fotografenjury entscheidet sich für Audrey (Labeau) & Thomas (Rhys Evans). Die Französin und der US-Amerikaner lernten sich über Facebook kennen. Ihre Darbietung aber beginnt ganz klassisch. Die beiden treffen sich zum Rendezvous, das Telefon – mit Wählscheibe – klingelt. Sie nimmt ab und spricht eine gefühlte Ewigkeit. Er nimmt Reißaus, begibt sich ans Trapez. Kurz darauf folgt sie ihm und beide zeigen leistungsstarke Akrobatik. Insbesondere die zahlreichen Handvoltigen sind faszinierend. So leicht sie aussehen, so riskant sind sie auch. Audrey wagt gefährliche Flüge, die von Thomas sicher aufgefangen werden. Das Risiko ist nicht unerheblich. Die Zuschauer fiebern mit den Artisten, genießen den charmanten Auftritt und sind am Ende doch irgendwie froh, wenn Audrey & Thomas wieder den festen Boden der Manege unter ihren Füßen haben.


Kalle Pikkuharju, Susana Reyes, Alyona Tsvetkova

Für die meisten der weiteren Teilnehmer gibt es einen der zahlreichen Sonderpreise. Aber auch wer leer ausgeht hat gute Chancen, ein Engagement in einer renommierten Produktion zu erhalten. Denn die Sichtbarkeit ist bei diesem Festival so oder so gegeben. Noch ausdrucksstärker als bei seiner Teilnahme am European Youth Circus 2016 in Wiesbaden geworden ist Kalle Pikkuharju. Der Finne beherrscht die für einen Mann ungewöhnliche Kunst der Kontorsion. Er hat seine Aufmachung komplett umgestaltet und präsentiert sich jetzt im blauen Kostüm als „Zephyr“. Der Kontorsion verschrieben hat sich ebenfalls Susana Reyes. Sie verbindet ihre klassisch aufgemachte Nummer mit Handstandakrobatik. Der Schuss mit einem Pfeil auf einen Luftballon bildet den Schlusspunkt. Den Bogen bedient die Chilenin selbstverständlich mit den Füßen. Abgesehen von drei Metallkugeln nutzt Tulga große Baumstämme, um seine Kraft zu demonstrieren. Einen legt er sich auf die Schultern und spielt damit Karussell für vier Artistinnen. Einen anderen hält der Mongole mit den Zähnen, während er an Strapaten in die Luft gezogen wird. Als Clou brennen die beiden Enden des Stamms. Der Zehenhang am ausgestreckten Arm des Partners bildet den originellen Höhepunkt der Tüchernummer von Veronika Rybchonak und Maksim Vinahradau. Ansonsten verpackt das Paar aus Weißrussland viele sehenswerte Tricks in seine Liebesgeschichte an den Bändern. Wie man vier Personen übereinander auf eine schwingende Schaukel bekommt, zeigen uns eindrucksvoll die Mitglieder der Formation De Tru aus Vietnam. In farbenfrohen Kostümen arbeiten sie auf diesem für eine Circusshow ungewöhnlichen Requisit spannende Balancen, die zumeist mittels Longen gesichert werden. Zudem bringen sie die Folklore ihrer asiatischen Heimat nach Spanien. Alyona Tsvetkova betritt die Manege in einem roten Kleid und verlässt sie in diesem auch wieder. Bei ihrer sinnlichen Kür an den Strapaten trägt sie allerdings nur ein Nachtkleidchen. Wir dürfen die attraktive Russin also bei ihrem Traum begleiten, in dem sie sich etwa ohne Hinzunahme der Hände an den Strapaten im Spagat hält.


Revolution Gauchos, Duo Kaltutskih, Duo Evolution

Mit Gruppenjonglagen im Stil eines Kartenspiels sorgen die Mitglieder der Truppe Chugunov für ordentlich Wirbel im Scheinwerferlicht. Seine Keulen lässt das Sextett nicht nur auf dem Holzboden stehend fliegen, sondern auch auf den Satteln von Einrädern sitzend. Es entstehen dynamische Bilder. Die Wirkung ihrer Darbietung mindern die Russen letztendlich aber dadurch, dass sie den Schlusstrick aufgrund eines (gewollten) Patzers immer und immer wiederholen. Ein anderes Sextett bei diesem Festival kommt aus Argentinien. Die Revolution Gauchos stellen so etwas wie die High End-Version im Genre Bola-Spiele und Trommeln dar. Die gestandenen Mannsbilder sehen nicht nur aus wie Südamerikaner aus dem Bilderbuch, sondern legen zudem das passende Temperament an den Tag. Ihre Kostüme sind ebenso wie ihr Können grandios. Ähnlich energiegeladen geraten die Peitschenspiele von Malhaz Annayev. Dabei setzt er auf die Folklore seines Heimatlandes Turkmenistan. Voller Temperament zielt er mit seinen Peitschen präzise auf ruhende und bewegliche Ziele. Sein Assistent braucht gute Nerven, wenn er etwa kurze Stäbe hält, die Annayev anvisiert. Die Tricks der Partnerakrobatik des Duo Kalutskih sehen spektakulär aus, die Übergänge von einem zum anderen sind innovativ. Allerdings ist das alles noch recht wacklig. Mit zunehmender Sicherheit werden die Russen mit den athletischen Körpern beste Chancen auf lukrative Engagements haben. Seinen bestens trainierten Oberkörper zeigt auch Yunier Padron Morales. Gemeinsam mit Alina Leiva bildet er das Duo Evolution. Die Kubaner beherrschen exzellent das Genre der Rollschuhartistik. In hohem Tempo fahren sie auf der runden Plattform auf insgesamt 16 Rollen. Wobei die von Alina Leiva meistens in der Luft sind. Etwa wenn sie auf dem Kopf ihres Partners liegt, der sich schnell um die eigene Achse dreht. Auf Tiernummern wird bei der diesjährigen Ausgabe verzichtet. Nicht aber auf Clowns. Zwei Spaßmacher sind dabei. Einer aus Russland, der andere aus Argentinien. Antoliy Okulov liefert sich mit einem Zuschauer ein feucht-fröhliches Duell. Richtig witzig wird es, wenn er sich von einigen Gästen aus dem Publikum Orangen zuwerfen lässt, um diese mit einer einer kleinen Gabel im Mund aufzufangen. Die lebhafte Schlacht gerät zu einem ausgelassenen Happening. Ruhiger angehen lässt es Pietro Vincentini. Wenngleich mit einer roten Nase versehen, hat auch er seinen ganz eigenen Auftrittsstil. Er lässt sich Hüte vom Publikum zuwerfen und jongliert mit ihnen. Zudem unternimmt er mit einem Zuschauer eine Autofahrt. Klingt bekannt, wird aber hier sehr eigenständig umgesetzt.

Insgesamt also präsentiert das „7. Festival del Circ Elefant d'Or“ eine Fülle für uns neuer Darbietungen auf höchstem Niveau. Viele von ihnen werden wir sicher bald in Mitteleuropa erleben dürfen. Einige Engagements sind schon fix, weitere werden ganz bestimmt folgen. Freuen wir uns also darauf, die Artisten bei ihren weiteren Karrieren zu begleiten. Und danken wir den Organisatoren des Festivals für das rauschende Fest des Circus, dass sie den Artisten und dem Publikum in Girona bereitet haben.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch