CHPITEAU.DE

36. Festival International du Cirque
de Monte Carlo 2012
www.montecarlofestival.mc ; 84 Fotos von Stefan Gierisch

Monte Carlo, 19. - 29. Januar 2012: Die Geschichte hat schon eine gewisse Ironie: Da gibt es in Monte Carlo ein neu geschaffenes Nachwuchsfestival (New Generation vom 4. bis 5.2.2012) und was macht die Jugend? Wartet nicht etwa, bis sie „dran“ ist, sondern startet gleich bei den „Großen“ richtig durch. Bei den Gewinnern der beiden Goldenen Clowns des 36. Internationalen Circusfestivals von Monte Carlo stand jeweils ein Teenager im Rampenlicht. Der 15-jährige Rene Casselly junior und der 19-jährige Cai Yong. Und das vollkommen verdient. Natürlich gewannen die beiden Shootingstars die begehrten Trophäen nicht alleine.

Sondern gemeinsam mit der Familie bzw. der Truppe. Vielleicht aber haben sie das gewisse Etwas gebracht, das letztendlich über die Preisvergabe entschieden hat. Die Familie von Rene Casselly war mit zwei Tierdarbietungen zum Festival gereist. In der einen zeigten sie eine ungemein trickreiche und prächtige „Hohe Schule“ mit jeweils vier berittenen Pferden und afrikanischen Elefanten.


Familie Casselly (Gold)

Besonders gefeiert aber – in der von uns besuchten Auswahlvorstellung gar mit fünffachen Standing Ovations – wurde die Elefantennummer. Diese als trickreich zu bezeichnen ist fast schon untertrieben. Hier kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Leistungen von Mensch und Tier sind schlichtweg phänomenal. Unbestrittener Star der Darbietung ist eben jener Rene Casselly junior im Zusammenspiel mit seiner Schwester Merrylu. Höhepunkt ist der Dreifache mittels Schleuderbrett auf den Elefantenrücken. Nebenbei erwähnt, gewannen die Casselly damit den ersten Goldenen Clown für Artisten aus Deutschland. Gar nicht auszumalen was hierzulande los gewesen wäre, hätte der Circus bei uns einen höheren Stellenwert.


Cai Yong, Akrobatiktruppe vom Shanghai Circus (Gold)

Der Chinese Cai Yong holte die Zuschauer gegen Ende der rund viereinhalbstündigen Auswahlvorstellung noch einmal von den Sitzen. Seine Handstandakrobatik ganz in weiß ist nicht nur absolut leistungsstark, sondern zudem noch hinreißend dargeboten. Hier unglaubliche Handstandvariationen, dort fließende Bewegungen a la Zalewski – einfach nur grandios. Den Goldenen Clown gab es aber nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Akrobatiktruppe vom Shanghai Circus, dessen Mitglied er ist. Auch wenn ich kein übermäßiger Freund von asiatischer Hochleistungsartistik bin, hat mich ihre Schleuderbrettartistik voll und ganz begeistert, ist sie doch besonders kreativ. Gesprungen wird nicht nur wie üblich von einem Podest, sondern von einem Fangstuhl oder einem Menschenturm aus. Der statische Fänger dient zusätzlich als Ziel für Flüge vom Schleuderbrett. Höhepunkte sind ein Dreifacher auf einer Stelze, ein Huckepacksprung zum Vier-Personen-Hoch und ein sehr hoher Satz, bei dem der Flieger einen Kollegen berührt, der kurz zuvor auf einen Stuhl katapultiert wurde, welcher wiederum auf zwei Perchestangen ruht. Die Chinesen gaben in der von uns besuchten Auswahlvorstellung alles und ließen sich auch von einer blutenden Platzwunde am Kopf nicht aufhalten. Wenngleich das mehrfache Wiederholen einzelner Tricks ihre Darbietung (unnötig) in die Länge zog, überzeugten sie Publikum und Jury gleichermaßen. Vladislav Goncharov gewann Silber, genauso wie die Azzario Sisters und die Truppe Vorobiev.

Der Ukrainer im edlen roten Sakko tanzte eine knappe halbe Stunde wie aufgezogen durch den Raubtierkäfig und dirigierte dabei seine sieben, zum Schluss gar zehn Mähnenlöwen. Die Tiere waren leider nicht ganz so agil und brauchten, ganz ihrem Naturell entsprechend, etwas, bis die Tricks standen. Imposant ist gleich zu Beginn die Pyramide mit sieben Hochsitzern. Besonders interessant fand ich das (fast) synchrone Übereinanderspringen von drei Löwenpaaren. Außerdem zeigt er u.a. den Rachentrick, den Sprung eines Löwen über ein Podest, auf dem Goncharov auf dem Rücken liegt und als besonderen Clou das Umrunden des Käfigs während seine Tiere am Käfiggitter abgestützt Hochsitzen (oder doch mehr „Hochliegen“). Die Azzarios kennen wir unter anderem von Roncalli und Knie. Ihre Partnerequilibrisitk in spanischer Aufmachung ist stil- und schwungvoll. Und da die Leistung der beiden überaus sympathischen Töchter von Jose Mitchell auch noch stimmt, war die Preisvergabe durchaus nachvollziehbar. In großer Personalstärke waren die Vorobiev an die Cote d'azur gereist. Zu den überwiegend männlichen Artisten kam noch ein großen weibliches Ballett. Alle waren in edle Kostüme aus ihrer russischen Heimat gekleidet. In der somit gut gefüllten Manege gab es nicht nur prächtige Folklore, sondern ebenfalls riskante Sprünge von einer Russischen Schaukel zu einer gegenüberliegenden, zum Finale natürlich auch von zwei Springern gleichzeitig.


Truppe Vorobiev (Silber)

Der Bronzene Clown wurde gleich sechsfach vergeben. Die Geschwister Stipka zelebrierten mit ihrem Pas de deux auf Friesen den klassischen Circus par excellence. Die Inszenierung war jene mit schwarzen und weißen Tüchern in der Manegenmitte, wie sie beim letzten Ravensburger Weihnachtscircus zu sehen war. Beim Schlusstrick steht Denisa nun nur noch mit einem Bein auf dem Kopf ihres Bruders Dany. Ebenfalls um Geschwister handelt es sich bei den Skating Pilar, die tolle Tricks auf Rollschuhen zeigten. Die Akrobatik an Strapaten des Duo Israfilov erinnert stark an die Nummer des Duos Flight of Passion. Doch haben die Artisten vom Bolshoi Circus eigenständige Tricks im Repertoire und überzeugen zudem durch die arabische Aufmachung ihrer Kür.


"Flying to the Stars", Duo Israfilov, Truppe Kadghaa (Bronze)

Die Flying Zuninga kennen wir aus dem aktuellen Saisonprogramm des Circus Krone. Wie bekannt, sparen sie sich die Show in der Manege und starten gleich in der Luft. Selbst den Dreifachen springen sie mal eben so ohne Ankündigung, als wäre er etwas ganz normales. Die Truppe Kadghaa vereint Kraftakrobatik und Handvoltigen. Beides verpackt in gefällige mongolische Folklore. Der sechste Bronzene Clown ging an die Truppe „Flying to the stars“ für ihre Akrobatik an zwei Reckstangen zwischen denen ein Trampolin steht, welches interessante Sprungvariationen erlaubt.


Steve Eleky

Keinen Clown hingegen gab es für die Spaßmacher des Festivals. Das Trio um Jose Mitchell lieferte mit dem Wasserentree wieder einen zuverlässigen Lachschlager, wobei in einem solch großen Chapiteau wie in Monte Carlo in den hinteren Reihen natürlich viel von ihrer umwerfenden Mimik verloren geht. Dass seine Nummern auf französisch genauso gut wie auf deutsch funktionieren, bewies Steve Eleky. Sowohl mit seinen Jonglagen („C'est moi, le jongleur.“) als auch mit den Zaubereien sorgte er für die vielleicht größten Lachsalven bei diesem Festival. Dem Duo Bobylev hätte man etwas mehr Raum gewünscht. Meist wurden sie dazu eingesetzt, Umbaupausen zu überbrücken. Gut für den Ablauf, weniger gut für das russische Clownspaar. Zumindest bei ihrem lustigen und artistisch anspruchsvollen Tischtennismatch durften sie zeigen, was sie draufhaben. Marc Metral holte sich als Bauchredner wie so viele seiner Kollegen Zuschauer in die Manege und gab ihnen neue Stimmen. Weitaus besser aber gefiel uns sein Spiel mit Puppen und einem Hund. Wie gewohnt mit großer Freude und vollem Einsatz bei der Sache waren Mercedes Probst und ihre Tochter Alexandra. Gemeinsam oder vielmehr (gewollt) gegeneinander präsentierten sie ihre Haustierrevue in pink.

Will heißen, sowohl die Requisiten als auch die Outfits der Tierlehrerinnen waren in diesem Farbton gehalten. Dazu erklangen deutsche Schlager von anno dazumal. Unzählige Beine hatte die große Ponyrevue, die Mercedes Probst vorführte und mit dem Steiger eines großen Pferds beschloss. Bei Conelli konnten wir im vergangenen Dezember Erika Shavrina erleben. Am schwingenden Solotrapez zeigte sie die gewagtesten Abfaller, die ohne Longensicherung so sicher nicht möglich wären. Mit zwei verschiedenen Darbietungen war die Kanadierin Erika Lemay in den beiden Auswahlvorstellungen zu sehen. Ihre an sich sehr schönen Nummern am Luftring und als Handstandartistin wurden durch schwermütige, tragische Musikuntermalung zu schwerer Kost und erschienen mir in diesem Rahmen schlichtweg deplatziert.


Bingo, Alexandra Probst,
Erika Shavrina

Vor Lebensfreude sprühte dagegen der junge Jongleur Ty Tojo. Seine Spezialität sind schnelle Jonglagen mit zig Bällen, die er hinter dem Rücken wirft und fängt. Es hätte mich nicht gewundert, wäre auch er mit einem Clown nach Hause gefahren. Jongliert wurde ebenfalls beim Duo Rubsov. Requisiten waren hier rote Melonenhüte, die sich die russischen Geschwister aus der gleichnamigen Fast Track-Truppe im Tangorhythmus zuwerfen. Zusätzliche Schwierigkeit kommt durch den Bau eines Turms aus Stühlen hinzu, der in die Jonglagen einbezogen wird. In allen vier Auswahlvorstellungen dabei waren die beiden Motorradkugeln der Infernal Varanne. Tatsächlich gearbeitet haben sie aber nur in drei davon. In der ersten bekamen sie aufgrund von Nässe ihre Maschinen nicht zum laufen. In den folgenden fuhren sie zunächst zumeist synchron in zwei Kugeln und zu sechst in einer, während auf dem Kugelboden zusätzlich eine Frau stand. In zwei verschiedenen Aufmachungen bereicherte die Truppe Cherifian die Shows. Einmal im klassischen Outfit einer marokkanischen Springertruppe und das andere Mal im Piratenlook zu „Fluch der Karibik“. Die Trickfolge aus Sprüngen und Menschentürmen blieb in beiden Fällen die gleiche. Mit einer großen Zahl an Artisten und Musikern war das Circustheater Bingo vertreten. In verschiedenen Schaubildern gestalteten sie die Openings und steuerten mit groß aufgemachter Luftakrobatik an drei Trapezen sowie Kontorsion zwei weitere Programmpunkte bei.


Finale

Soweit die Preisträger und weiteren Teilnehmer. Das Festival ist natürlich weit mehr als die Summe daraus. Schon der Beginn der Shows ist faszinierend: Das große Orchester von Reto Parolari spielt den monegassischen Circusmarsch, die Fürstenfamilie zieht ein, während die Zuschauer von ihren Plätzen aufstehen. Dann ziehen die Artisten mit Fahnen aus aller Herren Länder ein. Wenn dann beim Finale die rund 200 Mitwirkenden gemeinsam in der Manege stehen, ist das schon ein faszinierender Anblick. In der Stadt sind nahezu alle Schaufenster circensisch geschmückt, an jeder Straßenecke findet man einen Hinweis auf das Festival, welches so in aller Munde ist. Das Niveau der teilnehmenden Darbietungen war auch in diesem Jahr wieder erfreulich hoch. Neben vielen bekannten Nummern gab es einiges Neues zu entdecken. Grossen Wert wird nach wie vor auf Tiernummern gelegt. In der heutigen Zeit ist dies nicht hoch genug einzuschätzen. Das Fürstentum, dessen Fläche nicht größer als die des Englischen Gartens in München ist, leistet dank der großen Circusliebhaberin Prinzessin Stephanie mit diesem nach wie vor renommiertesten aller Circusfestivals einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für das Ansehen des Circus insgesamt - Respekt!

__________________________________________________________________________
Text und Fotos: Stefan Gierisch