Bei der Bekanntgabe der
Preisträger in der Nacht von Sonntag auf Montag dann die
Gewissheit: Es werden zwei Goldene Clowns verliehen. Damit
setzte die Jury ein zusätzliches Ausrufezeichen hinter die
Festival-Beiträge von Martin Lacey junior und Gia Eradze. Und
das völlig zu Recht. Denn beide haben auf ihre ganz eigene Art
diese Circus-Festspiele von Monte Carlo geprägt. Nicht nur
das. Sie haben letztendlich Circus-Geschichte geschrieben.
Martin Lacey junior
Martin Lacey junior hat beim
Circusfestival von Monte Carlo bereits Silber (2000) und Gold
(2010) gewonnen. Da seine aktuelle gemischte Raubtiergruppe
noch größer als die bisherigen ist und mindestens genauso
trickstark, musste es 2019 einfach wieder Gold werden. Doch
Martin Lacey junior ruht sich nicht auf seinen
Vorschusslorbeeren aus. Vielmehr beweist er an der Cote d'azur
einmal mehr, warum er eine absolute Ausnahmeerscheinung ist.
Die Gehege für die Löwen und Tiger sind so großzügig
aufgebaut, wie es der Platz zulässt. Alle Besucher können sich
davon überzeugen, dass die Großkatzen bestens gepflegt und
völlig entspannt sind. Der Tierlehrer selbst kennt keine
Allüren, steht jederzeit für ein Gespräch zur Verfügung, ist
für seine Fans da. In den Auswahlvorstellungen begeistert er
gleich mit zwei verschiedenen Nummern. Da ist zum Einen die
große gemischte Gruppe mit 26 Tieren. Alternativ präsentiert
der Brite eine Darbietung mit zwölf Löwen. In letzterer wird
die Liebe zwischen Mensch und Tier noch stärker in den
Vordergrund gestellt. Martin Lacey junior schmust noch mehr
mit einzelnen Löwinnen, das Miteinander ist intensiver zu
spüren. Dazu gibt es etwa einen Fächer mit zehn Tieren oder
Scheinangriffe von Löwenmann King. Am Ende verlässt er den
Käfig gemeinsam mit dem prächtigen Mähnenlöwen Baluga. Dafür
wurde der Bereich dahinter mit weiteren Gitterteilen
abgesichert.
Martin Lacey junior
Die große Gruppe besticht durch
die Anzahl der Tiere genauso wie durch die gezeigten Tricks.
Auch an den vermeintlich kleinen Dingen wird die einzigartige
Leistung sichtbar. Beim Hochsitzen von 21 im Kreis
angeordneten Löwen verlässt eine Löwin die Gruppe. Martin
Lacey junior geht auf sie ein, holt sie zurück. Danach wieder
das gleiche Spiel. Also schickt er mehrere Tiere auf ihre
Plätze, um eine Unebenheit im Boden zu glätten. Er bittet die
Löwen wieder in die Runde und siehe da, alle 21 sitzen hoch.
Das alles unter den Augen von mehreren Tausend Zuschauern.
Währenddessen hat er immer alle anderen Tiere im Blick. Alles
läuft ruhig und entspannt ab. Ein faszinierendes Detail, das
mir in besonderer Erinnerung geblieben ist. Diese Szene ist
denn an diesem Abend auch die einzige Trickwiederholung. Sonst
läuft alles wie am Schnürchen. Neben dem Goldenen Clown gibt
es für Martin Lacey junior den Spezialpreis der Jury, den
Preis des Publikums sowie den der Junioren-Jury. Mithin hat er
sowohl die Experten als auch die Zuschauer als auch die Jugend
überzeugt. Mehr geht nicht. Welch ein Glück, dass wir diese
faszinierende Raubtiergruppe auch 2019 wieder auf Tour in
Deutschland erleben dürfen.
"Hommage an Fabergé" des Royal
Circus von Gia Eradze
Gia
Eradze ist mit einem vielköpfigen Ensemble, Pferden und einer
großen Menge an Material in das Fürstentum am Mittelmeer
gereist. Gezeigt werden jene Darbietungen, die kurz zuvor beim
Weltweihnachtscircus in Stuttgart engagiert waren. Hinzu kommt
eine weitere Ballettszene sowie ein prächtiges Opening und
Finale. Der artistische Direktor des russischen Royal Circus
versteht sich bestens auf die opulente Inszenierung. Er träumt
den Circus neu, das aber auf traditioneller Basis. Alles ist
groß, prächtig und eben traumhaft. Es gibt etliche Auftritte
des 24-köpfigen Balletts in unterschiedlichen Choreographien.
Zumeist stehen sie im Zusammenhang mit einer der Nummern des
Royal Circus. Die Tänzerinnen sowie Tänzer sehen blendend aus,
sie beherrschen ihre Kunst und kreieren große Bilder. Die
Kostüme sind verschwenderisch. Zwei Darbietungen gehören ihnen
ganz alleine. Da ist der Tanz an bunten Bändern, Flugsequenzen
inklusive. Weitaus opulenter gerät die „Hommage an Fabergé“.
Eine Huldigung der russischen Kultur, ganz besonders aber des
Juweliers Karl Fabergé. Sechs dieser von ihm kreierten Eier in
zigfacher Vergrößerung dienen als Kulisse für ausschweifende
Quick Change-Illusionen. Sechs Paare wechseln prächtige
Gewänder, ein Zeremonienmeister dirigiert das Spektakel.
Kostümillusionen an sich hat man sicher schon filigraner
gesehen. Die gesamte Inszenierung jedoch ist ein Fest für das
Auge.
"Weißes Tableau" des Royal
Circus von Gia Eradze
Gleich zwei unterschiedliche
folkloristische Choreographien des Balletts begleiten die
Reiterei der weiblichen Dshigitentruppe des Royal Circus. Die
sechs Amazonen zeigen mit ihren Pferden temperamentvoll das
ganze Programm. Nicht zu unterschätzen ist die dafür
aufzuwendende Kraft. In eine Zigeuner-Szene verpackt ist die
zum größten Teil freihändige Reiterei von Yuri Volodchenkov.
Es ist ein rassiges, äußerst lebhaftes Zusammenspiel von
Mensch und Tier. Insbesondere die Sprünge des Pferds mit
Volodchenkov auf dem Rücken begeistern. Das ausschweifendste
Schaubild ist das „weiße Tableau“, wie es in Monte Carlo
angekündigt wird. Es beginnt mit Tänzern mit großen
Engelsflügeln. Dann gibt es eine Solofreiheit, bei der das
Pferd ebenfalls Flügel trägt. Ferner erleben wir Akrobatik am
Luftring sowie an den Strapaten. Ein Pianist sitzt zunächst am
Flügel, kurz darauf bildet das Instrument die Plattform für
seine Handstand-Equilibristik. Dabei wird er von
Wasserfontänen begleitet, die aus dem Klavier entspringen.
Dazu immer wieder das Ballett. Alles ist natürlich in Weiß
gehalten. Ein wahrhaft opulenter „Traum in weiß“, der in einer
der beiden Auswahlvorstellungen als Schlussnummer gesetzt und
somit nach Mitternacht zu erleben ist. Das verleitet den ein
oder anderen Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes zum
Träumen. Pünktlich zum Finale allerdings ist mein Sitznachbar
wieder voll bei der Sache.
Truppe Filinov, Duo Just 2 Men,
Troupe Acrobatique Nationale de Chine
Separat bewertet die Jury die
Truppe Filinov, welche ebenfalls zum Royal Circus gehört. In
Stuttgart noch vom Verletzungspech verfolgt, bieten die
Akteure jetzt eine wahre Glanzleistung an der doppelten
Russischen Schaukel. Die anspruchsvollen und nicht
ungefährlichen Sprünge gelingen perfekt. Dafür gibt es einen
Silbernen Clown. Mit einem solchen wird auch die Truppe Aliev
ausgezeichnet. Ihr großes Luftschauspiel wurde extra für das
Festival von Alexandre Grimailo und Maxim Nikulin kreiert. Sie
arbeiten in bunten Kostümen zu Musik von Klassik bis modern.
Ihr Requisit erinnert stark an das von den Borzovi
ursprünglich verwendete. Einziger Unterschied: Zum Schluss
gibt es zwei schwingende Fangstühle. Davor erleben wir Sprünge
auf dem Russischen Barren sowie zwischen zwei statischen
Fangstühlen. Schlusstrick ist ein weiter Satz mit verbundenen
Augen zu einem Fänger am schwingenden Fangstuhl. Silber Nummer
drei erhält das Duo Just 2 Men. An den Strapaten zelebrieren
Artem Lyubanevych und Oleg Shakirov eine wahrhaft starke Kür.
Einige ihrer Tricks kennen wir aus der Partner-Equilibristik.
Hier werden sie für die Luftakrobatik neu interpretiert. Artem
Lyubanevych arbeitet zudem in einem separaten Auftritt ein
Solo am Flying Pole. Die beiden Darbietungen der „Troupe
Acrobatique Nationale de Chine“ werden mit dem vierten
Silbernen Clown prämiert. In der einen erleben wir einen
Solisten mit Handstandakrobatik. Durch das Ineinanderstecken
von Handstäben nähert er sich immer weiter der Kuppel des
Chapiteaus. Am Ende wird sogar das ganze Requisit oberhalb des
Sockels ausgefahren. Zwischendurch wagt Xing Yunwei den
Klötzchentrick in beachtlicher Höhe. Eine Longe sichert seinen
Auftritt ab. Die Aufmachung der Nummer allerdings gefällt
nicht allen Zuschauern, treten doch Xing Yunwei und die ihn am
Boden begleitenden Artisten in Sportoutfits auf. Der zweite
Wettbewerbsbeitrag der chinesischen Truppe ist absolut
innovativ. „Die 9. Welle“ betiteln sie ihre Akrobatik am
Dreifach-Masten. Die Stangen sind an jeweils einem Ende
miteinander verbunden und können in verschiedenen Varianten
aufgebaut werden. Es sind Sprünge von Mast zu Mast und vom
Mast auf eine Matte möglich. Im Mittelteil ihrer Nummer
arbeiten sie an einem vertikalen Pole. Die Tricks hier sind
extrem spektakulär. So hält sich etwa ein Artist am Mast fest,
während auf seinen Füßen vier weitere übereinander stehen.
Quartett Prilepin, Owl and
Pussycat, Charlotte & Nicolas
Gleich sechs Mal gibt es in
diesem Jahr den Bronzenen Clown. Eine Hommage an die Beatles
sind die Handstandakrobatik sowie die Handvoltigen des
Quartett Prilepin. Als Musik dazu erklingt „Yesterday“, die
Russen vom Bolshoi Circus tragen Anzug, Hemd und Krawatte.
Diese Präsentation macht einfach Spaß und unterstützt den
starken Auftritt bestens. Paul Tracogna und Adrienne
Jack-Sands haben sich 2012 in Seattle kennengelernt. Der
Australier Tracogna wurde von Steven Rodleigh zum
Trapezartisten ausgebildet und war 2008/09 mit den Flying Bull
Dancers am Fliegenden Trapez zu Gast im Pariser Cirque d'Hiver.
2017 hat er gemeinsam mit Jack-Sands die nun in Monte Carlo
gezeigte Nummer am Duo-Trapez entwickelt. Als „Owl and Pussy
Cat“ erzählen die beiden eine intensive Liebesgeschichte hoch
über der Manege. Die darin enthaltenen Flugsequenzen von
Adrienne Jack-Sands sind faszinierend und durchaus riskant.
Nicolas Jelmoni ist der erste Monegasse, der am
Internationalen Circusfestival in diesem Fürstentum teilnimmt.
Gemeinsam mit Charlotte O'Sullivan überzeugt er seine
Landsleute ebenso wie die anderen Gäste im Chapiteau und nicht
zuletzt die Jury von seinen Künsten. Die dynamische
Hand-auf-Hand-Akrobatik begeistert sie alle.
Familie Joy Gärtner, Cesar
Dias, Without Socks
Zwei verschiedene Nummern
präsentiert die Familie von Joy Gärtner mit ihren vier
indischen Elefanten. Vier junge Damen und drei junge Herren
reiten in Auftritts-Variante eins auf den Dickhäutern und
zeigen Akrobatik mit ihnen. So werden die vielfältigen Tricks
der Tiere wie der Big Mount oder das Hochsitzen auf
Postamenten noch ansprechender gestaltet. In Variante zwei
stehen Handstände auf den Tieren sowie der Sprung mit einem
Schleuderbrett auf den Elefantenrücken im Mittelpunkt. Die
Damen sind hier nicht dabei. Der Clou ist aber die
Rahmengeschichte. Sie erzählt die Freundschaft von einem
kleinen Jungen zu seinem Dickhäuter. Wunderbar gespielt und –
wie die gesamte Nummer – durch Melodien aus dem Film „Greatest
Showman“ von einer Sängerin live begleitet. Bronze erhält auch
Cesar Dias, der in Deutschland bestens durch sein mehrjähriges
Engagement beim Zirkus Charles Knie bekannt ist. Bei seinem
Auftritt mit Mikrofonständer und singender Säge reagiert das
Publikum noch verhalten, beim Pistolenduell mit einem
Zuschauer nimmt die Begeisterung spürbar zu, und bei „My Way“
hat der Clown aus Portugal die Herzen des Publikums dann
endgültig gewonnen. Without Socks interpretieren das
klassische Clowns-Trio neu. Die jungen Russen sind einfach
skurrile Typen und sorgen für jede Menge gute Laune. Am besten
gefallen hat mir die Nummer, bei der sie in den Rollen Jäger,
Hund und Hase ein Foto mittels Selbstauslöser machen wollen.
Als dies nicht gelingt, soll ein Zuschauer helfen, was aber
erst im zweiten Anlauf funktioniert. Der herrliche Spaß endet
tödlich. Ein kleiner Engel sorgt dann doch noch für ein Happy
End. Ab April sind Without Socks mit dem Circus Krone auf Tour
durch Deutschland.
Alan Sulc, Nazerke & Yoka, 3 J
Dank der zahlreichen
Sonderpreise muss kein Teilnehmer ohne Auszeichnung die
Heimreise antreten. So darf sich Alan Sulc etwa über den Preis
der GCD freuen. Seine Bouncing-Jonglagen zur Musik aus „Lord
of the Dance“ sind voller Dynamik und von hohem
Schwierigkeitsgrad. Nicht leicht haben es die Dias Brothers in
den Auswahlvorstellungen, müssen sie doch direkt nach dem
fulminanten Opening im Duo das Publikum für sich gewinnen. Das
gelingt dem 19-jährigen Ruben und dem 16-jährigen Flavio-Ivan
spielend. Mit ihren flotten Ikarischen Spielen machen sie
ordentlich Tempo. Als Krönung ihrer umjubelten Darbietung
erleben wir einen Doppelsalto gefolgt von einer Schraube.
Diese Kombination wird schnell hintereinander mehrfach
wiederholt. Ein Exot in Circusmanegen ist derzeit noch das
Hoverboard. Auf diesem Brett zwischen zwei selbstfahrenden
Reifen zeigen Nazerke und Yoka anspruchsvolle
Gleichgewichtskunst. Als Höhepunkt steht Yoka auf den
Zehenspitzen eines Fußes auf dem Kopf von Nazerke und hält
wiederum mit ihrem Kopf einen Ball in der Luft.
Krankheitsbedingt nur in einer der Auswahlshows auftreten
können 3 J. Und da fallen dann noch ein paar der weißen Keulen
außerplanmäßig zu Boden. Nichtsdestotrotz bilden die modern
aufgemachten Partner-Jonglagen einen frischen Kontrast zur
davor platzierten Produktionsnummer mit den Fabergé-Eiern.
Imposant ist die Dressur von fünf Bisons von Marcel Krämer.
Der deutsche Tierlehrer zeigt mit den zotteligen Rindern eine
echte Freiheit, in die ein Pferd integriert ist. Ein solches
bereichert auch die Vorführung von sechs quirligen Eseln. Auf
dem Pferd stehend lässt Krämer ein Lasso kreisen, während die
Esel über das Sägemehl laufen. Ein feucht-fröhlicher Spaß ist
das Entree von Fips & Beau. Die Clowns von „Mister Fips Wonder
Circus“ aus Großbritannien wollen eigentlich eine
Geburtstagstorte fabrizieren. Daraus wird allerdings eine
lebhafte Schlacht mit Wasser und bunter Creme.
Blick ins Opening
Dank des Orchesters Reto
Parolari sitzt wie gewohnt ein imposantes Ensemble über der
breiten Gardine. Nicht bei allen Nummern dürfen die
großartigen Musiker unter der Leitung von Orchesterchef
Vladimir Jäggi spielen. Umso mehr genießen wir jene
Darbietungen, die auf eine Livebegleitung setzen. Oder aber
den monegassischen Circusmarsch, zu dem die Artisten mit
Flaggen ins Chapiteau von Fontvieille einziehen. Das
Lichtdesign ist gewohnt stark. Die Clowns en Folie musizieren
während des Abbaus des Zentralkäfigs sowie – je nach
Vorstellung unterschiedlich - des Aufbaus der Russischen
Schaukeln beziehungsweise des Holzbodens. Allerdings gerät
diese Unterbrechung so lange, dass auch noch das Orchester ein
Stück spielt und Petit Gougou die Jury vorstellt. Oftmals sind
die Umbauten recht aufwendig. Zumeist werden sie durch
Moderationen vom Monsieur Loyal überbrückt. In recht monotoner
Sprechweise erzählt er vom Programmheft mit Ausmalbild, vom
Fußballspiel der Mannschaft des Fürsten gegen eine Auswahl von
Artisten, vom ökumenischen Gottesdienst und und und. Nach
Mitternacht werden wir dann nochmals an Fußballspiel und
Gottesdienst erinnert. Das nervt irgendwann. Insbesondere wenn
alles vorbereitet ist und die nächste Nummer bereits starten
könnte. |