Familie Eric Rech
Ein großes
Einkaufszentrum, in unmittelbarer Nachbarschaft der Halle,
bietet die größte sichtbare Werbeplattform. Am Wochenende vor
dem Festival trat dort während zweier Tage Jann Gruss mit seinen
Raubtieren auf. Am Vortag des Festivals war die
Bügler-Tonelli Hochseilshow dort zu Gast und an den beiden
Tagen der Wertungsvorstellungen gab die Familie von Eric Rech
dort Vorstellungen. Vormittags bestand für Kinder jeweils eine
Stunde lang die Gelegenheit auf einem Seil zu laufen oder sich
am Trapez zu versuchen. Nachmittags wurden jeweils drei, an den
beiden Tagen verschiedene Vorstellungen, von rund dreißig
Minuten gegeben. Die Location in der Ladenstraße des Zentrums
ist ideal. Auf acht verzierten, holzverkleideten Säulen ruht ein
erhöhtes, mit Glaselementen versehenes Kuppeldach, darunter eine
Fünfmetermanege mit kleiner Piste und rotem Teppich, etwa
vierzig Holzklappstühle mit roten Plüschbezügen, ein ansprechend
gestalteter Artisteneingang und schon entsteht, mit nur ganz
wenig Phantasie, die Anmutung eines Circusgebäudes. Die sechs
Nummern, die die Familie Rech präsentiert, sind von beachtlicher
Qualität und werden perfekt gearbeitet. Ihren besonderen Reiz
erhalten sie durch die sonst so nicht zu erlebende Nähe zwischen
Akteur und Zuschauer. Familienoberhaupt Eric sen. moderiert die
Vorstellungen. Am ersten Tag sehen wir Sabrina mit Hula Hoop,
anschließend zeigt ihre Schwägerin Jessica ihre Geschicklichkeit
mit den Füssen. Als Antipodistin wirbelt sie gekonnt die
Requisiten durch die Luft. Die Truppe der vier Rech Junioren -
Eric jun. Stephane, Alexandre und Sabrina - liefert eine
rasante Show auf Ein- und Stangenrädern. Die zweite
Vorstellung startet mit Alexandre auf der Rola. Geschickt und
sicher agiert er auf dem labilen Untergrund, steigt durch Ringe,
stapelt Tischchen, türmt Kegel und Rollen aufeinander. Originell
der Trick zu dem er zwei kleine freistehende Leitern auf der
Rola erklimmt. Der vierzehnjährige Ricky, Sohn von Eric jun.,
leitet seine Jonglage, er arbeitet mit je bis zu fünf kleinen
Bällen, Keulen und Ringen, mit einer Tanzszene a la Michael
Jackson ein. Gemäß der französischen Circustradition endet das
Programm mit einem Clownsentree. Direktor Eric Rech, als
Weißclown, gibt mit Eric jun. und Alexandre ‘ein Teller und ein
Ei’. Schwungvoll und flott präsentiert, wird die gewünschte
Wirkung beim Publikum erzielt. Besonders hervorstechend sind die
außergewöhnlich liebevoll geschminkten Gesichter der beiden
Auguste.
Kommen wir zum
Festival zurück. Nähert man sich der Halle, sind die Elefanten
der Errani-Familie erster Blickfang. Sie sind direkt vor der
Halle stationiert. Dort ist auch der Mast und die Seile der
Bügler-Tonelli Hochseilshow montiert. Nach Angaben der
Betreiber misst die Grand Hall 100 x 100 Meter bei einer
Raumhöhe von 16 - 18 Meter. Riesige Dimensionen, die man nicht
ungeschickt an die Belange des Circus anzupassen versuchte. Im
vorderen Hallenviertel ist das Chapiteau-Dach des Georget Family
Circus errichtet. Der kleine Viermaster passt mühelos hier
hinein und verleiht dem Informations/Kassendesk und dem
Souvenirstand Circusatmosphäre. Dort sind neben Programmheften
auch Leuchtstäbe zu erwerben. Größere Metallplatten mit dem
herausgelaserten Konterfei Grocks stehen ein wenig versteckt im
Hintergrund. Das es sich dabei nicht um besondere, kaufbare
Souvenirs sondern um die Trophäen des Festivals handelt,
erschließt sich dem interessierten Besucher erst auf
Nachfrage.Seitlich neben dem Chapiteau finden sich
Gastrobereiche und eine kleine Fernsehbühne eines Regionalkanals
an. Den größten Teil der Halle füllen naturgemäß Manege, Logen
und drei gerade Gradintribünen mit bis zu fünfundzwanzig
Sitzreihen. Der hintere Teil ist mit deckenhohen Vorhängen
abgetrennt, zwischen denen die Orchesterbühne der Cirque
National Alexis Gruss ihren Platz gefunden hat. Das die
Raubtiere ebenfalls dort Quartier fanden, stellen sie des
Öfteren mit eindrucksvoller Geräuschkulisse unter Beweis.
Seitlich entlang
der Gänge zwischen die Tribünen hat man mit Stellwänden und
künstlichen Bäumchen geschickt die riesigen leeren Flächen
kaschiert. Die Böden sind mit Teppichmaterial ausgelegt, so dass
insgesamt für eine ordentliche Atmosphäre gesorgt wurde.
Allerdings sind vier Logenreihen, der Sitz zu € 37,-, zu ebener
Erde nach unserer Auffassung denn doch ein wenig zu viel, um
allen eine angemessene Sicht in die Manege zu bieten. Das Gradin
ist bereits in der ersten Reihe um fünf Stufen erhöht, die
Fronttribüne steht allerdings so weit von den Logen entfernt,
dass man in einem durchschnittlichen Chapiteau bereits in der
hintersten Reihe sitzen würde. Vorzüglich die fast
ausschließlich mit Scannern bestückte Lichtanlage, die von zwei
immens starken Verfolgern komplettiert wird. Präsentiert werden
die Vorstellungen von der Manegensprecher-Institution -
Sergio. Gewand, wortreich und fundiert - leider manchmal auch zu
selbstverliebt langatmig und den Schwung herausnehmend - ist er
während der Vorstellungen omnipräsent. Die Ouvertüre ist
einer der leider viel zu seltenen Momente, in denen das
ausgezeichnete zwölfköpfige Orchester, auch Stephane und Firmin
Gruss sind des Öfteren auf dem Podium zu finden, sein Können
unter Beweis stellen darf. Viel zu viele Artisten, in
Vorstellung ‘B’ der gesamte erste Programmteil, lassen sich von
CD-Klängen begleiten. Wie fast immer bei Veranstaltungen die nur
für wenige Spieltage etabliert werden, gibt es im Programmablauf
kleinere Pannen, Hänger und sonstige Ungereimtheiten, ist die
Uneingespieltheit nicht zu verbergen, der Ablauf mitunter
holprig. Hier gibt es mit Sascha Cortez und Edy Ringenbach, auch
Stephan und Firmin Gruss arbeiten im Requisiteurteam mit,
erfahrene Circusleute, die für den Fortgang der Vorstellung
sorgen. Aber wie sind sie nun, die beiden Programme und wie
kommen sie an, beim mehr oder weniger zahlreichen Publikum? Nun
die Qualität der Nummern darf getrost als ‘gemischt’ bezeichnet
werden. Spektakuläre, große, durchschnittliche und unausgereifte
Darbietungen sind gleichermaßen vertreten. Als schwierig erweist
sich, in dem riesigen Raum das Publikum wirklich zu erreichen
und zu fesseln. Dies gelingt nur partiell. Oft läuft das
Programm ‘einfach so ab’ und die Stimmung bleibt unterkühlt.
Gerade der riesige, unausgefüllte, ungestaltete, nüchterne leere
‘Luftraum’ der Halle, es wurden auch keine ‘großen’
raumfüllenden Nummern engagiert, steht in krassem Gegensatz zu
den sonstigen Sehgewohnheiten von Circusbesuchern, selbst große
Chapiteaus bieten gemessen an der Halle einen intimen Rahmen,
und nimmt der Show viel von ihrer Wirkung.
Elvis Errani
Zu den großen
Augenblicken der Veranstaltung gehören die Auftritte von Elvis
Errani, er arbeitet in allen Vorstellungen, mit seinen
Elefanten. Mit den drei topgestylten Figurantinnen kehrt ein
Hauch von Las Vegas in die Halle ein. Die drei Elefantendamen
werden ausschließlich per Stimme, der Vorführer hat weder Haken
noch Stock oder Peitsche in Händen, dirigiert. Effektvolle
Tricks reihen sich temporeich aneinander. Auch bei mehrmaligem
sehen beeindruckt der Schlusstrick. Elvis Errani sitzt Kommandos
gebend im Publikum, wenn Elefantin Baby die drei Damen Errani,
vollkommen frei und alleine arbeitend, überschreitet. Mit drei
weiteren Nummern ist die Familie im Programm vertreten. Da ist
zunächst Priscilla Errani. Modern gestylt und in ganz großer
Showverpackung präsentiert sie alle gängigen Tricks des Genres
Hula Hoop. In der anderen Vorstellung steht ihre Schwester Zeudi
als erste in der Manege. Mit gleichem Glamour wie die Schwester
zelebriert sie ihre Antipodenspiele und ein Motorrad ist Basis
ihrer Trinka. Die üblichen Requisiten, wie Bälle und Rollen
werden abgearbeitet, aber auch mit Keulen jongliert. Ebenfalls
zur Errani-Familie gehört Jongleur Marco Moressa. Seine
Requisiten sind Bälle und Keulen. Sein Auftritt wird
beeinträchtigt von seinem Kampf um angemessene Beleuchtung. Mehr
als die Hälfte seiner Nummer müht er sich in schummriger
Dunkelheit ab und seine Zeichen werden von der Lichtregie nicht
verstanden.
Martina Supka |
Die Verpflichtung des
fünfzehnjährigen Guillaume ist nur mit seiner Herkunft,
und der damit verbundenen Werbekraft, aus Tours zu
erklären. Bei einem Schulprojekt des Georget Family Circus
mit dem Circusvirus infiziert, hat er sich eine
Diabolonummer erarbeitet. Rein technisch ist sein Auftritt
gar nicht schlecht. Sein “Kostüm”, kniekurze beige Hose
mit Hosenträgern - weißes Feinrippunterhemd - weiße
Tennissocken und schwarze Halbschuhe, dazu steht - warum
auch immer - ein Notenständer in der Manege - seine drei
Diabolos transportiert er in einem Geigenkasten, lässt ihn
wie einen verschüchterten deplatzierten Klassenstreber
wirken. Er versteht es nicht, sich und sein Können ’zu
verkaufen’, spult sein Programm wie im Training ab.
Ebenfalls zu den Nachwuchsartisten gehört Martina Supka.
Ihr Metier sind Strapatentücher. Rote Tücher, ein
dunkelblaues Kostüm dass eine verdächtige Ähnlichkeit mit
einem Jogginganzug hat und überaus elegische Begleitmusik
sind die gestalterischen Merkmale, dieser vor dem
schwarzen Hintergrund des Hallendaches nur schwer
erkennbaren Nummern, die nur wenig Resonanz im Publikum
findet. |
Ganz anders dagegen Charly,
ebenfalls an Strapaten. Als strahlender Sunnyboy in gelbem
Outfit, mit umgeschnallten Flügeln beginnt er seine kraftvolle
Demonstration artistischen Könnens. Seine weiten eleganten Flüge
füllen den Raum und es ist folgerichtig, dass ihm die Jury den
Preis “Junge Talente” verleiht.
Les Martini, Miss
Vicky, Magic Jidinis
Die Martini Clowns, im
Februar waren sie im Kronebau, zeigen in einer Show ihr
bekanntes Entree. Im anderen Programm agiert ihr August David
solo - zu oft und zu lange. Seine Reprisen verlangen direkten
Publikumskontakt, der unter den gegebenen Bedingungen nicht
gegeben ist und seine Arbeit verliert viel von ihrer Wirkung.
Die Magic Jidinis, in Frankreich auch aus dem Fernsehen bekannt,
haben ihre Großillusionshow gegenüber dem Weihnachtsgastspiel in
Eindhoven vollkommen neu gestylt und auch einige andere Tricks
integriert. Eine bewährte Nummer sind die Westernspiele
von Patrick Gruss. Die bekannten Tricks des Genres mit Lasso und
Peitsche werden von ihm mit der Jonglage zweier Colts
kombiniert. Diese Darbietung bietet viel Schwung, wird
normalerweise vom Publikum gut angenommen, leider hier
allerdings auch unter den Dimensionen. Der Ventriloquist Serge
Massot setzt auf die heute vielfach zu sehende Regie zunächst
mit einer Puppe und dann mit drei Zuschauern zu kommunizieren.
Seine Pointen und seine Art kommen beim Publikum sehr gut an.
Miss Vicky, Part des Duo Garcia, ist auch mit ihrer Solonummer
in einem Programm präsent. Gekonnt, waghalsig und trickreich
sind ihre Säbelbalancen, die sie in weitem Schwung an Strapaten
und einem feststehenden Trapez wirkungsvoll zu inszenieren
versteht. Einige der verpflichteten Artisten präsentieren sich
in allen Vorstellungen der Jury. In dieser finden wir neben
anderen einen Vertreter der Veranstalter, zwei Stadträte und als
prominenten Vertreter der Circuskunst Monsieur Emilien Bouglione.
Assadouline, Jason
Peters
Fünf Löwenmänner zeigen ihre
Pyramiden, Sprünge und sonstigen Tricks routiniert und zu den
Klängen von “Born to bei wild” dreht ‘Easyrider’ Jason Peters
mit einem Löwen auf dem Sozius einige Runden in der
Gittermanege. Mit zwei unterschiedlichen Nummern wurden die neun
Assadouline aus Moskau engagiert. Ihre Stangenwurfakrobatik
wurde originell gestaltet und beinhaltet ungewöhnliche, sonst
nicht zu sehende Tricks. Mit Campingkocher, Suppenkessel und
Angelrute ist die Manege dekoriert und aus einem kleinen Zelt
erscheinen nach und nach, sehr zur Verblüffung der Zuschauer,
alle Akteure im Freizeitlook. Aus dieser Campingidylle heraus
entwickelt sich dann bald die Trickfolge. Neben den üblichen
Tricks des Genres werden Sprünge von einer zur anderen Stange,
auf Stangen im Zwei-Mann-hoch und auf Stangenpyramiden gezeigt.
Jugendlich, frisch und originell füllt diese Nummer in perfekter
Ausführung die Manege. Etwas anders dagegen der zweite Auftritt
am Schleuderbrett. Ebenfalls modern choreographiert und mit
Trickvariationen versehen, gelingt leider fast nichts. Die
Sprünge auf die Schultern der Fänger enden allesamt mit Stürzen,
ja selbst das aufbauen der zweier und dreier Fängersäulen mündet
in Stürze. Die Flüge auf eine Fangmatte glücken, während die
Stelzensprünge nur teilweise, und diese nur unter allergrößter
Mühe, gestanden werden können. Was nun die ‘Jugendjury’, dass es
eine solche überhaupt gab wurde nur bei der
Preisträgerbekanntgabe erwähnt, bewog, ausgerechnet diesen
Auftritt mit einer Auszeichnung zu versehen, wird auf immer ihr
Geheimnis bleiben.
Familie Gruss,
Diorios
Ebenfalls zweimal
in unterschiedlichen Darbietungen war die Familie von Alexis
Gruss, der selbst allerdings nicht in Erscheinung trat, zu
erleben. Zum einen gab es eine nett choreographierte
Gruppenjonglage, bevor im anderen Programm die große
Jockeyreiterei zum Zuge kam. In folkloristischer Aufmachung
präsentiert, war eine Vielzahl reiterlicher Tricks zu sehen.
Anklänge an Pas de deux, Voltigen, Sprünge über gespannte
Tücher, Sprünge auf galoppierende Pferde und Jonglage zu Pferd
werden gezeigt, bieten ein abwechslungsreiches, schwungvolles
buntes Bild. Dieses veritable Tableau an Reiterkünsten wurde mit
dem “Prix Speciale” von der Jury belohnt. In allen Vorstellungen
rasten die vier Diorios mit ihren Motorrädern in
halsbrecherischer Manier durch ihren ’Globe of Speed’.
Spätestens wenn die Kugel sich öffnet, das untere Drittel
abgesenkt wird und die Fahrer weiter kreisen, halten die
allermeisten Zuschauer mit schweißnassen Händen den Atem an.
Folgerichtig erfolgte die Preisvergabe des Publikums denn auch
an die waghalsigen brasilianischen Artisten.
Duo Garcia
Kommen wir zum
Hauptpreis “Professionnel”, den die Jury absolut zu Recht dem
Duo Garcia, als dem artistisch stärksten Akt, zuerkannte.
Perfekt gestaltet, der Start ihrer Darbietung an der rotierenden
Rakete. Gebannt wartet das Publikum, was sich aus dem
feuerspeienden metallen glänzenden Ungetüm unter der Hallendecke
entwickeln wird. Die beiden Artisten erscheinen aus ihrem Gerät
und zeigen vollkommen ungesichert ihre spektakulären und
risikoreichen Tricks. Als Höhepunkt ihrer exzellenten Darbietung
dreht Pablo seine Frau Vicky im Zahnhang, ungesichert, am
rotierenden Luftapparat aus. Das Finale ist in allen
Vorstellungen ein kurzer Aufmarsch aller Artisten und
wortgewandt beendet Sergio die Show.
Was
bleibt nun als Fazit der zwei Tage? Zwei, wenngleich
hervorragende, Dressurnummern sind zu wenig um ein
klassisches Circusprogramm zu gestalten. Weitere,
großformatige Dressuren, wie großer Exotenzug und
Pferdefreiheit, hätten unbedingt in diesen Rahmen gehört.
Den Raum mehr zu füllen, die Atmosphäre zu verdichten, das
Publikum näher ans Geschehen zu bringen - wäre dringende
Wünsche an das dritte Circusfestival von Tours, das
bereits, wiederum am vierten Septemberwochenende, fürs
nächste Jahr terminiert ist. Hallenveranstaltungen, auch
wenn teils Großartiges geboten wurde, können ‘richtigen’
Circus nicht ersetzen, seine Atmosphäre, sein Nähe und
direktes Erleben nicht übernehmen. Zwei Programme, die in
den allermeisten Circusunternehmen mit Standing Ovations
gefeiert worden wären, wurden hier gerade einmal
freundlich zur Kenntnis genommen. Oder einfach ausgedrückt
mit den Worten von Gerd Schmitt-Thiel: ”Echten Circus kann
man nur im Circus sehen”. |
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