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Young Stage - Int. Circus Festival Basel
www.young-stage.com ; 127 Showfotos

Basel, 18. Mai 2014: Das 6. “Young Stage – International Circus Festival Basel” war möglicherweise ein bisschen weniger stark besetzt als im Vorjahr. Sicherlich jedoch war das Leistungsniveau der Darbietungen homogener, dichter beieinander, so dass es nicht einfach war, klare Favoriten auf die Hauptpreise auszumachen. Wir haben unsere persönlichen Highlights jedoch gefunden: das außergewöhnliche Reifenspringen des Trios Anneaux und das kreativ-sympathische Clownsduo Céline Rey und David Melendy. Beide Acts waren bereits im Jahr 2013 mit dem Schweizer Circus Monti auf Tournee.

Ganz alleine standen wir mit unseren Eindrücken nicht, denn die hochkarätig besetzte Jury verlieh dem Trio Anneaux Silber und den Clowns Bronze. Auch der Publikumspreis ging ans Trio Anneaux.


Gold, Silber, Bronze: Evelyne Paquin-Lanthier und Shannon Gélinas, Trio Anneaux, Céline Rey und David Melendy

Vergessen Sie alles, was Sie über Reifenspringen wussten und bestaunen Sie das Trio Anneaux, könnte man sagen: Maya Kesselmann (24, USA), Ian Vasquez Lopez (25, Spanien) und Michaël Hottier (22, Frankreich), Absolventen der Brüsseler Circusschule, verwandeln diese Immer-höher-und-weiter-Disziplin der Chinesen in einen schwerelosen Tanz im Dreiviertel-Takt. Die Reifen stehen hier nicht nur aufeinander getürmt, sondern werden auch gehalten oder gar geworfen und wieder gefangen, während die Kollegen hindurchspringen. Aus Sport wird Kunst, ohne die Leistung zu vergessen – quittiert mit Riesen-Applaus des Schweizer Publikums, das erneut seine große Begeisterungsfähigkeit beweist. 2013 gab es für die Nummer bereits Gold und den Publikumspreis beim „Cirque de Demain“ in Paris. Das ultra-sympathische Clownsduo Céline Rey (27) und David Melendy (23) gerät mehrmals „im falschen Moment“ auf die Bühne und stört die Moderationen. Dann hat es doch noch seinen ersten großen Auftritt – eine kreativ umgesetzte Kunstschützen-Szene, bei der vor lauter Aufregung ständig Luftballons zerplatzen. Der Arm des Partners dient als „Pumphebel“, mit dem neue Ballons gefüllt werden. Bezaubernd ist auch das Lied vom Fliegen, das der 23-jährige Amerikaner Melendy und die 27-jährige Rey aus der französischsprachigen Westschweiz auf Schweizerdeutsch singen. Gold verlieh die Jury an die beiden 22 und 27 Jahre alten Kanadierinnen Evelyne Paquin-Lanthier und Shannon Gélinas für ihre Darbietung am still hängenden Trapez mit zwei übereinander angebrachten Trapezstangen. Diese Anordnung ermöglicht neue, schwierige Kombinationen, die hier zu ruhiger, fast sparsamer musikalischer Begleitung dargeboten und zusätzlich mit dem Preis des Circus Monti bedacht wurden.


Jubelnde Preisträger ("Jonglissimo"), smarter Moderator Max Loong und edle Zeltanlagen

Das Festival unter der Leitung von Nadja Hauser fand erneut im edlen Ambiente des reisenden Theaters „Das Zelt“ auf der Basler Rosentalanlage statt. Licht- und Tontechnik sind hier vom Feinsten, das deutsche Quintett „Äl Jawala“ spielte wieder zwischen den Nummern sowie zum Ensembletanz in Opening und Finale, und der smarte Max Loong moderierte einmal mehr professionell. Die Show wurde von Samstag bis Dienstag fünfmal gezeigt, in den letzten beiden Vorstellungen war die hochkarätig besetzte Jury anwesend. Sie bestand aus der Artistin und Circus-Regisseurin Masha Dimitri, Talentscout Philippe Agogué vom Cirque de Soleil, Entertainment-Chef Werner Buss von den GOP-Varietés, Christoph Haering vom Kultursponsoring der Migros, Trapezartist Christoph Gobet (Duo „Sorellas“), Unterhaltungsdirektor Ian Jenkins vom Europa-Park und Chefchoreograph Richard Wherlock vom Basler Ballett. Darüber hinaus durfte eine Kinderjury den „Young Star“-Preis vergeben. Die Kids entschieden sich für die vier Österreicher Manuel (27) und Christoph (31) Mitasch sowie Daniel Ledel (19) und Dominik Harant (20). Sie jonglieren im Dunkeln mit Keulen, die dank Computer-Programmierung immer wieder ihre Farben wechseln. Insgesamt eine Darbietung, die mehr vom Schauwert und der technischen Umsetzung als von der artistischen Leistung lebt.


Duo
Anivia, Duo Inart, 15ft6

Schließlich gab es bei diesem Festival auch sieben Engagements zu gewinnen – davon eines in der Schweiz und sechs in Deutschland. So darf das Silber-prämierte Trio Anneaux sich auch über ein Engagement bei der GOP-Gruppe freuen, die mit dem Kinderpreis ausgezeichnete Truppe „Jonglissimo“ wird man beim „TUI Feuerwerk der Turnkunst“ antreffen, und die Clowns werden im Freiburger Varieté am Seepark zu erleben sein. Das Duo Inart, Olga Karabanova (21) und Roman Novitskyi (24) aus der Ukraine, kombiniert sehr gefühlvoll dargeboten und zu romantischer Musik Hand-auf-Hand- und Wurfakrobatik. Der interessante und starke Schlusstrick: Olga liegt bäuchlings auf den nach oben gestreckten Händen ihres stehenden Partners, um einen Vorwärtssalto zu drehen und wieder in der Ausgangsposition zu landen. Während das Duo Inart mehr im klassischen Stil arbeitet, wird man den Russischen Barren des Trios „15ft6“ dem „Cirque Nouveau“ zuordnen können. Die überdrehte Fliegerin Tain Molendijk (20, Australien) und die beiden Untermänner Jasper d’Hondt (26, Belgien) und Richard Fox (25, Großbritannien) lassen sich viel Zeit für Schabernack zwischen den wenigen Sprüngen, die dann aber ohne Hilfestellung sauber gestanden werden. Dafür gab es, neben viel Applaus, ein Engagement in einer Show des Europa-Parks und den Preis der Schweizer Circus-, Varieté- und Artistenfreunde CVA. In einer Produktion des Circus Roncalli wird Lucas Bergandi (23, Frankreich) auftreten dürfen. Er tanzt auf einem Drahtseil, das über keine Plattform links und rechts verfügt – so muss er die komplette Darbietung in Balance auf dem Seil verbringen. Flic Flac sowie Vorwärts- und Rückwärtssalto gehören zum Repertoire. Letzterer scheiterte in der besuchten Vorstellung (ohne Juryteilnahme) leider bei allen drei Versuchen. Was beim Festival als „Aerial Bambou“ angekündigt wurde, heißt andernorts schlicht Hängeperche: Als Vertreter dieses selten gezeigten Genres gewann das Duo Anivia, die Finnin Onna Degerman und der Amerikaner Jordan Webb (beide 22), ein Engagement beim Freiburger Weihnachtscircus Circolo. Auf longengesicherte Voltigen und einen Salto der Dame folgt hier ein Wirbel an einer Handschlaufe, bei dem die Partnerin in vollem Tempo ausgedreht wird. Zu Klaviermusik als romantische Lovestory verkauft, ist diese eher klassische Darbietung sicher vielseitig einsetzbar.

 
Beata Surmiak und Jamie Swan, Diaboloshow aus Taiwan, Pavel Yeusiukevich

Die weiteren Darbietungen mussten ohne Preis nach Hause fahren. Zu nennen wären hier Pavel Yeusiukevich (24, Weißrussland) mit Jonglagen im klassischen Circusstil (u.a. sieben größere Bälle mit zwei „Fangkörben“ am Gürtel, neun Ringe plus Ball auf dem Kopf, zehn Ringe). Leider patzte Yeusiukevich in der besuchten Vorstellung mehrfach. Die zweite Kombination von Hand-auf-Hand und wurfakrobatischen Elementen, die bei diesem Festival zu erleben war, ging leer aus: Die Polin Beata Surmiak und ihr britischer Freund Jamie Swan verzehren sich auf, unter und um einen Stuhl nacheinander. Das Cyrrad hat im modernen Circus in den letzten Jahren einen wahren Siegeszug angetreten. Hier war es doppelt vertreten: Lokalmatadorin Nora Zoller aus Basel (20), Absolventin der Berliner Artistenschule, beginnt ihre Darbietung in der Luft; erst im zweiten Teil der Darbietung funktioniert sie den großen Luftring zum Cyrrad um. Ihre finnische Kollegin Rosa Tyyskä (23) setzt bei ihrer Variante des Cyrrades auf besonders energiegeladene und rasante Drehungen und Wendungen. Das „Swing Bike“ ist ein Fahrrad, bei dem sowohl mit dem Vorder- als auch mit dem gleichermaßen beweglichen Hinterrad gelenkt werden kann. In seiner Nummer mit diesem Gefährt zeigt Benjami Renard (26, Frankreich) viele Gags und wenige Tricks. Mit großen Erwartungen war sicher das Quintett aus Taiwan angereist, das als Schlussnummer die Diabolos tanzen ließ, auch mit leuchtenden Requisiten auf der abgedunkelten Bühne. Einer der jeweils 20-jährigen Jungs ließ gar alleine vier Diabolos fliegen – einen Preis gab es dennoch nicht.

Obwohl als „Nachwuchsfestival“ annonciert, bot das „Young Stage“ mit seinen durchweg erwachsenen Artisten zwischen 20 und 27 Jahren wiederum durchweg „fertige“ Nummern. Die meisten Darbietungen waren nicht der experimentellen „Cirque Nouveau“-Schiene zuzurechnen, sondern zeichneten sich eher durch einen zeitlos-eleganten Stil aus, der viele Einsatzfelder von Varieté bis Circus möglich erscheinen lässt. Die Vielzahl der Engagementpreise macht vielleicht bereits deutlich, dass dieses Festival ein interessantes Schaufenster für markttaugliche Nummern bietet.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber