CHPITEAU.DE

"Halb Künstler und halb Landwirt"
Jacques Schneider und Benoît Charpe alias Fahrrad-Duo „Hors Cycle“ im Porträt


Duo Hors Cycle

Berlin, 9. Juli 2008: Zwei Männer, einer davon mit riesigem Rauschebart, fahren mit einem Ein- und einem Fahrrad über ein rundes Trampolin, hüpfen darauf und zeigen Tricks bis hin zum Rückwärtssalto auf zwei Rädern. Das ganze wird untermalt von einer ziemlich schrägen Version des „My fair Lady“-Hits „I wanna dance all night“. Diese Nummer war eine der originellsten und innovativsten des Wettbewerbsprogramms beim 29. Weltfestival des Circus von Morgen Anfang des Jahres in Paris. Die Franzosen Jacques Schneider (37, Fahrrad) und Benoît Charpe (27, Einrad) gewannen damit den Spezialpreis der Jury und den Preis des Cirque Phénix. Nun präsentieren sie ihre Nummer im Wintergarten-Varieté Berlin, wo Gelegenheit zu einem Interview war. Simone Prühl übersetzte Deutsch-Französisch.

Jacques Schneider, der Mann mit dem Rauschebart, betrieb die Fahrrad-Artistik zunächst als Hobby. Dann hörte er von der Staatlichen Circusschule, dem „Centre National des Arts de cirque“ in Châlons en Champagne, einer der größten Circusschulen der Welt, bewarb sich und wurde genommen. Von 1991 bis 1995 dauerte die Ausbildung, in der er sich hauptsächlich mit der Fahrradartistik beschäftigte, aber auch in Fächern wie Schauspielerei ausgebildet wurde. Danach war er auf Tournee mit dem „Surreal Circus“ (1995), dem „Cirque Plume“ (1996 bis 2001) und dem „Cirque des Nouveaux Nez“ (2005 bis 2007), also Theatercircus-Projekten ohne Tiere. Seit 2007 arbeitet er mit Benoît Charpe als Duo „Hors Cycle“ – und hat ein zweites Standbein: „Ich bin halb Künstler und halb Landwirt“. „Bis 1991 Enten- und Schafszucht“, steht in seinem Lebenslauf, heute ist er angeblich noch als Holzfäller, Eselhüter und Bienenzüchter tätig und hat die Silbermedaille „Honig der Ardèche“ gewonnen.


Jacques Schneider


Benoît Charpe

Bühnenpartner Benoît Charpe ist ebenso wie Jacques Schneider auf dem Land aufgewachsen, half seinem Vater, einem Zimmermann, viel bei der Arbeit auf Haus und Dach, aber hatte sich bereits als Kind mit der Einrad-Artistik beschäftigt. „Ich habe einen Clown auf einem Einrad gesehen, und fand das so toll, dass ich mein Fahrrad in zwei Teile zerschnitten habe.“ Benoît gelangte schnell zur Einsicht, dass „es so nicht funktionieren kann“ und bekam dann im Alter von 10 Jahren sein erstes Einrad geschenkt. Schon damals beschäftigte er sich in einer Hobby-Schule mit der Einrad-Artistik. Als Jugendlicher segelte Benoît viel und wollte auch Schiffe konstruieren, doch ab 2002 ließ er sich an der Circusschule „Ecole de cirque du Chambéry-Savoie“ ausbilden, von 2004 bis 2007 besuchte er dann die gleiche Circusschule wie Jahre zuvor sein Partner Jacques Schneider. Die Ausbildung endete mit einer Tournée mit der Schul-Abschlussklasse. „Und heute lebe ich meinen Traum vom Artistenleben.“

Nachdem Jacques und Benoît sich kennengelernt hatten, entstand die Idee, ihre beiden Nummern zu kombinieren. Jacques hatte beim Cirque Plume schon mit dem Fahrrad auf dem Trampolin gearbeitet; Benoît hatte sich bereits mit zwölf Jahren mit dem Einrad auf ein Trampolin gewagt, dann aber jahrelang ohne Trampolin gearbeitet. „Wir kommen als Landwirt und Zimmermann auch aus sehr bodenständigen Berufen, sind beide vom Land und gehen jetzt voll im Artistenberuf auf – das ist mehr als eine Arbeit, es ist eine Lebenseinstellung“, sagt Benoît.


Spezialpreis der Jury, Preis des Cirque Phénix: Festival-Auftritt in Paris

Der Auftritt beim Festival in Paris war beiden sehr wichtig: „Da ist viel Fachpublikum, und das Festival ist sehr renommiert. Wir wollten gar nicht unbedingt einen Preis gewinnen, sondern vielmehr unsere Nummer bekannt machen“. Das hat wohl funktioniert: Im Wintergarten-Varieté haben Benoît und Jacques nun ihr erstes großes, gemeinsames Engagement. Extra für ihren Auftritt wurde die Bühne umgebaut. Das Trampolin wurde hier in den Bühnenboden eingelassen, erst für ihren Auftritt – der Schlussnummer im Programm „Hotel California“ – wird die Abdeckung darüber abgenommen. Die beiden Artisten sind hierfür dem Artist Manager des Wintergartens, Kaspar Denker, sehr dankbar. Er hatte die Nummer auf dem Pariser Festival gesehen und wollte sie unbedingt verpflichten. „Und dann hat er uns immer wieder angerufen und Vorschläge gemacht, wie der Auftritt auf der Varietébühne technisch funktionieren könnte, bis wir eine Lösung gefunden hatten.“


Witziges am Strand: Szenen aus "Hotel California"

Generell glauben beide, ihre Darbietung an vielen Orten zeigen zu können. „Wichtig ist letztlich nicht die Umgebung, sondern die Nummer.“ Im Wintergarten schätzen beide die Nähe zum Publikum, trinken nach der Vorstellung gerne noch ein Bier im Foyer oder vor dem Theater und plaudern dabei mit Kollegen und Besuchern. Außerdem gefällt ihnen die kreative Arbeit: Beide sind – außer in ihrer Nummer, die mit neuer Musik ausgestattet wurde – auch in mehreren kleinen Auftritten durchs ganze Programm hindurch zu sehen. Beide genießen es, das erste Mal in Berlin zu sein, „auch wenn wir noch nicht viel Zeit hatten, die Stadt anzusehen“. Und Jacques berichtet, dass er im August für eine Woche nach Frankreich muss, um sich um die Honigproduktion kümmern: „Die meisten Aufgaben habe ich an Bekannte übertragen, aber manche Sachen muss ich einfach selbst machen.“

________________________________________________________________________
Text
: Markus Moll; Fotos: Markus Moll (4), Sven Rindfleisch (3), Wintergarten (1)