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Les Rossyann
Die besten Musikalclowns unserer Zeit - Laudatio, Biografie und Interview

München 5. Februar 2010: Die Menschen lachen in Schweden über andere Dinge als in Spanien, in Basel reagiert das Publikum anders als in Genf. Ein guter Clown muss darauf reagieren, seine Arbeit schnell dem Publikum anpassen. Und er muss akzeptieren, dass er in einer hektischen und schnelllebigen Zeit nur noch kleinere Ausschnitte seines großen Könnens zeigen kann als früher: Das Publikum ist ungeduldiger geworden. Der Mann, der das sagt, und sein Bruder sind die besten Musikalclowns unserer Zeit – Yann und Maurin Rossi, „Les Rossyann“. Eine Laudatio, eine Biografie, ein Interview.

Teil I - Laudatio: Billiger Klamauk ist ihre Sache nicht. Bei „Les Rossyann“ fliegen keine Torten, es schallen keine Ohrfeigen, niemand fällt ins Sägemehl. Der strenge Weißclown Yann und sein komischer Gegenpart Hector spielen lieber Nabucco auf herkömmlichen Blasebälgen, die sie mit dem Gesäß bedienen. Solch feiner Humor, solche Zwischen-Töne kennzeichnen ihre Auftritte. Es sind heiter-beschwingte Szenen, die das hervorragende musikalische Können in den Vordergrund stellen. Gemeinsam beherrschen sie mehr als 20 Instrumente. Der Stil und die Eleganz, mit der sich Yann Rossi in der Manege bewegt – aktuell besitzt er elf glitzernd-kunstvolle, in Paris gefertigte Kostümkreationen – sind heute einmalig. Sein Vorbild? „Franceso Caroli… natürlich“, sagt Yann Rossi, sein Bruder Maurin (Hector in der Manege) betrachtet Achille Zavatta – der als Weißclown und als August arbeitete – sowie den eigenen Vater und den Großvater als Idole. Subtiles, feines Spiel kennzeichnet seine Auftritte. Seit 280 und mehr Jahren sind die Rossis eine Artistenfamilie. Echter Circusadel eben. Ihre Laufbahn führt Yann und Maurin, die 7. Generation, durch die besten Häuser: zu Medrano-Casartelli, zu Louis Knie senior, zu Knie in der Schweiz, zum Ungarischen Nationalcircus Richter, nach Skandinavien. Bei Nock in der Schweiz und bei Roncalli musizieren sie mit großen Symphonieorchestern, im Cirque d’Hiver Bouglione mit dem Trompeten-Solisten Bernard Soustrot. Ausweise ihres musikalischen Könnens.


In der Garderobe im Kronebau: die Verwandlung zum Weißclown

Freitagabend im Münchner Kronebau. In seiner Garderobe bereitet sich Yann Rossi für den Auftritt vor. 45 Minuten dauert es, das Gesicht weiß, rot und schwarz zu schminken, eine Stunde vor jedem Auftritt wird mit den vielen Instrumenten repetiert. „Wir müssen unsere Muskeln lockern und uns aufwärmen, wie ein Akrobat“, sagt er. Dank seiner Ehe mit einer Deutschschweizerin spricht Yann Rossi ein sehr gutes Deutsch und beantwortet die Fragen für Bruder Maurin gleich mit. Zwischendurch hört, außer Maurin, auch dessen Sohn Victor zu – auf Besuch im Kronebau.

Teil II - Biografie: Die Familie Rossi kann ihre große Artistentradition bis ins Jahr 1732 zurückverfolgen. Zu dieser Zeit kam die Familie von Diego Rossi aus dem italienischen Asti an den Hof des französischen Königs Louis XV., um ihre Fähigkeiten als Akrobaten und Handstand-Artisten zu zeigen. Deren Vorfahren, die Familie Beika aus dem Piemont, hat wiederum Bären vorgeführt und den König in Norditalien unterhalten. Etwa hundert Jahre nach den Auftritten bei Louis XV. wurde Pietro Rossi geboren, späterer Gründer des Circus „Gebrüder Rossi“. Eines seiner elf Kinder war Ettore Rossi, der Großvater von Maurin und Yann Rossi. Ettore Rossi führte den Circus der Familie weiter bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939. Gereist wurde in Italien, Frankreich und Monaco. „Der Krieg machte zunächst alles kaputt“, sagt sein Enkel Yann. Ettore Rossi war aber nicht nur Circusdirektor, sondern auch Akrobat mit der Spezialität Bodenakrobatik, er war Jockeyreiter und er dressierte Bären, Hunde, Affen, Pferde. Vor allem aber begann er in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, mit seinen beiden Brüdern als Clowns zu arbeiten. „So sind mein Bruder und ich die 7. Generation der Artistenfamilie Rossi und die 3. Generation, die als Clowns arbeitet“, fasst Yann Rossi zusammen. „Mein Großvater Ettore machte als Clown noch Musik, wie es viele Circusleuten tun – ohne Noten lesen zu können“, berichtet Yann Rossi. Sein Vater Pierre hingegen ließ sich am Konservatorium in Nizza im Trompeten- und Geigenspiel ausbilden – der Schritt zur professionellen Arbeit als Musiker. Pierre Rossi begann nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Italien zu arbeiten. Hier lernte er auch seine spätere Frau Albertina kennen, die den klangvollen Mädchennamen Caroli trug. Albertina Caroli arbeitete als Akrobatin zu Pferd, in der Luft, an der Perche und als Ikarierin.

Ettore Rossi, sein Sohn Pierre und Ehefrau Albertina traten die folgenden rund zehn Jahre gemeinsam als „Trio Rossi“ mit einer musikalischen Clownnummer auf. Pierre und Albertina bekamen 1951 ihren ersten Sohn, Luciano. Dieser litt von Geburt an an einer schweren Krankheit, an der er schließlich 1979, mit nur 28 Jahren, gestorben ist. Bereits 1952 folgte der zweite Sohn, Maurin, der schon als Kind in der Clownsnummer der Eltern mitarbeitete. 1967 schließlich kam in der Nähe von Lyon (Frankreich) Yann zur Welt – und mit ihm wurde die Idee geboren, fortan unter dem Künstlernamen Rossyann aufzutreten, der aus dem Vor- und Nachnamen Yann Rossis gebildet wurde. Maurin Rossi hatte seine ersten Auftritte im Alter von fünf Jahren auf der Rola Rola. Später spielte er auf der Rola balancierend sogar Akkordeon! Weitere Disziplinen kamen hinzu: Jonglage (auch auf einem Einrad), Akrobatik, Handstand, Schlappseil. Und er arbeitete 30 Jahre lang eine Westernnummer mit Revolvern, Peitschen, Lassos. 1962 ließ er sich von einem „echten Cowboy“ in viele Geheimnisse dieser Kunst einweisen. „Leider gibt es solche schönen Cowboynummern heute nicht mehr – es ist auch viel Arbeit, gerade eine richtige Lassonummer ist schwierig“, bedauert sein Bruder Yann. Maurin Rossi hat mit seiner Ehefrau Sylvie zwei Söhne, Victor (18 Jahre) und Pierre (16 Jahre). Pierre will bislang nicht beim Circus arbeiten, auch wenn man ihn beim jüngsten Heilbronner Weihnachtscircus seinem Vater und seinem Onkel im Hintergrund assistieren sah. Ganz anders der ältere Sohn Victor: Er gab schon häufiger den sympathischen Juniorpartner in den Clownsentrees der Rossyann, zuletzt 2009 beim Schweizer Circus Knie. In der Schweiz hatte er in diesem Winter auch sein erstes Soloengagement beim Weihnachtsprogramm des Circus Stey im Shoppingcenter „Pilatusmarkt“ in Luzern-Kriens. Dort präsentierte er nicht nur erstmals seine Jonglagenummer, sondern musste auch als Clown auftreten – in mehreren Reprisen und einem poetischen Ausklang der Show. „Das hat ihm doch auch Spaß gemacht, und er hat auch erkannt, dass man als Clown sein ganzes Leben arbeiten kann“, sagt Yann Rossi.

Victors Onkel ist sichtlich erfreut von der Vorstellung, dass es eine vierte Generation Rossi-Clowns geben könnte. Die musikalischen Voraussetzungen besitzt auch Victor Rossi: Er beherrscht die Klarinette, das Glockenspiel, die musikalische Jacke, Saxofon, Baritonsaxofon und Akkordeon, übte mit seinem Vater und seinem Onkel, nahm Unterricht bei Musikprofessoren oder auch beim ersten Saxofonisten des Circus-Maximum-Orchesters in Schweden. Nun hat er mit seiner Solonummer aber erst einmal einen ganz anderen Weg eingeschlagen: Darin gibt er den coolen Breakdancer, der seine Jongliernummer mit Keulen, Ringen und Bällen mit vielen Salti und Flic Flacs kombiniert. Kürzlich war er beim Cirque Educatif in Frankreich zu sehen, sein zweites Engagement.


Victor Rossi im Cirque Educatif

Auch Yann Rossi blickt, wie sein älterer Bruder, auf eine Karriere als Artist zurück, er trat über 20 Jahre lang als Akrobat, Jongleur und Antipodist auf. Sein Hauptinteresse galt jedoch stets der Musik. In der Clownsnummer der Familie begann er als August, trat acht Jahre lang in dieser Rolle auf, „doch es war ein Alptraum für mich“. Mit 17 Jahren übernahm er dann – auf die Idee seines Vaters hin – die Rolle des Weißclowns, in der er sich zu Hause fühlt. Der seriöse, ernste Gegenpart passte einfach besser zu ihm. Yann Rossi heiratete eine Deutschschweizerin namens Alexandra, mit der er zwei Kinder hat, Tochter Camilla (fünf Jahre) und Sohn Loris (eineinhalb Jahre). Die Referenzenliste der Rossyann liest sich beeindruckend – eine Abfolge von Engagements in den besten Häusern. Alleine beim Internationalen Circusfestival von Monte Carlo waren „Les Rossyann“ drei Mal engagiert. 1992, bei der ersten Teilnahme stand noch Vater Pierre mit in der Manege, sein Enkel Victor wurde während dieses Festivals in Monte Carlo geboren. Fünf Jahre später traten Yann und Maurin Rossi bei ihrem zweiten Monte-Carlo-Engagement alleine auf – und im Januar 2010, beim dritten Mal, war Victor bereits mit in der Manege dabei.


Les Rossyann 2010 in Monte Carlo

Teil III - Interview

Chapiteau.de: Herr Rossi, bei Ihrem dritten Monte-Carlo-Engagement haben Sie nun erstmals einen der Hauptpreise gewonnen. Was bedeutet Ihnen dieser Bronzene Clown?

Rossi: Es ist das erste Mal beim Circusfestival von Monte Carlo überhaupt, dass ein traditionelles französisches Clowntrio einen Clown gewonnen hat – das ist einfach wunderschön.

Chapiteau.de: Sie sind häufig in Skandinavien aufgetreten, reisen in der Saison 2010 zum vierten Mal mit Maximum in Schweden, sie waren bei Finlandia und Arena engagiert. Haben Sie eine besondere Beziehung zu Skandinavien?

Rossi: Die skandinavischen Länder sind zumindest sehr gute Länder für den Circus. Da ist das Zelt einfach immer voll, der Circus gilt als echtes Event. Nur in Norwegen waren wir noch nicht, das wäre uns auch zu anstrengend, die Straßen sind einfach furchtbar…

Chapiteau.de: 2004 sind Sie bei einer privaten Gala vor der dänischen Königsfamilie aufgetreten…

Rossi: Richtig, im Rahmen unseres Engagements bei Arena. Bei der Königsfamilie handelt es sich übrigens um sehr nette und unkomplizierte Leute, genau wie auch Prinzessin Stéphanie und die Fürstenfamilie in Monte Carlo.

Chapiteau.de: Der Circus Roncalli ist eine Kultstätte der hochklassigen Clownerie. Hier arbeiteten sie zwei Jahre lang, 2000 und 2001. Wie war das?

Rossi: Das war einfach super, eine sehr schöne Zeit. Wir sind gemeinsam mit Francesco Caroli aufgetreten – übrigens ein Cousin unserer Mutter Albertina –, außerdem mit Sergey Maslenikov, mit Petit Gougou und Bernhard Paul alias Zippo, mit Fumagalli und seinem Bruder Darix.

Chapiteau.de: Sie hatten viele Wiederholungs-Engagements, treten in diesem Winter zum vierten Mal im Kronebau auf. Können Sie das Publikum noch überraschen?

Rossi: Wir achten bei solchen Wiederholungs-Engagements darauf, jedes Mal etwas Neues zu bieten und haben ja auch ein breites Repertoire. Manche Elemente werden später wieder neu kombiniert, zu neuen Nummern zusammengefügt. Und natürlich greifen wir auch gerne Ideen unseres Vaters und Großvaters auf oder holen uns anderweitig Inspirationen – unsere Blasebalg-Musik zum Beispiel gab es schon einmal in den 1960er Jahren, aber jetzt ist es wieder eine Neuigkeit. Die alten Ideen sind oft sehr gut.

Chapiteau.de: Sie haben in vielen verschiedenen Ländern Europas gearbeitet. Unterscheiden sich die Reaktionen sehr, und welches ist Ihr liebstes Publikum?

Rossi: Ich denke, das beste Publikum in Europa gibt es in Deutschland und in der Schweiz. Wir müssen uns in den unterschiedlichen Ländern tatsächlich an das jeweilige Publikum anpassen, unsere Auftritte entsprechend adaptieren. Die Menschen lachen in unterschiedlichen Ländern einfach nicht immer über die gleichen Dinge. In der Schweiz ist es sogar etwas anderes, ob man in Basel und Luzern oder in Genf auftritt – da muss man sich ganz schnell anpassen, das Timing verändern. Während die Schweden zum Beispiel den ganz feinen Humor schätzen und auch Nuancen registrieren, haben die Spanier an solchen Dingen kaum Interesse – sie wollen, dass der August Ohrfeigen bekommt und in der Manege hinfällt, sie bevorzugen einfach gröbere Scherze.

Chapiteau.de: Klassische Musikalclowns von Format gibt es heute nur noch ganz selten – woran liegt das?

Rossi: Zum einen setzt ein anspruchsvolles Musikalentree natürlich intensive musikalische Studien voraus, wie wir sie betrieben haben. Wenn man ein Instrument gut beherrschen will, dauert dies zehn Jahre. Zum anderen ist auch die Clownerie eine Kunst, mit der man sich intensiv befassen muss. Man muss verstehen, was ein Clown ist, was seine Rolle ist.

Chapiteau.de: Was ist wichtiger für einen Musikalclown: die Musik oder die Komik?

Rossi: Bei unseren Auftritten ist beides gleichermaßen wichtig. Ohne das komische Element wäre es nur ein Konzert, man könnte genauso gut im schwarzen Frack auf der Bühne auftreten.

Chapiteau.de: Was halten Sie von moderner Comedy im Circus oder Mitmachclownerie, bei der Zuschauer in die Manege müssen?

Rossi: Wir haben nichts dagegen. Es gibt ja sehr gute Theater-Komiker im Circus, zum Beispiel Jigalov oder David Shiner. Es muss einfach beides geben, die moderne genauso wie die traditionelle Clownerie. In Monte Carlo haben wir zum Beispiel sehr gut mit David Shiner zusammengearbeitet und uns sehr gut ergänzt. Mit Mitmachcomedy ist es natürlich sehr viel einfacher, die Menschen zum Lachen zu bringen, als mit einer traditionellen Nummer.

Chapiteau.de: Hat sich auch Ihre Arbeit verändert im Vergleich zu früher?

Rossi: Auf jeden Fall, unsere Auftritte sind kürzer geworden. Heute muss einfach alles schnell gehen, die Menschen sind schneller müde. Wir stellen das zum Teil auch an uns selbst fest, so ist das Leben von heute. Es ist deshalb gar nicht mehr möglich, in einem Musikalentree mehr als 20 Instrumente zu benutzen, so wie wir es früher getan haben. Bei unserer ersten Verpflichtung in Monte Carlo 1992 haben wir 20 Minuten gearbeitet, beim zweiten Mal 16 Minuten, jetzt im Januar beim Musikalentree neun Minuten. Wenn man länger macht, lassen heutzutage schnell die Reaktionen nach – selbst in Monte Carlo, wo doch wahrlich kein gewöhnliches Publikum ist.

Kurze Zeit nach dem Interview öffnet sich zum ersten Mal an diesem Abend der rote Vorhang im Kronebau – Yann Rossi tritt heraus, mit Kostüm und blauem Umhang, spielt den Piaf-Chanson „La vie en rose“ auf dem Saxofon, begrüßt charmant das Publikum: „Die drei magischen Worte – das Spiel beginnt!“

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber, Stefan Nolte, Sven Rindfleisch