CHPITEAU.DE

Vanessa und Sven
Die Shootingstars der Berliner Artistenschule - Preise in Basel und Hanoi

Stuttgart, 20. Juli 2010: Sie sind die Shootingstars des aktuellen Abschlussjahrgangs der Berliner Artistenschule. Mit ihrer gleichermaßen poetischen wie leistungsstarken Handstand-Equilibristik, bei der sie ihn trägt, begeistern Vanessa Baier und Sven Böker, beide 19 Jahre alt, Fachleute und Publikum. „Das Telefon steht nicht mehr still“, berichtet Sven – immer wieder gibt es neue Engagement-Angebote. Und dabei trägt das Duo auch keine Scheuklappen: „Wir wollen alles machen, Circus, Varieté und Galas“, sagt Sven, und Vanessa fügt hinzu: „Und das am besten in allen Ländern, wir wollen die ganze Welt sehen!“.

Zunächst einmal sind Vanessa und Sven nun in einem Dutzend deutscher Städte aufgetreten. Gemeinsam mit den anderen aktuellen Absolventen der Staatlichen Schule für Artistik in Berlin waren sie gemeinsam auf Tournee durch deutsche Varietéhäuser und bei verschiedenen Festivals, was sich inzwischen zu einer kleinen Tradition entwickelt hat. Beim letzten Auftritt des Ensembles am 11. September in Schwedt (Brandenburg) werden die beiden bereits nicht mehr dabei sein, wegen anderer Engagements. Chapiteau.de sprach mit Vanessa und Sven nach ihrem ersten Auftritt im Stuttgarter Friedrichsbau-Varieté. Vanessa und Sven stammen beide nicht aus Artistenfamilien, kamen aber beide auf ganz ähnlichem Weg zu ihrem Berufswunsch. Sven ist in Bad Oyenhausen aufgewachsen, wo vor etwa zehn Jahren das G.O.P.-Varieté im Kaiserpalais eröffnet hat. „Ich habe dort mit acht Jahren zum ersten Mal eine Show gesehen, und seitdem wollte ich Artist werden“, erzählt Sven. Er hörte sich um, fragte Artisten – und bekam den Tipp, es bei der Artistenschule in Berlin zu versuchen.

 

Ganz ähnlich klingt Vanessas Geschichte: Ihrer Mutter war früher im Starclub-Varieté in Kassel im Gastronomiebereich tätig, dort wurde auch Vanessas Traum von der Karriere als Artistin geboren. Als sie zehn war, zog sie mit ihrer Mutter nach Berlin und machte einige Jahre beim Kindercircus „Cabuwazi“ mit, dann bewarb sie sich – wie Sven – ebenso an der Artistenschule und wurde ebenfalls genommen. Beide besuchen bis heute auch in ihrer Freizeit gerne Circusse und Varietés: „Man kann sich inspirieren lassen, sieht Neues und trifft Kollegen“, sagt Sven. Bei den Circussen sind sie besonders vom Schweizer Nationalcircus Knie und von Roncalli angetan. Vanessa und Sven wechselten zu Beginn der 9. Klasse von ihren vorherigen, „normalen“ Schulen an die Artistenschule. Dort stand im ersten Jahr neben dem Unterricht in Mathe, Englisch & Co. eine artistische Grundausbildung auf dem Stundenplan: Jonglage, Drahtseil, Trapez, Handstand und Parterrespringen sind die Disziplinen, in denen sich jeder der Berliner Artistenschüler Grundlagen erarbeiten muss. Bereits in Klasse zehn beginnt dann die Spezialisierung. Vanessa und Sven entschieden sich, zunächst ganz unabhängig voneinander, für den Handstand. 2007 waren sie dann beim Circuskamp in Kellenhusen (Ostsee) erstmals gemeinsam vor Publikum zu sehen – allerdings noch nicht in einer gemeinsamen Kür, vielmehr präsentierten sie ihre Hanstand-Künste im Wechsel. Bei dieser Gelegenheit entstand die Idee zusammen zu arbeiten.

„Vanessa saß auf dem Boden und streckte ihr Bein senkrecht nach oben, und ich probierte einfach mal so, ob ich einen Handstand darauf machen könnte“, erzählt Sven. Die Kollegen meinten, das sei nicht zu schaffen. „Wir haben um einen Kaffee gewettet, dass wir das innerhalb von zwei Wochen hinkriegen würden“, sagt Sven – der Kaffee war Vanessa und ihm sicher, nach drei Tagen gelang ihnen der Trick bereits. Beide bauten ihr gemeinsames Repertoire schnell aus und wurden von der Artistenschule zu kleineren Auftritten als Duo entsendet. Bald war klar, dass sie als Duo Artistenkarriere machen wollen. Zweieinhalb Jahre lang waren sie übrigens auch privat ein Paar. Die Choreographie ihrer Darbietung haben sich die beiden jungen Künstler weitgehend selbst erarbeitet, zum großen Teil in ihrer Freizeit, außerhalb der schulischen Trainingszeiten. „Wir hatten aber immer guten Kontakt zu unserer Ballettlehrerin, die natürlich auch viele Ratschläge gegeben hat“, berichtet Vanessa. Obwohl die Schule mittlerweile auch einen eigenen Choreographen hat, Ivan Luzan aus der Ukraine, sieht Sven den Schwerpunkt der Ausbildung noch immer sehr stark auf der rein artistischen, „sportlichen“ Ausbildung. Die jungen Absolventen wollen sich daher in den nächsten Monaten noch einmal in die Hände eines professionellen Choreographen begeben, um am „Feinschliff“ ihrer Nummer zu arbeiten. „Gerade für die Feinheiten blieb im letzten Jahr an der Schule ein bisschen wenig Zeit, da wir uns ja auch auf die Abiturprüfungen vorbereiten mussten.“ Sie gehören dem ersten Jahrgang an, der die Möglichkeit hatte, an der Schule das Abitur zu machen, und nutzten diese beide. Die artistische Abschlussprüfung meisterten sie mit der Bestnote 1,0.


Impressionen aus Vietnam

Die beiden haben sich zu den Shooting-Stars des aktuellen Abschlussjahrgangs der Berliner Artistenschule entwickelt. Bereits vor der Abschlussprüfung, im Mai, durften Vanessa und Sven beim Artistenfestival „Young Stage“ in Basel teilnehmen und wurden dort mit dem „Young Star“, dem Preis für jüngere Artisten, und dem Preis der Schweizer Fernsehsendung „Benisimo“ geehrt, der auch einen TV-Auftritt beinhaltete. Im Rahmen der Abschlussgala der Artistenschule in Berlin erhielten sie den Preis einer Künstlerzeitschrift als „beste Nachwuchsartisten 2010“, verbunden mit einem Auftritt bei der Internationalen Kulturbörse Freiburg 2011, und schließlich nahmen sie im August als einzige westliche Artisten am Circusfestival in Hanoi teil, wo sie die Silbermedaille holten. „Das war wirklich aufregend, und es waren viele wirklich krasse Nummern vertreten, zum Beispiel aus der Mongolei, aus China, aus Russland, der Ukraine und aus Vietnam selbst“, berichtet Sven einige Wochen nach dem Interview im Friedrichsbau am Telefon. „Wir waren uns sicher, dass wir hier keine Chance haben würden. Über den Preis haben wir uns dann umso mehr gefreut, wir waren überrascht und überwältigt.“ Außerdem lobt er die hervorragende Organisation des Festivals und die sehr freundlichen „Macher“ vor Ort. Ende Oktober werden die beiden nun beim European Youth Circus in Wiesbaden an den Start gehen und hoffen auf eine weitere Auszeichnung, im September und Oktober stehen zudem einige Galas an, anschließend sind sie vier Monate lang in der Dinnershow des Europaparks Rust engagiert, dann im Apollo-Varieté in Düsseldorf – ein Traumstart ins Artistenleben…

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber, Archiv Sven und Vanessa