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Es war am ersten Tag unserer Dreharbeiten mit der Truppe Yakubov, als wir das erste Mal Bekanntschaft machten, mit dem, was wir fortan „die Sprache des Circus” nannten. Die Truppe hatte kürzlich Mitglieder aus China rekrutiert und war wie wahnsinnig am Proben für ihre Teilnahme beim Circusfestival von Monte Carlo. Während der Proben verständigte man sich hauptsächlich mit Zeichensprache und ein paar wenigen englischen Worten. Denn obwohl Russisch die Hauptsprache der Truppe war, gab es keine gemeinsame Sprache zwischen Russen und Chinesen. Als ich fragte, wie sie kommunizieren, antwortete mir Guzalia Yakubov mit einem Achselzucken: „Das ist Circus!“

Die Truppen und Circusse, die wir in sechs europäischen Ländern für den Dokumentarfilm „World Circus Culture“ begleitet haben, setzten sich aus Menschen aus allen Teilen der Welt zusammen. Was die Kommunikation für sie genauso schwer zu machen schien, wie für uns Filmemacher. Die Dreharbeiten fokussierten sich auf fünf Darbietungen, die sich auf den Wettbewerb beim 34. Circusfestival von Monte Carlo vorbereiteten. Dafür übertraten wir alle Landes- und Sprachgrenzen und folgten ihnen durch Europa und nach Monte Carlo, wo die Artisten auf ein genauso internationales Publikum trafen.

 
Truppe Yakubov

Die Circusmenschen, die wir auf Film gebannt hatten, waren die coolsten, interessantesten und intelligentesten Leute, die wir je getroffen haben. Es haut dich einfach um, wenn ein fünfjähriges Mädchen für einen übersetzt. Circusfamilien können aufgrund ihres ständigen Unterwegsseins ihre Kinder zwar oft nicht in „normale“ Schulen schicken, dafür ist es aber so, wie es Gilian Dieck über ihren Sohn, den Löwentrainer Tom Dieck junior formulierte: „Er konnte bereits in sehr jungen Jahren in drei Sprachen lesen und schreiben.“ „Und“, ergänzt sie lachend, „er konnte genug Mathe, um seine Löwen zu zählen“. Womit bewiesen wäre, globales Verständnis geht oft viel weiter als der traditionelle Schulstoff. Der reisende Charakter des Circus bringt Sprachen aus der ganzen Welt zusammen und um eine, wie es die Artisten nennen, „familienähnliche Gemeinschaft“ unter den Circusmenschen zu erschaffen, müssen die Sprachen gelernt und geteilt werden.

Auf der Suche nach der Kultur des Circus war einer der bemerkenswertesten Befunde der, dass viele Circusleute sich in einer Vielzahl von Sprachen verständigen konnten. Roland und Petra Duss zum Beispiel beherrschen fünf Sprachen, wenn man „Seelöwisch“ dazu zählt, sind es sogar sechs. Und so wechseln sie beim Scherzen am Rand des Seelöwenpools problemlos in die Sprache des jeweiligen Gesprächspartners. Englisch, Spanisch und Deutsch mischen sich sogar in den Kommandos, wenn sie mit den Seelöwen arbeiten. Jede Sprache, erklären Roland und Petra Duss, steht dabei für einen bestimmten Tonfall, in dem sie mit ihren Tieren arbeiten. Deutsch kommt zum Beispiel zum Einsatz, wenn etwas mehr Druck erforderlich ist. Dem stimmt auch Löwentrainer Martin Lacey junior zu: Deutsch verleiht den Kommandos zusätzliche Power.


Roland Duss

Obwohl in England geboren, lebt Martin seit zwölf Jahren in Deutschland und so kommt es in Gesprächen mit ihm oft vor, dass ein englisches Wort unbeabsichtigt durch ein deutsches ersetzt wird. Auch Rob Torres, der schon in über 43 Ländern aufgetreten ist, unterstreicht die Wichtigkeit von Sprache. Wenn man auf der Bühne in der Landessprache spricht, bringt das nicht nur Respekt, sondern auch ein besseres Verständnis. Aber Rob meint auch: „Wir haben diese fixe Idee, dass es nicht möglich sei, über Sprachgrenzen hinweg miteinander zu arbeiten. Der Circus aber beweist, dass es doch möglich ist.“ Wie so viele andere Kunstformen, beweist der Circus Universalität. Auch dadurch dass Clownsauftritte, wie der von Rob Torres, unabhängig von einer Sprache Gelächter verursacht.


Rob Torres

In Monte Carlo war Festivaldirektor Urs Pilz stolz darauf, beim 34. Festival eine Rekordzahl von teilnehmenden Ländern begrüßen zu können. Dieser Fakt wurde besonders bei den Proben für das Opening und das Finale deutlich. So wurden nicht nur die Fahnen der teilnehmenden Nationen geschwenkt, sondern auch die Anweisungen über Lautsprecher in Englisch, Französisch und Russisch gemacht. Über hundert Leute zu organisieren ist schon schwierig genug, wenn dies aber ohne gemeinsame Sprache passieren muss, scheint es fast unmöglich. Das gilt aber offenbar nicht für Artisten, die mit Handzeichen und sogar ein paar Brocken Chinesisch, die „Sprachlosigkeit“ souverän überbrückten. Die Shows selbst wurden von Zuschauern aus allen Herren Ländern verfolgt. Leute, die wir in London, Italien, Deutschland und Paris interviewt hatten, trafen wir hier genauso wieder, wie Journalisten von überall her – sogar aus den USA. Fazit: Circus hat nicht nur hinter dem Vorhang eine universelle Sprache, sondern ist selbst eine universelle Kunst, die unterhält und beeindruckt und verstanden wird von allen – völlig unabhängig von der Sprache.

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Text: Angela Snow
; Fotos: Ian Issitt