CHPITEAU.DE

Ein zweites Leben
Drei starke Frauen - Die Chapiteau.de-Serie. Teil 2: Sonja Probst.

Schwäbisch Gmünd, 31. August 2011: Zirkus, das ist eine Männerwelt mit viel schwerer körperlicher Arbeit. Doch den Circus Probst prägen, neben Direktor Reinhard Probst natürlich, die drei starken Frauen der Direktionsfamilie. Die jüngere Tochter Stephanie lässt als begabte Dresseurin die großen Tiere paradieren, ihrer Schwester Sonja gelang nach einem lebensgefährlichen Unfall die Rückkehr ins Scheinwerferlicht. Und Mutter Brigitte, die „von privat“ zum Zirkus kam, hält im Bürowagen die Fäden fest in der Hand. Chapiteau.de stellt die drei „starken Frauen“ in einer Serie vor. Teil 2: Sonja Probst und ihr zweites Leben nach dem Absturz.

Rot auf die Wangen, Weiß um Augen und Mund, schwarze Linien für die Konturen: Vor dem Badspiegel in ihrem großen Wohnwagen verwandelt sich die 27-jährige Sonja Probst in die Clownesse Lolli. Nur zehn Minuten dauert die Prozedur. Wenig später wird sie mit ihrem feinen Humor die Circusbesucher unterhalten. Sonja Probst mag die Rolle als Spaßmacherin – doch ihr Lebenstraum war eine Karriere als Luftartistin. Ein schlimmer Unfall setzte dem Traum ein jähes Ende. Es war 1999, bei einer Vorstellung in Meerbusch bei Düsseldorf. Hoch unter der Zirkuskuppel drehte sie sich am Vertikalseil. Und stürzte ab. Mit dem Kopf voran. Aus neun Metern Höhe. Es war wie ein Wunder, dass die damals 15-Jährige überlebte. Bis heute fällt es ihr schwer, über den Unfall zu sprechen, die Stimme zittert. Was zu dem Absturz geführt hat? Sie weiß es nicht. Jede Erinnerung an diesen Tag ist ausgelöscht. Ihr Schädel war vielfach gebrochen, „ab dem Genick alles kaputt“, sagt sie. Vier Wochen lang befand sich Soja Probst in akuter Lebensgefahr. „Ich habe nur überlebt, weil mein Körper so durchtrainiert war.“ Sie lag im Koma, wurde 13 Stunden lang operiert, 15 weitere Eingriffe folgten. Schrauben und Eisenplatten brachten ihre Schädelknochen wieder in die richtige Form. Heute hat sie keinen Geruchsinn mehr, wird von Kopfschmerzen geplagt, muss jeden Tag Medikamente nehmen. Doch Sonja Probst gab nicht auf. „Ich habe gelernt, das Leben mit anderen Augen zu sehen, dankbar zu sein und Prioritäten zu setzen.“ Der Glaube an Gott und der Zusammenhalt in der Familie halfen ihr, neuen Mut zu finden, besonders ihre Mutter Brigitte gab ihr Kraft. „Der Unfall hat uns wirklich zusammengeschweißt. Wir haben viel darüber gesprochen, ich wollte alles wissen. Das hat viel dazu beigetragen, alles zu verarbeiten.“


Sonja Probst beim Circusfestival in Tournai (Belgien), am Vertikalseil und als Clown-Debütantin mit Oliver Häberle

Sonja Probst war ein hoffnungsvolles Nachwuchstalent als Luftartistin. 1992 gewann sie mit acht Jahren den "Silbernen Elefanten" beim "Europäischen Circus Nachwuchs Festival" in Wiesbaden (heute European Youth Circus), zwei Jahre später den "Prix du Cirque Royal de Bruxelles" beim Festival "La Piste aux Espoirs" ("Manege der Hoffnung") im belgischen Tournai. Der Absturz in Meerbusch machte zunächst alle Hoffnung zunichte. Doch 2004 kehrte sie in die Manege zurück. Clown Olli (alias Oliver Häberle) suchte eine Partnerin und fragte Sonja, ob sie mitmachen würde. „Fass’ dir mal an den Kopf“, entgegnete sie ihm. Doch ihre Mutter überzeugte sie. „Dann bist du wieder dabei in der Show, das kannst du doch“, sagte die Mutter. Sonja ließ sich auf einen Versuch ein. Und es machte Freude. Clown-Profi Olli half Sonja, das Gespür für Gags und Mimik zu entwickeln, kreierte mit ihr die markante Lockenwickler-Frisur, gab Tipps und Rat. Und so nannte Sonja Probst ihre Clownsfigur Lolli nach ihrem Lehrmeister Olli. „Ich bin ihm wirklich dankbar, dass er mich auf diesen Weg geführt hat, auch wenn ich mich als Clownesse am Anfang geschämt habe.“ Nachdem Oliver Häberle Ende 2004 den Circus Probst verließ, arbeitete Sonja Probst zunächst für zwei Jahren mit Norbert Nowak alias Clown Nobby zusammen. „Er hat mir sehr geholfen, weiter an meiner Clownsfigur zu arbeiten“, sagt Sonja. Nobby habe sie als seine Nachfolgerin betrachtet, überließ ihr später seine Requisiten und Reprisen, die Sonja zum Teil weiterentwickelte. Heute ist sie alleine verantwortlich für den Humor bei Probst, genießt das Lachen im Publikum und die positiven Zuschauerstimmen nach der Vorstellung. „Ich versuche wirklich, das Beste aus der Situation zu machen und kann meine neue Aufgabe erfüllen.“ Erst kürzlich kreierte sie eine ganz neue Schleuderbrett-Reprise mit ihrem Hund. „Natürlich gab es solche Schleuderbrett-Parodien schon öfter, aber noch nicht mit einem Hund und nicht in dieser Form“, meint Sonja. Ohnehin sei es sehr schwierig, etwas zu machen, das wirklich noch nie da war. Bei ihren Auftritten setzt sie stets auf eine Komik der leisen Töne und verzichtet darauf, Zuschauer in die Manege zu holen und bloßzustellen. „Lolli will stets ganz ladylike sein, aber das gelingt ihr nicht“, beschreibt sie ihre Rolle. Nachdem sie ganz zu Anfang noch eine „Hosenrolle“ als männlicher Clown spielte, wurde sie bald zur Clownesse mit der Lockenwickler-Frisur, die bis heute blieb. Kostüm und Make-up änderten sich dagegen mit der Zeit. „Seit ich auf die aufgeklebte rote Nase verzichte, haben weniger Kinder Angst“, sagt sie. Dafür trägt sie heute Glitter im Gesicht. „Das mögen die kleinen Mädchen.“


Vielseitige Clownesse Lolli

Als Sonja Probst selbst ein kleines Mädchen war, wechselte sie zunächst von Gastspielstadt zu Gastspielstadt die Schule. Nach der Grundschulzeit ging sie dann zunächst auf das Gymnasium in Neustadt an der Weinstraße und lebte dort unter der Woche bei den Großeltern, war nur am Wochenende beim Circus. Nach der 6. Klasse wollte sie aber wieder „nach Hause“ zum Circus. „Es war eine schöne Zeit in Neustadt, die ich nicht missen wollte, aber mir hat einfach etwas gefehlt.“ Sie wurde nun durch die Schule für reisende Circuskinder in Nordrhein-Westfalen unterrichtet und legte dort den Realschulabschluss mit Qualifikation und einer hervorragenden Gesamtnote von 1,5 ab. Für die Zukunft plant Sonja, das Lebenswerk ihrer Eltern gemeinsam mit den Geschwistern Sonja und Andreas fortzuführen. „Wir stehen alle drei wirklich mit Herzblut hinter diesem Unternehmen und haben früh versucht, uns mit eigenen Ideen einzubringen.“ Täglich von 10 bis 13 Uhr sitzt Sonja Probst an der Circuskasse, anschließend unterstützt sie ihre Mutter bei der Büroarbeit, insbesondere bei Buchhaltung und Einkauf.


Sonja Probst mit Freund Tony und Schwester Sonja auf Kuba 

Die große Liebe hat Sonja Probst in dem kubanischen Artisten Antonio Fernandez Rosales (31) gefunden, mit dem sie seit mehr als eineinhalb Jahren zusammen ist. Es war im Winter 2009/2010, als die Truppe CirKaribe zum Circus Probst kam. „Es hieß ja, die können alle kein Englisch, deshalb habe ich mir einen CD-Kurs für Spanisch besorgt, um den Artisten das Notwendigste verklickern zu können.“ Heute spreche Antonio, genannt Tony, schon ganz gut Deutsch – und Anfang des Jahres besuchte Sonja, gemeinsam mit ihrer Schwester Stephanie, auch seine kubanische Heimat. „Wir waren ein paar Tage im Hotel, haben aber auch einige Zeit bei seiner Familie gelebt. Dabei hat man Kuba gesehen, wie man es sonst nicht mitkriegt. Wenn du nur im Hotel bist, dann hast du Kuba nicht gesehen.“ Und auch wenn beim Circus Probst die Truppe CirKaribe einmal durch andere Artisten ersetzt wird, werde ihr Tony bleiben, sagt Sonja Probst: „Er hat einen Vertrag auf Lebenszeit bei mir.“ Privat geht sie außerdem leidenschaftlich gerne zum Shoppen, kümmert sich um ihren Hund oder geht ins Kino. Generell genießt sie die Freiheiten, die das Artistenleben bietet. „Man kann in der Manege wirklich aus sich herausgehen.“ Nach ihrem Unfall schien die Rückkehr ins Scheinwerferlicht lange Zeit ausgeschlossen. Doch wie heißt es beim Zirkus? „Willenskraft Wege schafft.“

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Text: Markus Moll, Fotos: Tobias Erber, Markus Moll, Archiv Familie Probst