Dann hat er viel mehr zu bieten, als es die
Momentaufnahmen einzelner Festivaldarbietungen und die importierten
Shows in Deutschland vermuten lassen. Besonderes Aufsehen haben in
jüngster Zeit die Artisten der Shanghai Acrobatic Troupe erregt, wie
der goldene Clown für zwei Darbietungen beim letztjährigen Festival
in Monte Carlo eindrucksvoll belegt. In Shanghai sind verschiedene
Shows dieser Truppe zu sehen. Die „Sensations of Huangpu River“ sind
eine Showreihe, die mehrere ähnliche, aber dennoch eigenständige
Programme umfasst, die in verschiedenen Theatern in Shanghai gezeigt
werden. Daneben gibt es die Show „ERA – Intersection of Time“, eine
sehr aufwändig und modern inszenierte Show, die in der Shanghai
Circus World zu sehen ist.
Shanghai Circus Wolrld
- außen und innen
ERA –
Intersection of Time: Die
Show ist der chinesische Gegenentwurf zum Cirque du Soleil. Die Show
will, so lautet es im Programmheft, „moderne Multimedia-Technologie
mit traditioneller chinesischer Akrobatik und Musik verbinden“.
Gezeigt wird die Show im Manegenrund, allerdings mit einigen
technischen Kniffen. So beginnt die Show mit einem Bild, in dem zur
Kontorsionistik-Darbietung in der Mitte der Manege rundherum
Handstand-Akrobatinnen auf absenkbaren Podesten aus dem Manegenboden
erscheinen. Begleitet wird das Spektakel, was mich sehr positiv
überrascht hat, von Livemusik, so geschickt mit elektronischen
Effekten verbunden, dass die Übergänge fließend sind. Die Musik
wirkt sehr modern, die traditionell chinesischen Einflüsse sind aber
unverkennbar. Dass hierfür eigens ein kanadischer Komponist
beauftragt wurde, zeigt die Inspiration durch das Vorbild Soleil.
Dreifaches Todesrad,
Vasenjonglage, Motorradkugel mit acht Fahrern
Die
Einzeldarbietungen sind verknüpft mit großformatigen
Videoprojektionen im Hintergrund, die vor allem Impressionen von
Shanghai zeigen. Zu sehen sind vor diesem Hintergrund klassisch
chinesische Darbietungen. Das Programm startet mit der imposanten
Fahrradakrobatik einer Truppe junger Chinesinnen. Ein
stimmungsvolles Bild bietet eine Gruppe von vier Frauen, die ihre
Kontorsionistik-Darbietung zunächst nur als Schatten hinter einer
weißen Leinwand in Szene setzen. Sehr traditionell ist die
Vasenjonglage von Kong Xianghong. Das Pas de Deux am Tuch dagegen
kommt im eher westlichen Stil daher und bietet eine Trickfolge, die
vergleichbar mit guten europäischen Nummern ist. Erster Höhepunkt
des Programms ist ein dreifaches Todesrad, auf dem synchron sechs
Akrobaten arbeiten. Eine technisch interessante Idee, die ein
spektakuläres Bild liefert. Weitere Programmpunkte sind eine
Rola-Rola-Darbietung, die mit aufwendiger Requisite auf einem
Holzboot stattfindet, sowie eine Schleuderbrett-Truppe, die nicht
ganz mit dem hohen Niveau mithalten kann, das in einer anderen Show
der Shanghai Acrobatic Troupe gezeigt wird. Sehr temporeich geht es
bei den Ringspringern zu, die aus allen Richtungen des Manegenrunds
durch sich drehende Ringe in unterschiedlichen Höhen und
Ausrichtungen springen. Absoluter Höhepunkt des Programms ist jedoch
die Motoradkugel, in der am Ende acht Fahrer gleichzeitig in hohem
Tempo ihre Runden drehen.
Schleuderbrett,
Glaspyramiden-Balance, Cai Yong
Shanghai Centre
Theater - Sensations of Huangpu River:
Die zweite Show, von der ich berichten möchte, ist aus der Reihe der
“Sensations of Huangpu River”. Sie wird im Theater des Shanghai
Centres, eines Shopping- und Hotelkomplexes unweit der
buddhistischen Tempelanlage von Jing’an gezeigt. Die Atmosphäre des
Theaters kann leider nicht mit der des Circusbaus der Shanghai
Circus World mithalten. Dafür ist das Niveau der artistischen
Darbietungen noch höher. Den Beginn des Programms macht die
Einrad-Jonglage, gezeigt von sechs Chinesinnen, die einen
temporeichen und unterhaltsamen Start bringt. Gefolgt sind sie von
Ringspringern, die eine aus in Deutschland gezeigten chinesischen
Programmen bekannte Sprungfolge zeigten. Sehr ästhetisch und auf
hohem technischen Niveau war die darauf folgende Kontorsionistik-
und Equilibristikdarbietung. Überboten wird sie später jedoch noch
von der überragenden Handstandequilibristik des jungen Cai Yong, der
im vergangenen Jahr für diese Arbeit in Monte Carlo mit dem goldenen
Clown ausgezeichnet wurde und deutschen Circusfreunden bereits aus
der letzten Wintersaison des Circus Krone bekannt ist. Ein sehr
ästhetisches Bild bescherte dem Publikum auch eine Balance von
Glaspyramiden, die mit dem gleichzeitigen Erklimmen einer auf
rundem, beweglichem Untergrund gelagerten Treppe endete. Den
komischen Part des Programms übernehmen zwei nur bedingt witzige
Tellerjongleure. Die Clownerie ist ein deutlicher Schwachpunkt
sämtlicher chinesischer Circusprogramme. Die folgende
Partnerakrobatik am Tuch war sehr ähnlich zu der bereits bei ERA
beschriebenen. Weitere Programmpunkte waren eine
Kontorsionistikdarbietung dreier Chinesinnen, eine tempo- aber
weniger trickreiche Balljonglage sowie eine anspruchsvolle
Schlappseilnummer, die mit dem Handstand auf dem schwingenden Seil
endete. Schlussnummer und Höhepunkt des Programms war die
Schleuderbretttruppe, deren Leistungen im vergangenen Jahr
ebenfalls mit Gold in Monte
Carlo gewürdigt wurden. Die Verbindung des Schleuderbretts mit einem
Fänger ermöglicht überaus interessante und beeindruckende
Sprungfolgen und zeigt die Kreativität der chinesischen
Circusschulen bei der Kombination unterschiedlicher akrobatischer
Elemente. Anschließend endet mit einem recht kurzen Finale ein
Circusabend mit gemischten Gefühlen. Die Dichte an akrobatischer
Höchstleistung war sehr beeindruckend und wäre so kaum in einem
europäischen Programm zu sehen. Und so staune ich über das soeben
gesehene, das sicherlich den Stand des zurzeit menschlich Machbaren
markiert. Doch dann, beim Verlassen des Theatersaals, kommt er doch
auf, der Gedanke daran, wie schön es doch wäre, jetzt den Geruch von
Sägemehl in der Nase und den Klang eines Circusorchesters im Ohr zu
haben. In meiner Zeit in China habe ich den chinesischen Circus
schätzen gelernt, lieben werde ich weiterhin den europäischen. |