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Circus-Nacht in Budapest
Verband bringt frischen Wind in die Circuslandschaft - Fast sechs Stunden Programm

Budapest, 13. Juli: Mit zahlreichen Veranstaltungen abseits der eigentlichen Vorstellungen versucht der nationale ungarische Circus- und Varietéverband MACIVA neuen Wind in die Circus-Landschaft zu bekommen und die Popularität seiner Institutionen zu steigern. Der neuste Versuch: Im Juli wurde, wohl orientiert am Vorbild des Weltcircustages, erstmalig eine „Circus-Nacht“ durchgeführt. Neben den drei großen Reiseunternehmen des Landes (Nationalcircus Richter, Horse Evolution Show - Florian Richter, Cirkusz Eötvös), die allesamt zurzeit am Plattensee gastieren, war auch der Circusbau in der Hauptstadt Budapest mit von der Partie.

Zu abendlicher Stunde wurden hier wie dort zahlreiche Aktivitäten und Shows geboten, die – so lässt sich wohl ein erstes Fazit ziehen – vom Publikum zahlreich und begeistert aufgenommen wurden. Das ruft nach Wiederholung!


Orchester, Zusatzaktivitäten im Freien

Für den Budapester Circusbau hatte Direktor Joseph Richter sen. ein spezielles Programm aus der aktuellen Sommerproduktion „Circus Maximus“ mit dem italienischen Circo Darix Togni, Absolventen der verbandseigenen Circusschule Imre Baross und Varietékünstlern zusammengestellt. So ergab sich ein (mit Pausen) fast sechsstündiges Programm, von 19 Uhr an bis weit nach Mitternacht. Aufgeteilt wurde die Show, welche vor vollem Haus stattfand, in vier Abschnitte. Nach einem ersten Block in einer Wassermanege folgten zwei klassische, bevor ein Varieté-Block mit Tänzern, Sängern, Trommlern, Humoristen und Zauberern den Abend beschloss. Begleitet wurde der ganze Abend von Moderator Gyuszi Maka und dem hauseigenen Orchester. Die acht Musiker unter Attila Maka sorgten einmal mehr für einen musikalischen Hochgenuss mit mitreißenden Melodien.


Gianluca Ranzan, Amanda Togni, Corrado Togni

Block 1 – Wassermanege: Zu Beginn des ersten Blocks betritt Clown Corrado Togni die Manegen-Umrandung und eröffnet mit der Jonglage seines Hutes und der bekannten „Popcorn“-Reprise die Show. Erst danach ergießt sich im Laserlicht ein Wasserfall oberhalb des Eingangs und füllt nach und nach die etwa knietiefe Wassermanege. Die Artisten erreichen eine kleine Bühne über zwei seitliche Stege, vieles spielt sich in diesem Block allerdings in der Luft ab. So auch die erste Darbietung: aus einem kurzen Charivari heraus, bei dem vier venezianisch gekleidete Paare durch die Besuchereingänge, die weiteren Artisten über Treppen neben dem Orchester erscheinen, entsteht die Strapatendarbietung von Zaza und Daniel Togni, die mit dem Genickwirbel der Artistin endet. Bei der Vorführung der Papageien hatte man zuletzt auf Tiere von Alessio Fochesato gesetzt; aktuell ist aber Gianluca Ranzan mit seinen Vögeln (acht Aras und einige Sittiche) und einem ähnlichen Repertoire zu sehen. So gehören auch hier die Freiflüge durch die hohe Kuppel des Baus zu den besonders schönen Momenten. Elis Togni hat eine kurze Routine am Schwungtrapez erarbeitet, dazu gehört zum Beispiel der Aufschwung mit Pirouette aus dem Fußhang. Clown Yecid kämpft in origineller Weise im Bassin mit einem aufblasbaren Krokodil. Es ist der einzige Moment, in dem das Element Wasser richtig zum Tragen kommt. Amanda Togni zeigt darauf im Seifenblasen-Regen an den Tüchern einen Spagat und Abfaller; in erster Linie lebt ihre Nummer aber von der Aufmachung. Ihr Requisit hängt unter einer großen „Qualle“, weitere Fisch- und Wasserfiguranten bevölkern die Manege. Dazu gibt es – irgendwo zwischen typisch italienischem Kitsch und Klamauk – die Auftritte von einer Popeye- und einer Spongebob Schwammkopf-Figur. Dem Publikum gefällt‘s, es singt die Titelmelodie begeistert mit.


Trio Iuguana, Zsolti Farkas, Wasserfinale

Den artistischen Abschluss und Höhepunkt dieses Teils bietet das Trio Iguana. Elemente der Kontorsion und Handstandequilibristik werden auf hohem Niveau verbunden. Der Wechsel zwischen verschiedenen Einarmern gehört dazu, ebenso der überzeugende Schlusstrick: die unterteste Artisten steht in der Brücke, während die zweite auf ihr einen Handstand drückt. Die dritte Artistin drückt darauf einen Handstand im Nacken. Großartig. Obligatorisch endet der Wassermanegen-Block mit gewaltigen, bis zur Kuppeldecke reichenden Fontänen im Walzertakt. Der erste Block wurde dabei nahezu unverändert von der aktuellen Produktion „Circus Maximus“ der Familie Togni übernommen. Lediglich der Jongleur Dashka trat nicht hier, sondern später im Varieté-Block auf. Er hält bis zu neun Bälle variantenreich in Luft, dazu bis zu vier Pingpong-Bälle mit dem Mund. Eine starke Nummer, zumal mit viel Ausstrahlung verkauft. An seine Stelle rückte der junge Sänger Zsolti Farkas, der auf der Insel mit zwei Popsongs auftrat. Er ist in Ungarn aus einer Casting-Show im TV bekannt.

 
Davio Togni, Vorrado Togni, Flugtrapez Togni/Hernandez

Block 2 & 3 – klassisch: Nach einer ersten Pause und dem Abbau der Bassinanlagen geht es klassisch weiter. Die kleinere Manegen-Umrandung der Tognis bleibt dabei stehen, so dass es gleich zwei Pisten gibt. Eröffnet wird hier mit den fünf Tigern von Davio Togni. Die Tiere zeigen Pyramide, Sprünge, Teppich, Rollover und Hochsitzer. Die überzeugende Nummer endet mit einem springenden Tiger. Auch die beiden betagten Elefanten von Corrado Togni, die dieser als komischer General zum Beispiel zu Laufarbeit und Hochsitzen animiert, sind in diesem Teil zu sehen. Zusammen agieren Davio und Corrado Togni dann in einer amüsanten Fassung von „Aufladen, Abladen“. Ebenfalls aus dem Hause Togni stammt die Flugtrapez-Darbietung, die hier den dritten Teil eröffnete und ansonsten kurz vor dem Finale platziert ist. Daniel und Amanda Togni sowie Francisco und Osorio Hernandez beherrschen das klassische Repertoire bis hin zum zweifachen Salto gestreckt und der Passage. Lediglich der dreifache Salto ist nicht zu sehen. Für komische Intermezzi sorgt Clown Yecid. Francisco Hernandez steht zudem im Mittelpunkt der Reptilienshow: einige Schlangen, ein Kaiman und ein Alligator bevölkern die Manege. Hernandez´ Partnerin Alexandra Tarus entschwebt daraufhin im Zopfhang und wird dann in einen gläsernen Sarg eingelassen. Hinzu kommen Ratten. Dann wird der Sarg durch die Manege getragen. Es folgt ein wahrer Höhepunkt, weil total durchgeknallt: Francisco Hernandez speit Feuer und vergrault damit eine Dinosaurier-Figur aus der Manege. Herrlich absurd. Ebenfalls zum Togni-Ensemble gehören die Jungclowns Martina Bellelli und Alexandru Opria.


Duo Varga, Truppe Khadgaa, Duo Steel

Zusätzlich engagiert für die Produktion „Circus Maximus“ ist die Truppe Khadgaa, zu der auch Jongleur Dashka und das Kontorsionstrio Iguana (vgl. Block 1) gehören. 2012 haben sie am Festival in Monte Carlo teilgenommen. Ihre zwei Truppennummern wurden hier auf die Blöcke aufgeteilt. Im zweiten Block sind sie als variantenreiche Seilspringer zu sehen. Dieses gelingt selbst im Drei-Personen-Hoch und mit Handvoltigen gemischt. Abwechselnd springen sowohl Fänger als auch Fliegerin, dann wieder nur die Fliegerin durch die Seile. Schlussnummer der eigentlichen Sommerproduktion wie auch dieser „Circus Nacht“ ist aber ihre Mischung aus dem Auftritt des „Starken Mannes“ und grazilen Handvoltigen mit drei Fliegerinnen. Über mehrere Stationen und bis zum Vier-Personen-Hoch werden die Artistinnen geworfen. Dazwischen hebt immer wieder das kräftigste Truppenmitglied diverse Hanteln, zum Schluss fünf Hanteln und das Gewicht von vier Tänzerinnen gleichzeitig – mit den Zähnen. Höhepunkt ist eine Pyramide mit allen Akteuren und Gewichten, wobei die drei Untermänner jeweils in der Brücke stehen und so ihre Partner stemmen. Richtig abgerundet wird die Darbietung durch den unglaublichen mongolischen Live-Gesang von Dashka. Zusätzlich für die „Circus Nacht“ wurden zwei Duos verpflichtet. Das Duo Varga (Júlia Széphalmi and Attila Varga) hat sich eine sehenswerte Kür an den Tüchern erarbeitet – mit zahlreichen seltenen und riskanten Abfallern. An diesem Abend sogar so riskant, dass Julia Széphalmi gleich zweimal auf der Bodenmatte landete; diese war zum Glück vorher ausgelegt worden, nachdem die ersten – auch schon riskanten – Tricks sogar ohne Sicherung gearbeitet wurden. Das Duo Steel (István Berkes and Attila Fábián) reihte bei seiner Hand-auf-Hand-Darbietung ebenso einen Spitzentrick an den nächsten und setze dafür noch nicht mal ab. Grandios. Vor zwei Jahren waren sie noch Teil des Programms der ungarischen Circusschule Imre Baross. Seitdem sind sie noch leistungsstärker geworden, haben aber auch an Verkauf gewonnen und zelebrieren ihre Posen nun geradezu im Magnesium-Nebel.


Trio Sárközi, Mr. Gerald, 
Evelin Csasz

Nicht nur am Beispiel dieser beiden lässt sich die Qualität der Ausbildung an der Imre Baross erkennen. Populärster und aktuellster Beleg ist sicherlich die Formation Quinterion, die mit ihren Handvoltigen nach der Teilnahme beim Budapester Festival schnell eine Weltkarriere (u.a. Big Apple Circus, Kirrwiller Varieté) hinlegte. Jahrelang bot das Festival eine der wenigen Gelegenheiten, die Arbeit der Circusschule zu beobachten. Jetzt ist man bemüht, diese Präsenz zu erhöhen, und so schickt die MACIVA die Absolventen zu zahlreichen Auftritten, demnächst gar ins Ausland. Diese Entscheidung ist ohne Frage richtig, denn die Schüler lernen so nicht nur den Auftritt vor Publikum kennen, die Darbietungen – technisch anspruchsvoll und lebhaft verkauft – sind auch beste Werbung für den Verband. Deswegen waren die Auftritte des Nachwuchses, die für die „Circus Nacht“ in den zweiten und dritten Block integriert wurden, für den Circusfreund freilich noch interessanter als die der gestandenen Nummern. Ein weiterer Pluspunkt der Circus-Schule: Hier werden noch Truppen ausgebildet, Solo-Artisten wie hierzulande findet man höchst selten. So war denn auch Evelin Csasz einzige Solo-Schülerin. Zu rockigem Sound zeigt sie am Netz eine ausgewogene Leistung, mit Flügen, Abfallern und Genickwirbel. Ebenfalls solo unterwegs ist Clown Mr. Gerald alias Gerald Steingruber, der bekannte Reprisen (Fliege, Schleuderbrett, Glocken) mit vielen eigenen Ideen und sehr sympathisch präsentiert. Nur sein Äußeres erinnert zu stark an Henry Ayala, hier wäre mehr Individualität wünschenswert. Die weiteren Vertreter der Schule sind jeweils mindestens zu dritt. Das Trio Sárközi (Péter und Tamás Sárközi sowie Patrik Perecsényi) jongliert elegant mit bis zu neun Keulen im Passing, im Zwei-Mann-Hoch, und beherrscht darüber hinaus Ringe und Reifen.


DoppelXY, Rhönrad, Truppe Sicks

Jesus Peres Sean und seine beiden Partnerinnen Dóra Takács und Réka Nagy haben sich das Rhönrad als Requisit ausgesucht und nutzen  es – ganz ähnlich wie einige ihrer Vorgänger an der Schule – auch als „Schanze” für Sprünge. Dafür benötigt die Formation DoppelXY (Olivia Kapitány, László Farkas und Dominik Turó) nur die Hände, denn sie trainieren Handvoltigen. Leider will am Abend der zweifache Salto wiederholt nicht gelingen. Herausstechend unter den Darbietungen der Absolventen ist die Ikarier-Truppe Sicks, die beim kommenden Ulmer Weihnachtscircus dann auch in Deutschland zu sehen sein wird. Ohne Frage hat sie das Potenzial, eine ganz große Nummer zu werden. Werden die Sprünge, die heute noch abgesichert werden, eines Tages ohne Hilfe dargeboten, steht einer großen Karriere nichts im Wege; denn die Sprungvarianten sind schon jetzt sensationell. Zoltán Gárdonyi, Tamás Lavei, Lénárd Matos, Mátyás Molnár, Pál Szilárd Sulyok und Krisztina Tóth - als „Unterfrau”! werfen sich in allen möglichen Positionen durch die Luft: von gestandenen Sprüngen, Saltokaskaden und Passagen bis hin zu Kombinationen mit dem Schleuderbrett. Höhepunkt ist der dreifache Salto. Wahnsinn.

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Text: Benedikt Ricken, Fotos: Circusbau Budapest