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Ein "Bankjob" wäre nichts für ihn
Schwungtrapez, Diabolos und bald auch Todesrad: Nicolai Kuntz im Porträt

Frankfurt, 8. Juni 2013: Der junge Mann will es wirklich wissen. Neben seinen umjubelten Auftritten am Schwungtrapez und mit dem Diabolo bei „Flic Flac EXXTREM“ trainiert Nicolai Kuntz aktuell auch noch auf dem Todesrad. Möglicherweise bereits im August will der 20-Jährige sein Debüt auf diesem gefährlichen Requisit feiern – nicht unbedingt zur Begeisterung seiner Eltern Petra Kuntz und Georg Kaiser. „Aber sie vertrauen mir auch, dass ich ruhig an die Sache herangehe. Ich glaube, ich kann das Risiko einschätzen. Ich würde es nicht tun, wenn ich Schiss hätte, sofort zu sterben.“ Nicolais Devise fürs Todesrad: „Man muss einfach äußerst aufmerksam sein.“ Für ihn ist das Todesrad schlicht eine „coole Nummer“, die er unbedingt ausprobieren möchte.

Ein polnischer Artist aus Flic Flacs geplanter Todesrad-Truppe habe bereits auf diesem Requisit gearbeitet, auch andere Artisten und Freunde stünden ihm mit wertvollen Tipps zur Seite. Und schließlich liegt das Todesrad auch ein wenig in der Familie, haben doch Nicolais Schwager Benno Kastein und dessen Bruder Lothar viele Jahre in dieser Disziplin gearbeitet.


Nicolai Kuntz trainiert fürs Todesrad

Nicolai Kuntz ist der jüngste Sohn von Georg Kaiser (87), ehemals Chef der bekannten Kosakenreitertruppe Golgojew (u.a. 21 Saisons in Folge bei Busch-Roland). Gemeinsam mit seiner ersten Frau Monika hatte Georg Kaiser drei Kinder, Michaela (1954), Scarlett (1963) und Juri (1971). Nach dem Tod seiner Ehefrau fand Georg Kaiser eine neue Lebensgefährtin, die vier Jahrzehnte jüngere Petra Kuntz. Am 9. Februar 1993 bekamen die beiden ihren gemeinsamen Sohn, Nicolai. Somit ist er ein Halbbruder von Scarlett Kaiser und der Onkel ihrer Töchter Larissa und Tatjana Kastein. Auch wenn die beiden ihn bisweilen „Onkelchen“ nennen, fühlen sich die drei Flic Flac-Junioren fast wie Geschwister.


"Gänsehautfeeling": Ein Monat im Kronebau

Auf jeden Fall ist Nicolai Kuntz ein waschechtes Circuskind, sein ganzes bisheriges Leben hat er beim Circus verbracht. Gerade einmal drei Jahre war er alt, als er 1996 mit seiner Familie zum Circus Krone kam. Seine Mutter arbeitete dort im Büro. Heute ist sie im GOP Münster tätig. Bis 2002 wuchs Nicolai im größten Circus Europas auf, besuchte dort die rollende Schule. „Ich freue mich immer noch, wenn ich bei Krone sein kann“, sagt er. Schließlich kenne er dort noch viele Leute, Krone sei neben Flic Flac wie ein zweites Zuhause. Und so sei es etwas ganz besonderes gewesen, gleich beim zweiten Engagement seiner Artistenkarriere im Dezember-/Januar-Programm 2010/2011 des Circus Krone auftreten zu können. „Dieses Riesengebäude, proppenvoll bei der Premiere am 1. Weihnachtstag, das war Gänsehautfeeling pur“, schwärmt er. Auch wenn Krone und Flic Flac zwei ganz verschiedene Welten seien: „Ich bin sehr dankbar, dass ich in beiden Unternehmen die reisende Schule besuchen und mit professioneller Anleitung trainieren konnte.“ Bei Krone hatte Nicolai nämlich im Alter von etwa sechs Jahren seine artistische Ausbildung begonnen. Truppenchef Sergey von den Borzovis nahm ihn unter seine Fittiche, trainierte mit Nicolai akrobatische Grundlagen und Flexibilität.


Nicolai Kuntz unterwegs: mit Mutter Petra in San Francisco, mit seinen Nichten Tatjana und Larissa Kastein in Frankreich

Als Nicolai neun Jahre alt war, wechselte seine Familie zu Flic Flac, wo seine Mutter wiederum im Büro arbeitete. Die russische Artistin Ira Rizaeva, die zu den festen Größen bei Flic Flac gehört, wurde seine neue Trainerin. Eines Tages, Nicolai war etwa 13 Jahre alt, brachte sie ein Trapez mit, das Klimmzügen und anderen Kraftübungen dienen sollte. Bald habe sie jedoch erkannt, dass Nicolai für diese Disziplin besonderes Talent besitzt, „und ich habe mit der Zeit Gefallen daran gefunden, es hat mehr und mehr Spaß gemacht“, berichtet der junge Artist. Nach wenigen Monaten sei klar gewesen, dass er sich auf diese Disziplin konzentrieren würde. Was ist das Schwerste bei der Arbeit am Schwungtrapez? „Ganz klar das Timing“, erklärt Nicolai. Bei vielen Tricks gebe es nur ein ganz kleines Zeitfenster, in denen diese am hin- und her schwingenden Trapez möglich seien. Premiere feierte Nicolais Schwungtrapez-Nummer im Januar 2010 bei der „Artgerecht“-Tournee des Circus Flic Flac in Würzburg. Zuvor hatte er noch einmal sechs Monate lang ganz intensiv trainiert. „Eigentlich hätte mein erster Auftritt schon früher sein sollen, aber ich hatte im Jahr zuvor Bandscheiben-Probleme“. Als Flic Flac dann im Juni 2010 zunächst den Tourneebetrieb einstellte, ergab sich für Nicolai die Möglichkeit, einige Monate lang in San Francisco mit Elena Panova zu trainieren. Panova hatte das Schwungtrapez-Genre Mitte der 1980er Jahre mit ihrem eleganten Stil geradezu revolutioniert, damit Gold beim Cirque de Demain gewonnen und später in den großen Häusern wie Knie, Big Apple und Cirque d’Hiver Bouglione gearbeitet. Mit dieser Meisterin ihres Faches arbeitete Nicolai an seiner Technik und einzelnen Tricks. „Dabei befassten wir uns viel damit, wie die Tricks vorbereitet werden, ehe die eigentlichen Sprünge kommen, wie man das Trapez am besten für sich nutzen kann.“ Im Ergebnis sei die Arbeit am Trapez einfacher, solider und sicherer geworden. Seine waghalsigen Salti und Pirouetten sorgen heute bei jedem Publikum für Begeisterung.


Nicolai Kuntz bei Flic Flac, bei der Preisverleihung in Monte Carlo mit Prinzessin Pauline Ducruet, bei Arlette Gruss

Premiere bei Flic Flic, Training bei Elena Panova, Präsentation der optimierten Nummer im Kronebau: Nach diesen wichtigen Schritten folgte für Nicolai die erste komplette Circussaison in bzw. über der Manege, inklusive abschließendem Weihnachtsgastspiel: Gemeinsam mit seinen Nichten Tatjana und Larissa war er beim Circus Royal in der Schweiz engagiert. „Das hat mir sehr viel gebracht, denn wir konnten jeden Tag auftreten, und ich musste das erste Mal ohne Eltern auskommen“, erinnert er sich. Großen Spaß habe ihm auch die anschließende Saison bei Arlette Gruss im Jahr 2012 gemacht. „Da gab es fast immer das ganz große Publikum, und es war einfach Klasse, die schönen Städte in Südfrankreich kennen zu lernen.“ In der Sommerpause von Arlette Gruss flog er noch mal zum Training an die Circusschule nach Montréal, und „ich würde das immer wieder tun, wenn ich Zeit hätte.“ Es folgten das Weihnachtsgastspiel bei Flic Flac in Kassel und dann das Engagement beim Festival „New Generation“ in Monte Carlo, wo Nicolai Anfang Februar dieses Jahres Silber gewann. „Das war definitiv der bisherige Höhepunkt meiner Karriere“, sagt er. Keine drei Wochen später nahm Flic Flac in Hannover nach knapp drei Jahren Pause den Tourneebetrieb wieder auf – mit Nicolai im Programm. „Ich weiß, wie viel Glück ich habe, hier arbeiten zu dürfen. Es ist heute so schwer für Artisten, gute Arbeit zu finden.“ Großen Spaß macht es ihm auch, neben seinen beiden eigenen artistischen Auftritten auch an anderer Stelle im Programm mitzuwirken. Unter anderem hilft er beim Aufbau der Motorradkugel und ist einer der fünf „Untermänner“ in Tatjana Kasteins neuer Handstandnummer. „Ich fände es schlimm, zwischen meinen beiden Nummern immer nur backstage zu sitzen“.


Showman mit Diabolos

Seine Zweitnummer, das ist die Diabolo-Show, die er 2011 erstmals im Circus Royal zeigte und die er bis heute mehr als „Spielerei“ betrachtet. „Aber das macht auf jeden Fall Spaß, und die Leute mögen es.“ Im Riesenzelt von Flic Flac kann er sein Talent als Showman dabei voll ausspielen. Schließlich ist es keine leichte Aufgabe für einen Solokünstler, alle Zuschauer auf den vier Tribünenblöcken zwischen der kreuzförmigen Bühne gleichermaßen zu erreichen. Ihm gelingt es mit links. „Man kann ja auch viel lockerer sein als am Trapez.“ Da könnten Fehler schnell sehr gefährlich werden, während ein runtergefallenes Diabolo kein echtes Drama sei. Während er für das Trapez täglich rund eine Stunde Trainingsarbeit aufwendet, sind es für das Diabolo eineinhalb bis zwei. Als der mittlerweile leider verstorbene Alexander Xelo 2008 und 2009 mit seinen Diabolos bei Flic Flic engagiert war, gefiel Nicolai die Nummer so gut, dass er mit Xelo das Diabolo-Training aufnahm. Privat ist Nicolai von Klein auf großer Fan des FC Bayern München, was wohl von seiner Kindheit bei Krone herrühre, und geht gerne skaten, wenn Zeit dafür bleibt. Darüber hinaus sieht er sich selbst gerne andere Circusshows an, hat auch das parallele Carl-Busch-Gastspiel in Frankfurt besucht. „Man kann von jeder Show etwas mitnehmen und lernen“, findet er. Und wie sind die Zukunftspläne? Zunächst will Nicolai sich voll auf diese und die nächste Saison bei Flic Flac konzentrieren und außerdem das begonnene BWL-Fernstudium an der ILS Hamburg abschließen. Klar sei für ihn nur, dass er auf jeden Fall immer etwas tun möchte, das mit Shows und Events zu hat. „In einer Bank werde ich also mit Sicherheit nie arbeiten“. Das wäre bei diesem sympathischen jungen Artisten auch viel zu schade.

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Interview
: Markus Moll, Fotos: Tobias Erber (6), Stefan Gierisch (2), Privatfotos Nicolai Kuntz (6)