Ein polnischer Artist aus Flic Flacs
geplanter Todesrad-Truppe habe bereits auf diesem Requisit
gearbeitet, auch andere Artisten und Freunde stünden ihm mit wertvollen Tipps zur
Seite. Und schließlich
liegt das Todesrad auch ein wenig in der Familie, haben doch
Nicolais Schwager Benno Kastein und dessen Bruder Lothar viele Jahre
in dieser Disziplin gearbeitet.
Nicolai
Kuntz trainiert fürs Todesrad
Nicolai Kuntz ist der jüngste Sohn
von Georg Kaiser (87), ehemals Chef der bekannten
Kosakenreitertruppe Golgojew (u.a. 21 Saisons in Folge bei
Busch-Roland). Gemeinsam mit seiner ersten Frau Monika hatte Georg
Kaiser drei Kinder, Michaela (1954), Scarlett (1963) und Juri
(1971). Nach dem Tod seiner Ehefrau fand Georg Kaiser eine neue
Lebensgefährtin, die vier Jahrzehnte jüngere Petra Kuntz. Am 9.
Februar 1993 bekamen die beiden ihren gemeinsamen Sohn, Nicolai.
Somit ist er ein Halbbruder von Scarlett Kaiser und der Onkel ihrer
Töchter Larissa und Tatjana Kastein. Auch wenn die beiden ihn
bisweilen „Onkelchen“ nennen, fühlen sich die drei Flic
Flac-Junioren fast wie Geschwister.
"Gänsehautfeeling":
Ein Monat im Kronebau
Auf jeden Fall
ist Nicolai Kuntz ein waschechtes Circuskind, sein ganzes bisheriges
Leben hat er beim Circus verbracht. Gerade einmal drei Jahre war er
alt, als er 1996 mit seiner Familie zum Circus Krone kam. Seine
Mutter arbeitete dort im Büro. Heute ist sie im GOP Münster tätig. Bis 2002 wuchs Nicolai im größten
Circus Europas auf, besuchte dort die rollende Schule. „Ich freue
mich immer noch, wenn ich bei Krone sein kann“, sagt er. Schließlich
kenne er dort noch viele Leute, Krone sei neben Flic Flac wie ein
zweites Zuhause. Und so sei es etwas ganz besonderes gewesen, gleich
beim zweiten Engagement seiner Artistenkarriere im
Dezember-/Januar-Programm 2010/2011 des Circus Krone auftreten zu
können. „Dieses Riesengebäude, proppenvoll bei der Premiere am 1.
Weihnachtstag, das war Gänsehautfeeling pur“, schwärmt er. Auch wenn
Krone und Flic Flac zwei ganz verschiedene Welten seien: „Ich bin
sehr dankbar, dass ich in beiden Unternehmen die reisende Schule
besuchen und mit professioneller Anleitung trainieren konnte.“ Bei
Krone hatte Nicolai nämlich im Alter von etwa sechs Jahren seine
artistische Ausbildung begonnen. Truppenchef Sergey von den Borzovis
nahm ihn unter seine Fittiche, trainierte mit Nicolai akrobatische
Grundlagen und Flexibilität.
Nicolai Kuntz unterwegs: mit
Mutter Petra in San Francisco, mit seinen Nichten Tatjana und
Larissa Kastein in Frankreich
Als Nicolai neun
Jahre alt war, wechselte seine Familie zu Flic Flac, wo seine Mutter
wiederum im Büro arbeitete. Die russische Artistin Ira Rizaeva, die
zu den festen Größen bei Flic Flac gehört, wurde seine neue
Trainerin. Eines Tages, Nicolai war etwa 13 Jahre alt, brachte sie
ein Trapez mit, das Klimmzügen und anderen Kraftübungen dienen
sollte. Bald habe sie jedoch erkannt, dass Nicolai für diese
Disziplin besonderes Talent besitzt, „und ich habe mit der Zeit
Gefallen daran gefunden, es hat mehr und mehr Spaß gemacht“,
berichtet der junge Artist. Nach wenigen Monaten sei klar gewesen,
dass er sich auf diese Disziplin konzentrieren würde. Was ist das
Schwerste bei der Arbeit am Schwungtrapez? „Ganz klar das Timing“,
erklärt Nicolai. Bei vielen Tricks gebe es nur ein ganz kleines
Zeitfenster, in denen diese am hin- und her schwingenden Trapez
möglich seien. Premiere feierte
Nicolais Schwungtrapez-Nummer im Januar 2010 bei der „Artgerecht“-Tournee
des Circus Flic Flac in Würzburg. Zuvor hatte er noch einmal sechs
Monate lang ganz intensiv trainiert. „Eigentlich hätte mein erster
Auftritt schon früher sein sollen, aber ich hatte im Jahr zuvor
Bandscheiben-Probleme“. Als Flic Flac dann im Juni 2010 zunächst den
Tourneebetrieb einstellte, ergab sich für Nicolai die Möglichkeit,
einige Monate lang in San Francisco mit Elena Panova zu trainieren.
Panova hatte das Schwungtrapez-Genre Mitte der 1980er Jahre mit
ihrem eleganten Stil geradezu revolutioniert, damit Gold beim Cirque
de Demain gewonnen und später in den großen Häusern wie Knie, Big
Apple und Cirque d’Hiver Bouglione gearbeitet. Mit dieser Meisterin
ihres Faches arbeitete Nicolai an seiner Technik und einzelnen
Tricks. „Dabei befassten wir uns viel damit, wie die Tricks
vorbereitet werden, ehe die eigentlichen Sprünge kommen, wie man das
Trapez am besten für sich nutzen kann.“ Im Ergebnis sei die Arbeit
am Trapez einfacher, solider und sicherer geworden. Seine
waghalsigen Salti und Pirouetten sorgen heute bei jedem Publikum für
Begeisterung.
Nicolai Kuntz bei Flic
Flac, bei der Preisverleihung in Monte Carlo mit Prinzessin Pauline
Ducruet, bei Arlette Gruss
Premiere bei Flic
Flic, Training bei Elena Panova, Präsentation der optimierten Nummer
im Kronebau: Nach diesen wichtigen Schritten folgte für Nicolai die
erste komplette Circussaison in bzw. über der Manege, inklusive
abschließendem Weihnachtsgastspiel: Gemeinsam mit seinen Nichten
Tatjana und Larissa war er beim Circus Royal in der Schweiz
engagiert. „Das hat mir sehr viel gebracht, denn wir konnten jeden
Tag auftreten, und ich musste das erste Mal ohne Eltern auskommen“,
erinnert er sich. Großen Spaß habe ihm auch die anschließende Saison
bei Arlette Gruss im Jahr 2012 gemacht. „Da gab es fast immer das
ganz große Publikum, und es war einfach Klasse, die schönen Städte
in Südfrankreich kennen zu lernen.“ In der Sommerpause von Arlette
Gruss flog er noch mal zum Training an die Circusschule nach
Montréal, und „ich würde das immer wieder tun, wenn ich Zeit hätte.“
Es folgten das Weihnachtsgastspiel bei Flic Flac in Kassel und dann
das Engagement beim Festival „New Generation“ in Monte Carlo, wo
Nicolai Anfang Februar dieses Jahres Silber gewann. „Das war
definitiv der bisherige Höhepunkt meiner Karriere“, sagt er. Keine
drei Wochen später nahm Flic Flac in Hannover nach knapp drei Jahren
Pause den Tourneebetrieb wieder auf – mit Nicolai im Programm. „Ich
weiß, wie viel Glück ich habe, hier arbeiten zu dürfen. Es ist heute
so schwer für Artisten, gute Arbeit zu finden.“ Großen Spaß
macht es ihm auch, neben seinen beiden eigenen artistischen Auftritten auch
an anderer Stelle im Programm mitzuwirken. Unter anderem hilft er
beim Aufbau der Motorradkugel und ist einer der fünf „Untermänner“
in Tatjana Kasteins neuer Handstandnummer. „Ich fände es schlimm,
zwischen meinen beiden Nummern immer nur backstage zu sitzen“.
Showman mit Diabolos
Seine
Zweitnummer, das ist die Diabolo-Show, die er 2011 erstmals im
Circus Royal zeigte und die er bis heute mehr als „Spielerei“
betrachtet. „Aber das macht auf jeden Fall Spaß, und die Leute mögen
es.“ Im Riesenzelt von Flic Flac kann er sein Talent als Showman
dabei voll ausspielen. Schließlich ist es keine leichte Aufgabe für
einen Solokünstler, alle Zuschauer auf den vier Tribünenblöcken
zwischen der kreuzförmigen Bühne gleichermaßen zu erreichen. Ihm
gelingt es mit links. „Man kann ja auch viel lockerer sein als am
Trapez.“ Da könnten Fehler schnell sehr gefährlich werden, während
ein runtergefallenes Diabolo kein echtes Drama sei. Während er für
das Trapez täglich rund eine Stunde Trainingsarbeit aufwendet, sind
es für das Diabolo eineinhalb bis zwei. Als der mittlerweile leider
verstorbene Alexander Xelo 2008 und 2009 mit seinen Diabolos bei
Flic Flic engagiert war, gefiel Nicolai die Nummer so gut, dass er
mit Xelo das Diabolo-Training aufnahm. Privat ist
Nicolai von Klein auf großer Fan des FC Bayern München, was wohl von
seiner Kindheit bei Krone herrühre, und geht gerne skaten, wenn Zeit
dafür bleibt. Darüber hinaus sieht er sich selbst gerne andere
Circusshows an, hat auch das parallele Carl-Busch-Gastspiel in
Frankfurt besucht. „Man kann von jeder Show etwas mitnehmen und
lernen“, findet er. Und wie sind die Zukunftspläne? Zunächst will
Nicolai sich voll auf diese und die nächste Saison bei Flic Flac
konzentrieren und außerdem das begonnene BWL-Fernstudium an der ILS
Hamburg abschließen. Klar sei für ihn nur, dass er auf jeden Fall
immer etwas tun möchte, das mit Shows und Events zu hat. „In einer
Bank werde ich also mit Sicherheit nie arbeiten“. Das wäre bei
diesem sympathischen jungen Artisten auch viel zu schade.
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