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Azzario Sisters
Weltkarriere von Roncalli bis Hawaii

Odense, 6. September 2014: Mit 20 oder 25 Jahren starten die meisten Menschen gerade mal ins Berufsleben. Bei Quincy und Katie Santos Azzario sieht das ganz anders aus. Sie beenden in diesem jungen Alter bereits ihre erste Karriere. Eine Karriere, von der viele andere ein ganzes Leben lang nur träumen können. Mit ihrer Duo-Equilibristik waren die spanischen Schwestern unter anderem bei Roncalli, im Pariser Cirque d'Hiver, bei Knie und im Circus Krone-Bau engagiert. Gekrönt wurde ihre gemeinsame Karriere aber von einem Silbernen Clown in Monte Carlo, welchen sie 2012 gewannen.

Bei einem Engagement im CabaRAE auf Hawaii werden die Azzario Sisters am 8. Februar 2015 ein letztes Mal gemeinsam zu erleben sein. Katie hat vor, erstmal das Privatleben zu genießen. Für Quincy, die jüngere der beiden, beginnt direkt danach am gleichen Ort ihre Solokarriere, wie sie im Interview erzählt.


José Michel-Trio

Die beiden Spanierinnen bilden die achte Generation der Artistendynastie Santos Azzario. Ihr Großvater arbeitete am Trapez. Vater José Michel bildet gemeinsam mit Ehefrau Giulia und Partner Kike ein Clownstrio, welches mit seinem Wasserentree auch bei uns bekannt ist. Etwa von Engagements bei Busch-Roland und Krone. Ihre Mutter, sie verkörpert den Weißclown, kommt hingegen von privat. Die Ikarier Rampin Brothers sind Cousins, um nur einen Verwandtschaftszweig zu nennen. Mit sechs Jahren startete Quincy das artistische Training. Der Wunsch der Schwestern, eine Hand-auf-Hand-Nummer zu zeigen, bestand früh. Endgültig umgesetzt wurde er ab 2004. Für drei Jahre besuchten sie die Circusschule in Verona, wo sie unter anderem von Eugenio Larible ausgebildet wurden. Hier entstand die Nummer, mit der die Azzario Sisters quasi weltberühmt wurden. Während der artistische Feinschliff also in Italien erfolgte, sorgte ihr Vater dafür, dass die Darbietung im spanischen Stil präsentiert wird. Durch Kostüme sowie Musik wurde dies umgesetzt. Und natürlich durch die Persönlichkeit dieser Vollblut-Spanierinnen.


Engagements im Cirque d'Hiver (2009/10), bei Knie (2010) und Brazil Jack (2012)

Von Verona ging es direkt zum ersten Engagement bei Roncalli. Kein Wunder, ist doch Eugenio Larible der Schwiegervater von Bernhard Paul. Er entdeckte die Azzario Sisters in dessen Schule und bescherte ihnen 2007 ein Debüt in seinem Vorzeige-Circus. Ein perfekter Start also, dem weitere Saisons bei Roncalli folgten. 2008 und 2011 waren sie erneut dort zu sehen. Später ging es dann für drei Sommersaisons hintereinander nach Skandinavien. 2012 zu Brazil Jack nach Schweden, 2013 zum Sirkus Finlandia und im Jahr darauf zum dänischen Zirkus Nemo. Mit dem Schweizer Nationalcircus Knie waren sie 2010 auf Tournee. In den Wintermonaten konnten wir sie unter anderem im Kronebau oder beim Heilbronner Weihnachtscircus erleben. Als „really nice“ ist Quincy zudem das Engagement im Carré-Theater in Amsterdam in Erinnerung geblieben. Der Gewinn des Silbernen Clowns beim Festival International du Cirque de Monte Carlo 2012 stellt wohl den Höhepunkt ihrer Karriere dar. Insgesamt hätten sie überall dort gearbeitet, wo sie sich ein Engagement gewünscht hätten, erzählt Quincy. Einzig das Moulin Rouge blieb als Auftrittsort ein unerfüllter Traum.


Szenen aus der Hand-auf-Hand-Kür der Azzario Sisters

Neben der spanischen Aufmachung wurde die Leiter zu ihrem Markenzeichen. Katie überquert sie, während Quincy auf ihrem Kopf einen Einarmer zeigt. Nur bei diesem Tricks wird eine Longe zur Sicherung eingesetzt. Hier kam es zum einzigen Unfall ihrer Karriere. Beim Engagement im Apollo Varieté riss die Longe, und Quincy fiel mit dem Becken auf das Plexiglas-Podest. Zehn Tage musste sie damals im Krankenhaus in Düsseldorf pausieren. Ansonsten sind ernsthafte Verletzungen ausgeblieben, wenngleich Quincy ihre Trickfolge durchaus als riskant bezeichnet. Diese wird nach dem charmanten Auftakt mit Hüten und Fächern durch ein Kopf-auf-Kopf eröffnet. Später balanciert Katie ihre Schwester auf einem Fuß, während Quincy auf dem Kopf steht. Oder aber Quincy steht auf einem Bein auf dem Kopf von Katie, während diese einen Spagat macht. Trotz teilweise unterschiedlicher Belastungen, hätten beide das gleiche Basistraining absolviert, erzählt die jüngere der Azzario Sisters. Die Belastung während der Nummer ist natürlich unterschiedlich. Während beide einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn benötigen, wird etwa die Halsmuskulatur von Katie besonders stark beansprucht. Ihre Kür müssen sie heute nicht mehr trainieren. Die täglichen Vorstellungen reichen aus, um das Niveau zu halten. Daneben steht ein allgemeines Fitnesstraining auf dem Plan.


Giulia, Quincy, José und Katie Santos Azzario

Natürlich arbeiten die beiden nicht nur zusammen, sondern verbringen auch so viel Zeit miteinander. Sie kennen es von kleinauf nicht anders, haben sich daran gewöhnt. „We love each other“, beschreibt Quincy das Verhältnis der beiden zueinander. Das ist umso wichtiger, wenn man bedenkt, dass die beiden während ihrer ersten Tournee mit Roncalli noch recht jung waren. Sie seien von Anfang an alleine gereist, Katie habe auf ihre jüngere Schwester geachtet. Natürlich schauten die Eltern, wann immer möglich, nach den beiden Töchtern. Neben der artistischen Laufbahn legten sie Wert auf eine gute Schulbildung ihrer Kinder. Da sie von klein auf mit dem Circus unterwegs waren, lernte Quincy die ersten fünf Jahre an einer Fernschule. Mit dem Besuch der Circusschule in Verona wechselte die Unterrichtssprache von Spanisch auf Italienisch. Dort besuchte sie eine öffentliche Schule. Danach absolvierte sie wieder die Fernkurse auf Spanisch.


Katie und Alexander, Quincy und Michael, Quincy im Solo

Während des Engagements bei Carré in Amsterdam fassten die Azzario Sisters den Entschluss, die gemeinsame Nummer zu beenden. Sie wollten „ein neues Kapitel im Leben aufschlagen“, sagten sie damals gegenüber Chapiteau.de. Für Katie soll erst einmal das Privatleben im Vordergrund stehen. Sie ist inzwischen mit Raubtierdompteur Alexander Lacey verlobt und tourt gemeinsam mit ihm durch die USA. Auch Quincy hat ihr privates Glück in der Circuswelt gefunden. Der Diabolo-Jongleur Michaël Betrian ist ihr Partner. Beruflich will sie ihre Karriere mit einer Solo-Handstandartistik-Nummer fortsetzen. Sie ist sich im Klaren darüber, dass sie ihre Kolleginnen aus China oder Russland hinsichtlich der Leistung nicht übertreffen kann. Deswegen setzt sie weiterhin auch auf Persönlichkeit und Ausstrahlung. Während der ersten Saison auf Hawaii wird Michaël Betrian mit von der Partie sein. Er hat ebenfalls ein Engagement bei CabaRAE. Eine Reunion der Azzarion Sisters schließt Quincy schon aus einem ganz einfachen Grund aus: Die für die gemeinsame Nummer benötigten Muskeln bilden sich schon nach einem Monat Pause zurück. Danach wird es immer schwieriger, wieder anzufangen - „It's impossible.“ Freuen wir uns also, dass wir diese außergewöhnliche Darbietung zweier sehr charmanter Spanierinnen über viele Jahre genießen durften. Und seien wir gespannt auf das Europa-Debüt der neuen Handstand-Kür von Quincy Azzario. Wann immer dieses sein wird.

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Text: Stefan Gierisch; Fotos: Stefan Gierisch, Sammlung Azzario Sisters