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"Alles, was wir machen, tut weh"
Ein Sportinterview mit den Akrobaten Ferenc und Viktor Rippel

Das Akrobaten-Brüderpaar Ferenc und Viktor Rippel tourt seit 25 Jahren mit seiner Kraftakrobatik durch die Welt. Vor fünf Jahren gründeten sie eine eigene Akademie in Budapest, um die nächste Generation an Artisten auszubilden. Ein Sportinterview über Schmerzen, Niederlagen und neu belebte Traditionen. „Alles, was wir machen, tut weh“, sagt Ferenc Rippel. Das ist mal eine Ansage. Ich hänge kopfüber und baumele vor seinen Beinen. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, bin aber sicher, er grinst über das ganze Gesicht. Das System „Zirkus-Fitness“ ist eine Eigenkreation der Brüder, beinhaltet Luftakrobatik, Akrobatik, Balance. Die Rippels können alles davon. Ich nicht.

Seit 25 Jahren zeigen Viktor und Ferenc Rippel ihre Kraftakrobatik auf dem gesamten Globus. Fünf Jahre wird in diesem Jahr ihre Rippel-Akademie alt, in der sie in erster Linie Kinder und Jugendliche trainieren. Die muss es nicht einmal in den Zirkus ziehen. Kommen darf jeder, der sich bewegen will. „Aber wir haben auch etwa 40 junge Leute dabei, die wirklich Akrobat werden wollen und mit denen auch öffentliche Auftritte durchgeführt werden“, sagt Feri. Es war seine Idee, dass wir das Interview ans Ende verlegen. Vorher sollte ich selbst erfahren, wie es sich anfühlt, wie ein Akrobat zu trainieren.


Herausforderung Luftakrobatik: Es schneidet in den Kniekehlen

Die „Rippel Brothers Akademie“ ist ein Begriff, der in der Turnhalle eines Gymnasiums im Norden Budapests Form gewinnt. Hier finden mehrmals wöchentlich die Übungsstunden statt, geleitet von acht Trainern, darunter den Rippel-Brüdern selbst. Mit der Luftakrobatik geht es los. Links und rechts von mir klettern die jungen Mädchen, elegant der Decke entgegen, nutzen das Tuch als Leiter, um dann wieder, federngleich, dem Boden entgegenzuschweben. Mein Tuch schneidet mir bislang nur in die Kniekehlen. Zumindest schaffe ich es, irgendwann auf einem Knoten zu stehen, solide wie von einem Seemann gemacht, mich fallen zu lassen und wieder hochzuschwingen. Es hat etwas vom Reck aus dem Schulsportunterricht. Nur das war stabiler.


Herausforderung Hängematte: Das Luftnetz baumelt wie ein Galgen von der Decke 

Zur Herausforderung wird die Übung in der überdimensionierten Hängematte, die wie ein Galgen von der Decke baumelt. Der erste Erfolg ist es, überhaupt reinzukommen und sich so zu positionieren, als läge man in einem Kokon. Aber das Ding ist widerspenstig. Die Füße verheddern sich, die Hände rutschen durch die Öffnungen. Feri wird ungeduldig. Minuten später liege ich richtig genug, um von ihm angestoßen zu werden. Schön um die eigene Achse, mit ordentlich Tempo. Die Deckenlichter vermengen sich zu einem Brei und ich schließe die Augen. „Und jetzt die Beine anziehen“, schreit Feri. Ich will es nicht, weil ich ahne, was dann passiert. Aber ich will auch kein Feigling sein und gebe mir so noch etwas zusätzlichen Speed. Als die Hängematte wieder steht und ich zur Seite taumele, bin ich ziemlich grün im Gesicht. Die Pause, die nach knapp einer Stunde in der Rippel-Akademie für alle Teilnehmer ansteht, ist ein Geschenk.


Viktor und Ferenc Rippel: In 25 Jahren traten sie weltweit auf 

Ferenc und Viktor, Jahrgang 1971 und 1973, stammen aus einer Artistenfamilie. Nach der Geburt der Kinder konzentrieren sie sich auf deren Ausbildung. Gern wird die Legende erzählt, dass die Brüder schon Salti auf einem Trampolin schlagen konnten, bevor sie laufen lernten. In den vergangenen 25 Jahren traten sie weltweit auf, entwickelten in jedem Jahr neue Produktionen. Das müssen sie auch. „Als wir angefangen haben, gab es vielleicht fünf ähnliche Produktionen, jetzt sind es 5000“, beschreibt Ferenc die Konkurrenzsituation. Die Rippel Brothers haben sich ihren Status erarbeitet, waren Teil der Ringling Bros. Barnum and Bailey Show, verdienten sich zahlreiche Zirkuspreise, zeigten ihre Akrobatik in den Shows von Jay Leno und Rosie O'Donnell, begeisterten im Moulin Rouge in Paris, im Chamäleon oder im Wintergarten in Berlin. Durch ihre Engagements in Deutschland spricht Ferenc ein ausgezeichnetes Deutsch. Ferenc Rippel ist so etwas wie der Sprecher der beiden, er ist derjenige, der auch bei den Darbietungen in die Lüfte geht. Bruder Viktor sorgt für die Stabilität. Sie haben in ihrem Leben nie etwas anderes gelernt, wissen, dass sie nur ihre Körper haben, beide 1,80 Meter groß und 90 Kilogramm schwer. An ihnen hängen Triumph oder Tragödie. Die Tragödie geschieht, als vor einigen Jahren bei einer Übung Viktors Bizeps reißt und einige Zentimeter nach oben springt. Der Arzt renkt es wieder ein – und erklärt die Karriere der Rippel-Brüder für beendet. „Zack, das war's, nie wieder Rippel-Brüder“, erinnert sich Ferenc an diesen Tiefpunkt ihrer Karriere. Nach zwei Monaten Zwangspause haben sich wieder rangekämpft, die Belastungen auf Viktors anderen Arm verlagert und immer wieder gezeigt, was sie aus ihren Körpern rausholen können. Die Weltrekordversuche der Rippel-Brüder sieht man bei YouTube: Die Rippel-Brüder auf einer Plattform, die von einem Helikopter hängt. Die Rippel-Brüder auf der Tragfläche eines Lkw bei 75 km/h.


Rippel-Sportunterricht: Jeder macht alles 

Die Pause ist vorbei. Kneifen ist nicht beim Rippel-Sportunterricht. Jeder macht alles. Jede Gruppe wechselt ihre Position. Als nächstes steht Balance an: Handstände in verschiedenen Ausführungen (geht so), Pilates-Übungen (eine Wohltat!), Balancieren (reden wir nicht davon). Bei der dritten Station, den Salti, die auf einer langgezogenen Hüpfburg stattfinden, falle ich ziemlich dämlich auf den Arm. Es sind 5-Jährige hier dabei, die können es besser. Was hier gelehrt wird, sind die Grundübungen der Akrobatik, deren Vergangenheit rosiger war als die Gegenwart. Die große Zeit des Varietés in Ungarn, erzählt Ferenc, fällt in die 40er- bis 60er Jahre. „Unsere Eltern hätten an einem Abend fünfmal auftreten können, es war damals einfach schick, sich schön anzuziehen und zum Abendessen in ein Varieté zu gehen.“ Wie auch in Deutschland sank ab den 60er Jahren die Zahl der Varietés in Ungarn beständig. „Endgültig vorbei war es dann zur Wendezeit, als aus den Varietés Discos wurden, weil die mehr Geld versprachen.“ Geblieben ist nur der Zirkus als Tradition. Der „Hauptstädtische Großzirkus“ im Budapester Stadtwäldchen etwas existiert seit 115 Jahren. Natürlich sind die Rippel-Brüder auch in diesem Zirkus aufgetreten, doch ihren Lebensunterhalt verdienen sie durch Aufträge aus dem Ausland.


Das Ziel: "Die Tradition am Leben erhalten"

Seit der Jahrtausendwende sind in Budapest die romkocsmák, die Ruinenkneipen zu einem Anziehungspunkt für Einheimische wie Touristen gleichermaßen geworden. Ferenc und Victor Rippel tragen sich schon seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, selbst eine eigene Institution zu schaffen, eine neue Tradition auf den Weg zu bringen: ein eigenes Rippel-Varieté. Die Pläne sind, wie die Brüder es ausdrücken, „halb-konkret“. Doch erst wollen sie abwarten, wie sich die politische Lage weiter entwickelt. „Wir hassen das, aber in Ungarn ist immer alles von der Politik abhängig.“ Bis ihr eigenes Varieté Wirklichkeit werden kann, stecken sie ihre Energie und ihr Geld in ihre Akademie. „Unser Ziel ist es, die nächste Tradition von Artisten auszubilden und die Tradition am Leben zu erhalten.“ Ferenc und Viktor Rippel haben beide die 40 überschritten. Wie lange hält der Körper das aus? „Ich will nicht darüber nachdenken, was in zehn Jahren ist“, meint Feri. Am liebsten würde er auf der Bühne sterben. „Und wenn ich alt werde und die Haut schlaff wird“, er klatscht sich gegen den Bizeps, „ziehe ich mir eben was Langes an.“

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Text: Sebastian Garthoff, Fotos: Daniel Kaldori