CHPITEAU.DE

3. Circusnacht in Budapest
Die Zukunft des Circus hat in Ungarn schon begonnen
www.fnc.hu

Budapest, 18. Juli 2015: Circus ist das Theater für das Volk. Gerade in ehemals sozialistisch geprägten Ländern nimmt diese Form der Unterhaltungskunst auch heute noch einen weitaus höheren Stellenwert in der Gesellschaft ein als anderswo. Beispielsweise in Ungarn sind die Nachfrage und der Zuspruch nahezu ungebremst. Dazu trägt der ungarische Dachverband für Circuskunst und Varieté, die MACIVA, erheblich bei. Mit vielen Sonder-Veranstaltungen sorgt der Verband für eine gute Außenwirkung der Branche. So fand am Juli bereits zum dritten Mal die „Lange Nacht des Circus“ statt.

Insgesamt fünf große Circus-Events wurden parallel geboten. Neben den bedeutendsten Zelt-Unternehmen des Landes war auch wieder der Fövárosi Nagycirkusz, der feste Circusbau in Budapest, mit von der Partie. Wie schon in den vergangenen Jahren war die Lange Nacht ein großer Erfolg. Im nahezu restlos ausverkauften Circusgebäude präsentierten die Veranstalter ein fast fünfstündiges Circus-, Show- und Musikprogramm, das durch Pausen in vier etwa gleich lange Blöcke unterteilt war. Eine dieser Pausen wurde dafür genutzt, in Form einer Konferenzschaltung auch aus den anderen Circussen zu berichten. Ein ungarischer Fernsehsender war an diesem Abend überall live vor Ort und übertrag dieses Ereignis rund um die Welt. Dank der großartigen Bildschirmtechnik im Circusbau konnte dann diese TV-Konferenz mit den Grußworten aus den anderen Circussen eingespielt werden. Die Besucher reagierten begeistert.


Absolventen der Artistenschule, Truppe Teibler, Elisabeth Axt
 

Der Show zugrunde lagen die 15 Nummern des aktuellen Sommer-Programms des Budapester Circusbaus. Seit gut drei Jahren steht er unter der Leitung von Joszef Richter Senior. Zusätzlich wurde mehrere hochwertige Darbietungen für diesen Abend engagiert, so beispielsweise Jongleur Nandor Varadi, Elisabeth Axt an den Strapaten und mit Solo-Equilibristik sowie die große Schleuderbrett-Truppe der Familie Teibler. Dazwischen wurden viel versprechende Nummern von Absolventen der Budapester Circusschule zum Besten gegeben, was für zusätzliche Abwechslung sorgte und auch einen Blick in die Zukunft bot.


Musicalszene
 

War in den vergangenen Jahren der vierte Show-Block der Langen Nacht jeweils unter dem Motto „Orpheum Hungaricum Varieté“ gestanden, so erfolgte diese Teilung heuer nicht. Stattdessen waren die Varieté-Darbietungen und auch Gesang- und Tanzeinlagen sowie eine ansprechende Musicalszene geschickt in das Circusprogramm eingeflochten, die Übergänge waren fließend und sanft. Die Moderation des Abends lag in den Händen von Gyuszi Maka, der neben seinem Job als Conférencier auch als begnadeter Sänger zu erleben war und entsprechend gefeiert wurde.


Eddy
Carello, Duo Splash, Nistorovs 

Das erwähnte Saisonprogramm, welches noch bis Ende August zu sehen ist, trägt diesmal den Titel „Circussimo“. Es liest sich wie ein facettenreiches Who is Who der Circuswelt. Eröffnet wird die Show von der Truppe Nistorov. Wohl noch besser als in den Jahren, als wir sie bei Charles Knie bewundern durften, zeigen sie – aktuell  in leicht veränderter Besetzung - eine der besten Rollerskater-Nummern überhaupt. Ganz im Stil der Blues Brothers gehalten ist die Comedy-Jonglage des Schweizers Eddy Carello. Er paart sein musikalisches Talent mit der Kunst des Jonglierens. Mit flotten Rhythmen spricht er die Zuschauer an und nimmt sie mit. Nervenkitzel bietet die Akrobatik des Duo Splash. Die beiden Ukrainer brennen am Trapez ein wahres Feuerwerk an Figuren, Pirouetten und Durchdrehern ab, das Ganze teils sogar ohne Sicherung.


Mr. Lorenz, Gaby und Chello, Truppe Shandong

Für die Lachmuskeln ist Mr. Lorenz aus Italien zuständig. Als Reprisenclown mit fünf Einlagen sowie mit einem musikalischen Entree überbrückt er geschickt langatmige Umbaupausen und spielt sich in die Herzen der Zuschauer. Keine Unbekannte ist Rich Metiku, die bei ihrer Kontorsionistik den Anschein erweckt, einen Körper ohne Knochen zu besitzen. Enorme Beweglichkeit beweisen auch die Gerasymenko Brothers bei ihren Kaskaden rund um einen Tisch. Von der Familie Hölscher vom ehemaligen Circus Fliegenpilz ist die einzige Tiernummer in diesem Programm engagiert: Gaby und Chello präsentieren die drei mächtigen kalifornischen Seelöwen gewohnt humorvoll. Angesichts der großzügigen Fisch-Belohnung haben die drei Tiere sichtlich Spaß an diesem Auftritt. Körperliche Höchstleistungen zeigt die Truppe aus China von der Circusschule in Shandong. Beim ersten Auftritt lässt eine zehn Mann starke Crew alles vergessen, was man bisher über ikarische Spiele wusste. Im zweiten Teil zeigen die Chinesen ihre Kunst mit diversen Sprungseilen bis hin zum Sprung einer Drei-Mann-Hoch-Pyramide über das rotierende Seil.


Truppe Szkokov
 

Höhepunkt der Show war jedoch eine andere Darbietung: Die US-amerikanische Gruppe „Flying Farfans“ zeigt eine Flugtrapez-Show an drei Trapezen in sich kreuzenden Flugrichtungen. Neben den klassischen Elementen wie Salti, Passagen und Schrauben steht hier die Koordination von Flieger und Fänger in zwei Richtungen im Mittelpunkt. Der Zuschauer hat die Qual der Wahl, welchen der sieben Artisten er denn nun anschauen will. Zumeist fliegen gleich mehrere Akteure zeitgleich durch die Luft, sodass sich ein beeindruckendes Schaubild ergibt. Beendet wird das Programm dann mit einer Besonderheit, die wahrlich den Titel Schlussnummer verdient: Die Truppe Szkokov zeigt Sprünge zwischen zwei russischen Schaukeln. Das Besondere ist jedoch nicht die eigentliche Darbietung, sondern die außergewöhnliche Besetzung: Acht bildhübsche Damen in weiten Gewändern arbeiten hier in einem Metier, das bisher nur Männern vorbehalten war. Die Komposition aus Licht, Ton und Kostümen in atemberaubender Choreographie vermittelt dem Zuschauer exakt das Gefühl, das er vom Circus mit nach draußen nehmen soll. Nämlich, dass er gerne in den Circus geht, weil es ihm dort gefällt, und vor allem, dass er jederzeit gerne wiederkommt.

In diesem Sinne darf man nur hoffen, auch im kommenden Jahr nach Budapest zur Langen Nacht des Circus reisen zu können. Mit diesem Projekt ist Ungarn der Vorreiter in Europa. Auch wenn die diesjährige Show nur eine einzige, dafür aber exzellente Tiernummer bot, gewinnt man die Erkenntnis, dass hier die Verantwortlichen die Zeichen der Zeit erkannt haben und die Zukunft des Circus in Ungarn schon begonnen hat.

______________________________________________________________________
Text: Thomas Kroker; Fotos:
Fövárosi Nagycirkusz