CHPITEAU.DE

Stefano Orfei-Nones
Ein preisgekröntes Multitalent im Raubtierkäfig
www.moiraorfei.it

Heilbronn, 2. Januar 2015: Moira Orfei war „La Regina del Circo“, die Königin des italienischen Circus. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Walter Nones gründete sie Anfang der 1960er Jahre den nach ihr benannten Circus. Er wurde einer der schönsten und berühmtesten Italiens. Großen Anteil daran hatte auch der gemeinsame Sohn von Moira Orfei und Walter Nones, Stefano Orfei-Nones. Geboren am 21. Juli 1966, entwickelte er sich zum universell talentierten Artisten und Tierlehrer. Kein anderer erhielt drei Silberne Clowns beim Internationalen Circusfestival von Monte Carlo in drei ganz verschiedenen Disziplinen.

Jetzt war Stefano Orfei-Nones mit seiner großen gemischten Raubtiernummer im Heilbronner Weihnachtscircus zu Gast. Im Interview mit Chapiteau.de erzählte er von seiner großen Manegenkarriere, seiner weltbekannten Mutter und der jahrzehntelangen Freundschaft der Familie Orfei-Nones zu Sascha Melnjak, der gemeinsam mit Uwe Gehrmann den Heilbronner Weihnachtscircus veranstaltet. Mirjan Mavriqi, der Mann für alle Fälle im Heilbronner Weihnachtscircus, stand freundlicherweise als Dolmetscher zur Verfügung.


Vielseitiger Tierlehrer: Hohe Schule in Monte Carlo, Exotendressur mit Nashorn

Seinen ersten Auftritt in der Manege hatte Stefano Orfei-Nones als kleiner Junge in Turin. Damals stand er mit seiner Mutter bei deren Elefantennummer in der Manege. Ein altes Foto zeigt den kleinen Stefano auf dem Kopf eines Elefanten stehend. Zwei Jahre später arbeitete er bereits am Elefanten-Schleuderbrett. Der Junge ließ sich auf den Rücken eines Tiere katapultieren und tanzte dort. 1975/76 war auch die bulgarische Truppe Dobritch im Circo Moira Orfei engagiert. „Nachdem seine Frau sich verletzt hat, hat der Truppenchef mit mir trainiert, und wir haben eine richtig schöne Nummer aufgebaut“, erinnert sich Stefano Orfei-Nones. Der zehnjährige Direktionsspross hoch oben an den Perchestangen – „die Leute waren verrückt danach“, beschreibt er heute die Reaktionen. Auf dem Trampolin konnte man ihn ebenso erleben, gemeinsam mit der bulgarischen Truppe Matevi, und auch am Flugtrapez arbeitete er. „Unser Doppeltes Flugtrapez mit acht Personen war sehr bekannt.“ Diese große Nummer wurde gemeinsam mit der Familie von Roberto Jarz gearbeitet.


Stefano Orfei-Nones macht immer eine gute Figur: zu Pferd, auf Löwe, mit Elefant

1980 präsentierte er als 14-Jähriger erstmals einen Zwölferzug Freiheitspferde – sechs braune und sechs weiße Exemplare. Fünf Jahre später kam Charles Knie, genannt „Charly“, zum Circo Moira Orfei und baute eine große Exotennummer auf. Stefano Orfei-Nones assistierte zunächst dem erfahrenen Dresseur, der drei Jahre bei dem Circus blieb. Ab 1987 führte Stefano Orfei-Nones die Exoten selbst vor und dressierte weitere Tiere hinzu. Zudem wurde er, wie auch seine Schwester Lara, von Rita und Diana Antoine zwei Jahre lang als Schulreiter ausgebildet. Der Lohn der Mühen folgte Anfang 1989: Stefano Orfei-Nones wurde beim Internationalen Circusfestival von Monte Carlo gleich zweimal ausgezeichnet. Einen Silbernen Clown erhielt er gemeinsam mit seiner Schwester Lara für die Doppelte Hohe Schule, den zweiten für seine Exotendressur. Niemand anders habe in vier Jahrzehnten Circusfestival einen Silbernen Clown für ein Exotentableau errungen. In der außergewöhnlichen Darbietung ritt er unter anderem auf einem Strauß und stehend auf einem Nashorn. Bei letzterem Trick jonglierte er auch noch mit Feuerkeulen. „Das war schon anders als bei allen anderen“, sagt Stefano Orfei-Nones. Auch ein Silberner Clown allein für eine Hohe Schule sei eine Rarität. Nur Manuela Beloo habe dies ebenfalls erreicht.


Die Karriere im Raubtierkäfig begann 1992

1992 begann Stefano Orfei-Nones – auch nach dem Vorbild seines Vaters Walter – die Arbeit mit Raubtieren. Zunächst führte er zwölf Tiger vor, die sein Onkel Massimiliano Nones gemeinsam mit Jean Michon dressiert hatte. Bereits 1987 hatte Massimiliano Nones damit einen Goldenen Clown in Monte Carlo gewonnen. Die Fahrt mit zwei Tigern auf einem Motorrad mit Beiwagen sowie der spektakuläre Schaukel-Trick gehörten schon damals zum Repertoire. 1999 übernahm Stefano Orfei-Nones schließlich eine Gruppe Tiger von Mary Chipperfield. Aus dieser Gruppe ging viel Nachwuchs hervor, 16 Jungtiere wurden geboren. So konnte er eine eigene Nummer aufbauen bzw. das ursprüngliche Repertoire der Chipperfield-Gruppe stark verändern und neue Tricks hinzufügen. Im Jahr 2004 gewann er für seine Raubtiernummer einen weiteren Silbernen Clown in Monte Carlo. Somit ist Stefano Orfei-Nones wohl der einzige Künstler, der drei Clowns in drei verschiedenen Disziplinen – Hohe Schule, Exotentableau und Raubtierdressur – gewonnen hat. „Das ist ein Weltrekord“, sagt der Tierlehrer. Zugleich ärgert er sich bis heute, dass die Familie Orfei nie mit ihrer Elefantendressur nach Monte Carlo eingeladen worden ist. Dabei habe es sich um eine ganz große Nummer mit acht Tieren gehandelt. Und auch jetzt würde er gerne ein weiteres Mal nach Monte Carlo eingeladen werden. Schließlich kann er zwei verschiedene Raubtierdressuren anbieten: eine Tigernummer mit zehn Tieren in verschiedenen Farben sowie die „Gemischte“, die jetzt in Heilbronn zu erleben war.


Stefano und Brigitta: Lovestory in der Manege und im wahren Leben

Stefano Orfei-Nones ist aber nicht nur gefeierter Artist und Tierlehrer. Auch privat hat er sein Glück gefunden. Seit 2008 ist er mit der bekannten italienischen Schauspielerin und Sängerin Brigitta Boccoli verheiratet. Diese lernte er zwei Jahre zuvor bei Dreharbeiten für eine „Reality-Circus“-Sendung kennen. In dieser äußerst populären Sendereihe wagten sich Prominente in verschiedenen Circusdisziplinen in die Manege. Boccoli war eine der Kandidatinnen. Im Unterschied zur deutschen Sendung „Stars in der Manege“ wurde „Reality-Circus“ aber nach dem Modell „Big Brother“ gedreht. Die Kamera war also auch bei den Dreharbeiten dabei. Stefano Orfei-Nones hatte in der „Circusschule für Promis“ die Rolle des „Direktors“ inne und koordinierte das Training in den verschiedensten Disziplinen wie Antipoden und Rola Rola. Dafür war er der richtige Mann: „Ich bin so aufgewachsen, dass ich alles gelernt habe. Im Circus kann man nicht nur eine Nummer machen, man muss alles können“, ist sein Credo.


Show-Impressionen 2009: Traumpaar im Raubtierkäfig - Musical-Elemente - La Regina del Circo Moira Orfei

Während der Dreharbeiten kam Stefano Orfei-Nones die Idee, dass Brigitta Boccoli mit ihrem Blick von außen neue Ideen in das Programm des Circo Moira Orfei einbringen könnte. Er lud sie nach Napoli ein, um gemeinsam eine neue Show vorzubereiten. Dabei wurde Boccoli selbst in die Vorstellung eingebunden. Drei bis vier Monate wurde an der Produktion gearbeitet. Dabei verliebten sich der Circusmann und die Schauspielerin ineinander und heirateten 2008. Im Rahmen ihrer Zusammenarbeit entstand ein „anderer Circus, als ihn die anderen machen.“ Die Produktion „Una Tigra per Amore“ („Ein Tiger für die Liebe“) blieb dem klassischen Circus verpflichtet. Gleichwohl wurden Elemente des Musicals hinzugefügt. Dabei bedienten Orfei-Nones und Boccoli sich der Hilfe eines Regisseurs und eines Choreographen. Zusätzlich nahm Stefano Orfei-Nones Tanz- und Gesangsunterricht. Die romantische Geschichte à la Walt Disney handelte von einer jungen Frau, gespielt von Brigitta Boccoli, die sich verschiedene Dinge wie ein weißes Pferd oder einen weißen Tiger wünschte. Der heldenhafte Prinz, verkörpert von ihrem Ehemann, konnte ihr diese Wünsche erfüllen. Die Produktion entwickelte sich zu einer der erfolgreichsten Shows in Italien und lief von 2007 bis 2009. Stefano Orfei-Nones wurde so populär, dass er immer häufiger auch im Privatleben erkannt wurde, egal ob am Meer oder beim Besuch im Freizeitpark. „Dann hieß es immer: Da ist der Prinz“, erinnert er sich.


Stefano Orfei-Nones 2015/2016 - Star im Heilbronner Weihnachtscrcus

Auf den „Tiger für die Liebe“ folgte die Show „Il Bacio del Leone“ („Der Kuss des Löwen“). Diese Produktion lief von 2010 bis 2014. Darin ging es um einen Maharadscha, der eine gefährliche Prüfung absolvieren musste, um seine Angebetete heiraten zu dürfen – eben den Löwen küssen. Wieder seien die Menschen sehr berührt von der Show gewesen. Dem traditionellen Circus noch Elemente des Musicals hinzuzufügen, dabei auch auf die Zugkraft bekannter Film- und Fernsehschauspieler zu setzen: „Ich glaube, so etwas könnte auch in Deutschland erfolgreich sein“, meint Stefani Orfei-Nones – frei nach dem Motto „Til Schweiger zu Gast im Circus Krone“. Heute pendelt Brigitta Boccoli zwischen ihren Engagements als Fernseh- und Theaterschauspielerin, der Wohnung der Familie in Rom und dem Circus Moira Orfei. Dort ist sie vor allem bei längeren Großstadtgastspielen anzutreffen. Dann darf auch der siebenjährige gemeinsame Sohn Manfredini sie begleiten – und erhält Fernunterricht, anstatt regulär die Schule zu besuchen. Stefano Orfei-Nones ist zuversichtlich, dass auch sein Sohn einmal Circus machen wird: „Heute hat er bis 3 Uhr morgens Clown Carletto nachgemacht, und meine Frau und ich mussten die Mitspieler aus dem Publikum geben“, erzählt er im Vorzelt des Heilbronner Weihnachtscircus und lacht.


Sascha Melnjak gehört bei Orfeis praktisch zur Familie

Insgesamt hat er das Publikum bei seinem ersten Auftritt in Deutschland als sehr aufmerksam erlebt. „Die Menschen hier erkennen die enge Bindung zwischen Mensch und Tier in meiner Nummer“, sagt er. Während das italienische Publikum sich einfach unterhalten lasse und das Gebotene bewundere, hätten die Deutschen in Heilbronn auch das Gefahrvolle in seiner Nummer – beispielsweise beim Schaukeln mit dem Tiger Royal – erkannt. Abgesehen von Teilnahmen an Circusfestivals – zuletzt im Oktober 2015 in Latina – hat Stefano Orfei-Nones nun erstmals in einem anderen Circus als dem familieneigenen Unternehmen gearbeitet. Dementsprechend hatte er seine Eltern zunächst um ihr Einverständnis gebeten. „Meine Eltern sagten zu, denn das Unternehmen von Uwe Gehrmann und Sascha Melnjak ist ja nicht irgendein Weihnachtscircus. Vielmehr ist unsere Familie eng mit Sascha Melnjak befreundet, er gehört zur Familie Orfei“, sagt Stefano Orfei-Nones. „Zu Sascha darfst du gehen“, habe Moira Orfei zu ihrem Sohn gesagt, „er ist auch deine Familie und nicht fremd“. Moira Orfei habe ihre Zustimmung als ein Zeichen des Respekts gegenüber Sascha Melnjak gesehen. Er war so ein großer Fan, dass er schon als Kind und Jugendlicher zweimal im Jahr zu seinem Lieblingscircus nach Italien reiste. Möglich wurde das Heilbronn-Engagement zudem dadurch, dass Mary Chipperfields Sohn David beim aktuellen Gastspiel des Circo Moira Orfei in Napoli vertretungsweise die zweite Raubtiergruppe des Unternehmens vorführte.


Circo Moira Orfei 2009 in Bergamo

Aufgrund der Verpflichtungen im eigenen Circus hat Stefano Orfei-Nones noch nie zuvor den Heilbronner Weihnachtscircus besuchen können, doch im Zirkus Charles Knie war er bereits zu Gast. Als sehr schön und perfekt organisiert hat er das Unternehmen erlebt, die Programme seien elegant und geschmackvoll. Hier werde traditioneller Circus geboten, der zugleich mit der Zeit gehe. Dass man verschiedene Elemente aus dem Circo Moira Orfei in ähnlicher Weise bei Charles Knie entdecken könne, mache ihn stolz, sagt er. „Diese Dinge sind ja auch nicht einfach kopiert, sondern oft noch schöner als unser Original“. Nachdem Moira Orfei am 15. November vergangenen Jahres verstorben ist, konnte sie das Engagement ihres Sohnes in Heilbronn leider nicht mehr erleben. Laut ihrem Sohn war sie überaus weltoffen und tolerant. Und dies nicht nur in der Show, sondern auch im täglichen Leben. „Für meine Mutter waren alle Menschen gleich, sie war einfach für alle Moira. Und sie war ein Sonnenschein, immer fröhlich und freundlich.“ Jetzt fehle dieser Sonnenschein, ein Schatten habe sich über den ganzen Circus Moira Orfei gelegt: „Wir sind alle sehr traurig, ihr Humor fehlt uns“, sagt Stefano Orfei-Nones und kämpft mit den Tränen. Dem Wunsch der Verstorbenen entsprechend, wird ihre Asche in ihrem Wohnwagen im Circus mitgeführt. „Wir haben ihr versprochen, dass sie immer mit dem Circus reisen darf – lebendig oder tot.“ Auf diese Weise sei sie, die Königin des italienischen Circus, stets bei ihrem Unternehmen. Noch am Vortag ihres Todes sei sie wie gewohnt in der Manege aufgetreten und dann in ihrem Wohnwagen gestorben. „So aus dem Leben zu gehen, war das Beste was ihr passieren konnte. Mein Vater hatte davon gesprochen, dass er sich mit meiner Mutter in ihre feste Wohnung zurückziehen wollte. Doch meine Mutter war im Wohnwagen geboren worden und wollte auch im Wohnwagen sterben.“ Und selbstverständlich werde die Familie Orfei-Nones das Lebenswerk von Moira Orfei, den nach ihr benannten Circus, auch in Zukunft fortführen. Dafür wünschen wir – mit bestem Dank für das interessante Interview – von Herzen alles Gute.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber (12), Giovanni Lagorio (6), Privatarchiv Sascha Melnjak (2)