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"Wir müssen dem Pferd Zeit lassen"
Eindrücke aus der 10. Fachtagung von Anja Beran und Jana Lacey-Krone im Krone-Bau
www.anjaberan.de

München, 24. November 2019: Das Jahr 2019 ist für den Circus-Krone-Bau in München ein Jahr der Feiern. Erst mit der vergangenen Wintersaison 2018/19 wurde das 100-jährige Bestehen der festen Spielstätte gefeiert. Nun gibt es ein weiteres Jubiläum. Dieses spricht aber einen anderen Kreis an Interessenten an als den „normalen“ Zirkusbesucher: Die Rede ist von der jährlich stattfindenden Fachtagung der Anja-Beran-Stiftung. Diese konzentriert sich speziell auf das Pferd sowie dessen Ausbildung und Gesunderhaltung im Sinne der klassischen Dressur. Sie erlebte heuer ihre 10. Auflage.

Dass diese Fachtagung auf reichlich Gehör in der Reiterwelt stößt, macht Anja Beran bereits in der Begrüßung deutlich: durch immer wieder neue, spannende Themen gelang es über die Jahre hinweg – zur Freude der beiden Veranstalterinnen – immer mehr wissenshungriges Publikum anzuziehen, was sich auch 2019 in einem nahezu vollen Krone-Bau widerspiegelt. Dabei, so Beran, entstand alles zunächst lediglich als kleine Idee bei einem gemeinsamen Abendessen mit Jana Lacey-Krone und dem Gedanken, sich auf diese Art doch öfter sehen zu können. Aber die beiden Damen sind nicht allein, sondern werden auch dieses Jahr zusätzlich von ihrem Team unterstützt, das sich aus Vera Munderloh, Elisabeth Albescu, Kathrin Roida und natürlich ihren vierbeinigen Partnern zusammensetzt. Anlässlich des zehnjährigen Bestehens hat man sich für das Publikum ein besonders wichtiges Thema einfallen lassen, dem in der heutigen Reiterwelt immer weniger Bedeutung zukommt: „Der Pferdehals formt sich zuletzt“. Und der Name ist Programm.


Erneut großer Andrang zur Fachtagung 

Wie immer startet Anja Beran den Tag mit einem ersten, ausführlichen Theoriebeitrag, diesmal zum Thema Pferdehals, dessen „Formung“ in der Ausbildung und typischen Fehlern in der heutigen Reiterszene, wenn es grade um letzteres geht: „Das Problem ist, dass wir Reiter oft zu früh zu viel wollen“, so Beran, „und was wir als Menschen wollen, das ist grundsätzlich Kontrolle. Und wir glauben, uns diese Kontrolle beim Reiten holen zu können, durch kurze Zügel und eine feste Hand. Denn der Mensch ist ein Hand-Tier: er muss alles erst begreifen und ergreifen, um wirklich sicher zu sein, dass er Herr über seine Situation ist!“ Es geht also grundsätzlich um die Forderung, einfach mal „locker“ zu lassen. Anschaulich steigt Beran tiefer in das Thema der „festen“ Reiterhand ein und schafft es dabei, die Konzentration eines jeden Anwesenden auf sich zu ziehen. Besonders interessant wird es jedoch immer, wenn Beran ihre Trickfilme heranzieht: Im Rahmen ihres Projektes „Blickschulung – pferdegerechte Ausbildung erkennen“ nahm das Team der Anja-Beran-Stiftung sowohl eigene als auch fremde Pferde auf Turnieren und bei der Auswahl von geeigneten Zuchttieren (Körungen) auf. Das Ergebnis sind Trickfilme, die zum einen korrekt ausgebildete Pferde zeigen, zum anderen den traurigen Alltag auf deutschen Turnierplätzen repräsentieren. Dieser „Alltag“ spiegelt sich dabei zumeist in Pferden wider, die durch zu schnelle und frühe Ausbildung bereits in ihren jungen Jahren schlicht „unbrauchbar“ werden, aufgrund von schwerwiegenden Schäden im Gangmuster, den Gelenken oder letztendlich in der Psyche. Nicht selten kommt es vor, dass gerade auf Körungen und Auktionen Jungpferde mit brachialer Kraft in der Hand – und oftmals mit zusätzlicher Unterstützung von Hilfszügeln – geritten werden, nur um als „Verkaufsobjekt“ eine möglichst gute Figur zu machen. Man sieht: Das Pferd ist zu einem Marktobjekt geworden. Wir passen uns in der Reiterwelt an den Markt an. Und der will Pferde, die bereits in jungen Jahren „gottesgleich“ gehen sollen, das heißt am besten einen Grand Prix gewinnen, uns aber auch zu Hause durch den Wald tragen und dabei vor allem natürlich ordentlich „am Zügel“ gehen sollen. Dass so etwas nur geht, wenn vorher entsprechend hart gearbeitet wurde, das verstehen die wenigsten.


Zum Angebot der  Fachtagung gehören auch Informationsstände im Rundgang des Krone-Baus

Und genau hier greift Anja Beran immer wieder an. „Wir müssen dem Pferd Zeit lassen. Wir dürfen nicht glauben, wir könnten den Pferdehals durch zu früh eingesetzte und grobe Methoden gesund herausbilden. Denn am Ende gilt, dass das Pferd zur Hand kommen soll, nicht umgekehrt.“ Und eine zu harte Hand wird sich immer auswirken, sei es in einer Zerstörung des Gangmusters des Pferdes, vor allem im Schritt, durch Zungenfehler oder natürlich in einer Schädigung der Psyche des Tieres. „Reiterfehler sind schwer zu korrigieren, aber eben zu korrigieren – die Psyche bleibt jedoch für immer beschädigt“, so Beran. Und am Ende bezieht sie sich auch hier wieder auf die Stimmen alter Meister und Richtlinien und kommt zum Fazit: „Wir müssen uns immer an der Natur des Pferdes und daran, was es leisten kann, orientieren. Die Natur gibt uns vor, wie wir zu reiten haben!“ Unterstützt wird Anja Beran hierbei von Tierärztin Elisabeth Albescu, die anschaulich demonstriert, wie sich zu feste Reiterhände, eine zu enge Zügelführung etc. auf die Anatomie des Pferdes auswirken. Dabei darf das Publikum prompt Kauübungen und Schulterdreher im Kollektiv durchführen, was zum ein oder anderen Lacher führt. Und schließlich gibt sich auch die Veranstalterin selbst die Ehre und marschiert, auf Albescus Anweisung hin, als Pferd durch die Manege und wird dafür mit viel Applaus honoriert.


Anja Beran 

Das besondere an der Fachtagung ist jedoch, dass neben der Theorie auch immer echte Vierbeiner dabei sind, die helfen, das Theoretische in der Praxis zu veranschaulichen. Dieses Jahr ist das unter anderem ein fünfjähriger Bayernwallach, der eben selbst als Jungpferd Opfer des „Marktgeschehens“ wurde und so ein Musterbeispiel ist für all die Probleme, die Beran im vorherigen Beitrag angesprochen hat. Seit er bei ihr auf Gut Rosenhof lebt, bekommt er nun aber die Zeit, die er in seiner Ausbildung für sich selbst braucht. Eine Einstellung seitens Anja Berans, die man nur bewundern kann. „Das Pferd muss es sein, das für sich die Lust an den Lektionen entwickelt“, so ihr Credo. Im Anschluss daran bietet Kathrin Roida mit drei ihrer Pferde einen interessanten Einblick in die Handarbeit und bringt besonders den hohen Anteil an weiblichem Publikum zum Seufzen, als sie ihr kleines Shetland-Pony durch die Manege tanzen lässt. Ein Raunen geht nochmals durch den Raum, als Anja Beran nun selbst auf dem Achal-Tekkiner Degni Shael in die Bahn einreitet. Jana Lacey-Krone, die nun die Moderation übernimmt, freut sich dabei besonders, dass er bei ihrer Freundin Freude und Spaß an der Arbeit haben dürfe. Der erste Teil schließt mit einem zufriedenen Publikum, rauchenden Köpfen und einer Gesangseinlage der Sopranistin Anna Karmasin, unterstützt durch Araberhengst Samir.


Nelly Stipka, Vera Munderloh

Mit dem Einstieg in den zweiten Teil wird es „feurig“ im Krone Bau, als Vera Munderloh (mit Garrocha) und Anja Beran ihre Pferde zu Gitarrenklängen des Künstlers Diego Rocha und den flotten Füßen der Flamencotänzerin Montserrat Suarez ebenfalls „tanzen“ lassen. Danach wird es zum ersten Mal zirzensisch: Die junge Nelly Stipka-Biasini aus der Familie Stipka, die in der aktuellen Sommerproduktion „Mandana“ zu sehen ist, und ihr Pony Pequeno betreten die Manege – Debüt für beide an diesem Tag. Die anfängliche Nervosität beider legt sich schnell, als bemerkbar wird, wie gut ihre gemeinsame Nummer bei den Zuschauern ankommt. Nelly schaffte es hierbei, nicht nur ihre Liebe zu ihrem Pony, sondern auch ihre Leidenschaft für Akrobatik zu vereinen: Neben klassischen Elementen der Freiheitsdressur, wie zum Beispiel dem Steigen, bewegen sich beide harmonisch im Duett durch die Manege – Pequeno im Trab und Nelly daneben, die immer wieder Räder schlägt oder in die Luft springt. Abgerundet wird diese Nummer mit einer Flugrolle der jungen Artistin über ihr Pony. Staunen im Saal. Sichtlich erleichtert, wird sie mit Pfiffen und viel Applaus vom Publikum für diese tolle Leistung belohnt. Aber auch Jana Lacey-Krone lässt es sich nicht nehmen, ihren Stolz zu zeigen: „Ich finde es besonders erfreulich, dass Nelly als junger Zirkusmensch ihren Weg gefunden hat, eine Beziehung zu den Tieren herzustellen und ihre beiden Leidenschaften zu vereinen.“ Wir sind gespannt, wie sich beide noch entwickeln werden. Im weiteren Verlauf des Nachmittags präsentiert Anja Beran noch drei weitere Pferde in unterschiedlichen Ausbildungsständen, bei denen es aber um ein und dasselbe Thema geht: die Formung des Halses. Da gibt es zum Beispiel den jungen Marbacher Araber Malakil oder die junge Stute Amazing Grace, die Anja Beran und ihrem Team ein hohes Maß an Geduld abverlangt hatten, bis sie einmal so lief, wie sie es an diesem Sonntag tut. Und so Beran am Ende zum Resümee: „Das sind alles tolle Pferde. Aber was sie brauchen sind ein ruhiger, geduldiger Reiter und eben viel Zeit.“ Nach diesen Demonstrationen ist es für sie ein Anliegen, ihrem Publikum einen kurzen Einblick davon zu geben, was die Anja-Beran-Stiftung eigentlich sonst noch alles tut. Nach einem kurzen Filmrundgang über ihr riesiges Anwesen erklärt sie, dass alles Geld und Spenden zum Beispiel in Katzenrettung, den Naturschutz und des Weiteren – und hier verspürt man eine deutliche, weitere Leidenschaft Anja Berans – in die Rettung junger Rehkitze während der Mäh-Zeit im Sommer fließen.


Jana Lacey-Krone 

Der letzte Programmpunk an diesem Tag steht nun wieder ganz im Zeichen der Zirzensik: Jana Lacey-Krone präsentiert ihre komplette Marbacher-Araber Gruppe. Dieser Auftritt soll vor allem ihrem jüngsten, dem kleinen Ali, helfen, noch etwas Erfahrung vor Publikum zu sammeln. Zusammen zeigen die Araber einen breiten Querschnitt ihres Könnens, und Ali beweist, dass er es durchaus schon mit seinen „großen“ Kollegen aufnehmen kann. Abgerundet wird dieser Beitrag zum einen durch einen rasanten Vorwärtssteiger, der durch seine Luftsprünge die Zuschauerreihen zum Staunen bringt, und nochmal durch den kleinen Publikumsliebling Ali, der ebenfalls seine „Steiger-Künste“ demonstrieren darf. Nach einer weiteren Gesangseinlage der Künstlerin Anna Karmasin betreten alle Akteure des Tages durch die Zuschauerränge hindurch die Manege zum Finale und werden mit viel Applaus belohnt. 

Nach der Veranstaltung war es uns möglich, noch ein Gespräch mit beiden Veranstalterinnen zu führen: 

Chapiteau.de: Frau Beran, wie ja schon deutlich wurde, scheinen sie sehr zufrieden zu sein mit der Entwicklung Ihrer Fachtagung. Also können wir davon ausgehen, dass es weitergehen wird?

Beran: Ja auf jeden Fall. Das Reiten ist natürlich eingeschränkt auf den zwölf Metern der Manege, man kann also grade den Fachleuten nicht alles zeigen, was man gerne möchte, aber wir kommen zurecht, und das wird auch in den nächsten Jahren so der Fall sein.

Chapiteau.de: Des Weiteren würde uns interessieren, wie sie denn, gerade aufgrund dieser besonderen Verbindung hier von Reiterei und Zirkus, zu dem Thema „Freiarbeit“ in der Reiterwelt stehen. Sieht man sich um, zum Beispiel auf Instagram oder auf anderen Events wie zum Beispiel der Equitana, so entsteht jedes Mal ein riesiger Hype, wenn es um freies Arbeiten mit dem Pferd geht – ja, es wird gar verherrlicht, so partnerschaftlich zu arbeiten. Auf der anderen Seite sieht sich aber der Zirkus, der ja eigentlich gerade diese Form der Arbeit prägte, im Kreuzfeuer mit Tierschützern. Wie passt das für sie zusammen?

Lacey-Krone: Also mir kommt es in dem Sinne nicht komisch vor, da ich selbst in dieser Materie drin bin und eigentlich weiß, dass das als nächstes angegriffen werden wird. Es geht ja generell um Tiere in der Showbranche. Was mir so wichtig ist, ist authentisch zu sein. Ich vertrete voll und ganz das, was wir machen, wie mir der Umgang mit den Pferden beigebracht wurde, und deshalb kann ich hier auch nur für mich bzw. uns reden. Heutzutage bildet doch zum Beispiel kaum jemand mehr Pferde klassisch aus oder nimmt sich die Zeit, früh ein Pferd ordentlich zu arbeiten.

Beran: Ja, aber komisch ist es natürlich schon. Die einen werden hier verurteilt, die anderen bekommen die Anerkennung. Unsere Freundschaft kam ja auch erst durch den Zirkus zu Stande, und ich zum Beispiel lasse ja auch Pferde von mir hier bei Frau Lacey-Krone und weiß, dass alles mit rechten Dingen zugeht.

Lacey-Krone: Aber wie gesagt, es ist ja nun schon lange so mit den Tierrechtlern, nicht erst seit gestern. Deshalb hilft am Ende wirklich nur authentisch sein und für das zu stehen, was man tut. Und das tue ich.

Chapiteau.de: Um beim Thema „Social Media“ zu bleiben: Nun sieht man auf verschiedenen Plattformen, grade auf Pferde-Profilen, Bilder, von jungen, geschminkten Mädels, die sich mit ihren Pferden in den spektakulärsten Posen ablichten lassen – Photoshop sei Dank. Aber wie gehen Sie damit um, wenn ein Pferd in der Manege, also im „real-life“ nicht das tut, was es soll?

Beran: Also grundsätzlich versucht man natürlich Pferde zu finden, für die die Show keine Belastung ist, wie zum Beispiel der Spanier, den ich heute geritten bin. Der findet es total gut, wenn er sich vor den Leuten zeigen kann. Wir nehmen aber natürlich auch die „anderen“ mit, wie unsere Stute heute. Denn sowas hilft ihnen dann, Nerven aufzubauen – da kann halt mal was schief gehen, aber was macht das schon.

Lacey-Krone: Ja, das ist eine interessante Frage. Heute zum Beispiel mit meinen Arabern: Da war es wichtig, dass ich zwei meiner Tiere wieder rausgeschickt habe. Das war den beiden heute mit dem Mikrofon und den Leuten einfach zu viel – wieso sollte ich sie denn dann weiter dem Stress aussetzen? Man darf bei sowas auch einfach kein Ego haben, man muss immer für das Tier handeln. Das hätte ich in der normalen Vorstellung auch so gemacht. Aber das wäre für uns jetzt auch kein Grund, sie möglicherweise abzugeben. Für jemand anderes womöglich, aber grade diese Arbeit mit vielen unterschiedlichen Charakteren ist es doch, was das Leben mit den Pferden für mich ausmacht.

Und genau diese „Pro-Pferd Einstellung“ und die unglaubliche Authentizität, die beide Damen vermitteln, sind es, die die Leute so begeistern. Wir wünschen Anja Beran und ihrem Team in diesem Sinne auch zukünftig viel Erfolg und hoffen, sie können noch einen großen Einfluss auf die doch oftmals zweifelhaften Praktiken der Reiterszene durch ihre Vorträge nehmen und freuen uns auf weitere Fachtagungen mit spannenden Themen und interessanten Pferden.

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Text: Nino Deinlein; Fotos: Ernst Lorenz (4), Maresa Mader (3)