Von 1987 bis 1995 reisten Valentin Chernov und Galina Chernova mit
Oleg Popov durch Europa. Dabei feierte Dmitry auch seine
Manegenpremiere. Er durfte neben keinem Geringeren als Popov
auftreten, wobei er genauso angezogen und geschminkt wurde wie der
russische Starclown. Im Alter von fünf Jahren hatte er schließlich
auch die Gelegenheit, zusammen mit seinen Eltern zu jonglieren, bis
er schlussendlich im Alter von nur zwölf Jahren seine eigene
Jonglierdarbietung entwickelte. Von Chernovs Engagements in Europa
kennen wir vor allem seine Darbietung unter dem Motto „Shaman“. Dmitry schlüpft dabei in die Rolle eines Schamanen. Damit wurden
früher in Sibirien Personen mit speziellen spirituellen
Heilfähigkeiten bezeichnet. Die Darbietung entwickelte er im Alter
von 16 Jahren zusammen mit dem Moskauer Nikulin Circus. Bei Nikulin
ist Dmitry Chernov auch aktuell als Artist angestellt. Dabei
bekommen die Künstler jeden Monat einen kleinen Lohn, auch wenn sie
gerade kein Engagement haben, und dürfen die Proberäume mit nutzen.
Im Gegenzug müssen allerdings auch Prozente von den Gagen abgegeben
werden. Wenn es um neue Kostüme und Requisiten geht, hilft Nikulin
wiederum finanziell aus, was vor allem für große Truppen sehr
wichtig ist. Trotz der Festanstellung hat Chernov seine Freiheit
und kann sich die Engagements selbst aussuchen. Neben den vielen
Auftritten in Russland konnte man Dmitry Chernov unter anderem bei
Conelli, Krone und im Dresdner Weihnachtscircus sehen. Auch auf
vielen Festivals war er erfolgreich. Bronze in Paris, Silber auf dem
Nachwuchsfestival Première Rampe in Monte-Carlo, Bronze auf dem
Nikulin Festival in Moskau, die Liste von Dmitry Chernovs
Auszeichnungen lässt sich noch weiter fortsetzen. Doch Chernov
jongliert nicht nur, sondern entwickelt seit einiger Zeit auch sehr
erfolgreich Darbietungen mit seiner Agentur Chernov Creation.
Nebenbei kümmert er sich um Projekte wie das Online Circus Festival.
Wir haben mit dem jungen Produzenten über seine vielen Tätigkeiten
gesprochen.
Dmitry Chernov
trat mit Oleg Popov auf; Chernovs Vater
Valentin jonglierte mit großen Bällen;
Chapiteau.de: Im Jahr 2011 gründest
du deine Agentur Chernov Creation. Wie kam es dazu?
Dmitry Chernov: 2011 habe ich im Moskauer Circus Aquamarine
gearbeitet. Im selben Programm waren Freunde von mir engagiert. Sie
waren allerdings nicht so erfolgreich und glücklich mit ihrer
Karriere, weshalb sie mich fragten, ob ich nicht bei einer neuen
Gestaltung ihrer Darbietungen helfen kann. Das war ein rein
freundschaftlicher Gefallen und für mich eine tolle und wichtige
Erfahrung. Die neuen Darbietungen waren erfolgreich, bekamen
Engagements und arbeiteten auf Festivals (Nikulin, Kobzov).
Wie hat sich deine Arbeit mit Chernov
Creation dann in den Jahren darauf weiterentwickelt?
Chernov: Bei den ersten
Aufträgen, die ich danach annahm, entwickelte ich nur die Nummer und
half den Artisten anschließend als Agent, Engagements zu finden. Nun
aber finanziere ich auch die Kostüme und Requisiten und zahle die
Mieten für Proberäume. Solange ich das Geld dafür noch nicht
zurückbekommen habe, liegt das Copyright der Darbietung bei mir.
Wenn ich die Unkosten wieder drinnen habe, muss man die Nummer nicht
zwangsläufig über mich als Agent buchen. Das Ganze ist für mich
nicht nur mein Job, sondern meine Leidenschaft.
In ihrer Anfangszeit, wenn sie Schwierigkeiten haben, unterstütze
ich die Artisten auch immer gerne finanziell.
Wie findest du deine Talente?
Chernov: Die Artisten kommen immer auf mich zu, ich wende mich in
der Regel nie an sie. Beim Masten-Duo „Our Story“ kam zum Beispiel
ursprünglich Igor Tychinsky auf mich zu. Er war gerade an der
Moskauer Circusschule in der Ausbildung am Chinesischen Mast und
fragte mich nach meiner Hilfe für seine Darbietung. Ich fragte ihn,
ob er eine Freundin hätte, und er erzählte mir von Yulia Bezrukova,
die am Flugtrapez arbeitete. Ich riet ihm, mit ihr zusammen eine
Duo-Nummer am Pole einzustudieren. Die Darbietung wurde ein Erfolg,
und nach der Silber-Auszeichnung auf dem Kobzov-Festival 2017 gab
Yulia ihre Karriere am Flugtrapez endgültig auf. Die anfängliche
Skepsis verflog.
Dmitry Chernov als
"Schamane" bei Krone und beim Nachwuchsfestival in Monte
Carlo
In
Zeiten von Internet und Facebook ist es sicherlich schwer, nur als
Agent auf dem Markt zu überleben. Denkst du, das zusätzliche
Gestalten der Nummern ist die Zukunft von Agenten?
Chernov: Agenten kommen und gehen. Es gibt nur wenige Agenten, die
sich dauerhaft am Markt halten. Aber diese guten Agenten werden auch
weiterhin gebraucht, denn deren Job wird sehr oft unterschätzt. Die
wichtigen Agenten besorgen Visa und organisieren
Requisitentransporte. Aufgaben, welche die Circusse oder Artisten
nicht immer selbst machen können. Als ich 2016 Vasily Timchenko mit
seinen Seelöwen nach Stuttgart vermittelte, verstand ich, was für
ein harter Job Agent sein kann. Das Ganze war ein unfassbar
aufwendiger Prozess, speziell mit den Papieren für die Tiere. Es gab
viele Probleme, und ich bekam daher oft in den Nächten kein Auge zu.
Danach verstand ich, was der richtige Job von Agenten ist.
Bisher hast du nur artistische
Darbietungen entworfen. Wie sieht es mit Tiernummern in der Zukunft
aus?
Chernov: Ich hatte in der Vergangenheit schon Anfragen von
Tiernummern, aber bisher haben wir diese Projekte noch nicht
umgesetzt. Wobei das nicht mal ganz stimmt. Monsieur Panteleimon ist
eine Jonglierdarbietung zu Pferde, die ich letztes Jahr entworfen
hab. Sie kommt vom Shaka Diamond Circus, genauso wie Maria Katakova
mit Akrobatik zu Pferd. Leider liegt der Circus sehr abgelegen in
Yakutsk, was selbst von Moskau aus mehr als 8000 Kilometer sind.
Daher ist es schwierig die Darbietung zu Festivals nach Europa zu
bringen.
Ein Kunststück: Dmitry
Chernov gelang es,
Vasily Timchenko mit seinen Seelöwen nach Stuttgart zu bringen
Mit diesem Circus hast du auch noch
andere Projekte gemacht. Er ist der nördlichste Circusbau in Europa,
richtig?
Chernov: Ja, der Circusbau gehört nicht wie die anderen Gebäude zu
Rosgoscirk, sondern zur Republik Jakutien. Der Circus arbeitet
normal eher mit dem Osten Russlands sowie China zusammen, da Moskau
wie gesagt so weit weg ist. Ich kenne den Direktor schon seit
einigen Jahren. Seit 2016 veranstalteten sie dort ein
Nachwuchsfestival. Ich hatte dann im vergangenen Jahr die Idee, ein
normales Festival, inklusive Nachwuchskategorie, daraus zu machen.
So entstand dann 2019 das erste Mamut Festival in Yakutsk. Neben dem
Jongleur zu Pferd und der Akrobatin auf dem Pferderücken habe ich
noch zwei weitere Darbietungen für diesen Circus produziert. Die
Barrennummer „Trio Poselskii“ sowie die Akrobatiknummer „Family“.
Zwei weitere Nummern sind in Planung und sollen fortgesetzt werden,
wenn sich die aktuelle Lage verbessert hat. Es ist toll zu sehen,
was für eine Circus-Leidenschaft Artisten und Direktion dort haben.
Auch die Regierung von Jakutien mag den Circus sehr und unterstützt
ihn, wo sie nur kann.
In den Jahren 2016 und 2017 warst du
künstlerischer Direktor beim Israeli Circus Festival. Wie kam es
dazu?
Chernov: Beim ersten Festival 2015 war eine Schlappseilnummer von
mir dabei. Sie hat Silber gewonnen und Slava (Slava Nusinsky,
Direktor des Festivals; Anm. d. Red.) mochte den Stil sehr gerne.
Für die zweite Ausgabe suchte er dann einen künstlerischen Direktor.
Nach vielen Gesprächen, vor allem mit russischsprachigen Leuten,
hatte er ausgerechnet mich, den Mann mit der wahrscheinlich
wenigsten Erfahrung, ausgewählt. Es folgte die dritte Ausgabe des
Festivals, welche ich ebenfalls betreute. Nachdem es dort allerdings
Änderungen im Kulturministerium gab, konnten keine weiteren
Festivals durchgeführt werden. Zurzeit laufen aber Verhandlungen,
dass es in Zukunft wieder eine weitere Ausgabe gibt. Sehr toll war
auch die Reaktion in Israel auf das Online Circus Festival. Nachdem
unter den Top 100 zwei Darbietungen von Slavas Circusschule waren,
rief der Bürgermeister von Aschdod ihn sogar an und gratulierte ihm
dazu. Das hat der Bürgermeister noch nie gemacht, selbst nicht, als
die Darbietungen auf internationalen Festivals wie in Monte-Carlo,
Budapest und Kasachstan gewonnen haben.
Dmitry Chernov kreiert
erfolgreiche Nummrern - u.a. für das Trio Poselskii und das Duo "Our
Story"
Chapiteau.de: Du hast nicht nur mit
russischen Künstlern gearbeitet, sondern auch mit den mongolischen
Artisten von Erdene Nergui.
Chernov: Ja, ich habe mit Mystery of Gentlemen, Marionettes Dream
und einer Schleuderbrettnummer bisher drei Darbietungen für Erdene
produziert. Erdenes Haupttruppe ist die vielfach ausgezeichnete
Schleuderbretttruppe Nomuna. Auch für die soll ich eine zweite
Inszenierung machen, welche nicht im üblichen Folklorestil gehalten
wird. Auch bei Mystery of Gentlemen kam Erdene auf mich zu und bat,
mich etwas außerhalb des traditionellen Stils zu machen. Bei
Marionettes Dream hatte Genis Matabosch die Bitte, eine
Seilspringnummer, welche alle Mongolen-Truppen im Repertoire haben,
so originell zu inszenieren, dass alle überrascht sein werden.
Heraus kam dann die Märchen-Inszenierung. Manche Produzenten dachten
dann lustigerweise, dass die Seilspringnummer die Hauptdarbietung
wäre statt den Handvoltigen auf Kugeln. Ich schätze die
Zusammenarbeit mit Erdene sehr und denke, wir werden noch viel
zusammen machen.
Chapiteau.de: 2018 erzähltest du im
Interview mit der Circus-Zeitung von den Plänen einer eigenen
Company mit verschiedenen artistischen Disziplinen. Was ist aus
diesen Plänen geworden?
Chernov: Das ist richtig. Ich hatte zu dieser Zeit an dem Projekt
für ein eigenes Ensemble gearbeitet, aber die Pläne und Prioritäten
haben sich dann geändert. Ich habe allerdings immer noch den Plan
und will ihn in der Zukunft auch umsetzen.
Mit seinem Online
Circus Festival machte der kreative Kopf Dmitry Chernov wieder
einmal von sich reden
Chapiteau.de: In diesem Jahr hast du
das erste Online Circus Festival veranstaltet. Wie kamst du auf die
Idee?
Chernov: Vor einigen Jahren gab es bei der Internationalen Juggling
Convention einen Online-Wettbewerb für Jongleure. Ich war in der
Jury und sichtete damals die eingesendeten Videos. Dabei dachte ich
mir, dass man so ein Projekt ja auch als Circusfestival machen kann,
bei dem Disziplinen jeglicher Art teilnehmen können. Ich hatte die
Idee immer in meinem Kopf, aber es gab mit Chernov Creation in den
vergangenen Jahren viel zu tun, so dass ich es nicht umgesetzt habe.
Eine andere Idee von mir war, ein Online-Casting für meine Agentur
zu veranstalten, bei dem man als Hauptpreis die Gestaltung seiner
Nummer durch mich gewinnen kann. Bei vielen Diskussionen mit meiner
Frau Anna sowie Erdene Nergui, Vasily Timchenko und Victor Roschin
(Chef der Truppe Jump and Roll; Anm. d. Red.) entstand daraus wieder
die alte Idee, ein richtiges Circusfestival online auszurichten. Das
war letzten Sommer sowie im Herbst auf dem Idol Festival. Im Winter
entschied ich mich dann, das Festival diesen Frühling zu
veranstalten, und begann sofort mit den Vorbereitungen, als ich aus
Girona wieder nach Hause kam.
Chapiteau.de: 685 Darbietungen haben
sich beim Online Circus Festival beworben. Es war sicherlich kein
leichter Prozess daraus nur 100 Nummern auszuwählen oder?
Chernov: Viele Leute haben mich gefragt, wo der Fokus bei diesem
Festival liegen sollte. Auf neuen Nummern? Auf bekannten
Darbietungen? Ich wollte eine gute Mischung aus beiden machen. Wir
haben klare Regeln bei der Teilnahme. So darf zum Beispiel kein
Schnitt drin sein, das Video darf nicht älter als zwei Jahre sein,
und auch die Videoqualität musste einigermaßen stimmen. Es gab also
mehr Einsendungen als von 685 Darbietungen. Viele Artisten schrieb
ich danach an, sie sollen mir bitte ein neues Video senden. Sogar
bei den Gewinnern (Chizhovs Truppe; Anm. d. Red.), konnte ich erst
das dritte Video in den Wettbewerb senden. Des Weiteren war mir bei
der Auswahl auch wichtig, dass es eine gute Mischung aus
Darbietungen verschiedener Nationalitäten ist.
Dmitry Chernov mit
Ehefrau Anna Volodko vor dem Louvre in Paris
Chapiteau.de: Du sagtest, du möchtest
eine zweite Ausgabe des Online Circus Festivals machen. Hast du
Pläne, das Festival weiterzuentwickeln und Sachen zu ändern?
Chernov: Ja, ich habe sehr viele Ideen im Kopf, das Projekt für die
zweite Ausgabe auszubauen. Gerne möchte ich das Online- sowie das
Liveerlebnis verknüpfen. Viele Sponsoren haben sich erst im Laufe
des Festivals bei mir gemeldet. Ich bin daher zuversichtlich, dass
man bei der zweiten Ausgabe auch mit mehr Sponsoren größere Sachen
machen kann, auch offline.
Chapiteau.de: Du hast in deinen
jungen Jahren schon viel erreicht. Was sind deine Pläne für die
Zukunft?
Chernov: Erstmal warte ich darauf,
dass Circusse und Shows wieder spielen können und meine Leute alle
wieder Arbeit haben. Dann möchte ich gerne noch dieses Jahr das
vorher erwähnte Casting Festival für Chernov Creation machen. In der
Jury sollen dort übrigens nur Artisten von Chernov Creation sitzen.
Außerdem plane ich Videoprojekte über den Entstehungsprozess meiner
Darbietungen in Russisch mit englischem Untertitel. Zudem soll es
noch ein neues Projekt zu den nominierten Darbietungen des
vergangenen Online Circus Festivals geben. Natürlich plane ich auch
einige neue Darbietungen und bin zuversichtlich, dass wir da noch
dieses Jahr Projekte abschließen können, wenn sich die Situation
gebessert hat. Mein Hauptprojekt für Anna und mich 2020 ist
allerdings Ende August unsere kleine Tochter, die dann zur Welt
kommen wird. Das nächste Festival wird dann natürlich ein Festival,
um den Namen für unsere kleine Tochter zu suchen (lacht). |