CHPITEAU.DE

Dmitry Chernov im Interview
Erfolge als Artist, als Agent, beim Kreieren neuer Nummern und mit Online-Festival
https://chernovcreation.com

Russland, 23. Juni 2020: Er ist ein erfolgreicher Jongleur, hat mit seinen 31 Jahren schon viele Projekte gestartet und blickt voller Motivation und Tatendrang in die Zukunft. Die Rede ist von Dmitry Chernov. Seine Eltern Valentin Chernov und Galina Chernova (geborene Aleksandrova) waren die erste Generation Circuskünstler. Während schon Dmitrys Vater eine Jongliernummer mit großen Bällen zeigte, arbeitete Dmitrys Mutter mit verschiedenen Tieren wie Bären, Affen und Kleintieren sowie am Washingtontrapez. Nachdem sie Dmitrys Vater kennen lernte, zeigte sie gemeinsam mit ihm eine Duo-Jonglage sowie eine komische Quick-Change-Darbietung.

Von 1987 bis 1995 reisten Valentin Chernov und Galina Chernova mit Oleg Popov durch Europa. Dabei feierte Dmitry auch seine Manegenpremiere. Er durfte neben keinem Geringeren als Popov auftreten, wobei er genauso angezogen und geschminkt wurde wie der russische Starclown. Im Alter von fünf Jahren hatte er schließlich auch die Gelegenheit, zusammen mit seinen Eltern zu jonglieren, bis er schlussendlich im Alter von nur zwölf Jahren seine eigene Jonglierdarbietung entwickelte. Von Chernovs Engagements in Europa kennen wir vor allem seine Darbietung unter dem Motto „Shaman“. Dmitry schlüpft dabei in die Rolle eines Schamanen. Damit wurden früher in Sibirien Personen mit speziellen spirituellen Heilfähigkeiten bezeichnet. Die Darbietung entwickelte er im Alter von 16 Jahren zusammen mit dem Moskauer Nikulin Circus. Bei Nikulin ist Dmitry Chernov auch aktuell als Artist angestellt. Dabei bekommen die Künstler jeden Monat einen kleinen Lohn, auch wenn sie gerade kein Engagement haben, und dürfen die Proberäume mit nutzen. Im Gegenzug müssen allerdings auch Prozente von den Gagen abgegeben werden. Wenn es um neue Kostüme und Requisiten geht, hilft Nikulin wiederum finanziell aus, was vor allem für große Truppen sehr wichtig ist. Trotz der Festanstellung hat Chernov seine Freiheit und kann sich die Engagements selbst aussuchen. Neben den vielen Auftritten in Russland konnte man Dmitry Chernov unter anderem bei Conelli, Krone und im Dresdner Weihnachtscircus sehen. Auch auf vielen Festivals war er erfolgreich. Bronze in Paris, Silber auf dem Nachwuchsfestival Première Rampe in Monte-Carlo, Bronze auf dem Nikulin Festival in Moskau, die Liste von Dmitry Chernovs Auszeichnungen lässt sich noch weiter fortsetzen. Doch Chernov jongliert nicht nur, sondern entwickelt seit einiger Zeit auch sehr erfolgreich Darbietungen mit seiner Agentur Chernov Creation. Nebenbei kümmert er sich um Projekte wie das Online Circus Festival. Wir haben mit dem jungen Produzenten über seine vielen Tätigkeiten gesprochen.


 Dmitry Chernov trat mit Oleg Popov auf; Chernovs Vater Valentin jonglierte mit großen Bällen;

Chapiteau.de: Im Jahr 2011 gründest du deine Agentur Chernov Creation. Wie kam es dazu?

Dmitry Chernov: 2011 habe ich im Moskauer Circus Aquamarine gearbeitet. Im selben Programm waren Freunde von mir engagiert. Sie waren allerdings nicht so erfolgreich und glücklich mit ihrer Karriere, weshalb sie mich fragten, ob ich nicht bei einer neuen Gestaltung ihrer Darbietungen helfen kann. Das war ein rein freundschaftlicher Gefallen und für mich eine tolle und wichtige Erfahrung. Die neuen Darbietungen waren erfolgreich, bekamen Engagements und arbeiteten auf Festivals (Nikulin, Kobzov).

Wie hat sich deine Arbeit mit Chernov Creation dann in den Jahren darauf weiterentwickelt?

Chernov: Bei den ersten Aufträgen, die ich danach annahm, entwickelte ich nur die Nummer und half den Artisten anschließend als Agent, Engagements zu finden. Nun aber finanziere ich auch die Kostüme und Requisiten und zahle die Mieten für Proberäume. Solange ich das Geld dafür noch nicht zurückbekommen habe, liegt das Copyright der Darbietung bei mir. Wenn ich die Unkosten wieder drinnen habe, muss man die Nummer nicht zwangsläufig über mich als Agent buchen. Das Ganze ist für mich nicht nur mein Job, sondern meine Leidenschaft. In ihrer Anfangszeit, wenn sie Schwierigkeiten haben, unterstütze ich die Artisten auch immer gerne finanziell.

Wie findest du deine Talente?

Chernov: Die Artisten kommen immer auf mich zu, ich wende mich in der Regel nie an sie. Beim Masten-Duo „Our Story“ kam zum Beispiel ursprünglich Igor Tychinsky auf mich zu. Er war gerade an der Moskauer Circusschule in der Ausbildung am Chinesischen Mast und fragte mich nach meiner Hilfe für seine Darbietung. Ich fragte ihn, ob er eine Freundin hätte, und er erzählte mir von Yulia Bezrukova, die am Flugtrapez arbeitete. Ich riet ihm, mit ihr zusammen eine Duo-Nummer am Pole einzustudieren. Die Darbietung wurde ein Erfolg, und nach der Silber-Auszeichnung auf dem Kobzov-Festival 2017 gab Yulia ihre Karriere am Flugtrapez endgültig auf. Die anfängliche Skepsis verflog.


Dmitry Chernov als "Schamane" bei Krone und beim Nachwuchsfestival in Monte Carlo

In Zeiten von Internet und Facebook ist es sicherlich schwer, nur als Agent auf dem Markt zu überleben. Denkst du, das zusätzliche Gestalten der Nummern ist die Zukunft von Agenten?

Chernov: Agenten kommen und gehen. Es gibt nur wenige Agenten, die sich dauerhaft am Markt halten. Aber diese guten Agenten werden auch weiterhin gebraucht, denn deren Job wird sehr oft unterschätzt. Die wichtigen Agenten besorgen Visa und organisieren Requisitentransporte. Aufgaben, welche die Circusse oder Artisten nicht immer selbst machen können. Als ich 2016 Vasily Timchenko mit seinen Seelöwen nach Stuttgart vermittelte, verstand ich, was für ein harter Job Agent sein kann. Das Ganze war ein unfassbar aufwendiger Prozess, speziell mit den Papieren für die Tiere. Es gab viele Probleme, und ich bekam daher oft in den Nächten kein Auge zu. Danach verstand ich, was der richtige Job von Agenten ist.

Bisher hast du nur artistische Darbietungen entworfen. Wie sieht es mit Tiernummern in der Zukunft aus?

Chernov: Ich hatte in der Vergangenheit schon Anfragen von Tiernummern, aber bisher haben wir diese Projekte noch nicht umgesetzt. Wobei das nicht mal ganz stimmt. Monsieur Panteleimon ist eine Jonglierdarbietung zu Pferde, die ich letztes Jahr entworfen hab. Sie kommt vom Shaka Diamond Circus, genauso wie Maria Katakova mit Akrobatik zu Pferd. Leider liegt der Circus sehr abgelegen in Yakutsk, was selbst von Moskau aus mehr als 8000 Kilometer sind. Daher ist es schwierig die Darbietung zu Festivals nach Europa zu bringen.


Ein Kunststück: Dmitry Chernov gelang es, Vasily Timchenko mit seinen Seelöwen nach Stuttgart zu bringen

Mit diesem Circus hast du auch noch andere Projekte gemacht. Er ist der nördlichste Circusbau in Europa, richtig?

Chernov: Ja, der Circusbau gehört nicht wie die anderen Gebäude zu Rosgoscirk, sondern zur Republik Jakutien. Der Circus arbeitet normal eher mit dem Osten Russlands sowie China zusammen, da Moskau wie gesagt so weit weg ist. Ich kenne den Direktor schon seit einigen Jahren. Seit 2016 veranstalteten sie dort ein Nachwuchsfestival. Ich hatte dann im vergangenen Jahr die Idee, ein normales Festival, inklusive Nachwuchskategorie, daraus zu machen. So entstand dann 2019 das erste Mamut Festival in Yakutsk. Neben dem Jongleur zu Pferd und der Akrobatin auf dem Pferderücken habe ich noch zwei weitere Darbietungen für diesen Circus produziert. Die Barrennummer „Trio Poselskii“ sowie die Akrobatiknummer „Family“. Zwei weitere Nummern sind in Planung und sollen fortgesetzt werden, wenn sich die aktuelle Lage verbessert hat. Es ist toll zu sehen, was für eine Circus-Leidenschaft Artisten und Direktion dort haben. Auch die Regierung von Jakutien mag den Circus sehr und unterstützt ihn, wo sie nur kann.

In den Jahren 2016 und 2017 warst du künstlerischer Direktor beim Israeli Circus Festival. Wie kam es dazu?

Chernov: Beim ersten Festival 2015 war eine Schlappseilnummer von mir dabei. Sie hat Silber gewonnen und Slava (Slava Nusinsky, Direktor des Festivals; Anm. d. Red.) mochte den Stil sehr gerne. Für die zweite Ausgabe suchte er dann einen künstlerischen Direktor. Nach vielen Gesprächen, vor allem mit russischsprachigen Leuten, hatte er ausgerechnet mich, den Mann mit der wahrscheinlich wenigsten Erfahrung, ausgewählt. Es folgte die dritte Ausgabe des Festivals, welche ich ebenfalls betreute. Nachdem es dort allerdings Änderungen im Kulturministerium gab, konnten keine weiteren Festivals durchgeführt werden. Zurzeit laufen aber Verhandlungen, dass es in Zukunft wieder eine weitere Ausgabe gibt. Sehr toll war auch die Reaktion in Israel auf das Online Circus Festival. Nachdem unter den Top 100 zwei Darbietungen von Slavas Circusschule waren, rief der Bürgermeister von Aschdod ihn sogar an und gratulierte ihm dazu. Das hat der Bürgermeister noch nie gemacht, selbst nicht, als die Darbietungen auf internationalen Festivals wie in Monte-Carlo, Budapest und Kasachstan gewonnen haben.


Dmitry Chernov kreiert erfolgreiche Nummrern - u.a. für das Trio Poselskii und das Duo "Our Story"

Chapiteau.de: Du hast nicht nur mit russischen Künstlern gearbeitet, sondern auch mit den mongolischen Artisten von Erdene Nergui.

Chernov: Ja, ich habe mit Mystery of Gentlemen, Marionettes Dream und einer Schleuderbrettnummer bisher drei Darbietungen für Erdene produziert. Erdenes Haupttruppe ist die vielfach ausgezeichnete Schleuderbretttruppe Nomuna. Auch für die soll ich eine zweite Inszenierung machen, welche nicht im üblichen Folklorestil gehalten wird. Auch bei Mystery of Gentlemen kam Erdene auf mich zu und bat, mich etwas außerhalb des traditionellen Stils zu machen. Bei Marionettes Dream hatte Genis Matabosch die Bitte, eine Seilspringnummer, welche alle Mongolen-Truppen im Repertoire haben, so originell zu inszenieren, dass alle überrascht sein werden. Heraus kam dann die Märchen-Inszenierung. Manche Produzenten dachten dann lustigerweise, dass die Seilspringnummer die Hauptdarbietung wäre statt den Handvoltigen auf Kugeln. Ich schätze die Zusammenarbeit mit Erdene sehr und denke, wir werden noch viel zusammen machen.

Chapiteau.de: 2018 erzähltest du im Interview mit der Circus-Zeitung von den Plänen einer eigenen Company mit verschiedenen artistischen Disziplinen. Was ist aus diesen Plänen geworden?

Chernov: Das ist richtig. Ich hatte zu dieser Zeit an dem Projekt für ein eigenes Ensemble gearbeitet, aber die Pläne und Prioritäten haben sich dann geändert. Ich habe allerdings immer noch den Plan und will ihn in der Zukunft auch umsetzen.


Mit seinem Online Circus Festival machte der kreative Kopf Dmitry Chernov wieder einmal von sich reden

Chapiteau.de: In diesem Jahr hast du das erste Online Circus Festival veranstaltet. Wie kamst du auf die Idee?

Chernov: Vor einigen Jahren gab es bei der Internationalen Juggling Convention einen Online-Wettbewerb für Jongleure. Ich war in der Jury und sichtete damals die eingesendeten Videos. Dabei dachte ich mir, dass man so ein Projekt ja auch als Circusfestival machen kann, bei dem Disziplinen jeglicher Art teilnehmen können. Ich hatte die Idee immer in meinem Kopf, aber es gab mit Chernov Creation in den vergangenen Jahren viel zu tun, so dass ich es nicht umgesetzt habe. Eine andere Idee von mir war, ein Online-Casting für meine Agentur zu veranstalten, bei dem man als Hauptpreis die Gestaltung seiner Nummer durch mich gewinnen kann. Bei vielen Diskussionen mit meiner Frau Anna sowie Erdene Nergui, Vasily Timchenko und Victor Roschin (Chef der Truppe Jump and Roll; Anm. d. Red.) entstand daraus wieder die alte Idee, ein richtiges Circusfestival online auszurichten. Das war letzten Sommer sowie im Herbst auf dem Idol Festival. Im Winter entschied ich mich dann, das Festival diesen Frühling zu veranstalten, und begann sofort mit den Vorbereitungen, als ich aus Girona wieder nach Hause kam.

Chapiteau.de: 685 Darbietungen haben sich beim Online Circus Festival beworben. Es war sicherlich kein leichter Prozess daraus nur 100 Nummern auszuwählen oder?

Chernov: Viele Leute haben mich gefragt, wo der Fokus bei diesem Festival liegen sollte. Auf neuen Nummern? Auf bekannten Darbietungen? Ich wollte eine gute Mischung aus beiden machen. Wir haben klare Regeln bei der Teilnahme. So darf zum Beispiel kein Schnitt drin sein, das Video darf nicht älter als zwei Jahre sein, und auch die Videoqualität musste einigermaßen stimmen. Es gab also mehr Einsendungen als von 685 Darbietungen. Viele Artisten schrieb ich danach an, sie sollen mir bitte ein neues Video senden. Sogar bei den Gewinnern (Chizhovs Truppe; Anm. d. Red.), konnte ich erst das dritte Video in den Wettbewerb senden. Des Weiteren war mir bei der Auswahl auch wichtig, dass es eine gute Mischung aus Darbietungen verschiedener Nationalitäten ist.


Dmitry Chernov mit Ehefrau Anna Volodko vor dem Louvre in Paris

Chapiteau.de: Du sagtest, du möchtest eine zweite Ausgabe des Online Circus Festivals machen. Hast du Pläne, das Festival weiterzuentwickeln und Sachen zu ändern?

Chernov: Ja, ich habe sehr viele Ideen im Kopf, das Projekt für die zweite Ausgabe auszubauen. Gerne möchte ich das Online- sowie das Liveerlebnis verknüpfen. Viele Sponsoren haben sich erst im Laufe des Festivals bei mir gemeldet. Ich bin daher zuversichtlich, dass man bei der zweiten Ausgabe auch mit mehr Sponsoren größere Sachen machen kann, auch offline.

Chapiteau.de: Du hast in deinen jungen Jahren schon viel erreicht. Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Chernov: Erstmal warte ich darauf, dass Circusse und Shows wieder spielen können und meine Leute alle wieder Arbeit haben. Dann möchte ich gerne noch dieses Jahr das vorher erwähnte Casting Festival für Chernov Creation machen. In der Jury sollen dort übrigens nur Artisten von Chernov Creation sitzen. Außerdem plane ich Videoprojekte über den Entstehungsprozess meiner Darbietungen in Russisch mit englischem Untertitel. Zudem soll es noch ein neues Projekt zu den nominierten Darbietungen des vergangenen Online Circus Festivals geben. Natürlich plane ich auch einige neue Darbietungen und bin zuversichtlich, dass wir da noch dieses Jahr Projekte abschließen können, wenn sich die Situation gebessert hat. Mein Hauptprojekt für Anna und mich 2020 ist allerdings Ende August unsere kleine Tochter, die dann zur Welt kommen wird. Das nächste Festival wird dann natürlich ein Festival, um den Namen für unsere kleine Tochter zu suchen (lacht).

________________________________________________________________________
Text: Simon Preißing, Fotos: Archiv Dmitry Chernov, Tobias Moll, Stefan Gierisch