Regisseur Ralph Sun versammelt hierzu auf seiner
Bühne ein 14-köpfiges Ensemble aus einem frivolen Zeremonienmeister,
einer modernen Diva, einem eleganten Showballett und internationalen
Akrobaten. Auffällig ist, wie die Artistik diesmal einen besonderen
Fokus auf recht klassisch dargebotene Zirkusdisziplinen legt: auf Rola
Rola und Tellerdrehen, Stuhlbalance, Fußballjonglage und
Antipodenspiele. Cirque Nouveau ginge anders. Es ist offenbar kein
Zufall, dass die 20er-Jahre-Show genau jetzt gezeigt wird. Denn der
historische Stuttgarter Friedrichsbau, auf den sich das heutige Varieté
beruft, feierte 1925 sein 25-jähriges Bestehen und befand sich in seiner
Blütezeit. „Hier gaben sich die führenden Künstler die Klinke in die
Hand“, formuliert Direktor Timo Steinhauer in seiner Premierenansprache.
Vor wiederum 25 Jahren wurde die Friedrichsbau-Tradition an historischer
Stelle wieder aufgenommen. Seit nunmehr fünf Jahren lebt sie im neuen
Gebäude auf dem Pragsattel fort, nunmehr im nördlichen Teil der
Landeshauptstadt. Diese Zahl stehe für Kontinuität und Zuverlässigkeit,
der jetzige Standort sei zum Zuhause geworden, sagt Steinhauer.
Ferkel Johnson
Und so lädt Zeremonienmeister Ferkel Johnson
gleich nach dem Opening mit Ballett und Gesang zu einer Reise ins
Stuttgarter Nachtleben von 1925, zum Besuch in einem Theater, von dem
man 100 Jahre später noch sprechen werde – dem Friedrichsbau. Später
geht es ins Berliner Nightlife, wo illegale Clubs für nur einen Abend
öffnen. Johnson spielt Ukulele und singt ironisch übers Menschsein
(„Anstand klingt wie eine Bürde, doch er gibt dem Menschen Würde“). Er
gibt vollendet den Lebemann, den Mann von Welt, elegant und eloquent,
aber auch schamlos und frech. Die Rolle ist für ihn maßgeschneidert.
Bald setzt er in einem riskanten Wettspiel mit einem Premierengast seine
Altersvorsorge aufs Spiel. Und stellt in seiner größten Szene die Frage,
ob Freiheit für jeden erreichbar sei. Ja, sagt er, es brauche nur die
Fähigkeit, sich aus jeder misslichen Lage zu befreien. Und die hat er.
In kürzester Zeit entkommt er wieder, nachdem er mit Zwangsjacke und
Kette scheinbar bombensicher fixiert wurde.
David Robert,
Anna Cabaret, Martin Frenette
Freiheit bedeutet, keine Angst zu haben – das ist
die Botschaft dieser Show. Und die 1920er Jahre bieten nach dem Wahnsinn
des Ersten Weltkriegs eine Kostprobe dieser Freiheit. Für kurze Zeit ist
es möglich, zu leben und zu lieben, wie man will. Und dies tut Sängerin
Anna Cabaret gewiss. Sie zeigt sich verführerisch und selbstbewusst als
moderne Diva. Singt inmitten der fünf schönen Damen des Balletts, die
uns in ihren kostbaren Outfits die Modetänze dieses Jahrzehnt
präsentieren, von One Step bis Charlston. Sie gibt kokett die „Cool cat
in Town“, umringt von Männern. Und beeindruckt mit ihrer starken Stimme.
Den ersten artistischen Act des Abends übernimmt David Robert. Bis zu
acht Teller lässt der Italiener auf langen Stäben tanzen. Zwischendurch
findet er auch noch Zeit für einige Gags. Martin Frenette präsentiert am
Doppelschwungseil eine ruhige Arbeit zu Klaviermusik. Bei den
Verstrickungen ins Seil, Spagat und Genickhang lässt er auch seine
Ausbildung als Tänzer erkennen und beweist Beweglichkeit.
Iryna
Bessonova, Andrey Shapin, David Robert
Kurioserweise folgt die einzige weitere, zudem
nicht unähnliche Luftnummer im Programm schon kurz darauf, nur durch
Balletteinlage und Moderation getrennt. Die ehemalige Sportakrobatin
Iryna Bessonova verbindet am Tanztrapez Akrobatik, Kontorsion und eben
Tanz. Außergewöhnlich wirkt die Nummer vor allem dadurch, dass Bessonova
keine zierliche Elfe, sondern eine großgewachsene Hünin mit breitem
Kreuz ist. Als sein Herz-Ballon davonfliegt, den er einer Dame
überreichen will, baut Andrey Shapin einen Turm aus acht Stühlen, um ihn
zurückzuholen. Anders als in der typischen Zirkus-Variante stehen keine
Flaschen unter dem fragilen Sitzmöbel-Konstrukt. Am oberen Ende drückt
er Handstände. Letztlich bleibt der Ballon unter dem Theaterdach, doch
die Angebetete bekommt immerhin eine Blume aus seiner Westentasche. Nach
der Pause zeigt David Robert sein solides Können auf der Rola Rola, und
das Publikum geht begeistert mit, die Stimmung steigert sich nun immer
weiter.
Ulrike Storch,
Ballett, Victor Rubilar
Ulrike Storch hat ihre Antipodenspiele als Hommage
an die legendäre Hollywood-Ikone Marlene Dietrich angelegt. Regenschirm,
Rolle und Tücher lässt sie über ihre Füße tanzen – eine der schönsten
Darbietungen des Abends. Vom Kontrast zwischen der großen Unterfrau und
dem zierlicheren Partner lebt die Hand-auf-Hand-Akrobatik von Iryna
Bessonova und Andrey Shapin. Der Argentinier Victor Rubilar teilt seine
Fußballjonglage in zwei Teile: In der ersten Programmhälfte lässt er
einen einzigen Ball über die Arme rollen und auf dem Kopf hüpfen, als
Schlussnummer jongliert er mit fünf Bällen. Mit seiner Ausstrahlung und
Fröhlichkeit reißt er das Publikum mit. „A little Party killed nobody“,
zu diesem mitreißenden Song erleben wir kurz vor dem Finale noch eine
mitreißende Gesangs- und Tanznummer, bei der alle Register gezogen
werden. |