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Friedrichsbau-Varieté - "Affairs"
www.friedrichsbau.de - 124 Showfotos

Stuttgart, 9. September 2016: Es war ein Riesen-Erfolg, als das Stuttgarter Friedrichsbau-Varieté vor acht Jahren zum ersten Mal Burlesque-Künstlerinnen auf seine Bühne holte. In der Produktion „Miss Evi’s Company“ standen sie im Mittelpunkt. Presse und Publikum waren begeistert von den kunstvollen Striptease-Szenen. Sie wurden stets mit einem Augenzwinkern dargeboten, und die letzten Hüllen fielen nie. Letztlich war eine Adaption der Show in Berlin zu sehen. Nun hat Regisseur Ralph Sun eine neue Produktion dieser Art geschaffen: „Affairs – Burlesque Variations, Artistic and Comedy“.

Damit ist das Friedrichsbau-Varieté nach der Sommerpause in die Theatersaison 2016/17 gestartet. Es ist die dritte am neuen Standort auf dem Pragsattel. Dort bietet sich am Premierenabend bei herrlichem Spätsommerwetter ein wunderbares Bild: Sowohl vor dem benachbarten Theaterhaus als auch im Außenbereich des neuen Friedrichsbau-Varietés haben sich unzählige Menschen versammelt. Sie lachen, erzählen, trinken, warten auf verschiedene Vorstellungen in beiden Kulturstätten. So sieht es aus, wenn eine neue Theatermeile entstanden ist. Und auch im Friedrichsbau selbst stehen die Zeichen auf Weiterentwicklung. Während der Sommerferien wurde im Zuschauerraum ein umlaufendes, etwa 20 Zentimeter hohes Podium eingebaut. So profitieren die Zuschauer im hinteren und im seitlichen Bereich des Saales von verbesserter Sicht.


Vivi Valentine

Ermutigt durch die Erfolge der bisherigen Burlesque-Shows 2008 und 2009, wagen die Friedrichsbau-Macher heuer noch mehr. Die bisher hier gezeigten Striptease-Szenen waren noch viel stärker ironisch gebrochen – gerade so, als müsste man sich für Erotik entschuldigen. 2016 präsentieren sich die burlesken Szenen gewagter, sinnlicher, frivoler. Es sind kunstvolle Schönheitstänze in edler, opulenter, zuweilen verschwenderischer Aufmachung. Und noch etwas ist neu: Nicht nur Frauen ziehen sich aus, auch Menstrip findet nunmehr seinen Platz.


Ferkel Johnson 

Ferkel Johnson, der mit seinen eloquenten Moderationen durch den Abend führt, lässt gleich bei einem seiner ersten Auftritte auf urkomische Weise die Hüllen fallen. Nur ein kleiner Hut verdeckt die entscheidenden Stellen. Später singt er einen Lovesong und spielt dazu Ukulele. Zeigt seine Fähigkeiten im Quickchange, bis er schlussendlich im roten Kleid auf der Bühne steht. Erzählt auf bittersüße Weise, wie er die eigene Existenz einer unglücklichen Affäre seiner Großmutter mit einem US-Soldaten verdankt. Oder spielt Puppentheater mit den eigenen Knien. Noch mehr Facetten seiner schillernden Persönlichkeit erleben wir im zweiten Programmteil. Hier erzählt er eine Parabel auf das Leben und die Liebe, die für die Protagonisten – Hering und Makrele – tragisch in der Fischkühltheke endet. Zeigt einen absurden Tanz in einem rosa Kleid, in dem er seine weibliche Seite voll auslebt. Und verabschiedet sich später im Zugabenteil mit dem sündigsten Lied, das wir je gehört haben. Mit Unschuldsmiene trägt er englische Verse vor, die man weder vergessen noch zitieren kann.


Vivi Valentine, Miss Skopalova und Bray Buenrostro, Janet Fischietto 

Im Opening der Show sehen wir das gesamte Ensemble in einer stylishen Modenschau. Abwechselnd wird jeweils ein Künstler ins Spotlight getaucht. Bald darauf ist es Zeit für die erste Burlesque-Szene, die sinnlich-schöne und aufregend-moderne Interpretation des Federtanzes von Vivi Valentine. Sie ist es auch, die zum Beginn des zweiten Programmteils für einen der Höhepunkte des Abends sorgt. In ihrer Nummer „Oriental“ tanzt sie in einem großen Metallbogen, während sie von ihren beiden Haremsdienern mit goldenem Flitter übergossen wird. Als weiteren Höhepunkt wird man die überaus laszive Fetisch-Nummer von Miss Skopalova und Bray Buenrostro bezeichnen dürfen. Mann und Frau sind hier durch eine Kette aneinander gefesselt und zeigen in dieser Verbundenheit ihre starke Partnerakrobatik. Heftig bejubelt durch das Publikum. Im ersten Programmteil präsentiert Miss Skopalova zudem eine Luftringnummer im Burlesque-Stil. Den Schwierigkeitsgrad erhöht sie durch einen Ball, den sie bei ihren Posen mit den Füßen hält. Die Italienerin Janet Fischietto zelebriert sich in ihren beiden Burlesque-Auftritten „Feuergöttin“ und „Fliegende Königin“ selbst als mondäne Diva der Stummfilmzeit.


Marie Bitaroczky und Mirko Köckenberger 

Marie Bitaroczky und Mirko Köckenberger sind beide Absolventen der Berliner Artistenschule und privat wie auf der Bühne ein Paar. Als Liebesgeschichte zu einem romantischen Popsong ist ihre starke Partnerakrobatik in Szene gesetzt, bei der sich beide in der tragenden Rolle abwechseln. Marie Bitaroczky, die wir bisher mit ihrer Vertikalseilnummer kannten, hat sich nun für das Luftnetz entschieden. Dabei nutzt sie die Möglichkeiten, die dieses Requisit bietet, hervorragend aus. Beispielweise mit einer Art Vorwärtsrolle und equilibristischen Übungen im Netz. In seiner heiteren Handstand-Nummer auf einem Stapel Koffer schafft es Mirko Köckenberger, sich dabei aus- und ein neues Outfit wieder anzuziehen. Das Publikum klatscht begeistert mit.


Daniel Görich, Les Dudes, Naoto

Mit gleich vier Auftritten im Stil des Cirque Nouveau sind Philippe Dreyfuss und Francis Gadbois in „Affairs“ vertreten. Verschiedene Genres wie Kunstradfahren, Jonglagen (bis zu sieben Bälle!), Einrad und komisches Schleuderbrett werden vorgestellt. Während Dreyfuss den ernsthafteren Ansatz wählt, schreckt sein vollbärtiger Kompagnon Gadbois auch nicht davor zurück, die überdrehte Assistentin im grünen Kleid mit Glitzerpumps und Federschmuck auf dem Kopf zu geben. Mit einem wilden Tanz entert Daniel Görich alias Daan die Bühne. Am Vertikalseil kombiniert er Verschlingen und Verwicklungen mit Salti, Überschlägen und Pirouetten. Den Schlusspunkt unter das mehr als zweieinhalbstündige Programm setzt schließlich der Japaner Naoto, wenn er auf temperamentvolle Weise zwei Jo-Jos gleichzeitig durch die Luft wirbeln lässt.

Vor dem edel in verschiedenen Farben erleuchtenden Bühnenbild entspinnt sich hier ein hochklassiger Varietéabend, der Sinnliches, Lustiges und Artistisches gleichermaßen bietet. Nur etwas lang war die Premiere geraten, für welche der Produktionsplan – einschließlich aller Moderationen – 33 Programmpunkte vermerkte. Unter all dem Schönen das zu finden, was man vielleicht doch noch straffen oder weglassen könnte, wäre hier große Herausforderung an die Regie.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber