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Apollo-Varieté 2022 - "Aloha Baby"
www.apollo-variete.com - 133 Showfotos

Düsseldorf, 16. Juni 2022: Wenn sich die Besucher nach einem mitreißenden Finale gedanklich schon auf den Heimweg begeben, öffnet sich der Vorhang erneut. Yassin Messoudi sitzt alleine am Strand, vor ihm ein Lagerfeuer, hinter ihm ein großer Mond. Er singt „Somewhere over the rainbow“ und begleitet sich auf der Ukulele. Nach und nach kommen die anderen Mitwirkenden dazu, setzen sich um das Feuer und lauschen der wunderbaren Musik. Eine nächtliche Strandparty. Danach erstrahlen noch ein letztes Mal die bunten Lichter, es wird ausgelassen getanzt und die Wasserbälle fliegen. Eine ungeheuer starke Szene. Genial erdacht und brillant umgesetzt.

Davon haben wir in den rund zwei Stunden davor, Pause inklusive, viele erlebt. Mit „Aloha Baby“ haben die Verantwortlichen im Apollo-Varieté wieder ein Meisterwerk abgeliefert. Stellvertretend sei hier Regisseur Adrian Paul genannt. Ausnahmslos starke Darbietungen fügen sich in ein stimmiges Gesamtkonzept. Die Mitwirkenden sind nicht nur in ihren eigentlichen Nummern, sondern auch in vielen gemeinsamen Auftritten zu erleben. Musik - diesmal ohne Liveband -, Licht und Kulissen sind traumhaft. Auch wenn man selbst noch nie auf Hawaii war, genau so muss es dort sein. Man hat tatsächlich das Gefühl, eine weite Reise gemacht zu haben und ein fernes Ziel zu erleben.


Ankunft auf Hawaii, Karim und Soffien Messoudi

Dabei werden uns die Reisestrapazen abgenommen. Denn den Langstreckenflug nach Honolulu treten Ensemblemitglieder an. Die Show beginnt mit dem Einstieg in den Ferienflieger, der auf der Seitenbühne abhebt. Da treffen wir etwa auf das frisch verheiratete, sich ständig fotografierende Paar auf dem Weg in den Honeymoon (Artur und Esmira), den gestressten Businessman (Pavel Voladas) und den angetrunkenen Pauschaltouristen (Steve Eleky). Nach der Landung werden sie von den restlichen Artisten sowie den vier Damen des Balletts in hawaiianischen Kostümen mit Blumengirlanden empfangen. Die Strandkulisse mit Palmen, Surfbrettern und einer Beachbar bildet das Setting für die weitere Show. Nachdem die Ankunft ausgiebig gefeiert wurde, gehört die Bühne Karim und Soffien Messoudi. Während sie permanent mit drei Keulen jonglieren, entledigen sie sich ihrer farbenfrohen Outfits und werfen sie dem jeweils anderen Bruder zu. Lediglich Unterhose und Socken bleiben an. Am Ende sind die Klamotten durchgetauscht. Das ganze serviert mit sehr viel Charme und Witz. Und dass sich die Traumkörper der Messoudis mehr als sehen lassen können, ist allgemein bekannt. Überhaupt wird in „Aloha Baby“ viel Haut gezeigt. Aber natürlich immer Familienpublikum-tauglich. Den Übergang zur nächsten Darbietung gestalten die bildhübschen Tänzerinnen in traumhaften Kostümen.


Zorè España, Steve Eleky, Cristina Garcia

In Gestalt eines Schmetterlings dreht Zorè España ihre Runden. Dazu bedient sich die Spanierin eines Roue Cyr. In immer neuen Variationen rotiert sie über die Bühne, dass einem schon vom Zusehen schwindelig wird. España aber beherrscht ihre Kunst perfekt und ist immer Herrin ihrer Sinne. Sinn und Unsinn liegen bei Steve Eleky extrem nah beieinander. Diesmal erleben wir ihn nicht im Schottenrock, sondern im Touristenoutfit. Seine beiden Auftritte sind natürlich die bestens bekannten. Im ersten jongliert der gebürtige Kasseler mit ungarischen Wurzeln mit verschiedenen Requisiten. Dazu gibt es urkomische Erläuterungen. Und die ausbaufähige Motivation des Künstlers ist natürlich nur gespielt – wie immer sehr genial. Traumhaft schön angelegt ist der Auftritt von Cristina Garcia. Wir kennen sie als Kontorsionistin. Diese Disziplin verbindet sie nun mit dem Trapez. Doch sie belässt es nicht dabei, ihren Körper einfach ein paar Meter höher zu verbiegen. Sie arbeitet auch Tricks wie den Genick- oder Fußhang. Eine ungemein sinnliche, starke Darbietung, die durch die passende Begleitmusik (Maunaleo von Keali'i Reichel) zu einem ganzheitlichen Genuss wird.


Michael Betrian

Als ob die hawaiianische Sonne nicht schon für genug Hitze sorgt, lässt der Auftritt von Michael Betrain die Temperaturen weiter ansteigen. „Saturday Night Fever“ ist angesagt, wenn der jugendliche Niederländer seine Diabolos durch die Luft wirbelt. Der Film mit John Travolta stand Pate für diese Version seiner Performance. 2012 holte sich Betrian beim European Youth Circus Gold in der jüngeren Altersklasse. Seitdem hat er sich enorm weiterentwickelt. Hat verschiedene Choreographien für seine an sich schon starken Diabolospiele entwickelt, war mit Hans Klok auf Tournee, trat in vielen anderen großen Shows auf und hat seine eigenen produziert. Ein toller Entertainer, der auch das Apollo-Publikum im Nu für sich gewinnt. Das Ballett unterstützt ihn tänzerisch, wobei auch Michael Betrian seine Moves perfekt beherrscht. Ein Auftritt voller Energie, dem sich das Ensemble anschließt und so zur Pause überleitet. In dieser kann man sich kulinarisch verwöhnen lassen, denn alle Plätze befinden sich an Tischen, an denen auf die jeweilige Show angepasste Speisen serviert werden. Die Karte bietet etwas für jeden Geschmack, die Qualität stimmt und der Service ist äußerst zuvorkommend. Das Menü kann auch gleich in Kombination mit den Showtickets gebucht werden. Die Gänge kommen dann über den Nachmittag oder Abend verteilt. Und wenn der Endvierziger gerne den Kinderteller haben will, bekommt er ihn mit einem Lächeln serviert. Keine Selbstverständlichkeit in der hiesigen Gastrolandschaft.


Pavel Voladas, Steve Eleky, Zorè España

Während man sich selbst gerade noch einen Cheesecake gegönnt hat, wird das schlechte Gewissen ob dieser Sünde zu Beginn des zweiten Teils noch verstärkt. Unter Anleitung von Artur Dudov üben sich einige männliche Artisten in Sportübungen - bekleidet in Badehsorts. Dabei zeigen sie ihre Oberkörper, die den Gegenpol zu entspanntem Dessertgenuss repräsentieren. Die Damen hält es nicht lange in ihren Liegestühlen, sie zieht es zu den Sportlern. Das nächste Objekt ihrer Begierde ist Pavel Voladas. Er gibt den geschäftigen Businessman, dessen Smartphone fest mit dem Ohr verwachsen ist. Die Girls schnappen sich kurzerhand sein Mobiltelefon sowie seinen Koffer und schicken Voladas an das Quadratreck. Es folgt eine äußerst kraftvolle und doch so elegante Flugshow. Umschwünge und Sprünge von Stange zu Stange sehen bei ihm ganz leicht aus. Sogar mit verbundenen Augen wagt Pavel Voladas seine Tricks. Wenn sich ein weißer und ein schwarzer Stoffhase auf offener Bühne zum Paarungsakt treffen, ist ganz sicher Steve Eleky involviert. Kurz nachdem er die beiden Plüschnager aus einer tatsächlich leeren Zauberkiste gezogen hat, sorgen sie auch schon für Nachwuchs. Das ist nur das große Finale einer perfekt unperfekten Zaubershow. Comedy vom Feinsten, die einen auch bei der x-ten Wiederholung zu brüllendem Lachen bringt. Das Ballett in mit Südfrüchten verzierten Kostümen stimmt uns auf den zweiten Auftritt von Zorè España ein. Wiederum sind Ringe ihr Requisit. Der Durchmesser ist kleiner als beim Roue Cyr, dafür hat sie mehrere Exemplare dabei. Natürlich geht es um Hula-Hoop-Reifen, die die hübsche Artistin geschickt um ihren Körper rotieren lässt.


Artur und Esmira, Messoudi Brothers

Direkt danach erleben wir die nächste herrliche Ensembleszene. Die Frauen stehen den Männern in traditioneller Aufmachung gegenüber und beeindrucken sich gegenseitig mit ihren Tänzern. Aus diesem Gruppenbild lösen sich Artur und Esmira. Die beiden konnten wir etwa im Winter 2019/20 im Pariser Cirque d'Hiver erleben. Damals als Mitglieder eines Bingo-Ensembles. Jetzt zeigt das Ehepaar eine traumhafte Kür an den Strapaten. Kraft und Leidenschaft vereinen sich zu einem harmonischen Ganzen. Einige ihrer Tricks sind neuartig und so dürfen wir Luftakrobatik an Bändern genießen, die über das schon so oft Gesehene hinausgeht. Mit prächtigem Kopfputz, Blumengirlanden und Baströckchen schmücken sich die Tänzerinnen bei ihrem letzten eigenständigen Tanz. Dann lassen die Messoudi Brothers Frauenherzen dahinschmelzen. Mit ihrer Partnerakrobatik haben es Yassin, Karim und Soffien nicht zuletzt dank einiger Fernsehauftritte zu größerer Popularität gebracht. Bestens trainierte Oberkörper, smartes Auftreten und starke Akrobatik ergeben ein faszinierendes Gesamtprodukt. Das Trio imponiert mit außergewöhnlicher Partner-Equilibristik. Ein wirklicher Topact, der den verdienten Schlusspunkt dieses hochkarätigen Programms bildet. Das Finale bringt noch einmal in geballter Form das, was den gesamten Nachmittag ausgemacht hat. Viel Energie, tolle Choreographien, geniale Einfälle, wunderbare Kostüme und ein Ensemble, das mit großem Engagement dabei ist, dem es ein wahre Freude ist, das Publikum zu unterhalten. Dazu ein geniales Licht und eine stimmige Musikauswahl. Einfach Wahnsinn! Die Gäste im Saal sind hörbar begeistert, viele hält es nicht mehr auf den Sitzen. Doch es geht noch weiter. Die eingangs beschriebene nächtliche Strandparty schließt sich an, macht die Faszination dieser Produktion perfekt.

 „Aloha Baby“ war für mich erst die zweite Show im Apollo-Varieté. Wie schon bei der „British Invasion“ im Februar 2020 war ich restlos begeistert. Hier ist ein junges Team mit viel Herzblut bei der Sache. Der Aufwand, der für die nur wenige Monate laufenden Shows betrieben wird, ist enorm. Es wird mit viel Liebe zum Detail gearbeitet, um ein durch und durch überzeugendes Kunstwerk abzuliefern. Die engagierten Artisten sind perfekt ausgesucht. Neben der Präsentation ihrer eigenständigen Nummern werden sie Teil der Gesamtinszenierung. Dazu kommt das wunderbare Ambiente des Theaters unter einer Rheinbrücke. Anfang August startet bereits die Show zum 25-Jahre-Jubiläum. Bis Anfang Juli besteht noch die Gelegenheit, einen Kurztrip nach Hawaii zu buchen. Das zugehörige Ticket zu lösen, sei dringend empfohlen. „Aloha Baby“ ist schlichtweg grandios!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch