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GOP Essen - Back to Base
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Essen, 8. September 2013: „Jedes Land bekommt die Show, die es verdient“, stellt Moderator Hieronymus in seiner ihm ganz eigenen Art der „ernsten Comedy“ gleich zu Beginn des Abends klar. Deswegen findet man sich als Zuschauer noch im selben Moment inmitten einer weiteren Talent-Casting-Show wieder. Diesen Rahmen haben die beiden Regisseure Markus Pabst und Pierre Ceasar vom Artistenpool Base Berlin der komplett neuen GOP-Produktion „Back to Base“ gegeben, die in Essen erstmals Premiere feierte und anschließend durch die nun sechs Theater der Gruppe ziehen wird. Hieronymus also gibt den Moderator und Juryvorsitzenden. Mit seiner stets grantigen, derben Art steht er manch einem TV-Kollegen in nichts nach.

Nach anfänglicher Irritation hat Hieronymus auch schnell die Lacher und Sympathien auf seiner Seite. Auch seine Zaubereien, im Grunde bekannte Nummern, gewinnen durch diese ungewöhnliche Art der Präsentation. Aufgrund Hieronymus` dauerhaft schlechter Laune möchte man eigentlich das Weite suchen, zugleich wird man von seinem Wortwitz aber sofort wieder eingefangen. Besonders schräg ist sein Kartentrick mit der Maulkorb-tragenden, weißen Tiger-Ente.


Daniel Forlano, Vanessa Baier, Hieronymus

US-Komiker Daniel Forlano gibt den zweiten Juror, einen eher introvertiert wirkenden Designer mit extrovertiertem Modegeschmack: gemusterte Hose, Jacke mit Blumenmotiv und stets Hut. Dieser fällt natürlich dauernd herunter, und so ist Forlano stets damit beschäftigt, sich den Hut wieder aufzusetzten. Nicht mit den Händen, denn die sind meist besetzt, sondern wie es sich für einen Komiker gehört mit viel Körpereinsatz. Auch ansonsten geschehen ihm allerhand Misslichkeiten. Bei einem Versuch, eine Katze zu füttern, sind etwa 16 Bücher im Weg, die Forlano geschickt an seinem Bein entlang stapelt, um dann festzustellen, dass die Katze längst tot unter der Bücherkiste liegt. Forlanos eher subtile Intermezzi, die so zum ersten Mal auf einer deutschen Varieté-Bühne zu sehen sind, stehen im starken Gegensatz zu den rau wirkenden Auftritten von Hieronymus, dennoch passen beide gut in Konzept – vielleicht vor allem deshalb, weil sie aus der Rahmenhandlung rausbrechen. Drittes Jury-Mitglied ist – als „Quotenfrau“ – Vanessa Baier als Englisch-säuselndes Möchtegern-Super-Model, deren Kommentare an Oberflächlichkeit nicht mehr zu überbieten sind. Nicht nur hier lassen die Macher von Base Berlin in ihrer Inszenierung einer Casting-Show kaum ein Klischee aus und ziehen dieses Genre trotz (noch) mancher Längen vor allem im ersten Teil meist sehr gelungen durch den Kakao. Besonders herrlich geraten die Minuten nach der Pause: Quasi im Schnelldurchlauf werden all die verkannten Talente gezeigt, für die es dann doch nicht gereicht hat: vom zu Bandmusik agierenden Glasharfe-Spieler bis hin zu einem Mann, der mit einen Wandtacker einen Ballon in der Hand seiner Frau zerschießen möchte und dabei stattdessen deren Silikonbusen trifft. Wunderbar schräg.


Sven Böker und Vanessa Baier 

Bei allem schauspielerischen Talent, liegt das Augenmerk bei Vanessa Baier natürlich auf der Artistik. Neu einstudiert ist ihr Equilibristik-Solo, mit dem sie „Back to Base“ quasi eröffnet. Verschiedene Handstände und Posen werden sicher und elegant präsentiert. Auch Akrobatik-Partner Sven Böker zeigt erstmals eine eigene Darbietung. Knapp bekleidet, mit deutlichen Rotlicht-Assoziationen, begibt er sich an die Strapaten und zeigt an diesem Requisit eine gefällige Nummer, bei der er vor allem mit kraftvollen Aufschwüngen überzeugt. Sven Böker verkörpert, wie die übrigen Akteure auch, einen Kandidaten der Casting-Show und so ist die Inszenierung für die gemeinsame Partnerakrobatik von Vanessa und Sven schnell gefunden: Jurorin umgarnt Kandidat. Als Schlussnummer zelebrieren die beiden unter anhaltendem Szenenapplaus ihre starke Equilibristik, in der sie die tragende Rolle einnimmt. In Schwarz und Weiß gekleidet und durch farbigen Theaternebel illustriert, ergeben sich dezente, wunderbare Bilder.


Florian Blümmel, Elisabeth Schmidt, Bertan Canbeldek

Vanessa und Sven haben 2010 ihren Abschluss an der Berliner Artistenschule gemacht. Von dort kommen auch noch zwei weitere Künstler. Allen gemein ist, dass sie jeweils mit dem „Sprungbrett“ als beste Absolventen ihrer Abschlussklasse ausgezeichnet wurden. Neuester Preisträger ist Andalousi Laghmich Elakel aus dem diesjährigen Jahrgang. Er fehlt mit seinen Handständen auf einem Sessel zurzeit noch verletzungbedingt, soll aber ab Oktober wieder dabei sein. Vertretungsweise jongliert Bertan Canbeldek, der bis zu sieben Bälle im Bouncing-Verfahren beherrscht. Er hat ebenfalls 2010 seinen Abschluss in Berlin gemacht, zwei Jahre vor Elisabeth Schmidt. Ihre Tücher-Darbietung ist schlicht perfekt; mit verschiedensten Posen (u.a. Handstand, Spagat) in schneller Folge und im Schwungteil mit dynamischen Abfallern über den Köpfen des begeisterten Publikums. Hinzu kommen wunderbare Musik, ein schönes Kostüm und ganz viel Ausstrahlung der Künstlerin. Super! - Im letzten Jahr gab’s dafür völlig zu Recht einen Preis in Wiesbaden, im nächsten Jahr könnte ein weiterer folgen: Elisabeth Schmidt ist mit ihrer Nummer nach Monte Carlo eingeladen. Auch abseits der Berliner Artistenschule haben die Show-Macher tolle Akteure gefunden. Zum ersten Mal auf einer Varieté-Bühne überhaupt steht oder besser fährt Florian Blümmel. Der Kunstradfahrer kommt eigentlich vom Sport. Blümmel beherrscht sein Zweirad auch rückwärts, auf einem Rad und selbst dann, wenn er auf dem Rad steht.


Michele Frances Clark, Duo Complice, Jade Lee Petersen

Mehr Erfahrung haben da schon Célia Grelier und Fabian Milet als Duo Complice. Am chinesischen Mast wechselt sich das Spiel zwischen Annäherung und Abstoßung ab, mit gemeinsamen Passagen (synchrone Posen oder gemeinsame Abfaller) und dem Imponieren vor dem jeweils Anderen (Pirouette, Salto am Mast). Nur der Kostüm- und Musikwechsel innerhalb der Nummer von Edel zu Straßenoutfit ist Geschmackssache. Der Südafrikaner Jade Lee Petersen wurde mit seinen unglaublichen Verrenkungskünsten im Internet entdeckt, auf Videos des dortigen McLaren Circus. Jetzt ist Petersen ebenfalls im Artistenpool von Base Berlin und hat dort seine Nummer umgestaltet, tritt nun in einem Rokoko-Rock auf, einem Spinnennetz gleich, das er immer wieder in seine Figuren einbaut. Einfach sensationell ist etwa jener Part, in dem er – im Handstand auf den Unterarmen liegend – seine Beine im hohen Tempo um den eigenen Körper kreisen lässt. Eine richtige Entdeckung! Selbiges gilt auch für Michele Frances Clark aus den USA. Sie präsentiert eine der außergewöhnlichsten und stärksten Hula Hoop-Nummern seit längerer Zeit. Elemente aus Tanz und Kontaktjonglage sowie die eigentlichen Tricks des Genres werden kombiniert und ergeben eine völlig neue Art der Präsentation.

Mit „Back To Base“ beweisen die Macher auf ironische Weise, was auch in den TV-Castings schnell offenkundig wird: das ganze Drumherum braucht’s im Grunde nicht, die Leistung der Akteure spricht meist für sich. Und so sind es auch hier die herrliche Komik zweier konträrer Figuren und die grandiose Artistik vom besten deutschen Nachwuchs und vielen interessanten Entdeckungen, die die Show stark machen.

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Text: Benedikt Ricken, Fotos: Dirk Trachternach (www.unterhaltungsmagazin.de
- mit freundlicher Genehmigung) (7), GOP (6)