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Apollo-Varieté 2023 - "Bavarieté"
www.apollo-variete.com - 122 Showfotos

Düsseldorf, 10. August 2023: Es ist Anfang August und wir befinden uns unter einer Brücke in Düsseldorf. Menschen in Dirndln oder kurzen Lederhosen treffen ein, genießen den Sommerabend und begeben sich dann durch den Eingang ins Innere des Apollo Varieté. Ein in der Tat sehr ungewöhnlicher Anblick. Aber wenn das Theater aus der Roncalli-Familie zum „Bavarieté“ lädt, dann „brezeln“ sich die Gäste auf, holen ihre bajuwarischen Outfits aus dem Schrank und lassen schon etliche Wochen vor dem Beginn des Oktoberfests in München Wiesn-Feeling aufkommen. Und das im Rheinland. „Apollo’s Hütten-Gaudi“ lautet der Untertitel des Programms, das eine Woche zuvor seine erste Aufführung vor Publikum erlebte.

Es wird bis Mitte Oktober gespielt. Das Thema ist natürlich dankbar, bietet viele Ansätze für die kreative Gestaltung einer Varieté-Show. Dafür hat die für das Casting verantwortliche Vivi Paul wieder ein attraktives Ensemble zusammengestellt. Hinzu kommt das hauseigene Ballett mit vier ausgewählten Schönheiten, die wie immer hervorragend tanzen. Die Regie hat diesmal Stefan Huber übernommen.


Ensemble vor dem Stadel

Die Bühnencrew hat sich wieder mächtig ins Zeug gelegt und als Kulisse einen imposanten Stadel gebaut. Respekt für diese grandiose Arbeit. Ganz hinreißend und originell sind die Kostüme, insbesondere die des Balletts. Die Designer und Schneider haben das Thema auf vielfältige Weise umgesetzt. Mit viel Liebe zum Detail. Die Küche leistet ihren Beitrag in Form eines auf das Motto der Show abgestimmten Menüs, das über den Abend verteilt genossen werden kann. Der Service sorgt dafür, dass die Speisen punktgenau an den Tisch kommen und empfiehlt die passenden Getränke.


Fassanstich mit DJ Tomm und Herrn Riesling, Bruno Macaggi

Die eigentliche Show beginnt mit einem bajuwarischen Warm up durch DJ Tomm (Thomas Peter), der uns durch das Programm begleitet. Da wird sich schon einmal beim Platznachbarn untergehakt und gemeinsam geschunkelt. Dann ziehen die weiteren Mitwirkenden in den Saal ein. Die Damen im Dirndl, die Herren in Lederhosen und Karohemden. Nachdem sie an Tischen und Bänken Platz genommen haben, erfolgt der Fassanstich. Als Honoratior dafür fungiert Klaus Loch alias Herr Riesling. Unter seiner Weste hat der Pantomime eine stattliche Wampe. Er wirkt etwas vertrottelt, sorgt aber mit mehreren Schlägen dafür, dass das Bier fließt. Mit ihren gefüllten Krügen legen Artisten und Ballett eine schmissige Choreografie auf die Bühne. Flott geht es mit Bruno Macaggi weiter. Der Spanier konzentriert sich bei seinen Jonglagen auf Schüttelbecher als Requisiten und sorgt damit für eine Rarität. In immer neuen Varianten fliegen die weißen Becher durch die Luft. Am Ende wirft er mit jeder Hand fünf Becher nach oben. Diese stecken zunächst in einem sechsten, mit dem Bruno Macaggi sie auch wieder auffängt. Dazu wird ein Wiesnhit gespielt.


Ballett, Emma Phillips

Zu Marianne Rosenbergs „Er gehört zu mir“ arbeitet Emma Phillips ihre Antipodenspiele. Ein eingängiger Song, ohne Frage. Aber als Begleitung zu dieser Darbietung nur bedingt geeignet, zumal keine Akzentuierungen vorgenommen werden, um einzelne Sequenzen der Fußjonglagen besonders zu unterstreichen. Eine entscheidende Schwäche der gesamten Show, denn nur wenige Artisten arbeiten zu ihrer Originalmusik. Natürlich sind die Oktoberfest-Hits mitreißend und passen zum Motto. Ihrem eigentlichen Zweck, nämlich die jeweilige Nummer aufzuwerten, erfüllen sie aber eher weniger. Optisch ist der Auftritt von Emma Philipps eine Augenweide, zumal sie Unterstützung von den Tänzerinnen erhält. Schirme spielen bei deren Choreographie eine wichtige Rolle. Mit diesen jongliert dann auch Philipps auf wirklich faszinierende Weise. Es entstehen wunderbare, selten zu sehende Bilder. Die aus Neuseeland stammende Künstlerin hat mit den kunstvoll gestalteten Schirmen einen außergewöhnlichen Ablauf kreiert. In immer neuen Konstellationen jongliert sie diese mit Händen und Füßen. Teilweise nimmt sie Tücher hinzu. Beeindruckend sind die Jonglagen mit einem Tisch. Ungewöhnlich lange und in immer wieder neuen Variationen lässt sie das Möbelstück auf ihren Füßen tanzen.


Herr Riesling, Joao Godinho, Nastya und Vitana

Drei Damen aus dem Publikum dürfen sich danach im Stemmen von Maßkrügen messen. Moderiert wird der Wettbewerb von DJ Tomm, der dabei von Herrn Riesling unterstützt wird. Mit dieser Einlage wird jegliches Tempo aus der Show genommen und die begleitenden Sprüche heben die Stimmung nur eingeschränkt. Anschließend zeigt Herr Riesling, was Körperbeherrschung auch bedeuten kann. Er kombiniert Breakdance mit Pantomime und schneidet dazu urkomische Grimassen. Der Song „Major Tom“ von Peter Schilling bildet musikalisch und optisch den Rahmen für die Akrobatik am Tanztrapez von Joao Godinho. Bevor es in die Luft geht, tanzt er mit dem Ballett in spacigen Outfits auf der Bühne. Nachdem die „Reiseflughöhe“ erreicht ist, beweist der aus Portugal stammende Artist die Biegsamkeit seines Körpers und einen offensichtlich stark ausgeprägten Gleichgewichtssinn. Etwa wenn er nur mit den Fußspitzen oder dem Genick an der Trapezstange hängt. Oder aber wenn er im Spagat quasi „völlig schwerelos“ zwischen den Seilen seines Requisits balanciert. Auch diese wunderschöne Kür hätte eine passendere Musikbegleitung verdient. Herr Riesling baut sich aus einem Zollstock ein Saxophon, um darauf den Marsch für die Tänzerinnen zu blasen. Die militärisch inspirierten Kostüme des Balletts mit Patronengurt um den Oberkörper werden durch eine Brezel am Hut „entschärft“. Ohne Bezug zum übergeordneten Thema ist die Pausennummer. Wir erleben Nastya und Vitana in einer schönen Partnerakrobatik mit Elementen aus Handstandartistik und Kontorsion. So etwa mit einem Hand-auf-Hand, bei dem die Unterfrau in den Spagat geht. Mittels eines Podests hätte man dieser prominent platzierten Darbietung mehr Aufmerksamkeit verschaffen können. So arbeiten Nastya und Vitana direkt auf dem Bühnenboden. Der erste Teil geht aber erst zu Ende, wenn das Ensemble seine Lassos herausholt, um „Cowboy und Indianer“ zu spielen. Herr Riesling mischt sich mit einem Steckenpferd unter die ausgelassen tanzenden Artisten. Partystimmung pur.


Jon Young, Emma Phillips

Die gibt es dank des Ensembles auch gleich nach der Pause. Die Unterbrechung wurde genutzt, um den Mast für Jon Young aufzubauen. Dieser hat seine Artistenkarriere beim Cirque Archaos begonnen. Markant sind die abstehenden Haare und die ausdrucksstarke Mimik, mit der er den Pole erklimmt und auf verschiedenste Weise wieder herunterrutscht. Das sogar kopfüber. Spektakulär sind ebenfalls die Abfaller, bei denen er für einen Sekundenbruchteil den Kontakt zum Mast verliert. Auch hier wieder das Thema der Musikbegleitung. Dass der Pole danach von der Bühnencrew wieder abgebaut wird, bekommt das Publikum gar nicht mit. Denn alle Augen richten sich auf die Seitenbühne, wo die feschen Tänzerinnen in Lederhosen und ärmellosen Karohemden für beste Ablenkung sorgen. Sodann entern sie die Bühne. Dort treffen sie kurz darauf Herrn Riesling. Der hat seine liebe Mühe mit einem roten Luftballon in Herzform. Offenbar hat dieser einen besonders starken Drang Richtung Theaterdecke. Aber unter Aufbietung seiner Kräfte, vor allen Dingen aber seiner pantomimischen Fähigkeiten, schafft es Riesling, den Ballon im Griff zu behalten. Letztendlich schnappt ihn sich Emma Phillips und entschwindet damit an den Luftring. Wie wunderbar Musik und Artistik tatsächlich harmonieren können, wird nun deutlich. Denn Emma Phillips arbeitet zu einer Version von „Über den Wolken“, die einfach hinreißend ist. Der Gesang wird nur vom Klavier begleitet. Das Lichtdesign unterstützt diese traumhafte Stimmung. Es ist ein Genuss, die Kür mit vielen anspruchsvollen Haltefiguren zu erleben. Und ganz nebenbei flirtet Phillips ganz charmant mit den Zuschauern.


Bobfahrt mit DJ Tomm, Ivan Peres

Bei „Über den Wolken“ und Partymusik denkt man natürlich sofort an Dieter Thomas Kuhn. Mit dessen Aufnahme des Songs holen uns die restlichen Artisten und die Tänzerinnen am Ende der Luftnummer zurück zur Hüttengaudi. Dazu gibt es eine zünftige Polonaise. Bei einer imaginären Bobfahrt auf einer Bank legen sich fünf Akteure ordentlich in die Kurven. Den Verlauf der Bahn gibt DJ Tomm bei seiner Kommentierung vor. Noch einmal erfreuen uns sodann neue Kleider, noch einmal eine neue Choreographie des Balletts. Mit ihrer legendären Hand-auf-Hand-Akrobatik haben die Peres Brothers in vielen große Häusern brilliert. Die Gäste in Düsseldorf erleben nun Ivan Peres im Solo. Dank kraftvoller Handstandvariationen zieht er die Blicke auf sich. Insbesondere die Damenwelt wird sich an seinem muskulösen Körper erfreuen, trägt er doch nur eine kurze Lederhose und Socken. Zu seinem Repertoire gehören unter anderem der Klötzchentrick und Handstände auf extrem langen Stäben. Zum Finale gibt es dann wieder Vollgas. Das Partyfieber steigt noch einmal. Das Ensemble tanzt ausgiebig, aufblasbare Bierkrüge, Brezeln und Würstchen im XXL-Format sind dabei. Es wird ein lebhafter Abschied. Ruhiger gerät der Epilog. DJ Tomm bittet die Gäste, die Lichter ihrer Smartphones anzumachen. Zu „Angels“ von Robbie Williams werden diese dann geschwenkt. Noch einmal öffnet sich der Vorhang, das Licht ist gedämpft und im Stadel ist weitgehend Ruhe eingekehrt.

Mit diesem „Bavarieté“ haben die Macher des Apollo Varietés ein attraktives Thema aufgegriffen. Optisch hat die Show viel zu bieten, ebenso artistisch. Für die Ausstattung wurde ein hoher Aufwand betrieben. Und doch mag der Funke nicht so recht überspringen. Klar, ein Premierenpublikum ist immer eine besondere Herausforderung. Doch insbesondere die bei vielen Darbietungen wenig harmonierende Musikbegleitung ist ein echtes Manko. Auch bei Regie und Moderation ist noch Luft nach oben. Das haben ganz offensichtlich auch die Verantwortlichen erkannt. Man darf also davon ausgehen, dass die Gaudi für das Publikum bei den folgenden Vorstellungen noch eine steile Kurve nach oben nimmt.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch