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Friedrichsbau - "Burlesque Affairs"
www.friedrichsbau.de - 76 Showfotos

Stuttgart, 10. März 2018: Die erste Überraschung war die Ankündigung einer neuen Burlesque-Show im Friedrichsbau-Varieté. Schließlich hatte es das in Stuttgart erst vor eineinhalb Jahren gegeben. Und zwar unter fast identischem Titel. „Affairs“ hieß die Produktion 2016, nunmehr wird zu „Burlesque Affairs“ eingeladen. Die zweite Überraschung folgte nach Bekanntgabe des „neuen“ Ensembles. Es ist in weiten Teilen dasselbe wie bei der Vorgänger-Show. Und das gilt gerade für die prägenden Gesichter. Hat man also das letztmalige Programm einfach wieder neu aufleben lassen?

So weit ist es nicht gekommen. Aber doch war es das Ziel, an die großen Erfolge von 2016 anzuknüpfen. Zumal „Affairs“ nicht nur bei Publikum und Presse reüssierte. Vielmehr habe das Ensemble auf der Bühne und hinter den Kulissen außerordentlich gut harmoniert, heißt es. So gut, dass Regisseur Ralph Sun nach eigenem Bekunden mit diesem Team weiterarbeiten und mit den bekannten Gesichtern eine neue Burlesque-Show entwickeln wollte. Die gleichen Künstler sollten jeweils etwas anderes machen. Und auch beim Bühnenbild baut die neue Show auf der Vorgänger-Produktion auf. Wiederum gibt es farbig leuchtende Flächen im Hintergrund. Statt verschiedener Ebenen und Podeste wurde eine steil aufragende Showtreppe geschaffen. Insgesamt kein Ansatz ohne Risiko. Schließlich dürsten viele Stammbesucher nach ganz Neuem. Einmal abgesehen von der Gefahr, dass die Akteure für die Neuauflage auf nicht ganz gleichwertige „Zweitnummern“ ausweichen. Doch das Experiment ist weitestgehend geglückt.


Janette Fischietto, Louise L‘Amour, Vivi Valentine 

„Noch lasziver und noch sündiger“ als 2016, wie es in der Ankündigung hieß, ist die Show aber nicht geraten. Vielmehr bewegt sich sie sich zumeist auf gleich hohem Sündigkeitsniveau. Dafür sorgen zunächst drei international renommierte Burlesque-Performerinnen. Was sie vorführen, ist kein schnöder Striptease, sondern kunstvoller Schönheitstanz. Sie schälen sich aus exzellent gearbeiteten, kostbaren Kostümkreationen, ohne dass dabei die letzten Hüllen fallen. Setzen ihre mit hochwertigen Tattoos zu Kunstwerken gestalten Körper in Szene. Feiern ihre Weiblichkeit. Aus den „Affairs“ bekannt sind die Italienerin Janette Fischietto sowie Vivi Valentine aus Australien. Fischietto entführt in einen „Midnight Garden“ im mondänen Stil der 1920er und 30er Jahre und verbindet in einem zweitem Auftritt Bauchtanz mit Jazz. Valentine verführt mit einem klassischen Federtanz. Später tut sie dies mit ihrem weißen Kostüm, das im Luftstrom einer Windmaschine flattert. Wenn Sie den Dutt löst, wehen auch ihre offenen Haare. Ein Hauch von Marilyn Monroe. Neu dabei ist Louise L’Amour. Die Portugiesin zelebriert zwei Auftritte, den ersten in Rot mit Fächern, den zweiten in edlem Schwarz mit einem Umhang wie Schmetterlingsflügel. Ihre raumgreifenden tänzerischen Bewegungen stecken voller Ausdruck, Emotion und Leidenschaft. Und lassen die klassische Ballettausbildung erkennen.


Ferkel Johnson 

Durchs Programm führt wie bereits 2016 Ferkel Johnson. Mit seinem spitzbübischen Charme erklärt er dem Publikum, woraus Burlesque besteht – aus Musik, Tanz und Verführung. Und dass es dabei um viel mehr geht, als um nackte Haut. Nämlich um die Bilder im Kopf. Doch Johnson beherrscht die Burlesque nicht nur in der Theorie. Er lässt selbst die Hüllen fallen. In einem gewagten Auftritt verbirgt er die entscheidenden Stellen hinter einem Bademantel, einem Regenschirm und dann nur noch hinter einem kleinen Stofftierchen. Und auch die ironische Brechung ist Teil der Burlesque. So bietet er auch einen „umgekehrten“ Strip, bei dem er in weißer Doppelripp-Unterwäsche auf der Bühne erscheint und sich dann in Anzug und Krawatte hineinräkelt. Auch Lieder hat er im Repertoire. Darunter ist genau wie 2016 das mit dem unverschämt schlüpfrigen Text, mit dem das Publikum im Finale verabschiedet wird. Johnson war auch in der Winterproduktion 2017/18 des Friedrichsbaus, „Circus Circus“, zu sehen, hier in der Rolle des Weißclowns Merlin. Und ist gleich in Stuttgart geblieben.


Miss Skopalova und Bray Buenrostro, Sheyen Caroli
 

Zurückgehrt an den Neckar sind Miss Skopalova und Bray Buenrostro. Im Vergleich zu ihrem Fetisch-Act von 2016 ist die neue Version ihrer Partnerakrobatik – nun zwischen Charleston-Flair und Wildem Westen – fast schon jugendfrei. Am Luftring präsentiert Miss Skopalova Figuren im Tango-Rhythmus bis hin zum Genickhang und wedelt dabei mit einem Band. Beim letzten Mal bezog sie einen Ball mit ein. Neu zum Ensemble gekommen ist hingegen Sheyen Caroli. Die Italienerin mit dem klangvollen Nachnamen gehört zur fünften Generation der Artistenfamilie. Ihre ekstatisch gearbeitete Kontorsion zeigt sie in einem freizügig-verruchten Kostüm im Bondage-Stil. Als „Man eating Machine“ charakterisiert die Begleitmusik die Künstlerin. Doch Sexyness und knappe Verpackung sind hier längst nicht alles. Der anspruchsvolle akrobatische Höhepunkt sei Beleg genug. Dabei schießt Caroli treffsicher mit Pfeil und Bogen auf eine Zielscheibe. Natürlich löst sie die Waffe im Handstand mit den Füßen aus. Dies ist die Schlussnummer des Programms.


Marie Bitaroczky und Mirko Köckenberger 

Zu den bekannten, prägenden Gesichtern der Burlesque-Produktion 2016 gehörten Marie Bitaroczky und Mirko Köckenberger. Sie zählen zu den erfolgreichsten Absolventen der Berliner Artistenschule und sind beruflich wie privat ein Paar. Für die „Burlesque Affairs“ haben sie ihre Darbietungen variiert. Auf originelle Weise hat Köckenberger seine Handstandakrobatik zu Motiven der Schornsteinfeger-Szene aus Mary Poppins neu gestaltet. Sein Requisit ist nun ein Kamin. Darauf wechselt er im Handstand die Hose und verschwindet im Rohr, um kurz darauf in einem bunten Sakko zu erscheinen. Ganz stark ist sein kurzer Stand auf nur einem Finger, der in einem Flaschenhals steckt. Zum Abschluss demonstriert der sympathische Berliner sein Können auf der Rola Rola. Bitarozky legt bei ihren Abfallern am Tuch Intensität und Leidenschaft an den Tag. 2016 war ihr Requisit noch das Netz. Bei der weiter entwickelten, anspruchsvollen Partnerakrobatik übernimmt mal sie die tragende Rolle, mal hält er sie auf einem oder zwei ausgestreckten Armen in der Luft.


Les Dudes 

In bester Erinnerung geblieben aus der Burlesque-Show 2016 sind auch „Les Dudes“ alias der Schweizer Philippe Dreyfuss und sein kanadischer Kompagnon Francis Gadbois. Dreyfuss mimt den seriösen Artisten, beispielsweise bei seiner gekonnten Kisten-Jonglage. Das Publikum klatscht begeistert mit. Zunehmend und gewollt chaotisch wird es bei der zweiten Jonglage-Nummer, bei der Gadbois die überdrehte Assistentin im grünen Kleid und mit exzentrischem Kopfschmuck mimt. Zum Kuriositätenkabinett der Dudes gehört auch der Hula-Hoop-Striptease von Dreyfuss, der von Gadbois als männlichem „Engel“ beobachtet wird. Oder später die Fahrradakrobatik im knappen Leoparden-Look.

Dieser mitreißende Varieté-Abend changiert zwischen frivolem Witz und erotischer Sinnlichkeit. Er ist weder eine reine Wiederaufnahme der „Affairs“ noch etwas grundlegend Neues. Als gravierende Weiterentwicklung wird man ihn somit eher nicht bezeichnen können. Wohl aber als gelungene Variation über ein bekanntes und bewährtes Thema. Das Publikum im ausverkauften Saal reagierte begeistert und mit lang anhaltendem Applaus.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Erber