So
weit ist es nicht gekommen. Aber doch war es das Ziel, an die großen
Erfolge von 2016 anzuknüpfen. Zumal „Affairs“ nicht nur bei Publikum und
Presse reüssierte. Vielmehr habe das Ensemble auf der Bühne und hinter
den Kulissen außerordentlich gut harmoniert, heißt es. So gut, dass Regisseur
Ralph Sun nach eigenem Bekunden mit diesem Team weiterarbeiten und mit
den bekannten Gesichtern eine
neue Burlesque-Show entwickeln wollte. Die gleichen Künstler sollten
jeweils etwas anderes machen. Und auch beim Bühnenbild baut die neue Show auf
der Vorgänger-Produktion auf. Wiederum gibt es farbig
leuchtende Flächen im Hintergrund. Statt verschiedener Ebenen und
Podeste wurde eine steil aufragende Showtreppe geschaffen. Insgesamt
kein Ansatz ohne Risiko. Schließlich dürsten viele Stammbesucher nach
ganz Neuem. Einmal abgesehen von der Gefahr, dass die Akteure für die
Neuauflage auf nicht
ganz gleichwertige „Zweitnummern“ ausweichen. Doch das Experiment ist
weitestgehend geglückt.
Janette Fischietto, Louise L‘Amour,
Vivi Valentine
„Noch
lasziver und noch sündiger“ als 2016, wie es in der Ankündigung hieß,
ist die Show aber nicht geraten. Vielmehr bewegt sich sie sich zumeist
auf gleich hohem Sündigkeitsniveau. Dafür sorgen zunächst drei
international renommierte Burlesque-Performerinnen. Was sie vorführen, ist
kein schnöder Striptease, sondern kunstvoller Schönheitstanz. Sie
schälen sich aus exzellent gearbeiteten, kostbaren Kostümkreationen,
ohne dass dabei die letzten Hüllen fallen. Setzen ihre mit hochwertigen Tattoos zu Kunstwerken gestalten Körper in Szene. Feiern ihre
Weiblichkeit. Aus den „Affairs“ bekannt sind die Italienerin Janette
Fischietto sowie Vivi Valentine aus Australien. Fischietto entführt in
einen „Midnight Garden“ im mondänen Stil der 1920er und 30er Jahre und
verbindet in einem zweitem Auftritt Bauchtanz mit Jazz. Valentine
verführt mit einem klassischen Federtanz. Später tut sie dies mit ihrem
weißen Kostüm, das im Luftstrom einer Windmaschine
flattert. Wenn Sie den Dutt löst, wehen auch ihre offenen Haare. Ein Hauch von Marilyn Monroe. Neu dabei ist Louise L’Amour.
Die Portugiesin zelebriert zwei Auftritte, den ersten in Rot mit
Fächern, den zweiten in edlem Schwarz mit einem Umhang wie
Schmetterlingsflügel. Ihre raumgreifenden tänzerischen Bewegungen
stecken voller
Ausdruck, Emotion und Leidenschaft. Und lassen die klassische
Ballettausbildung erkennen.
Ferkel
Johnson
Durchs
Programm führt wie bereits 2016 Ferkel Johnson. Mit seinem
spitzbübischen Charme erklärt er dem Publikum, woraus Burlesque besteht
– aus Musik, Tanz und Verführung. Und dass es dabei um viel mehr geht, als
um nackte Haut. Nämlich um die Bilder im Kopf. Doch Johnson beherrscht
die Burlesque nicht nur in der Theorie. Er lässt selbst die Hüllen
fallen. In einem gewagten Auftritt verbirgt er die entscheidenden
Stellen hinter einem Bademantel, einem Regenschirm und dann nur noch
hinter einem kleinen Stofftierchen. Und auch die ironische Brechung ist
Teil der Burlesque. So bietet er auch einen „umgekehrten“ Strip, bei dem er in weißer Doppelripp-Unterwäsche auf der Bühne
erscheint und sich dann in Anzug und Krawatte hineinräkelt. Auch Lieder
hat er im Repertoire. Darunter ist genau wie 2016 das mit dem
unverschämt schlüpfrigen Text, mit dem das Publikum im Finale
verabschiedet wird. Johnson war auch in der Winterproduktion 2017/18 des
Friedrichsbaus, „Circus Circus“, zu sehen, hier in der Rolle des
Weißclowns Merlin. Und ist gleich in Stuttgart geblieben.
Miss Skopalova und Bray Buenrostro, Sheyen Caroli
Zurückgehrt an den Neckar sind Miss Skopalova und Bray Buenrostro. Im
Vergleich zu ihrem Fetisch-Act von 2016 ist die neue Version ihrer
Partnerakrobatik – nun zwischen Charleston-Flair und Wildem Westen – fast
schon jugendfrei. Am Luftring präsentiert Miss Skopalova Figuren im
Tango-Rhythmus bis hin zum Genickhang und wedelt
dabei mit einem Band. Beim letzten Mal bezog sie einen Ball mit ein. Neu
zum Ensemble gekommen ist hingegen Sheyen Caroli. Die
Italienerin mit dem klangvollen Nachnamen gehört zur fünften Generation
der Artistenfamilie. Ihre ekstatisch gearbeitete Kontorsion zeigt sie in
einem freizügig-verruchten Kostüm im Bondage-Stil. Als „Man eating
Machine“ charakterisiert die Begleitmusik die Künstlerin. Doch Sexyness
und knappe Verpackung sind hier längst nicht alles. Der anspruchsvolle
akrobatische Höhepunkt sei Beleg genug. Dabei schießt Caroli treffsicher
mit Pfeil und Bogen auf eine Zielscheibe. Natürlich löst sie die Waffe
im Handstand mit den Füßen aus. Dies ist die Schlussnummer des
Programms.
Marie Bitaroczky und Mirko
Köckenberger
Zu den
bekannten, prägenden Gesichtern der Burlesque-Produktion 2016 gehörten
Marie Bitaroczky und Mirko Köckenberger. Sie zählen zu den
erfolgreichsten Absolventen der Berliner Artistenschule und sind
beruflich wie privat ein Paar. Für die „Burlesque Affairs“ haben sie
ihre Darbietungen variiert. Auf originelle Weise hat Köckenberger seine
Handstandakrobatik zu Motiven der Schornsteinfeger-Szene aus Mary
Poppins neu gestaltet. Sein Requisit ist nun ein Kamin. Darauf wechselt
er im Handstand die Hose und verschwindet im Rohr, um kurz darauf in
einem bunten Sakko zu erscheinen. Ganz stark ist sein kurzer Stand auf
nur einem Finger, der in einem Flaschenhals steckt. Zum Abschluss
demonstriert der sympathische Berliner sein Können auf der Rola Rola.
Bitarozky legt bei ihren Abfallern am Tuch Intensität und Leidenschaft
an den Tag. 2016 war ihr Requisit noch das Netz. Bei der weiter
entwickelten, anspruchsvollen Partnerakrobatik übernimmt mal sie die
tragende Rolle, mal hält er sie auf einem oder zwei ausgestreckten Armen
in der Luft.
Les Dudes
In
bester Erinnerung geblieben aus der Burlesque-Show 2016 sind auch „Les
Dudes“ alias der Schweizer Philippe Dreyfuss und sein kanadischer
Kompagnon Francis Gadbois. Dreyfuss mimt den seriösen Artisten,
beispielsweise bei seiner gekonnten Kisten-Jonglage. Das Publikum
klatscht begeistert mit. Zunehmend und gewollt chaotisch wird es bei der
zweiten Jonglage-Nummer, bei der Gadbois die überdrehte Assistentin im
grünen Kleid und mit exzentrischem Kopfschmuck mimt. Zum
Kuriositätenkabinett der Dudes gehört auch der Hula-Hoop-Striptease von
Dreyfuss, der von Gadbois als männlichem „Engel“ beobachtet wird. Oder
später die Fahrradakrobatik im knappen Leoparden-Look. |