Die
Zuschauer scheinen zuweilen unberührt von der eigentlich implizierten
Dynamik des Stückes. Über die Gründe kann man rätseln. Vielleicht liegt
es an der Musikauswahl? In der Playlist finden sich neben Songs
bekannter Namen wie Beyoncé, Pink oder Billie Eilish eben auch viele
elektronische Dance-Musiken, die sicher nicht jeder kennt und mag. Oder
liegt es am Lichtdesign? Das an sich einfache Bühnenbild mit mehreren
Stelen strotzt vor Licht und sorgt für eine durchgehend starke
Illumination des Bühnengeschehens. Der Zuschauerraum aber bleibt
weitestgehend dunkel, eine Trennung zwischen Künstlerinnen und Gästen
stets bestehen.
Seilspringen des Ensemble
Oder liegt es an den Tänzen selbst?
Schließlich lässt Choreografin Claudia Scharf viele moderne Richtungen
wie Voguing, eine spezielle Form des Hip Hop, tanzen. Auch das trifft
vielleicht manche Erwartung nicht. Dabei sind es gerade die vielen
Tänze, die die Künstlerinnen – in unterschiedlichsten Konstellationen –
als Kollektiv agieren lassen und das Programm zusammenhalten (sollen).
Höhepunkt der gemeinsamen Szenen ist eine akrobatische, wenn das
Ensemble Seil springt. Da kommt, pünktlich zur Pause, Stimmung im
Publikum auf. Nicht wirklich gelingen will es hingegen, der Show durch
das wiederholte Einspielen alter 50er-Jahre-Werbespots zum Rollenbild
der (Haus-)Frau im Kontrast zu den Nummern der Künstlerinnen einen
emanzipatorischen Charakter anzudichten. Das ist nämlich gar nicht
nötig, die Auftritte der Artistinnen sprechen für sich!
Michela Pesce, Michaela Stará, Shena Tschofen
Das
trifft ganz besonders auf Michaela Stará zu. Die Tschechin ist die
spannendste Neuentdeckung des Programms. Zugleich ist ihr Auftritt der
am schwierigsten Beschreibbare, mischt sie doch pantomimische und
tänzerische Bewegungen mit der Objektmanipulation eines
Tischtennisballs. Den jongliert sie nicht nur mit dem Mund, sondern lässt
ihn auch scheinbar um den Körper wandern. Eine skurrile Darbietung,
absolut sehenswert. An Starás Seite ist Michela Pesce alias Samaki. Mit
Stepptanz statt Klatschspiel interagiert die Italienerin mit den
Zuschauern, zudem zeigt sie immer wieder Elemente ihrer Hut-Jonglage.
Stará und Samaki sind ohne Vertun die nicht ganz so heimlichen
Hauptdarstellerinnen dieser Show. Dritte im Bunde ist Shena Tschofen,
die lange Zeit bewusst etwas verträumt durchs Programm wirkt. Am Ende
gehört ihr mit ihrem atmosphärischen und im letzten Jahr beim Gewinn der
Newcomershow auch hier auf Chapiteau.de mit Lob überschütteten Auftritt
am Cyr der Höhepunkt dieser Show. Seltenheitswert hat ihre zweite
Darbietung mit dem Lasso.
Claudia Baricz und Ingrid
Korpitsch
Stark
ist auch die rhythmische Nummer von Ingrid Korpitsch am Luftring. Mit
Spagat und Wirbel sorgt die Österreicherin für Jubel gleich zu Beginn.
Ihre Darbietung an den Tüchern kombiniert sie als Duett mit einer
Tänzerin am Boden und ist trotz Abfallern ruhiger. Mit Landsfrau Claudia
Baricz hat Korpitsch einen gemeinsamen Auftritt an den Strapaten
kreiert. Beide zeigen Tricks wie Aufschwünge zumeist im Wechsel. Leider
gibt es nur wenige Sequenzen, in denen beide zusammen agieren. Solo ist
Baricz dann als coole Kontorsionistin sowie mit Luftakrobatik an einem
kleinen Würfelgestell zu sehen. Dieses dient Pantomimin Stará in einer
weiteren Ensemble-Szene als „Aquarium“. Es gibt einige dieser kleinen
netten Einfälle. Nur: im Kopf bleiben sie kaum. Was der Show mitunter
fehlt, sind starke emotionale Momente abseits der eigentlichen
Darbietungen. Das kann auch ein insgesamt ausstrahlungskräftiges und
spielfreudiges Ensemble nicht ausgleichen.
Anna Shvedkova, Anna Herkt, Kata
Bánhegyi
Plakat-Model Anna Shvedkova bietet die
fünfte Luftnummer im Programm. Der Auftritt der Deutschen am Tanztrapez
ist technisch versiert und beinhaltet unter anderem Knie-, Zehen- und
Genickhang. Anna Herkt, ebenfalls aus Deutschland, hat auch an der
Newcomershow teilgenommen und ist nun mit ihrer tänzerischen
Pole-Akrobatik zurück im Krystallpalast. Die Ungarin Kata Bánhegyi sorgt
mit schnellem Ropeskipping für Dynamik. Valérie Bédard aus Kanada
präsentiert mit Hula Hoop-Reifen zeitgleich ruhige und temporeiche
Bewegungen zu afrikanisch-orientalischer Musik. Zu Beginn der Spielzeit
hat Antipodistin Val Jauregui aus Mexiko sie vertreten. |