Wenn
auch längst nicht so wie geplant: Von den ursprünglich anvisierten 45
Auftritten sind lediglich 15 übrig geblieben, als das Ensemble um
Organisator Maik M. Paulsen seine ohnehin nur rund einen Monat dauernde
Reise Anfang August startet. Die traditionelle Gala im Wintergarten
Berlin ist wie viele andere Termine abgesagt, aber in einigen Varietés
wie dem Friedrichsbau und den Häusern der GOP-Gruppe kann gespielt
werden. Hinzu kommen weitere Spielstätten aus der Kulturszene. Die
Absolventenshow gehört schließlich seit 2005 fest in den
Veranstaltungskalender. Um überhaupt spielen zu können, ist ein eigenes,
tourneetaugliches Hygienekonzept entwickelt worden. Das wird im Einklang mit den örtlichen Regularien umgesetzt. Beim Besuch im GOP
Bonn wird die diesjährige Produktion „Kontraste“ deshalb als
90-minütiges Programm ohne Pause gespielt. Karl-Heinz Helmschrot, der
nach 2016 und 2019 zum dritten Mal als Regisseur für die Absolventenshow
verantwortlich ist, passt die Inszenierung entsprechend an.
Luzie
Marschke, Jasper Deininger mit Ensemble, Adrian Grzymkowski
In der
tanzen zu Beginn – nach dem vermeintlichen Schlusskompliment – die
Artisten zunächst um eine Pole-Stange und bauen an ihr menschliche
Pyramiden. Mit starken Verrenkungen und Figuren an jenem Pole legt Luzie
Marschke ein erfreulich hohes Niveau für den restlichen Jahrgang vor.
Dabei ist dies ihre Zweit-Disziplin, denn laut Programmheft hat sie mit
einer Darbietung am Luftring absolviert. Vom Ensemble umtanzt, windet sich Jasper Mauritius Deininger
an den Strapaten nach oben. Seine Kräfte zehrenden Wickel und die Posen
an einer Hand sind von technischer Qualität und ausdrücklich sehenswert.
Unverkennbar hat er sich am asketischen Stil moderner Artistenschulen
orientiert. Das gilt, wenn auch nicht so deutlich, auch für Adrian
Grzymkowski. Seine Einleitung gerät simpler, denn als Jongleur bekommt
er seine Utensilien, nämlich Bälle, schlicht zugeworfen. Mit vielen
interessanten Wurfmustern beweist sich Grzymkowski als technisch äußerst
versiert; aber sein späterer zweiter Auftritt mit der Kontaktjonglage
einer Glaskugel erscheint entbehrlich.
Duo
Kraoul, Marie Schaarschmidt, Tim Höfel
Ebenfalls zwei Mal im Ablauf vertreten ist das Duo Kraoul. Dabei
beweisen Karim El Nakib und Raoul Rogula, wie unterschiedlich man
Partnerakrobatik gestalten kann – ohne es bei den Tricks zu
Wiederholungen kommen zu lassen. Ihre erste Darbietung ist vor allem
tänzerisch geprägt und auf puristische Ästhetik angelegt. Besonders
gelungen ist die Einleitung zur Nummer von Marie Schaarschmidt. Dabei
steht diese inmitten von Stoffbahnen, welche von den restlichen
Absolventen in immer anderen Varianten um sie
gewickelt werden. So arrangieren die Artisten aus den Tüchern beispielswiese einen Fächer. Schaarschmidt selbst zeigt schließlich an
einer Tuchschlaufe Figuren wie den Genickhang, aber auch Abfaller
gehören zum Ablauf. Tim Höfel umkurvt auf dem BMX nicht nur die anderen
Artisten geschickt, sondern beherrscht sein an Artistenschulen eher
selten ausgebildetes Vehikel in vielfältigster Manier. Mitunter lenkt er
seine Touren über die Bühne nur übers Hinterrad. Auch dank fetziger
Musik sorgt Hövel so für gute Laune im Publikum.
Lenya
Lev, Duo Kraoul, Jannis Kölling
Zwei
frei auf der Bühne positionierbare Türen bilden die Kulisse von
„Kontraste“. Der künstlerische Leiter der Artistenschule, Ronald Wendorf,
greift dies mit Worten an seine Absolventen auf:
„Hinter jeder Tür wartet eine neue Chance.“ Eine, die ihre sicher nutzen
wird, ist Lenya Lev. Ihr sinnlich-poetischer Auftritt ist aus
persönlicher Sicht die beste Komposition des Programms. Es ist
tatsächlich ein inniger Tanz am Trapez. Tricks wie Fersen- und Zehenhang
zeigt Lev eher beiläufig, vielmehr windet sie sich in immer neuen
reizvollen Variationen um ihr Requisit. Zuletzt steigt sie von ihrem
Tanztrapez auf die Oberkanten der beiden Türen ab und balanciert auf
ihnen ähnlich einem Drahtseil. Es ist das Bild, das besonders im Kopf
bleibt. Schön mit der Wahl der Kostüme in Schotten-Optik demonstriert
das Duo Kraoul den komplett unterschiedlichen Charakter seiner zweiten
Darbietung, der neben Kaskaden aber auch etwa einen Schulterstand
beinhaltet. Mit dem humorigen Auftritt gewinnt das Doppel viele
Sympathiewerte bei den Zuschauern. Der Schlussakzent gehört Jannis Arséne Kölling, der von seinen Mitabsolventen
hineingetragen wird und zunächst kopfüber zwischen den beiden Stangen
seines sich zudem drehenden Requisits, Spinning Sticks genannt,
verharrt. Daran hat er eine interessante Kombination aus
Handstand-Equilibristik und Mast-Akrobatik geschaffen, bei der er im
Wechsel Einarmer und Flaggen präsentiert. Das gelingt ihm nun deutlich
überzeugender als im Frühjahr auf der großen Bühne des Cirque de Demain.
Verwirrt lässt einen hingegen der Epilog zum Elektro-Song „Putzen“
zurück, bei dem die Absolventen ihre Requisiten putzen. Das ist allerdings verkraftbar. |