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Friedrichsbau - "Magic Maniacs"
www.friedrichsbau.de - 102 Showfotos

Stuttgart, 17. September 2021: Unser letzter Besuch im Friedrichsbau-Varieté am 6. März 2020 ist uns in besonderer Erinnerung geblieben. Es waren die letzten Tage vor dem ersten Lockdown, die Unsicherheit war groß. Die Hände gab man sich nicht mehr; nach einigen Absagen in letzter Minute blieben Plätze frei. Zu diesem Zeitpunkt galt noch als Pessimist, wer eine Schließung von Theatern für mehr als ein paar Wochen für möglich hielt. Es sollte jedoch für Monate das letzte Mal sein, dass wir eine Veranstaltung besuchten. Und mehr als 18 Monate sollte es dauern, bis sich hier der Vorhang wieder für eine Eigenproduktion öffnete.

Nun endlich ist es soweit! Unter besonderen Vorzeichen – mit 3G-Kontrolle, Maskenpflicht und absichtlich frei gelassenen Plätzen –, aber eben doch „live on stage“ wird Premiere gefeiert. In der weiterhin unsicheren Zeit geht das Varietéteam um Direktor Timo Steinhauer und Regisseur Ralph Sun dabei bestmöglich auf Nummer sicher. Und so wurde wieder einmal eine Illusionsshow zusammengestellt, denn mit diesem Genre feierte das Haus in den vergangenen Jahren besondere Erfolge. „Magic Maniacs“ wurde weitestgehend mit Friedrichsbau-erfahrenen Akteuren besetzt, einige von ihnen aus dem Großraum Stuttgart stammend. Bei anderen konnten Corona-bedingt ausgefallene Verpflichtungen nachgeholt werden.


Ottavio Belli mit Assistentinnen

Los geht es mit Großillusionen von Ottavio Belli. Der Italiener präsentiert sich energisch und temperamentvoll, wenn er selbst und seine Assistentinnen aus einem großen Käfig erscheinen oder eine Dame aus einer Gitterbox herbeigezaubert wird. Mit einem Gerät, das an eine Ziehharmonika erinnert, können seine Assistentinnen scheinbar auf Papierdicke gepresst werden. Nicht minder ungemütlich scheint es später für eine seiner Partnerinnen zu werden, wenn sie sich in einer Box befindet, in der das Platzangebot durchs Einschieben eines Kastens, eines Bretts und dreier Stangen drastisch vermindert wird. Dennoch sehen wir ihre Hand herauswinken. Zum Erstaunen des Publikums entsteigen kurz darauf nicht nur diese Dame, sondern noch zwei weitere Assistentinnen der Kiste. Später dürfen seine Partnerinnen noch weitere vermeintliche Torturen über sich ergehen lassen. Einer der beeindruckendsten Tricks von Ottavio Belli ist „Eclipse“, zu deutsch Finsternis. Hier wird ein kreisrundes Gestell durch eine schmale Wand in der Mitte geteilt. Zunächst wird die linke Hälfte des Kreises durch eine Papierwand abgedeckt. Als Schattenspiel sehen wir eine Assistentin scheinbar die Mittelwand durchdringen und dabei verschwinden. In umgekehrter Weise kehrt sie später zurück.


Jorgos Katsaros, Gabriele Testa 

Zu Ottavio Bellis Team gehört auch Nachwuchskünstler Gabriele Testa, der solo einen einzigen Mentaltrick zeigen darf, in dem er die Auswahl einer Spielkarte durch einen Zuschauer vorhersieht. Der Auftritt leidet darunter, dass Testa nur Italienisch spricht und Conférencier Jorgos Katsaros übersetzen muss. Während Belli zu rockigen Klängen die große Geste zelebriert, unterhält der „Stuttgarter Grieche“ Jorgos Katasaros humorvoll und im charmanten Plauderton, obenrum korrekt im Frack, doch untenrum heuer nur mit einer goldfarbenen Short bekleidet. Zum fünften Mal innerhalb der vergangenen zehn Jahre ist er prägender Teil einer Friedrichsbau-Show und gehört damit zu den Stammkräften des Hauses. Zunächst macht er uns augenzwinkernd mit den Sicherheitshinweisen vertraut, später zaubert er unterschiedliche Mengen von Karos auf die gleiche Spielkarte. Amüsant ist auch, wie er in der Lage ist, die Position nummerierter Würfel zu verändern, die er in eine quadratische Säule geschoben hat. Obwohl dafür kein Platz sein dürfte. Nicht fair, aber lustig ist sein „Super Quiz“, bei dem eine Zuschauerin banal einfache und ein Zuschauer extrem schwierige Fragen beantworten muss. Natürlich gewinnt die Dame. Das gesamte Publikum darf bei einem unterhaltsamen Mental-Zauber mitmachen, der zur allgemeinen Verblüffung alle zur gleichen Lösung führt. Und später darüber staunen, wie er in einem vollständigen Puzzle immer noch ein Teil ergänzen kann, ohne dass es den Rahmen darum sprengt.


Daniel Craven mit Assistentinnen

Der zweite Großillusionist dieser Show, Daniel Craven aus Deutschland, verkörpert mit seiner blonden Wuschelmähne einen charmanteren, eleganteren Typ als Ottavio Belli. Er lässt eine seiner beiden Assistentinnen dem Anschein nach von Speerspitzen durchbohren und unversehrt zurückkehren – aufmerksame Besucher erkennen hier Yana Grimm, die vor wenigen Jahren Captaingirl des Balletts im Circus Krone war. Besonders stimmungsvoll und als kleine Geschichte inszeniert ist die Illusion, in der Daniel Craven und eine Assistentin auf undurchschaubare Weise die Plätze auf einem Sessel tauschen. Dramatischer wird es, wenn Craven dem Anschein nach von rotierenden Sägeblättern zerteilt wird. Zur Überraschung des Publikums erscheint er kurz darauf, natürlich unverletzt, mitten im Zuschauerraum wieder. Auch die Durchdringung der rotierenden Blätter eines großen Ventilators kann ihm nichts anhaben.


Julius Frack 

Julius Frack ist, wie Jorgos Katsaros, ebenfalls in Stuttgart aufgewachsen. Er steuert besonders originelle Illusionen zur Show bei – beispielsweise wenn er dem Anschein nach aus einem gigantischen 3D-Drucker ausgedruckt wird und so zum ersten Mal auf der Bühne erscheint. Eine Zuschauerin darf auf einem Flipchart eine Strichmännchen-Figur farbig ausmalen und sagt damit zur allgemeinen Überraschung die Farben seines nächsten Outfits voraus. Zu den kleinen, charmanten Tricks gehört, wie er Bälle zwischen den Fingern erscheinen lässt oder aus einem Kartenspiel eine von einer Zuschauerin bestimmte Karte „herausfischt“. Wunderbar poetisch ist sein Auftritt als Schneider. Dabei verwandelt sich eine schnell gezeichnete Modeskizze in Textil, tanzt eine fliegende Schere über den Stoff, und das von ihm zusammengestellte Kleid über einer Modepuppe wird einen Wimpernschlag später plötzlich von einer echten Dame getragen – einfach zauberhaft!


Andrew O'Ryon und Valentina Cocco 

Der Italiener Andrew O’Ryon verkörpert einen Typen zwischen Steampunk und Gothic. Zunächst wechseln er und seine Assistentin und Lebensgefährtin Valentina Cocco die Plätze auf bzw. in einer großen Glasbox. Er schreckt auch nicht davor zurück, Rasierklingen zu verspeisen und sie an einer Schnur aufgefädelt wieder ins Scheinwerferlicht zu befördern, auch wenn ich persönlich dieses Grusel-Kunststück nicht gerne sehe. Besser gefällt da die romantische Szene, in der die Partnerin nicht nur schwebt, sondern sich auch scheinbar frei in der Luft dreht. Wirklich verblüffend ist seine Version der „zersägten Jungfrau“, denn die verwendeten Kisten sind extrem flach und kompakt.

So unterschiedliche Typen die sechs Illusionisten auch sind, sie alle haben sich vollkommen der Zauberei verschrieben und sind damit echte „Magic Maniacs“, facettenreich und immer wieder beeindruckend. Ein mindestens ebenso großes Kunststück wie all die spektakulären Illusionen ist die Wiederöffnung des Friedrichsbaus nach 18 Monaten ohne große Eigenproduktion. Bleibt zu hoffen, dass auf die schwere Zeit eine erfolgreiche Herbst- und Winterspielzeit folgt. Beim Premierenpublikum jedenfalls findet die neue Show größten Anklang, die durchgehend gute Stimmung entlädt sich in lang anhaltendem Applaus.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll