Die
Rollen sind klassisch verteilt: Die Herren lassen die Damen nach
Belieben erscheinen oder verschwinden, sie sind die coolen Macher und
die Ladys das sexy Beiwerk. Daran mag sich stören, wer will. Der zweite
Teil des Untertitels („One Show“) meint nicht nur, dass mehrere
Illusionisten in einem Programm auftreten. Hier ist es tatsächlich so,
dass sich alle gegenseitig assistieren und unterstützen, der eine die
Großrequisiten des anderen über die Bühne schiebt. So wird zum Eindruck
eines zusammengehörigen Casts beigetragen. Die Musikbegleitung mit
zahlreichen Rock-Klassikern trägt ebenso zum Eindruck einer
durchgestylten Show bei. Dank vier Vertretern der Sparte Großillusion
ist es geradezu eine Materialschlacht, die hier geboten wird. In der
Pause muss komplett umgebaut werden: Die nicht mehr benötigten
Requisiten werden von den Bereichen hinter und neben der Bühne in die
hauseigene Werkstatt gebracht und umgekehrt. Damit werden die
großzügigen Platzverhältnisse am neuen Standort auf dem Pragsattel voll
ausgeschöpft. An der Spielstätte in der City wäre dies unmöglich
gewesen. Das heutige Theater beruft sich auf das erste Stuttgarter
Friedrichsbau-Varieté, das im Jahr 1900 in einem Jugendstil-Prachtbau im
Stadtzentrum den Spielbetrieb aufnahm und 1943 im Zweiten Weltkrieg
zerstört wurde. 1994 eröffnete die Deutsche Entertainment AG (DEAG) ein
Varieté unter dem bekannten Namen, an historischer Stelle im Neubau der
L-Bank. Nachdem die Bank die Förderung einstellte und die Räumlichkeiten
kündigte, gab die DEAG auf. Doch nicht ihre ehemaligen Angestellten. Die
Theaterleitung um die langjährige Geschäftsführerin Gabriele Frenzel
sowie den langjährigen Vertriebsleiter und heutigen Direktor Timo
Steinhauer wagte einen Neustart. Seit Ende 2014 spielt man als
gemeinnütziges Unternehmen im Neubau nördlich der City, gleich neben dem
Theaterhaus. Dass dies alles gut gegangen ist, darf getrost als Magie
bezeichnet werden.
Jorgos
Katsaros, Skizzo
Unser
Favorit im „Magic Rocks“-Ensemble ist Comedy-Magier Davide „Skizzo“
Nicolosi. Der extrem extrovertierte Italiener hat die Stuttgarter schon
in zwei Friedrichsbau-Produktionen der jüngeren Vergangenheit
mitgerissen, überrascht, schallend lachen lassen. Wieder hat er ganz
neue Szenen im Gepäck. Nun gibt er den Derwisch, der einen offenen
Ledermantel über dem nackten Oberkörper trägt. Die Augen sind schwarz
geschminkt, seine lange Lockenpracht fliegt gewohnt wild. Mit einem
Hammer schlägt er einen Nagel in ein Nasenloch; eine Dame aus dem
Publikum darf oder muss diesen an einer Schnur wieder hervorziehen.
Selbst zieht Skizzo beherzt und schwungvoll die Decke unter Vase und
Geschirr weg, die auf einem äußerst klapprigen Tisch aufgestellt sind.
Herrlich lustig sind seine Anstalten, nun auch in Messerwerfen zu
machen. Ob die Dame aus dem Publikum nicht an die rotierende Scheibe
geschnallt werden möchte? Bei seinen Probeversuchen verzeichnet er
schließlich nur ein paar ungeheuer vertrauenserweckende „Mistakes“. Es
ist ein Riesenspaß. Wenn Skizzo der Anarchist im Ensemble ist, dann ist
Jorgos Katsaros die parlamentarische Demokratie. Der sympathische
Schwabe mit griechischen Wurzeln führt mit seinen humorvollen Auftritten
durch die Show – ruhig und unaufgeregt, durchaus etwas in Skizzos
Schatten. Im ersten Auftritt amüsiert er mit absichtlich misslingenden
Zaubertricks, mit klappbaren Löffeln und aneinander geklebten
Spielkarten. Mit einem charmanten „Hey“ und geworfenem Konfetti wird so
manches vermeintliche Missgeschick locker überspielt. Mal als reine
Blödelei gedacht, mal wirklich verblüffend sind seine „unechten und
echten“ Zaubertricks. Wenn er ein zerrissenes Zigarettenpapier wieder
heil macht oder unzählige Whiskeyflaschen erscheinen lässt, ist das
Staunen groß.
The
Evolution of Magic - Craig Christian und Elisabeth Best
Als
vierköpfige Crew ist „The Evolution of Magic“ angereist. Hier wird das
Bild der klassischen Rollenaufteilung zumindest teilweise aufgehoben,
denn neben Hauptakteur Craig Christian ist seine Partnerin Elisabeth
Best nicht nur Assistentin, sondern in manchen Szenen auch selbst
Zauberin. Unterstützung leisten Olivia Leanne Grainge und Charlotte
Frankitt. Erst werden diese hübschen Damen weggezaubert, dann auch noch
der Käfig, in dem sie sich befanden. Herbeigehext dagegen werden lebende
Tauben, und zwar aus einem Zylinder, aus dem kurz zuvor noch Flammen
schlugen. Und Craig Christian schreckt nicht davor zurück, Rasierklingen
zu verspeisen und sie an einer Schnur aufgefädelt wieder ins
Scheinwerferlicht zu befördern. Seine Partnerin Elisabeth lässt er an
einer frei stehenden Stange schweben, diagonal mit dem Kopf nach unten
und den Füßen nach oben. Später wird ihr Rumpf scheinbar von den Beinen
getrennt. In einer mystischen Szene lässt sie sich von einem Zuschauer
leiten. Schlägt nach seiner Wahl mit der bloßen Hand auf Papiertüten.
Unter einer lauert eine zersplitterte Glasflasche. Die magische
Verbindung von Gast und Zauberin sorgt dafür, dass die gefährliche Tüte
ausgelassen wird.
Igna Fire mit
Assistentinnen
Durch
viel Charisma zeichnet sich der Italiener Igna Fire aus. Glatzköpfig, im
Lederoutfit mit Nietenbesatz, verkörpert er glaubwürdig den düsteren,
energisch-temperamentvollen Rockstar. Gleich zu Beginn der Show
erscheint er erst selbst in einem Gitter-Käfig, dann seine beiden
Assistentinnen Caroline Dondeynaz und Laura Morano in einem weiteren.
Dort, wo eben noch Flammen loderten. Fire lässt sich fast komplett in
dunkle Folie verpacken, um dann – hinter einem Vorhang – blitzschnell
diese unkomfortable Position mit einer der Ladys zu tauschen.
Sven
Alexiuss und Joan
Sven
Alexiuss, der Österreicher mit blonder Wuschelmähne, hat wirklich
verblüffende Großillusionen zu bieten, wirkt aber in seinen Bewegungen
ein wenig einstudiert. Mit einem Knalleffekt erscheint er aus der Kiste,
in der sich eben noch Partnerin Joan befand. Die taucht wieder auf,
nachdem vier vollkommen separate Würfel aufeinander getürmt wurden. Und
zwar überraschenderweise aus dem Würfel-Turm. Später durchdringt sie
scheinbar seinen Oberkörper, während er in einem großen Gestell steht.
„Landestyptisch“ zur Musik von Falco. Ein toller Effekt ist auch, wie
Alexiuss in einer zunächst leeren, mit einer Leinwand bespannten Box
ein Motorrad erscheinen lässt. Zuvor wird die Konstruktion gründlich
durchleuchtet.
Andre
O’Ryon und Valentina Cocco
Der
Italiener Andrew O’Ryon verkörpert mit seiner blonden Schmalzlocke, die
er ins Gesicht gekämmt trägt, einen Typen zwischen Steampunk und Gothic.
Wirklich verblüffend ist seine Version der „zersägten Jungfrau“, denn
die verwendeten Kisten sind extrem flach und kompakt. Das Publikum
jubelt. Zerteilt wird hier Partnerin Valentina Cocco. Und später in
einer romantischen Szene zum Bon-Jovi-Lovesong „Bed of Roses“ zum
Schweben gebracht. Dabei kreist sie in der Luft um 360 Grad. |