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Friedrichsbau 2019 - "Magic Rocks"
www.friedrichsbau.de

Stuttgart, 9. März 2019: Mit einer dynamischen, rockigen Illusionsshow ist das Friedrichsbau-Varieté Stuttgart in seine Jubiläumssaison gestartet: Seit 25 Jahren gibt es wieder ein Theater mit diesem Namen. Das wird 2019 gefeiert. „Magic Rocks“ heißt die Produktion, „13 Illusionists – One Show“ lautet der Untertitel. Der eine Frage der Zählweise ist: Eigentlich sind es vier internationale Großillusionisten sowie ein griechisch-deutscher und ein italienischer Comedy-Magier, die das Programm bestreiten. Unterstützt von ihren sieben Assistentinnen.

Die Rollen sind klassisch verteilt: Die Herren lassen die Damen nach Belieben erscheinen oder verschwinden, sie sind die coolen Macher und die Ladys das sexy Beiwerk. Daran mag sich stören, wer will. Der zweite Teil des Untertitels („One Show“) meint nicht nur, dass mehrere Illusionisten in einem Programm auftreten. Hier ist es tatsächlich so, dass sich alle gegenseitig assistieren und unterstützen, der eine die Großrequisiten des anderen über die Bühne schiebt. So wird zum Eindruck eines zusammengehörigen Casts beigetragen. Die Musikbegleitung mit zahlreichen Rock-Klassikern trägt ebenso zum Eindruck einer durchgestylten Show bei. Dank vier Vertretern der Sparte Großillusion ist es geradezu eine Materialschlacht, die hier geboten wird. In der Pause muss komplett umgebaut werden: Die nicht mehr benötigten Requisiten werden von den Bereichen hinter und neben der Bühne in die hauseigene Werkstatt gebracht und umgekehrt. Damit werden die großzügigen Platzverhältnisse am neuen Standort auf dem Pragsattel voll ausgeschöpft. An der Spielstätte in der City wäre dies unmöglich gewesen. Das heutige Theater beruft sich auf das erste Stuttgarter Friedrichsbau-Varieté, das im Jahr 1900 in einem Jugendstil-Prachtbau im Stadtzentrum den Spielbetrieb aufnahm und 1943 im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. 1994 eröffnete die Deutsche Entertainment AG (DEAG) ein Varieté unter dem bekannten Namen, an historischer Stelle im Neubau der L-Bank. Nachdem die Bank die Förderung einstellte und die Räumlichkeiten kündigte, gab die DEAG auf. Doch nicht ihre ehemaligen Angestellten. Die Theaterleitung um die langjährige Geschäftsführerin Gabriele Frenzel sowie den langjährigen Vertriebsleiter und heutigen Direktor Timo Steinhauer wagte einen Neustart. Seit Ende 2014 spielt man als gemeinnütziges Unternehmen im Neubau nördlich der City, gleich neben dem Theaterhaus. Dass dies alles gut gegangen ist, darf getrost als Magie bezeichnet werden.


Jorgos Katsaros, Skizzo

Unser Favorit im „Magic Rocks“-Ensemble ist Comedy-Magier Davide „Skizzo“ Nicolosi. Der extrem extrovertierte Italiener hat die Stuttgarter schon in zwei Friedrichsbau-Produktionen der jüngeren Vergangenheit mitgerissen, überrascht, schallend lachen lassen. Wieder hat er ganz neue Szenen im Gepäck. Nun gibt er den Derwisch, der einen offenen Ledermantel über dem nackten Oberkörper trägt. Die Augen sind schwarz geschminkt, seine lange Lockenpracht fliegt gewohnt wild. Mit einem Hammer schlägt er einen Nagel in ein Nasenloch; eine Dame aus dem Publikum darf oder muss diesen an einer Schnur wieder hervorziehen. Selbst zieht Skizzo beherzt und schwungvoll die Decke unter Vase und Geschirr weg, die auf einem äußerst klapprigen Tisch aufgestellt sind. Herrlich lustig sind seine Anstalten, nun auch in Messerwerfen zu machen. Ob die Dame aus dem Publikum nicht an die rotierende Scheibe geschnallt werden möchte? Bei seinen Probeversuchen verzeichnet er schließlich nur ein paar ungeheuer vertrauenserweckende „Mistakes“. Es ist ein Riesenspaß. Wenn Skizzo der Anarchist im Ensemble ist, dann ist Jorgos Katsaros die parlamentarische Demokratie. Der sympathische Schwabe mit griechischen Wurzeln führt mit seinen humorvollen Auftritten durch die Show – ruhig und unaufgeregt, durchaus etwas in Skizzos Schatten. Im ersten Auftritt amüsiert er mit absichtlich misslingenden Zaubertricks, mit klappbaren Löffeln und aneinander geklebten Spielkarten. Mit einem charmanten „Hey“ und geworfenem Konfetti wird so manches vermeintliche Missgeschick locker überspielt. Mal als reine Blödelei gedacht, mal wirklich verblüffend sind seine „unechten und echten“ Zaubertricks. Wenn er ein zerrissenes Zigarettenpapier wieder heil macht oder unzählige Whiskeyflaschen erscheinen lässt, ist das Staunen groß.


The Evolution of Magic - Craig Christian und Elisabeth Best 

Als vierköpfige Crew ist „The Evolution of Magic“ angereist. Hier wird das Bild der klassischen Rollenaufteilung zumindest teilweise aufgehoben, denn neben Hauptakteur Craig Christian ist seine Partnerin Elisabeth Best nicht nur Assistentin, sondern in manchen Szenen auch selbst Zauberin. Unterstützung leisten Olivia Leanne Grainge und Charlotte Frankitt. Erst werden diese hübschen Damen weggezaubert, dann auch noch der Käfig, in dem sie sich befanden. Herbeigehext dagegen werden lebende Tauben, und zwar aus einem Zylinder, aus dem kurz zuvor noch Flammen schlugen. Und Craig Christian schreckt nicht davor zurück, Rasierklingen zu verspeisen und sie an einer Schnur aufgefädelt wieder ins Scheinwerferlicht zu befördern. Seine Partnerin Elisabeth lässt er an einer frei stehenden Stange schweben, diagonal mit dem Kopf nach unten und den Füßen nach oben. Später wird ihr Rumpf scheinbar von den Beinen getrennt. In einer mystischen Szene lässt sie sich von einem Zuschauer leiten. Schlägt nach seiner Wahl mit der bloßen Hand auf Papiertüten. Unter einer lauert eine zersplitterte Glasflasche. Die magische Verbindung von Gast und Zauberin sorgt dafür, dass die gefährliche Tüte ausgelassen wird.


Igna Fire mit Assistentinnen 

Durch viel Charisma zeichnet sich der Italiener Igna Fire aus. Glatzköpfig, im Lederoutfit mit Nietenbesatz, verkörpert er glaubwürdig den düsteren, energisch-temperamentvollen Rockstar. Gleich zu Beginn der Show erscheint er erst selbst in einem Gitter-Käfig, dann seine beiden Assistentinnen Caroline Dondeynaz und Laura Morano in einem weiteren. Dort, wo eben noch Flammen loderten. Fire lässt sich fast komplett in dunkle Folie verpacken, um dann – hinter einem Vorhang – blitzschnell diese unkomfortable Position mit einer der Ladys zu tauschen.


Sven Alexiuss und Joan 

Sven Alexiuss, der Österreicher mit blonder Wuschelmähne, hat wirklich verblüffende Großillusionen zu bieten, wirkt aber in seinen Bewegungen ein wenig einstudiert. Mit einem Knalleffekt erscheint er aus der Kiste, in der sich eben noch Partnerin Joan befand. Die taucht wieder auf, nachdem vier vollkommen separate Würfel aufeinander getürmt wurden. Und zwar überraschenderweise aus dem Würfel-Turm. Später durchdringt sie scheinbar seinen Oberkörper, während er in einem großen Gestell steht. „Landestyptisch“ zur Musik von Falco. Ein toller Effekt ist auch, wie Alexiuss in einer zunächst leeren, mit einer Leinwand bespannten Box ein Motorrad erscheinen lässt. Zuvor wird die Konstruktion gründlich durchleuchtet.


Andre O’Ryon und Valentina Cocco

Der Italiener Andrew O’Ryon verkörpert mit seiner blonden Schmalzlocke, die er ins Gesicht gekämmt trägt, einen Typen zwischen Steampunk und Gothic. Wirklich verblüffend ist seine Version der „zersägten Jungfrau“, denn die verwendeten Kisten sind extrem flach und kompakt. Das Publikum jubelt. Zerteilt wird hier Partnerin Valentina Cocco. Und später in einer romantischen Szene zum Bon-Jovi-Lovesong „Bed of Roses“ zum Schweben gebracht. Dabei kreist sie in der Luft um 360 Grad.

Nicht alle Großillusionen und nicht alle witzigen Szenen der Comedians können und sollen hier ausführlich beschrieben werden. Das Programm ist geradezu vollgepackt damit. Mehrfach werden Plätze in diversen Kisten gewechselt, gleich dreimal taucht einer der Akteure überraschend im Publikum wieder auf. Ebenso gibt es mehrere Varianten scheinbarer Durchbohrungen, mal mit Leuchtstoffröhren, mal mit brennenden Schwertern. Auch wenn sich manches eher in Nuancen unterscheidet, bleibt der Abend – der auf artistische Darbietungen vollkommen verzichtet – durchweg unterhaltsam und faszinierend. Der Applaus im ausverkauften Saal ist tosend.

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Text: Markus Moll; Fotos: Alexandra Klein