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Apollo-Varieté 2023 - "Meet the Street"
www.apollo-variete.com - 154 Showfotos

Düsseldorf, 26. Oktober 2023: „Künstler sind auch nur Nachbarn“ lautet der herrliche Untertitel für die Show, mit der das Apollo Varieté Richtung Jahreswechsel zum Besuch lädt. So finden wir uns bei „Meet the Street“ auf einem heimeligen innerstädtischen Platz wieder, der sich mutmaßlich in Frankreich befindet. Darauf deutet zumindest des „Café des Artistes“ hin, welches eine wichtige Rolle spielt. Dessen Betreiber nämlich ist unser Gastgeber durch den Abend, genauso, wie er an seinen Tischen im Außenbereich die Künstler der Show willkommen heißt. Verkörpert wird er ganz hinreißend von Clown Conc, den ich zuletzt 2004 beim Circus Fliegenpilz gesehen hatte.

Ein anderer kreativer Kopf, den wir ebenfalls als Clown kennen, hat diesmal Regie geführt. Eddy Neumann bringt die Geschichte auf die Bühne und sorgt dafür, dass wir unterhaltsame zwei Stunden aus einem Guss erleben dürfen. Das ist ihm ganz wunderbar gelungen, die Show ist äußerst unterhaltsam, charmant, kurzweilig und abwechslungsreich besetzt.


Szene aus dem Opening

Daran haben natürlich auch die anderen Beteiligten ihren Anteil. Die Werkstätten haben wieder ein wunderbares und funktionelles Bühnenbild geschaffen. Das Lichtdesign zaubert stilsicher die unterschiedlichsten Stimmungen. Die Musik kommt aus der Konserve, unterstützt die einzelnen Auftritte aber – anders als noch bei der letzten Produktion – bestens. Die für das Casting verantwortliche Vivi Paul hat viele neue Gesichter nach Düsseldorf geholt und etliche Genres, die dort länger nicht mehr zu sehen waren. Der Großteil der Artisten stammt aus der Ukraine. Da sie aber alle ihren eigenen Auftrittsstil haben, ist für Abwechslung gesorgt. Leider verzichten müssen wir auf das hauseigene Ballett. Dafür sind die Berlin Show Dancers dabei, ebenfalls als rein weibliches Quartett.


Conc, Vitaliy Ostroverhov

Die Tänzerinnen sind selbstverständlich Teil des Eröffnungsbilds. Nachdem Conc Stühle und Tische vor sein Café gestellt hat, belebt sich der Platz nach und nach. Ein Passant wirft einen Blick in die Zeitung des Gastwirts, die Bedienung zieht ihre Schürze an, eine Nachbarin schaut dem Treiben von ihrem Fenster aus zu. Weitere Artisten und die Tänzerinnen kommen hinzu, eine als Businesswoman, eine andere im Sportdress. Eben so, wie es zugeht, wenn die Stadt erwacht. Das Ganze aber in einer durchdachten Choreographie präsentiert. Asia Medini schnappt sich einen der Passanten, um ihm bei seinen Künsten von einer Bank aus zuzusehen. Bei dem Mann im schwarzen Outfit handelt es sich um Vitaliy Ostroverhov. Was eben noch eine Wäscheleine war, dient ihm nun als Schlappseil. Darauf balanciert er souverän in verschiedenen Varianten. Sogar im Spagat hält er sich im Gleichgewicht. Seine besondere Spezialität sind Jonglagen mit silbernen Hüten, die so groß sind, dass er sie zum Schluss auf seinem Kopf stapelt.


Brittany Gee-Moore, Conc, Duo Twins

Was Vitaliy Ostroverhov kann, können wir auch, denken sich Conc und sein Kellner Ernesto. Die Homepage führt die beiden übrigens als Colli & Hendricks. Conc versucht sich an Jonglagen mit seinem Tablett, Ernesto mit drei Sektkühlern. Besser läuft es, nicht zuletzt dank eines kleinen Kniffs, mit Zigarettenkisten. Keine Schummeleien braucht Brittany Gee-Moore. Die kanadisch-irische Artistin wird von ihren Kollegen auf Händen hereingetragen. Als Requisit hat sie sich das Vertikalseil ausgesucht. Zumindest auf Varietébühnen eine Rarität. Warum eigentlich, fragt man sich, wenn man sieht, welche Trickvielfalt Brittany Gee-Moore daran zeigt. Ästhetische Haltefiguren sind ebenso dabei wie gewagte Abfaller. Dargeboten mit viel Präsenz, begleitet von traumhafter Musik und eingehüllt in ein wunderbares Licht wird daraus ein wahrer Genuss. Mit einem Weinglas und dem Stil einer Rose motiviert Conc die Zuschauer erfolgreich, mit ihm zu musizieren. Goldene Fäden fliegen beim folgenden Tanz des Balletts. Und dann dürfen wir Bekanntschaft mit dem Duo Twins machen. Andrii und Mykola Pysiura haben gerade beim Salieri Circus Award in Mailand Bronze gewonnen. Ihre Hand-auf-Hand-Akrobatik arbeiten sie in flotten Anzügen. Nebenbei versuchen sie herauszufinden, wer von beiden stilvoller und kreativer ist. Am erfolgreichsten sind sie aber gemeinsam. Etwa wenn der eine auf dem Kopf des anderen im Einarmer balanciert. Dies gleich in verschiedenen Variationen. Sprünge bauen die jugendlichen Akteure ebenfalls in ihren lebhaften Auftritt ein, der von einem Kopf-auf-Kopf beschlossen wird.


Kateryna Nikiforova, Steam Acro Troupe

Den Partner im Kopfstand zu tragen, das schafft natürlich auch Conc. Sogar unter Einsatz einer Perchestange, die er auf dem Kinn platziert. Fairerweise sei erwähnt, dass der Partner eine Puppe und die Perchestange ein Besenstil ist. Kateryna Nikiforova beherrscht die Kunst der Bouncing Jonglage. Allerdings wirft sie die Bälle nicht zum Bühnenboden, sondern auf ein durchsichtiges Requisit mit Boden und schrägen Seitenwänden. So ergeben sich neuartige Effekte, mit denen Kateryna Nikiforova schon im Big Apple Circus und im Cirque du Soleil verblüffte. Immer mehr der weißen Kugeln schickt sie so auf den verschiedensten Bahnen durch den Raum, den die drei Begrenzungen bilden. Nach einem weiteren fulminanten Auftritt des Balletts produziert sich Conc als Ballerina. Statt mit den Händen, zelebriert er sein Solo im Tütü mit den Händen, die aber stilecht im passenden Schläppchen stecken. Der Versuch von Ernesto, Popcorn herzustellen, ist von wenig Erfolg gekrönt. So schultert Conc die zig Kartons mit der Aufschrift „Popcorn“ auf der einen Seite und trägt sie hinaus. Auf der anderen Seite kündigen große Lettern die nun folgende Pause an. In dieser können die Gäste einen weiteren Gang des speziell für diese Show kreierten Menüs genießen. Kaum ist das Besteck beiseite gelegt, öffnet sich der Vorhang wieder. In Pettycoats mit bunten Punkten holen uns die Tänzerinnen schwungvoll ab und lassen an ein mögliches Suppenkoma gar nicht erst denken. Zumal es mit viel Tempo weitergeht. Die Steam Acro Troupe wagt rasante Sprünge auf dem Trampolin, die auch auf einem stilisierten Haus im Hintergrund gelandet werden. Dazu wurde clever die mittlere Häuserzeile der Kulisse umfunktioniert. Die Dame und ihren beiden männlichen Partner sorgen mit einem Feuerwerk an Flugsequenzen für beste Stimmung.


Vitaliy Ostroverhov, Conc und Beifahrerin

Schon sehr genau hinsehen muss man beim nächsten Auftritt von Conc, präsentiert er uns doch einen Flohzirkus. Die beste Sicht auf das Geschehen haben einige Ensemblemitglieder, die direkt auf der Bühne Platz nehmen dürfen. Die Zuschauer im Saal müssen schon ihre Fantasie bemühen, um all das zu sehen, was Conc groß ankündigt. Mit bloßem Auge ist das zu erkennen, was uns Vitaliy Ostroverhov im Aufzug eines formvollendeten Golfers zeigt. Und doch fällt es schwer zu glauben, dass es tatsächlich möglich ist, so viele übereinander gelegte Golfschläger souverän auf Stirn und Nase zu balancieren. Als Clou liegt auf der Konstruktion noch ein Golfball. Letztendlich erleben wir eine Art Metallversion der Sanddornbalancen. Unbemerkt vom Publikum ersetzt Vitaliy Ostroverhov die schweren Golf- durch leichte Tischtennisbälle. Diese schnalzt er mit flinker Zunge in die Luft, um sie dann mit dem Mund wieder aufzufangen. Zum Schluss balanciert er eine extralange Stange mit Fahne am oberen Ende auf der Stirn, um eine Kugel in einen Becher ganz an der Spitze der Konstruktion zu bugsieren. Diese ungewöhnliche Darbietung wird herrlich charmant und immer mit einem Augenzwinkern präsentiert. Auf eine imaginäre Autofahrt nimmt Conc eine sympathische Beifahrerin aus dem Publikum mit. Im Verlauf seiner Spritztour erlebt das ungleiche Paar allerlei komische Szenen.


Sergiy Mishchurenko, Duo Medini

Je nach Wohnlage gehört auch das horizontale Gewerbe zur Nachbarschaft. Hinter verrucht ausgeleuchteten Fensterscheiben posieren die Damen des Balletts. Diese erotische – aber natürlich familientaugliche – Grundstimmung greift Sergiy Mishchurenko für seine Kür am Flying Pole auf. Der Ukrainer sieht blendend aus, sein muskulöser Body erfreut insbesondere den weiblichen Teil des Publikums und ist für die kraftvollen Tricks ganz bestimmt von Vorteil. Wir dürfen eine traumhafte, ausdrucksstarke Inszenierung an der fliegenden Perchestange erleben, die hochwertige Artistik so ungeheuer leicht erscheinen lässt. Musik und Licht machen dieses einzigartige Erlebnis perfekt. Für Erheiterung sorgen Colli & Hendricks mit ihrer Version des Kaninchen-Tricks, bei dem Käpt'n Blaubär einen Gastauftritt hat. In goldenen Kostümen tanzt das Ballett zu Michael Jacksons „Black or White“. Die Schlussnummer gehört Asia und Dylan Medini. Die Geschwister waren 2023 mit Gifford's Circus auf Tournee und drehen nun im Apollo Varieté ihre flotten Runden auf Rollschuhen. Wobei vor allen Dingen Dylan Berührung mit dem Podest hat, während seine Schwester in durchaus riskanten Posen von ihm gehalten wird. Noch einmal sorgen sie für ordentlich Schwung in diesem Programm und hörbare Begeisterung beim Publikum. Den furiosen Schlusspunkt setzen sie mit dem Wirbel im Genickhang. Ab dem 12. November sind an dieser Stelle die Skating Donnerts zu sehen. Ausführlich zelebriert wird das folgende Finale. Alle Mitwirkenden nehmen den frenetischen Applaus der Premierengäste entgegen. Zwischenzeitlich schließt Conc sein Café, dreht das Schild an der Tür von „open“ auf „closed“. Feierabend.

Damit endet eine wunderbare Show. Deren eigentliches Motiv, dass sich ganz gewöhnliche Nachbarn als Artisten entpuppen, kommt nur bedingt rüber. Vielmehr erleben wir den wunderbaren Cafébetreiber Conc, vor dessen Laden die verschiedensten Künstler ihr Können zeigen. Liebevoll in Szene gesetzt mit reichlich originellen Ideen. Dazu gibt es starke Artistik mit vielen neuen Gesichtern. Und irgendwie stellt sich am Ende ein heimeliges Gefühl ein. Ganz ohne die typischen Weihnachtselemente zu strapazieren, passt „Meet the Street“ wunderbar in die Jahreszeit. Eine schöne Gelegenheit, sich auf die langsam nahenden Festtage einzustimmen. Ganz besonders aber, sich für zwei Stunden dem zugehörigen Trubel zu entziehen.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch