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Neues Theater - Varieté-Frühling 2016
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Frankfurt-Höchst, 3. März 2016: Dieses Frühjahrs-Varieté im Neuen Theater ist die zweite Produktion von Julius Zier. Im vergangenen Herbst hat er die Zusammenstellung der zwei jährlichen Shows von seinem Vater übernommen. Nun hat der Sohn eine erste deutlich sicht- und vor allen Dingen hörbare Veränderung am Konzept vorgenommen. Julius Zier spricht von einem „Geschenk“, das entsprechend eingepackt ist. Als Verpackung dient ein zweiter Vorhang am rechten Rand der Bühne. Dahinter sitzt eine vierköpfige Band.

Eine solche gibt es in Höchst schon sehr lange. Der große Unterschied: Während die bisherige NTH Combo zu Beginn der beiden Programmteile und zwischen den Nummern spielte, begleitet die neue Band unter der Leitung von Tom Schlüter nun die gesamte Produktion live. Und das tun die vier Musiker ganz wunderbar. Die einzelnen Nummern sowie der Gesang des Conferenciers erhalten so eine deutliche Aufwertung. Die Chance zur Erneuerung ergab sich durch den Wechsel des bisherigen Bandleaders zum Puppenspiel nach Köln. Mit dem neuen musikalischen Leiter habe man einen Glücksgriff gemacht, erzählt Julius Zier begeistert. Tom Schlüter ist nicht nur für die allabendliche Begleitung verantwortlich. Er hat das Quartett auch zusammengestellt. Im Kern handelt es sich dabei um die Band, die in den Anfangsjahren im in der Innenstadt ansässigen Tigerpalast musizierte.


Kay Scheffel und Herr Riesling

Nicht zuletzt aufgrund der Abstimmung der musikalischen Begleitung waren die Proben für die aktuelle Produktion noch intensiver als bisher. Vier statt sonst zwei Tage wurden für das Einstudieren der Show investiert. Getragen wird diese von Conferencier Kay Scheffel und seinem Counterpart Herrn Riesling. Beide waren im vergangenen Winter im Saarbrücker „Alexander Kunz Theatre“ engagiert. Man merkt, dass sie nicht zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne stehen. Gleich im Opening herrscht Hollywood-Atmosphäre. Die Scheinwerfer kreisen, die markante Stimme von Sylvester Stallone kündigt Großes an. Und wer bewegt zu diesem pompösen Auftakt die Lippen? Das immer leicht vertrottelt wirkende Bewegungswunder Riesling. So kündigt er die Band und den Gastgeber des Abends an. Kay Scheffel ist einer jener Entertainer, die mit verschiedensten Fähigkeiten gesegnet sind. Er ist Moderator, Sänger und Bauchredner. Zudem hat er immer „noch'n Gedicht“ parat. Eine Reminiszenz an Heinz Erhardt. Er rezitiert nicht nur in dessen Stil, sondern sieht dem Komiker auch ziemlich ähnlich. Dreiteiler, Krawatte, Einstecktuch und markante Brille machen den Gesamteindruck perfekt. So drückt er diesem Frühjahrs-Varieté seinen Stempel auf. Immer wieder begleitet von Herrn Riesling.


Sarah Lindermayer, Emma Philips, Antonia Modersohn

Artistisch gesehen gehört der erste Programmteil den Frauen. Den Auftakt macht Sarah Lindermayer. Wunderbar leichtfüßig tänzelt sie über das Drahtseil. Die Wahlberlinerin wird dabei getragen von der Musik. Harmonisch hat sie in ihren Tanz Sprünge und einen Spagat auf dem Seil eingebaut. Selten zu sehen ist der Fersenhang. Nach ihrem Auftritt schenkt sie dem verzückten Herrn Riesling ihr Herz in Form eines roten Luftballons. Diesen steckt er sich vor den Bauch und scheint damit zu schweben, während Kay Scheffel am Bühnenrand sitzend ein Gedicht vorträgt. Gleich darauf steht Scheffel alleine im Scheinwerferlicht. Was nicht ganz korrekt ist, denn er hat zwei Partner. Den Vogel Rocky und eine schillernde Las Vegas-Schönheit mit frechem Schnabel. Mit diesen Puppen beweist er seine Künste als Bauchredner. Die in die Plaudereien eingebauten Witze sind zumeist nicht neu, kommen aber beim Publikum glänzend an. Perfekt inszeniert ist der Auftritt von Emma Philips, die kurzfristig für das verletzte Duo Laos einsprang. So gibt es jetzt Antipodenspiele statt Hand-auf-Hand-Akrobatik. Sie bekommt dazu ein wunderbares Lichtdesign und eine hinreißende musikalische Begleitung. Letztere markiert die beiden Sequenzen ihrer Fußjonglagen. Zunächst lässt sie ruhig und harmonisch Tücher sowie Schirme tanzen. Danach wird es turbulent, wenn die Neuseeländerin einen massiven Holztisch durch die Luft wirbelt. Eine mitreißende Darbietung, die höchst charmant verkauft wird. Während Kay Scheffel vor der Bühne seine eigene Version von Lenas „Satellite“ singt, wird hinter dem Vorhang der chinesische Mast aufgebaut. Daran arbeitet Antonia Modersohn kraftvolle Tricks, die bei ihr beneidenswert leicht aussehen. In bemerkenswertem Tempo rutscht sie die Stange wieder herunter. Dabei findet die sympathische Artistin immer den Kontakt zum Publikum. Dank einer mit dem Mund betriebenen Glühbirne trotzen Kay Scheffel und Herr Riesling dem vermeintlichen Stromausfall. So geht es in die Pause, in der man neuerdings mit einem Glas Champagner die ohnehin beste Stimmung weiter steigern kann.


Trio Tresperte, Sergey Timofeev

Danach gehört den Männern die Bühne. Lediglich Claudia mischt sich unter die Herrenriege. Sie ist Teil des Trio Tresperte. Julius Zier hat es bei einem Straßentheaterfestival entdeckt. Erstmalig arbeiten die Künstler auf einer Varietébühne. Das bedeutet, dass sie jetzt ein Publikum haben, welches sich ganz auf ihren Auftritt konzentriert und nicht nur für ein paar Minuten stehen bleibt. Zudem müssen sie ihre eigentlich eine Stunde dauernde Geschichte innerhalb von 15 Minuten erzählen. Es ist, wie sollte es anders sein, eine Liebesgeschichte. Zwei junge Männer, der eine gut aussehend, der andere nicht zuletzt aufgrund einer erkennbaren Sehschwäche nicht ganz so attraktiv, buhlen um die Gunst der hübschen jungen Dame. Mal liegt der eine in ihrer Gunst vorne, mal der andere. Eingebaut in dieses Spiel sind akrobatische Tricks wie Handvoltigen oder ein Drei-Personen-Hoch. Am Ende ergibt sich dann beim Wer-mit-wem eine zunächst nicht ganz so absehbare Konstellation. Der Akkordeonspieler, welcher den Auftritt begleitet hat, spielt darin eine nicht unwesentliche Rolle. Nachdem vor der Pause das Licht ausgefallen war, versagt nun das Mikrofon seinen Dienst. Kay Scheffel schafft es aber auch so, das Publikum zu unterhalten. Sogar Standing Ovations werden gespendet. Nachdem sich Herr Riesling mit dem defekten Mikrofon befasst hat, steht er unter Hochspannung. Entsprechend bewegt er sich über die Bühne. Seine perfekte Körperbeherrschung und eine hinreißende Mimik sorgen für größte Heiterkeit. Diese wird noch gesteigert, als Kay Scheffel zwei Zuschauer auf die Bühne holt und mit ihnen seine Fähigkeiten als Bauchredner demonstriert. Er gibt ihnen neue Stimmen und animiert sie zu munteren Gesprächen. Als Zugaben singen die drei Blue Suede Shoes sowie Frere Jacques. Wenn Kay Scheffel nach Verabschiedung der Gäste von der Bühne „noch'n Gedicht“ vorträgt und dann noch eins, ist es doch ein wenig zuviel des Guten. Zumindest für mich gerät dieser komische Block zu lang. Ich hätte mir eine weitere artistische Darbietung für den zweiten Teil gewünscht. Denn es folgt nur noch Sergey Timofeev. Das „nur“ bezieht sich selbstverständlich ausschließlich auf die Quantität, nicht aber auf die Qualität. Denn Timofeev ist ein exzellenter Artist. Seine variantenreichen Handstände erreichen höchste Schwierigkeitsgrade. Dennoch sieht alles spielerisch aus. An dieser Wirkung hat sein Requisit einen großen Anteil. Immer wieder verändert er die Zusammensetzung seines bunten, vieleckigen Podests. Es sieht nicht nur wie ein Zauberwürfel aus, sondern lässt sich auch so drehen. Beim anschließenden Finale geben die Blues Brothers das Thema vor. Das Publikum feiert das Ensemble und erinnert sich dabei an die zuvor einstudierten Standing Ovations.

Mit der durchgehenden Livemusik setzt dieses Frühjahrs-Varieté einen für Höchst neuen Akzent. Dieser ist äußerst wirksam, gerät die Show so doch lebendiger, mitreißender. Das tröstet auch ein wenig darüber hinweg, dass wir im Neuen Theater schon artistisch stärker besetzte Produktionen gesehen haben. Denn großen Spaß macht das laufende Programm in jedem Fall. Die Publikumsreaktionen beweisen das. Wenn man mit Julius Zier zur Zukunft der Varietéprogramme in Höchst plaudert, merkt man, dass wir hier noch Einiges erwarten dürfen. Der junge Mann sprudelt nur so vor Ideen. Er ist mit Enthusiasmus bei der Sache. Seien wir also gespannt, mit was er uns im Laufe der nächsten Jahre überrascht.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch