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Neues Theater - Varieté Frühling 2025
www.neues-theater.de - 156 Showfotos

Frankfurt-Höchst, 5. März 2025: Diese Show hat keinen roten Faden, sie hat einen bunten. Der Conferencier – die Bezeichnung ist hier teilweise irreführend – begrüßt uns und verabschiedet uns auch in die Pause. Ersteres macht er im eleganten Smoking, letzteres mit Sonnenbrille, geöffnetem Bademantel und Pappschild über dem wichtigsten Körperteil. Der Varieté Frühling 2025 im Neuen Theater ist abgefahren, kreativ, teilweise durchaus frivol und stark besetzt. Da erleben wir eine wunderbar poetische Nummer am Luftring genauso wie eine Einraddarbietung zu Rockmusik, bei der der Artist live singt.

Die Mitwirkenden beherrschen ihr artistisches Handwerk vortrefflich, spielen aber ebenso in gemeinsamen Auftritten mit. So hat diese Produktion etwas, dass sie zusammenhält, daraus viel mehr macht als ein reines Nummernprogramm. Aber diese Übergänge oder auch Zwischenspiele sind immer wieder anders. Die Ensembleleistung ist enorm stark. Zusammengestellt hat den Cast, das darf man beim vierten Mal sagen, „wie gewohnt“ Maik M. Paulsen. Für die Regie wurde abermals Karl-Heinz Helmschrot hinzugezogen. Trotz dieser Kontinuität ist die Show ganz anders geraten als etwa die im vergangenen November.


Neelah, Petter Linsky

Wenn die Zuschauer den Saal betreten, treffen sie zunächst auf Gewohntes. Denn bereits bevor sich der Vorhang öffnet, musiziert dort die Band Neelah. Die vierköpfige Formation mit Sängerin Nicole Siegel, Bassist und Gitarrist Robin Brosowski, Keyboarder Aaron Pellet sowie Jonathan Schuchardt am Schlagzeug sorgt wieder für fantastische Livemusik. Nicht nur zur Einstimmung, sondern auch bei einem Großteil der Darbietungen. Die nicht ganz so ernst gemeinten Hinweise vorab gibt es von einer synthetischen Stimme. Wasili Urbach, laut T-Shirt-Aufdruck Teil der Crew, hält dazu sein Smartphone an das Mikrofon. Dann betritt Adrian de Greef in Smoking und Hut das Scheinwerferlicht, um sich letztendlich selbst anzukündigen. Und damit haben wir unseren Gastgeber, der uns mit Witz und kleinen Tricks einen Vorgeschmack auf sein Können gibt. Akkurat vorbereitet wird die erste Nummer des Abends. Wasili Urbach ermittelt die Abstände zwischen den auf der Bühne platzierten Hüten mit einem Maßband. Die Requisiten benötigt Petter Linsky für seine Jonglagen. Der Schwede lässt die Kopfbedeckungen virtuos durch die Luft fliegen. Das macht er mit großem Können und charmantem Verkauf. In immer neuen Varianten nehmen die Hüte ihre Bahnen. Dazu gibt es es wunderbare Livemusik inklusive Gesang.


Adrian de Greef, Robert Best

Ein virtueller Sprachassistent und ein Tablet, sprich Alexa und iPad, sind wichtige Hilfsmittel, wenn Adrian de Greef zaubert. Alexa darf für die passende Lichtstimmung sorgen. Als sie ihren Dienst zeitweise quittiert, hilft ein kostenpflichtiger Anbieter. Die Zustimmung zum Kauf gibt ein Kollege aus dem Hintergrund per Sprachbefehl. Das iPad hat praktischerweise einen (E)iPrinter eingebaut, mit dessen Hilfe tatsächlich ein Hühnerei aus dem dünnen Tabletcomputer erscheint. Auch bunte Bälle können auf dem Device konfiguriert und dank „Prime Now“ direkt in Empfang genommen werden. Werden die Bälle nicht mehr benötigt, werden sie bequem in die Cloud hochgeladen. Das Erscheinen und Verschwinden von Gegenständen verpackt Adrian de Greef hier äußerst originell. Mithilfe einer WLAN-Verbindung und dem Tablet öffnet er sogar eine Sektflasche, die auf einem Tisch steht. Bei so einem Automechaniker wird jede Panne zu einem Genuss. Tiefenentspannt betritt Robert Best in Jeans und Muscleshirt die Bühne, lässig zwei Reifen tragend. Ein Reifenstapel dient ihm als Podest für seine Handstandakrobatik. Während er sich auf ein und zwei Armen im Gleichgewicht hält, blättert er locker in einem Buch. Das Shirt legt er bald ab. Dank Motorenöl verziert er seinen Oberkörper mit Reifenspuren. „You Can Leave Your Hat On“ bildet die passende und genial interpretierte musikalische Begleitung, zumal wenig später im Handstand die Jeans herunter- und wieder hinaufgezogen wird. Noch einmal kommt das Smartphone von Wasili Urbach zum Einsatz. Jetzt erklärt uns die Computerstimme, wie Stage Diving funktioniert. Dann kommen drei sehr coole Herren in abgefahrenen Klamotten auf getunten Dreirädern herein. Es sind Adrian de Greef, Petter Linsky und Dustin Waree. Das Trio übt sich in heißen Posen und misst sich im Spiel „Schere, Stein, Papier“. Am Ende bleib Adrian de Greef übrig. Im lässigen Outfit präsentiert er seine Diabolo-Jonglagen. Besondere Effekte erzeugt er etwa, wenn er einen der Doppelkegel auf dem Reißverschluss seiner Jacke rotieren lässt oder auf seiner Kette, die er wild um seinen Hals dreht. Aber auch die Klassiker des Genres hat er souverän im Repertoire. Am Ende jongliert er drei beleuchtete Diabolos gleichzeitig.


Sophia Drgala und Wasili Urbach, Iryna Hladka

Frau und Mann sitzen im Café, sie interessiert sich für ihn, er will aber nur seine Zeitung lesen. Diese Geschichte erzählen ganz hinreißend Sophia Drgala und Wasili Urbach. Dabei wird es durchaus akrobatisch. Etwa wenn sie ihm die Zeitung mit einem Fuß klaut, während sie einen Handstand macht. Oder wenn sie sich kopfüber an ihm festhält, während er aufsteht. Am Ende legen die beiden noch einen Tanz auf die Bühne. Weiter geht es gar mit klassischem Ballett. Dustin Waree, Petter Linsky und Robert Best führen ihre ganz eigene Version von Schwanensee auf, nachdem sie mit einer a capella-Version von „We Will Rock You“ gestartet sind. Dabei spielen Autoreifen eine wichtige Rolle. Hula Hoop-Darbietungen gehören nicht gerade zu meinen Favoriten und ich würde sie schon gar nicht als Pausennummer setzen – es sei denn, es handelt sich um die Kür von Iryna Hladka. Ihr Stil ist eher introvertiert, sinnlich, sie verkauft ihre Kunst nicht offensiv. Trotzdem findet sie sofort die Verbindung zum Publikum. Es ist fast schon magisch, wie sie uns im Handumdrehen für sich gewinnt. Eine Magie, der man sich nicht entziehen kann. Ihr einzigartiges Können hat daran einen großen Anteil. Die vergleichsweise großen Reifen lässt sie ohne Mühe in den verschiedensten Formationen um ihren Körper kreisen. Hält sie sie eben noch mit der Hüfte in Bewegung, finden sie sich einen winzigen Augenblick später an den verschiedensten Körperteilen, wo sie ausdauernd rotieren. Ihre Tricks sind alles andere als alltäglich und in einen wundervollen Ablauf integriert. Hinzu kommen eine hohe Beweglichkeit und eben diese besondere Ausstrahlung. Teil der Magie sind last but not least die Livemusik und das ungemein stimmungsvolle Lichtdesign. An dieser Stelle ein großes Lob an die Technik, die über den ganzen Abend einen überzeugenden Job macht. Adrian de Greef, Dustin Waree und Robert Best holen uns danach auf den Boden der Realität zurück. Mit einem Strip beenden sie den ersten Teil.


Sophia Drgala, Wasili Urbach, Fenja Barteldres

Den zweiten eröffnet Sophia Drgala am Chinesischen Mast. Sie dreht sich gekonnt um den Pole, erklimmt ihn locker, zeigt daran akrobatische Haltefiguren und nimmt ebenso virtuos den Weg nach unten. An der Spitze ihres Requisits befindet sich ein Ring, auf dem sie einen Handstand zeigt. „I Put A Spell On You“ sorgt für die musikalische Begleitung dieser intensiven Nummer. Zur Aerobic-Stunde gerät der Abbau des Masten. Robert Best und Dustin Waree erledigen ihn in Leggings, sehr knappen Oberteilen und Stirnbändern. Mit den einzelnen Bestandteilen des Masten und seiner Halterung lassen sich verschiedene Übungen absolvieren. Am Ende überrascht Dustin Waree mit einem starken Kunststück. Dann hat Wasili Urbach sein Solo. Er steht zunächst bewegungslos auf der Bühne, was Sophia Drgala und Petter Linsky zu einem gemeinsamen Selfie animiert. Dann erwacht die menschliche Marionette zum Leben. Wie eine Puppe an Fäden bewegt sich Wasili Urbach. Er tanzt, er zeigt akrobatische Elemente und das alles in einer Choreografie, die suggeriert, dass er dabei von Zauberhand gesteuert wird. Am Ende zerschneidet er die Fäden und wird zu einem Mensch mit voller Bewegungsfreiheit. Gleich zu Beginn des Auftritts von Fenja Barteldres gibt es eine Schrecksekunde. Ihr Roue Cyr öffnet sich an einer Stelle, das Loch vergrößert sich schnell. Das Rad ist bald kein Rad mehr, sondern nimmt neue Formen an. Doch die Artistin hält sich auch darauf noch in Bewegung und Balance. Mithilfe ihrer Haarnadel repariert sie das Requisit zunächst, um es dann in seine Einzelteile zu zerlegen und daraus eine Skulptur zu erschaffen. Sodann kommt ein neues Roue Cyr auf die Bühne gerollt. Auch das bleibt nicht lange ganz, doch sogar auf einem Viertel davon weiß sich Fenja Barteldres geschickt zu bewegen. Ein außergewöhnlicher, sehr kreativer Auftritt. Adrian de Greef trägt nun wieder sein edles Outfit vom Beginn des Abends und spielt auf einem Violoncello Klassik. Schnell gesellen sich Robert Best und Dustin Waree hinzu. Alle ziehen Sonnenbrillen an und ab sofort heißt es „Mozart 2.0“. Teilweise mit drei Bögen gleichzeitig spielen sie das Instrument. Mal im Gangnam Style, mal gesanglich unterstützt mit Imitationen von Udo Lindenberg und Max Raabe.


Iryna Hladka, Adrian de Greef, Dustin Waree

Adrian de Greef nimmt danach mit seinem Cello am Rand der Bühne Platz und begleitet zusammen mit Aaron Pellet am Keyboard die traumhafte Performance am Luftring von Iryna Hladka. Wie schon bei ihrer Hula-Hoop-Nummer verschmelzen hier außergewöhnliches Können und Ausstrahlung zu einer einzigartigen Mischung. Noch einmal dürfen wir mit der Ukrainerin träumen. Nach magischen Momenten, die uns Adrian de Greef mit Löffel und Gabel sowie einem iPad beschert, wird es rockig. „Seven Nation Army“ hat sich Dustin Waree als Soundtrack für seine Einrad-Artistik ausgesucht und singt den Song gleich selbst live. Mit dem Rad hüpft er ein zweiteiliges Stufengestell nach oben und fährt wieder herunter. Das macht er auch beim Seilspringen und mit verbundenen Augen. Dabei transportiert er eine enorme Energie ins Auditorium, voller Einsatz ist garantiert. Dustin Waree ist einfach ein cooler Typ, der nochmal ordentlich für Stimmung sorgt. Sein Requisit wird bei den Zugaben während des Finales geschickt eingebaut. Doch zunächst verabschieden sich die Künstler einzeln, „Ain't No Sunshine“ intoniert Nicole Siegel dazu. Für das gemeinsame Schlussbild nehmen alle Mitwirkenden nebeneinander Aufstellung am Bühnenrand.

So geht ein ungemein vielschichtiges Programm mit enorm vielen Details, kleinen Einfällen zu Ende. Es ist gar nicht möglich, alle mit nach Hause zu nehmen. Das ist auch gar nicht notwendig. Viel schöner ist es, das Gesamterlebnis auf sich wirken zu lassen. Hier hat uns ein grandioses Ensemble mit enormer Spielfreude einen schlichtweg genialen Abend bereitet. Die Auslastung der Shows dürfte, wie schon im vergangenen November, enorm sein. Auch wenn zwischen den Produktionen insbesondere hinsichtlich der Machart stark variiert wird, die Stammgäste des Neuen Theaters wissen einfach, dass hier Begeisterung garantiert ist. Schön, dass das Herzblut, das alle Beteiligten in die Programme stecken, derart belohnt wird.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch